Zum blanken Entsetzen reicht es nicht

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Nach dem TV-Duell müsste eigentlich das blanke Entsetzen herrschen. Doch Medien und Volk trösten sich mit Halskette, PKW-Maut und Stefan Raab als neuen Hoffnungsträger des medialen Polittheaters über eine blamable Vorstellung hinweg. Zwar hatte Raabs Nominierung ein wenig mehr Publikum vor die Flimmerkisten gelockt, doch zu einer Mobilisierung der Unentschlossenen, wie Sigmund Gottlieb anschließend in den Tagesthemen meinte, wird auch das nicht führen. Vieles wurde einfach überhört oder unter der Kategorie “zu schwierig für den Zuschauer” abgelegt.

Gleich das Thema Mindestlohn bot die Möglichkeit, den wandelnden Sprechnblasenautomaten zu überführen.

“Ich bin der Meinung, das diejenigen, die in der sozialen Marktwirtschaft für die Tarifverträge zuständig sind, mehr von den Arbeitsplätzen verstehen, auch bei den unteren Löhnen als wir Politiker.”

[…]

Den Flickenteppich in der Tariflandschaft für alle Branchen kennen wir. Der hat sich in der Bundesrepublik Deutschland bewährt. Das ist nämlich eine angepasste Lohnfindung. Gewerkschaften und Arbeitnehmer haben hier die Möglichkeit ihre Erfahrungen einzubringen.”

Wenn das so ist, wie konnte dann ein Niedriglohnsektor mit Dumpinglöhnen entstehen?

Die Frage fiel niemandem ein. An dieser Stelle hätte bereits klar die Feststellung getroffen werden müssen, dass Merkel überhaupt nichts ändern will. Sie spricht von Lohnuntergrenzen, alle verstehen Mindestlohn, gemeint ist aber ein Weiter so und niemand checkt das, weil alle bereits gedanklich mit der Farbe der Halskette beschäftigt sind.

Bei der PKW-Maut waren sie aber alle wieder voll da und emsig bemüht, zwischen dem “irren” Seehofer und der “besonnenen” Merkel ein wenig Zwietracht zu säen, was ja auch gelang, wie alle Medien heute freudig berichteten. Draußen tobt derweil die größte Wirtschaftskrise seit Jahren, doch die deutsche Journaille interessiert sich lieber für die vermeintlich spannendste Frage in den anstehenden Koalitionsverhandlungen. Sogar der Herausforderer Steinbrück machte mit und demonstrierte damit einmal mehr, dass er keine Regierung bilden wird und eine Wahl aufgrund des vorhersehbaren Ergebnisses eigentlich überflüssig ist.

Demzufolge hatte Merkel auch viel Zeit, die Ergebnisse ihrer Regierungsarbeit abermals und ohne Widerspruch als sensationell zu bezeichnen. Eine Wechselstimmung gäbe es ja nicht, so Anne Will, was nicht stimmt, wenn man endlich die zunehmende Zahl derer betrachten würde, die von der Wahl einer Partei Abstand nehmen und zur Stimmenthaltung wechseln.

Steinbrück und die SPD haben immer mit Merkel gestimmt. Der Stachel sitzt. Da hilft auch nicht das Gejammer über den Vorwurf der europäischen Unzuverlässigkeit. Die SPD müsste halt nur kapieren, dass sie als Opposition eine Alternative zu entwickeln hat, und lieber darauf verzichten sollte, sich als weiterer Flügel in Merkels Einheitspartei einzureihen. Worum es in Europa geht, beschrieb Merkel so.

“Es geht um die schwerste Krise, die Europa je hatte. Aber keiner weiß, wie sich die Dinge in Griechenland weiterentwickeln.”

Die Aufgabe der Bundeskanzlerin sei es aber, dafür zu sorgen, dass der Reformdruck auf Griechenland nicht nachlasse.

Wo steht im Grundgesetz, dass sich die deutsche Bundeskanzlerin um die Innenpolitik Griechenlands zu kümmern hat? Und warum sollte sie es tun, wenn sie gleichzeitig keinen blassen Schimmer hat, wie sich die Dinge dort überhaupt weiterentwickeln?

Im weiteren Verlauf des Interviews sprach Merkel dann verharmlosend davon, die Krisenländer “ermuntern” zu wollen, die segensreichen Reformen deutschen Ursprungs zu übernehmen. Auch hier wäre die Nachfrage erlaubt gewesen, welche Strategie die Regierung nun eigentlich verfolgt oder wovon sie ablenken will. Das wollte aber keiner wissen und so behielt Merkel die Deutungshoheit und durfte nach etwa einer halben Stunde in unverschämter Weise die Dinge nach ihrem Weltbild ordnen.

“Wir sehen doch jetzt die ersten zarten Pflänzchen des Wachstums. Und dem wird auch wieder mehr Beschäftigung folgen. Das sind die ganz normalen Zyklen, wie sich die Dinge entwickeln. Deshalb heißt es, den Kurs fortzusetzen.”

An dieser Stelle bezeichnet Merkel das Ergebnis ihrer Krisenpolitik, eine Rezession mit über 50 Prozent Jugendarbeitslosigkeit in Südeuropa als ganz normalen Zyklus. Geht’s noch?

Die Europäer müssten sich anschließend noch auf der Welt sehen lassen können, verteidigte Merkel ihren Kampf der Nationen um Wettbewerbsanteile und meinte natürlich Deutschland, das auf seine Überschüsse unter keinen Umständen verzichten dürfe. Hätten die Journalisten im Studio und Herr Steinbrück als gelernter Volkswirt etwas von Ökonomie verstanden, sie hätten Merkel stellen und ihre Vorstellung von Wirtschaft als Vodoo-Ökonomie entlarven können.

Doch stattdessen dominieren bescheuerte Fragen wie die von Raab nach dem Schuldenabbau (wenn man jetzt jedes Jahr eine Milliarde zurückzahlen würde, wäre man Zweitauseneinhundertirgendwas schuldenfrei) die Diskussion. Dies verdeutlicht zweierlei. Erstens die ökonomische Borniertheit, mit der die Menschen tagein tagaus auch von den Medien gequält werden – denn warum sollte ein Staat jemals alle Schulden zurückzahlen sollen – und zweitens der völlig absurde Handlungsautomatismus, der sich aus dieser abwegigen Vorstellung scheinbar ergibt, bei dem aber völlig außer acht gelassen wird, dass die Schulden der einen immer auch die Vermögen der anderen sind.

Wer Schulden und Defizite abbauen will, muss gleichzeitig Vermögen und Überschüsse reduzieren. Wer will, dass die Krisenländer wettbewerbsfähiger werden sollen, muss eigene Marktanteile abgeben. Wer will, dass der Kapitalismus funktioniert, muss für den Ausgleich sorgen. Als es den bösen Osten noch gab, wussten das alle im Westen, weil sie zeigen wollten, dass ihr System das überlegenere ist. Nun müssen sie nichts mehr beweisen und können den Laden unter Mitnahme des größtmöglichen Gewinns vor die Wand fahren. Dass eine Ostdeutsche in führender Position dabei behilflich ist, wird künftigen Generationen, sofern sie das dann noch können, ein süffisantes Lächeln entlocken.

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Zufriedenheit nicht nehmen lassen

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Der Deutsche steht noch mit 85 und drei Bypässen auf der Baustelle und planiert mit dem Rollator die Auffahrt zur Vollbeschäftigung, meint Christoph Sieber in Neues aus der Anstalt und hat damit einen furiosen Auftritt hingelegt. Bitte mehr davon. Die Zufriedenheit dürfe man sich nicht durch so etwas wie die Realität nehmen lassen. Es sollte mehr Euphorie herrschen. Die Jugend saufe offenbar so viel, dass die Alten vom Flaschenpfand noch leben können. Das sei ein echter sozialer Ausgleich, findet Sieber.

Christoph Sieber in Neues aus der Anstalt vom 27.08.2013

Und in der Tat, der Monat neigt sich dem Ende und die Jubelmeldungen zur wirtschaftlichen Lage häufen sich. Erst hat das ifo Institut seinen monatlichen “Wie-geht’s-uns-Index” veröffentlicht und heute die GfK ihre Klimaforschung sowie das DIW sein Konjunkturbarometer. Gleichzeitig prescht die Bundesregierung mit einem eigenen Wirtschaftsbericht vor, in dem sie alle drei Jubelmeldung bündelt und die Sektkorken ordentlich knallen lässt, noch bevor die offiziellen Zahlen zum Arbeitsmarkt und zum Einzelhandel bekanntgegeben wurden.

Rösler und Schäuble: Solide Haushalte, stetes Wachstum und hohe Beschäftigung – Deutschland geht es gut

Eigentlich schade, dass die Rader Hochbrücke über den Nord-Ostseekanal nicht unter der Last des LKW-Verkehrs krachend eingestürzt ist. Dann hätten die Container voller Konsumgüter schwimmend an die maroden Schleusentore klopfen können. Darüber hätte der sterbende Brummifahrer dann das Wahlplakat der Bundesregierung mit dem Slogan lesen können: Solide Haushalte, stetes Wachstum und hohe Beschäftigung – Deutschland geht es gut. Peinlich wäre das gewesen. So rollt der Aufschwung irgendwo um das gesperrte Nadelöhr herum und vergrößert die Schäden auf den Straßen anderer Baulastträger.

Ich hätte ja noch dazu geschrieben,

Haltet durch: Noch schreiben wir an der Rechnung – Vorlage nach dem 22. September

Wer einigermaßen wach in der Birne ist, weiß natürlich, dass in Deutschland gar nichts gut ist. Die marode Infrastruktur ist nur ein Beispiel von vielen. Die öffentlichen Haushalte mögen solide aussehen, das Land bröckelt aber für alle sichtbar vor sich hin, weil es die Politik nach wie vor für wichtiger hält, notwendige Aufgaben aufzuschieben, statt sie zu erledigen. Schuld sind dann immer die jeweils anderen, die es irgendwann einmal “fahrlässig” unterlassen haben, rechtzeitig zu investieren. Dabei folgen alle Kämmerer stets dem gleichen Ziel, dem ausgeglichenen Haushalt. Was man sich dafür kaufen kann, wird man nach der Wahl sehen, wenn dank Schuldenbremse die Gürtel noch einmal enger geschnallt werden müssen.

Jetzt will davon keiner etwas wissen. Deutschland ist schließlich die Wachstumslokomotive in Europa, auch ohne Stellwerker. Auf die kann Merkels Regierung getrost verzichten, weil sie nicht auf Schienen fährt, sondern auf Sicht vor sich hin segelt mit dem Kompass fest in der Hand, aber ohne Idee, welche Richtung sie einschlagen muss. Man hat keine Erwartung mehr an diese Bundesregierung und selbst das können sie nicht erfüllen, sagte Christoph Sieber. Lassen Sie sich ihre Zufriedenheit nicht nehmen, legen Sie sie doch selber ab. Seien Sie empört!

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Hirn- statt Körpertäuschung

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Angela Merkel lässt ihre Angreifer gekonnt ins Leere laufen, aber nicht wie ein Fußballer mittels Körpertäuschung, ihr reicht eine Hirntäuschung, meint Volker Pispers heute auf WDR 2. Links andenken und rechts vorbeiregieren, das sei die Strategie der Kanzlerin. Die großen staatstragenden Parteien hätten es vollbracht, dass das Volk seine Stimme völlig losgelöst von seinen politischen Ansichten abgibt. Eine linke Mehrheit rechts von der CDU sei schon immer dagewesen, nur finde diese im Parlament nie zusammen. Die Wahlentscheidung sei folglich nicht bestimmt von politischen Inhalten, sondern von Bauchentscheidungen.

Von wem lässt sich der Deutsche lieber verarschen? Das ist die Frage. Vom Holzkopf Steinbrück oder von Mutti Merkel? Es genügt der Kanzlerin für den Mindestlohn oder eine Mietpreisbremse zu sein. Sie muss beides ja nicht umsetzen. Derweil versuchen Steinbrück, Steinmeier und Gabriel den Fußspuren Willy Brandts nachzulaufen und spielen darin Verstecken.

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TV-Tipp: Neues aus der Anstalt im Endspurt

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Die vorletzte Sendung Neues aus der Anstalt mit Urban Priol und Erwin Pelzig gibt es heute zu sehen. Wegen Fußball vermutlich erst ab 23 Uhr.

Kurz vor dem Endspurt zur Bundestagswahl melden sich Urban Priol und Erwin Pelzig aus der Sommerpause zurück. Die beiden satirischen Chefreporter kommentieren die aktuellen Prognosen und beobachten genau was auf der Zielgeraden passiert: Wer kann noch einmal die letzten politischen Kräfte mobilisieren und wer hat sich das Rennen um die Wählergunst falsch eingeteilt?

Als kabarettistische Unterstützer sind Monika Gruber, Christoph Sieber und Ingo Appelt mit von der Partie.

Quelle: ZDF

Der Ankündigungstext hat einen Fehler. Die beiden Chefreporter können gar nicht beobachten, was auf der Zielgeraden passiert. Diese liegt nämlich längst hinter uns. Spätestens als vielen Deutschen im Angesicht eines möglichen “Veggie-Days” klar wurde, dass ihnen Burgerrechte wichtiger sind als Bürgerrechte (Christian Ehring, extra 3), hat die bevorstehende Wahl keinerlei Bedeutung mehr.

Außerdem laufen schon jetzt die Koalitionserpressungsverhandlungen bevor überhaupt gewählt worden ist (Fritz Eckenga, WDR 2). Die Wahl ist bereits entschieden und die noch ausstehende Abstimmung bloß ein lästiges Fragment der Demokratie. Die Deutschen hassen Politik und deshalb finden sie Merkel gut. Kein Skandal kann die Kanzlerin zu Fall bringen. Die Frau hat es nicht nur geschafft, mit ihren eigenen Regierungen nicht in Verbindung gebracht zu werden. Sie hat es auch geschafft als eine Person dazustehen, von der die Menschen glauben, sie teile deren Verachtung für den politischen Betrieb.

Merkel verweigert sich dem Wahlkampf wie 2009 und das Volk findet das gut. Der politische Gegner jammert darüber und versucht wie wild und ohne erkennbare Strategie jede sich bietende Chance für Angriffe auf die Regierung zu nutzen. Merkel beantwortet diese nicht, sondern setzt vielmehr auf einlullen, abwiegeln und beschwichtigen. Der Wähler ist von der Opposition genervt und wünscht sich eigentlich nur, mit Politik in Ruhe gelassen zu werden. Und genau das liefert Merkel. Damit wächst auch die Anhängerschaft der “Zeugen Angelas”.

Denken strengt an, tut aber nicht weh. Also bleiben Sie auf und schalten Sie die Anstalt ein, bevor es auch dieses Juwel der Satire in dieser Zusammensetzung nicht mehr gibt.

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Manipulation: Alle lieben wieder die Große Koalition

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Es ist schwer zu glauben, dass auf einmal die Große Koalition der Deutschen liebstes Kind sein soll. Überall hört und liest man plötzlich davon, weil sowohl die SPD als auch ihre Heiligkeit, Angela Merkel, eine solche Option haben durchblicken lassen. Dieser Unfug ist deshalb schwer zu glauben, weil ebendiese Deutschen vor vier Jahren noch froh waren, die Große Koalition endlich wieder los zu sein.

Nun ist das wieder anders. Journaille und politische Beobachter nehmen für ihre Behauptung einfach einen ziemlich schwachen Wert zur Grundlage, den infratest dimap im Auftrag der ARD vergangene Woche ermittelt hat. Demnach würden 23 Prozent der Deutschen, also nicht mal ein Viertel, die Große Koalition befürworten. Leidenschaft sieht anders aus. Außerdem hatten die Befragten nur fünf Auswahlmöglichkeiten, wobei “Keine” als Option erneut fehlte. Die Frage, was Union oder SPD speziell nach der Wahl machen sollten, ist statistischer Unsinn.

Interessant ist, dass sich vor vier Jahren laut Deutschlandtrend über 60 Prozent gegen den Fortbestand der Großen Koalition ausgesprochen haben. Dies wurde damals als klare Wechselstimmung gewertet. Heute wären bei nur 23 Prozent Zustimmung deutlich über 70 Prozent gegen eine Große Koalition. Dennoch läuft die Propaganda für dieses Modell auf Hochtouren, weil die Spindoktoren es so eingefädelt haben und es alle wieder toll zu finden haben. Und ich wette, dass die Zustimmungswerte für die Große Koalition in den nächsten Wochen steigen werden, je öfter davon gesprochen wird. Da ist der Deutsche ganz einfach gestrickt.

Auf der anderen Seite könnte diese Diskussion auch der FDP nutzen, die nun auf der Zielgeraden eine ganz einfache Kampagne fahren kann: Wer keine Große Koalition will, müsse die Liberalen wählen, wird es wieder heißen. Und der Wähler? Er wird sichtlich beeindruckt von der Strategie, die er nicht durchschaut, ein weiteres Mal dabei helfen, die FDP über die 5-Prozent-Hürde zu bringen. Er wird nicht fragen, warum überall Personalmangel herrscht, nur bei den Liberalen nicht. Dort sprießt eine zweifelhafte Fachkraft nach der anderen aus dem Boden.

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Belanglose Prognosen

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Die Bundestagswahl rückt unaufhaltsam näher und wie zu erwarten bricht in den Medien Panik aus. Die Umfragen ließen kein eindeutiges Bild zu. Wer wird regieren? Welche Koalition wird es nach dem 22. September geben? Schwarz-Gelb, Schwarz-Grün, Rot-Gelb-Grün, das Schreckgespenst Rot-Rot-Grün oder doch die Große Koalition. Dabei ist die Frage, welche Vertreter der vier Flügel ein und derselben Partei am Ende einen Vertrag für die nächsten vier Jahre unterschreiben werden, belanglos. Viel entscheidender wird sein, wer angesichts dieser Auswahl, die ja keine mehr ist, noch zur Wahl gehen wird. Doch Prognosen zur Wahlbeteiligung gibt es nicht. Warum eigentlich nicht?

Seit den Bundestagswahlen 1998 mit einer Wahlbeteiligung von 82,2 Prozent und einer klaren Alternative zum System Helmut Kohl ging es mit riesigen Schritten bergab. Bei den letzten Bundestagswahlen im Herbst 2009 gaben nur noch 70,8 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme ab und damit so wenig wie noch nie. In den Ländern sieht die Lage noch katastrophaler aus. Der vermeintliche Lagerwahlkampf in Niedersachsen zwischen Schwarz-Gelb und Rot-Grün hat zu Beginn des Jahres zwar insgesamt mehr Wähler an die Urne gelockt. Doch mit knapp unter 60 Prozent blieb auch hier die Wahlbeteiligung auf erschreckend niedrigem Niveau.

Weitere Beispiele sind das Saarland (vorgezogene Neuwahl 2012) mit 61,6 Prozent (-6 Prozent im Vergleich zu 2009), Schleswig Holstein (vorgezogene Neuwahl 2012) mit 60,2 Prozent (-13,4 Prozent im Vergleich zu 2009) und Nordrhein-Westfalen (vorgezogene Neuwahl 2012) mit 59,6 Prozent (+0,3 Prozent im Vergleich zu 2010). Die Gruppe der Nichtwähler nimmt permanent zu, doch Politik und Medien ist das allenfalls eine Randnotiz wert, da, egal wie hoch die Wahlenthaltung auch sein mag, immer alle Sitze eines Parlamentes besetzt werden.

Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht über irgendeine Wahlumfrage berichtet wird. Am spannendsten ist dabei immer wieder die sogenannte Sonntagsfrage. Welche Partei würden Sie wählen, wenn am kommenden Sonntag Bundestagswahl wäre? Die Option “Keine” gibt es dabei nicht. Stattdessen wird darüber gerätselt, warum eine Partei gut und die andere schlecht abschneidet. Zuletzt trumpfte der ARD-Deutschlandtrend gar mit der Meldung auf: “Noch nie in 16 Jahren DeutschlandTrend ist eine Bundesregierung so positiv bewertet worden. 52 Prozent sind mit ihrer Arbeit zufrieden – das ist Rekord.” Reflexion, Fehlanzeige. Weiter unten wundern sich die Demoskopen dann über Parallelwelten, weil, nach konkreten Themen befragt, miserable Noten für die eben noch gelobte Regierung ermittelt werden.

Eine Wechselstimmung gibt es nicht. Sie wäre aber vonnöten, um Wähler an die Urne zu locken und Merkel aus dem Amt zu kegeln. In jedem denkbaren Szenario zum Wahlausgang bleibt sie allerdings Kanzlerin. Denn egal welche Partei sie fragen, mit Ausnahme der Linkspartei, jede von ihnen würde unter Umständen eine Frau Merkel erneut zur Kanzlerin wählen. Weder die FDP, noch die Grünen und auch die SPD schließen ein Bündnis mit der Union aus und mit der Linken, die eine Abwahl Merkels sicher garantieren könnte, will niemand koalieren. Unter diesen Voraussetzungen muss der Versuch scheitern, Wähler zu mobilisieren, die wahlweise dem einen oder anderen Lager zugerechnet werden.

Die Sozialdemokraten reagieren bereits auf die absehbare Wahlniederlage. So soll es laut Spiegel-Informationen angeblich keine Steuererhöhungen mehr geben. Damit ist wieder ein Wahlprogramm für die Katz, noch bevor die Partei in Verlegenheit kommt, dieses auch umsetzen zu müssen. Obendrein wird jenen verbliebenen Genossen vors Schienbein getreten, die an der Basis gerade mit dem Wahlkampf begonnen haben. Wofür braucht man also noch Wahlprognosen, wenn die klare Gewissheit herrscht, dass Angela Merkel weiterhin Kanzlerin bleibt? Spannend ist da nur die Frage, wie viele Nichtwähler ihr diesmal zum Erfolg verhelfen werden.

Allein die Ruhe, mit der die Deutschen das ertragen, bleibt beängstigend.

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Nass gemacht

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Beim ARD Sommerinterview gab es heute zwei richtig gute Fragen:

  1. Was hat uns der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan gebracht?
  2. Wovor hat uns der Verfassungsschutz beschützt, als Nazis jahrelang mordend durchs Land zogen und dafür auch noch finanzielle Unterstützung erhielten?

Die Fragen stellte Gregor Gysi. Einmal, weil Deppendorf wissen wollte, welches Angebot die Linke der SPD unterbreiten werde, damit es eine Koalition zwischen beiden geben könne. So als ob der SPD zig andere Machtoptionen zur Verfügung stünden.

Zum anderen antwortete Gysi auf den noch blöder daher fragenden Rainald Becker, der allen ernstes wissen wollte, wie Gysi denn die Deutschen vor Terroranschlägen beschützen wolle, wenn die Linke den Verfassungsschutz und andere Geheimdienste abschaffte.

Eine Antwort auf seine berechtigten Fragen erhielt Gysi von seinen Interviewpartnern nicht. Es regnete in Berlin. Baden gingen aber nur Deppendorf und Becker, die Gysi zusätzlich auch noch nass machte, was nicht schwer war, wenn man Leuten gegenübersitzt, die der Realität nichts abgewinnen können und sich dennoch für die Speerspitze des deutschen Journalismus halten.

Hier geht es direkt zu der journalistischen Glanzleistung, frei vom Anspruch der Unabhängigkeit:

http://www.tagesschau.de/multimedia/video/video1329062~_origin-b21f2ff6-88b7-4aad-bea0-6ff73253295f.html

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Die mächtigste Frau der Welt stellt sich weiter dumm

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Die Berliner Hauptstadtpresse ist mehr oder weniger entsetzt über das Verhalten ihrer Majestät, Angela Merkel, auf der diesjährigen Sommerpressekonferenz. Sie gab weiterhin die Ahnungslose, der wenig daran gelegen ist, sich intensiv mit Details des Ausspähprogramms Prism zu befassen. Das sei nicht ihre Aufgabe, gab sie zu Protokoll. Sie habe schließlich den Beruf gewechselt und erhole sich bei der Arbeit mit ihrem iPad, auf dem sie regelmäßig die Bild-Zeitung lese.

Darüber war der Chefredakteur des Politmagazins Cicero, Christoph Schwennicke, im Anschluss bei Phoenix so verwundert, dass er bei der Kanzlerin auf jeden Fall noch einmal nachfragen wolle, wie Merkel das mit dem Erholungsfaktor wohl gemeint habe. Wer noch keinen Grund zum Abschalten gefunden hatte. Das war er wohl nach knapp zwei Stunden Audienz bei der großen Staatsratsvorsitzenden.

Seltsamerweise blieb es friedlich auf der Konferenz, obwohl über 30 Fragen nicht mehr beantwortet werden konnten. Na ja, dann vielleicht beim nächsten Mal. Die Presse begnügte sich mit dem Merkel-Satz des Tages:

“Das ist vielleicht eine Antwort, die sie nicht zufriedenstellt, aber das ist meine Antwort.”

Zur Prism-Affäre und anderen Themen hat die Kanzlerin keine Stellung genommen. Sie verweigerte konsequent die Aussage, wie sie es eigentlich immer tut. Nur dieses Mal scheint das Sensorium des ein oder anderen Journalisten etwas empfindlicher eingestellt zu sein. Zu groß ist doch die Enthüllung und der Skandal, den Merkel zu vertuschen sucht. Dennoch hält sich die Empörung der Medien eher in Grenzen, Schuhe sind jedenfalls nicht geflogen, obwohl 250 Journalisten anwesend waren.

Selbst darauf angesprochen, dass der Chef der NSA, Keith Alexander, noch während der Merkel-PK über die Agenturen den Satz verbreiten ließ,

“Wir sagen ihnen nicht alles, was wir machen und wie wir es machen, aber jetzt wissen sie Bescheid.” 

ließ die Kanzlerin und einige Medienvertreter kalt. Darauf angesprochen deutete sie das in der ihr eigenen Dialektik sogar um und fühlte sich in ihrer Haltung zu dem ganzen Thema bestätigt. Abgehakt, nächste Frage. Dabei scheint für die USA die Aufklärung schon abgeschlossen zu sein, während Merkel noch das Gegenteil behauptet und die Öffentlichkeit auf die Beantwortung eines Fragenkatalogs vertröstet, der wohl nicht vor dem 22. September eintreffen wird.

Sie wiederholte immer wieder, dass auf deutschem Boden, deutsches Recht zu gelten habe. Wie dieses Recht aber genau aussieht, weiß die Kanzlerin offenbar selbst nicht. Ob es ein Abkommen oder einer rechtliche Grundlage neben einer bereits existierenden Verbalnote aus dem Jahr 1968 gebe, die es den Amerikanern erlaube, auf deutschem Boden zu spionieren, entziehe sich der Merkelschen Kenntnis. Klar sei jedoch, dass die Bundesregierung persönliche Daten nur dann schützen könne, sofern sie deutschen Boden nicht verlassen, was übersetzt bedeutet, dass sie nichts wirklich zu schützen vermag, da sich kein Datenstrom im Netz an staatliche Grenzen hält.

Auf Zuruf von Steinbrück zitierte Merkel einen Satz von Gerhard Schröder, wonach in Deutschland nicht das Recht des Stärkeren gelte, sondern die Stärke des Rechts, um gleichzeitig dessen Äußerung nach den Anschlägen von New York über die uneingeschränkte Solidarität zu relativieren. “Nicht alles, was technisch möglich ist, ist auch gut”, sagte sie. Steinmeier kam auch namentlich vor, der ja die Nützlichkeit von Geheimdienstinformationen nicht leugnen könne. Er war selbst Chef des Kanzleramtes unter Schröder wie auch Außenminister unter Merkel und schweigt sehr laut zum Thema oder gibt ebenfalls den Ahnungslosen. Möglicherweise hat ja die SPD Prism erfunden, was nicht schlecht für Merkels Wahlkampf wäre.

Unfähig zu regieren und unfähig Kritik zu üben

Die Deutschen (~70 Prozent) sind laut einer aktuellen Umfrage von infratest dimap zwar unzufrieden mit der Aufklärungsarbeit der Bundesregierung, würden sie aber glatt noch einmal ins Amt wählen, weil ihnen das Thema schnurzpiepegal ist oder weil sie offenbar die Haltung der Kanzlerin teilen und dem Satz von ihr zustimmen würden:

“Ich kann zu dem Sachverhalt nichts sagen.”

Dennoch hinterlässt die Kanzlerin den Eindruck, offenkundig nicht aufklären, nicht informieren und auch von nichts wissen zu wollen. Sie demonstriert aber nicht Unwissenheit, sondern offenbart Handlungsschwäche und ihre schon immer dagewesene Unfähigkeit zu regieren. Sie sollte deshalb auch nicht Kanzlerin sein und sich auch nicht mehr zur Wahl stellen. Solche klaren Reaktionen bleiben aber aus. Ebenso wenig liest man etwas über die mächtigste Frau der Welt, die Merkel ja angeblich sei. Ein Gewicht, das die Bundeskanzlerin offenkundig bei der Eurokrise in die Waagschale werfe. Auf ihren Schultern laste das Schicksal des Euros und gerade die deutsche Journaille reagiert gereizt, wenn Kritik am Europakurs der Kanzlerin geäußert wird.

Doch mit Blick auf einen zweiten Schuldenschnitt für Griechenland demonstriert Merkel dasselbe Schema, wie bei ihren Antworten zu Prism. “Ich habe erst mal gesagt, ich sehe das nicht.” Eine klare Antwort sieht anders aus.

Doch wer überdenkt da jetzt angesichts der vorgespielten Ahnungslosigkeit und Unentschlossenheit seine Haltung zur Kanzlerin? Warum sollte ihre Politik, die sie den europäischen Freunden aufzwingt, richtig sein? Warum sollten sich Staaten wie Griechenland, Portugal oder Spanien an deutschen Reformen orientieren und Teile ihre Souveränität aufgeben?

Es ist schon äußerst merkwürdig, dass die deutsche Presse die Kanzlerin für eine bizarre und abgrundtief falsche “Rettungspolitik” immer wieder lobt, die einzig und allein auf einer absurden Wettbewerbslogik und damit auch auf einem Recht des Stärkeren beruht, auf der anderen Seite aber Anstoß daran nimmt, dass ein noch stärkeres Land es auf einer anderen Ebene ebenfalls tut und alles zum Einsatz bringt, was technisch möglich ist.

Das merkwürdige Amtsverständnis, das man im Fall Prism der Kanzlerin nun zum Vorwurf macht, ist deckungsgleich mit dem fehlenden Rückgrat der Medien, für eine angemessene und kritische Aufklärung zu sorgen. Alternativen zum System Merkel, und damit ist nicht Steinbrück gemeint, werden ebenso systematisch unterdrückt und als Gegenstand öffentlicher Diskussionen unmöglich gemacht. Am Ende bleibt Merkel eine Kanzlerin, die es sich einfach erlauben kann, nichts zu sagen oder heute so und morgen so nicht zu entscheiden.

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Merkel bekommt Wahlkampfhilfe

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„Wenn die Opposition Hans-Peter Friedrichs Reise in die USA als ‚Luftnummer‘ und ‚transatlantisches Duckmäusertum‘ bezeichnet, dann muss man fragen, was der Innenminister bei seiner Stippvisite hätte erreichen sollen“, meint ein Kommentator der Welt und zielt damit am Thema vorbei.

Die Frage stellt sich nämlich nicht, weil der Innenminister wegen mangelnder Kompetenz und Befugnis gar nicht erst hätte hinfliegen dürfen. Die Überwachung der Geheimdienste ist im Bundeskanzleramt angesiedelt. Dort laufen die Informationen zusammen. Nicht Friedrich, sondern Merkel hätte nach Washington reisen müssen. Doch sie duckt sich weg. Friedrichs Auftrag war hingegen, politische Aktivität lediglich zu simulieren.

Natürlich geht es bei den Angriffen der Opposition um Wahlkampf. Nur was hat diese Feststellung zu bedeuten? Dass die amtierende Bundeskanzlerin, die nur vorgibt, nichts zu wissen, am Ende besser den Skandal im Sinne des Grundgesetzes wird lösen können? Eine Regierung, die die Verfassung bricht, und das nicht nur einmal, gehört aus dem Amt gejagt. Wer hingegen die Auseinandersetzung um die gigantischen Abhöraktivitäten der NSA als Wahlkampfgeschrei abtut, betreibt selbst Wahlkampf und wirft sich schützend vor eine in allen Belangen versagende Regierung, die ihrerseits ums politische Überleben kämpft.

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“In Europa richtet sich alles nach Muttis Zeitplan”

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Am Montag hat Bundeskanzlerin Angela Merkel eine Rede vor der Deutsch-Türkischen Handelskammer in Berlin gehalten und in Sachen EU-Beitritt gemeint, die Türkei sei am Zuge. Das Land müsse sich in entscheidenden Fragen wie dem Zypern-Konflikt bewegen. Nur wohin soll sich die Türkei bewegen? Etwa auf die Beliebtheitsstufe, auf der sich Angela Merkel und Deutschland seit geraumer Zeit befinden? Ende März zogen Schüler und Jugendliche in Nikosia mit einem Plakat durch die Stadt, auf dem stand: “Hitler, Merkel, the same shit”. Dazu wurde die Flagge der EU durchgestrichen.

Im Augenblick sieht es ja wieder so aus, als ob Merkel und die EU das kleine Land Zypern am liebsten über die Klinge springen lassen wollen. Denn wieder funktioniert ein von Angelas Finanzgenie Schäuble ausgehecktes Rettungspaket nicht. Das Drama geht weiter, schreibt Flassbeck. “Die „Rettung“ Zyperns war keine Rettung, sondern ein Untergangsszenario.”

Ich will mal sagen, der türkisch-zypriotische Konflikt um staatliche Anerkennung ist doch ein Witz gegenüber jenes finanzpolitischen Radikalfeldzuges, den Merkels Rettungsregime in Berlin und Brüssel vom Zaun gebrochen hat. Aber darum geht es ja nicht bei Merkel. Sie steckt mitten im Wahlkampf und verzichtet vorsorglich auf jene heiklen Entscheidungen, die sie auch ohne anstehende Bundestagswahl nicht getroffen hätte. Die anderen sollen sich bewegen. Erst dann kann sich Mutti an die Spitze setzen, getreu ihrem Motto: Mir nach, ich folge euch.

Die Bürgerproteste in der Türkei kommen Merkel gerade recht, um ein wenig Solidarität zu heucheln und einen Beitritt des Landes zur EU in Aussicht zu stellen, obwohl sie das laut ihrem “Regierungsprogramm” eigentlich und ziemlich deutlich formuliert gar nicht will.

“Eine Vollmitgliedschaft der Türkei lehnen wir aber ab, weil sie die Voraussetzungen für einen EU Beitritt nicht erfüllt. Angesichts der Größe des Landes und seiner Wirtschaftsstruktur wäre zudem die Europäische Union überfordert.” siehe Seite 119

Gleichzeitig kann die Bundeskanzlerin eine neuerliche Zuspitzung der Eurokrise nicht gebrauchen. Wenn die Türkei schon auf Beitrittsverhandlungen bis nach der Bundestagswahl warten muss, dann auch Zypern und Griechenland auf ein weiteres sogenanntes Rettungsprogramm. Alle haben bitteschön Rücksicht zu nehmen und ihre weniger wichtigen Befindlichkeiten und Existenznöte hintanzustellen. “Im „deutschen Europa“ richtet sich alles nach Muttis Zeitplan. Die große Frage ist nun, ob die EU es sich leisten kann, auf Deutschland zu warten.” (Quelle: Lost in EUrope).

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