Zur Tarifautonomie

Geschrieben von: am 28. Jun 2010 um 16:32

In der letzten Woche entschied das Bundesarbeitsgericht in Erfurt, dass die quasi zur Rechtsnorm avancierte „Tarifeinheit“ keinem übergeordneten Grundsatz entspräche (siehe BAG). D.h., dass ein angeführter Grundsatz der Tarifeinheit in Wirklichkeit keiner ist und die Koalitionsfreiheit, wie sie das Grundgesetz in Artikel 9 vorschreibe nicht durch so etwas wie eine „Tarifeinheit“ eingeschränkt werden könne. Das haben einige, wiederum „hochintelligente“, Politiker nicht verstanden. Der Vorsitzende der Unions-Bundestagsfraktion, Michael Fuchs (CDU) zum Beispiel polterte gleich los und schlug vor, die Verfassung zu ändern. Das hat ja bei den Hartz-IV-Jobcentern auch prima funktioniert.

Der schlaue Fuchs hat dabei nur vergessen, dass Artikel 9 Grundgesetz unabänderbar ist. Genau wie alle anderen Grundrechte, die in den Artikeln 1-19 niedergeschrieben wurden und als Abwehrrechte des Grundrechtsträgers verstanden werden müssen. Das lernt man doch als erstes im Politikuntericht der Sekundarstufe. Na ja, in der Wirtschaft scheint man halt was anderes zu lernen. Das Grundgesetz ist jedenfalls eindeutig. Es schützt die Tarifautonomie und nicht die Tarifeinheit. Insofern war der Spruch der Richter nur konsequent. Vielleicht hätte sich der schlaue Fuchs einmal gefragt, warum es soweit kommen musste. Liegt es daran, dass Arbeitnehmergruppen den Hals nicht voll genug kriegen können oder eine besondere Lust verspüren, die Volkswirtschaft lahm zu legen?

Oder liegt es einfach an der Tatsache, dass die Wirtschaft mit dankbarer Unterstützung der Politik in der Vergangenheit alles daran setzten durfte, die Tarifpartnerschaften zu unterlaufen, indem sie abgeschlossene Tarifverträge zum Beispiel dadurch umgehen konnte, einfach Tochtergesellschaften zu gründen, in die Teile der Belegschaften zu schlechteren Arbeits- und günstigeren Kostenbedingungen ausgelagert werden konnten? Was ist mit dem Outsourcing? Was ist mit Hartz IV und dem Niedriglohnsektor, der direkt auf die Lohnuntergrenze drückt und die Arbeitnehmervertretungen in eine politisch gewollte schwächere Position versetzt? Was ist mit der Tarifflucht der Arbeitgeber? Und was ist mit den illegalen Scheingewerkschaften der Arbeitgeber, die sich ganz bewusst Artikel 9 GG zu eigen machten, um unter dem Deckmantel der Koalitionsfreiheit ihre Interessen durchzusetzen?

Splittergewerkschaften und die Auflösung der bisher gekannten Tariflandschaft werden nicht die Folge eines Richterspruchs sein, sondern die Folge einer durch und durch verfehlten Politik. Das kann man übrigens schon seit einigen Jahren hierzulande beobachten. Die Anzahl der Streiks nahm zu und auch die Organisation von speziellen ökonomisch mächtigen Berufsgruppen zu neuen Gewerkschaften. Das alles hätte nicht sein müssen, wenn die Politik zu der Erkenntnis gekommen wäre, dass schlaue Wirtschaftspolitik nicht der Unternehmerlogik zu folgen habe, sondern einer gesamtwirtschaftlichen Betrachtung. Nun stehen die Deppen da und klagen über die gesamtwirtschaftlichen Folgen, die sich nun ergeben könnten, wenn noch mehr Berufsgruppen auf ihr Grundrecht pochen und sich organisieren, um ihre Interessen durchzusetzen, was ihnen zuletzt unter dem durchaus sinnvollen Ausgleich zwischen Kapital und Arbeit, nämlich der „Tarifeinheit“, verwehrt wurde.

Politisch scheitert es ja schon an der Durchsetzung eines Mindestlohns, der immerhin den Lohndruck nach unten stoppen könnte und die beabsichtigte Sparpolitik tut ihr übriges hinzu. Statt zu jammern und das Zeitalter der Dauerarbeitskämpfe auszurufen, sollten sich alle Gewerkschaften untereinander solidarisieren und die einzig mächtige Waffe gegen diese abgrundtief schlimme Politik in Stellung bringen, die es noch gibt. Den Generalstreik! Auch wenn der juristisch in diesem Land bereits ausgeschlossen wurde (1955), ist er meiner bescheidenen Meinung nach dennoch durch das Grundgesetz gedeckt.

Art. 20, Abs. 4

Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

Der „schlaue“ Herr Fuchs von der CDU wollte zumindest den Versuch starten, die verfassungsmäßige Ordnung zu beseitigen und zahlreiche weitere Dampfplauderer wie der allseits berüchtigte Hundt eifern ihm nach. In diesem Zusammenhang ist es eine Schande, dass sich der DGB-Vosritzende Sommer lieber mit dem bellenden Irrlicht der Arbeitgeber aus Baden-Württemberg solidarisiert als mit den Interessen seiner Arbeitnehmer. Aber so waren deutsche Gewerkschaften schon immer. Auch das ist eine bittere Realität.

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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Kommentare

  1. Zwischen nach der Geburt & vor dem Tod  Juni 28, 2010

    Parteien, Arbeitgeber- und Gewerkschaftsverbände sind sich einig…
    …leider nicht, daß das Sparpaket >:XX ist, sondern das es nicht sein kann und darf, das jede Interessengruppe die Möglichkeit hat, eine eigene Gewerkschaft zu gründne:

    Wenn Arbeitgeber-Funktionäre und Gewerkschaftsbosse sich einig sind, wenn dazu …