Immer noch Integrationsdebatte

Geschrieben von: am 18. Okt 2010 um 12:20

Es ist Montag, eine neue Woche beginnt und noch immer tobt die Integrationsdebatte. Am Wochenende beging Frau Bundeskanzlerin mal wieder verbalen Verfassungsbruch, in dem sie davon sprach, dass derjenige hier fehl am Platze sei, der nicht das christliche Menschenbild akzeptiere. Nach schöner Analyse dieses Merkelschen Schwachsinns kommt Wolfgang Lieb von den NachDenkSeiten heute zu dem Ergebnis:

Dieser Fundamentalismus – egal ob christlich oder islamisch – ist also gerade ein Gefahrenherd für ein friedliches Zusammenleben der Menschen in unserer Gesellschaft.
„Fehl am Platze“ ist also unsere Kanzlerin.

Dem kann man im Prinzip nur zustimmen. Jedoch braucht es dazu nicht erst die Debatte über Zuwanderung und Integration, um festzustellen, dass Frau Merkel eine Fehlbesetzung ist. Mir geht diese Dauerauseinandersetzung gehörig auf den Keks. Der anfänglich von Sarrazin gelassene Furz entwickelt sich immer mehr zu einer nervenden Massen-Diarrhoe mit chronischem Verlauf. Es ist selten etwas Handfestes dabei.

Bei Wolfgang Lieb vermisse ich zum Beispiel auch den Hinweis darauf, dass sich die deutsche Verfassungsrealität gerade mit Blick auf die christlichen Kirchen nicht ganz so einfach darstellen lässt, wie es Lieb in seinem Beitrag vornimmt. Was ist mit der Sonderstellung der Kirchen/Religionsgemeinschaften im Grundgesetz. Artikel 140 regelt das Selbstbestimmungsrecht von Religionsgemeinschaften. Ein elendes Relikt aus früheren Zeiten. D.h. der Staat folgt streng genommen nicht dem aufklärerischen Prinzip von der Trennung von Religion und Staat. Er garantiert nur, sich aus den inneren Angelegenheiten der Religionen herauszuhalten, obwohl er ihnen einen Verfassungsrang zugesteht und sogar von Körperschaften des öffentlichen Rechts spricht.

Dieser quasi außer-staatliche Zustand führt in der Wirklichkeit eben zu Problemen. Auf die verfassungsrechtlich garantierte Selbstbestimmung, nicht Verwaltung, und die staatliche Neutralitätsverpflichtung berufen sich vor allem die christlichen Kirchen immer wieder, wenn es darum geht, die Strafverfolgung von Kinder schändenden Priestern zu behindern oder die Geltung von Grundrechten wie dem Streikrecht zu bekämpfen. Ihrem Selbstverständnis nach empfinden die Kirchen das als einen unzulässigen Eingriff des Staates in das verfassungsrechtlich verbriefte Recht auf Selbstbestimmung. Es wäre daher weitaus dringlicher, über diesen Verfassungsmissstand zu sprechen, als sich mit den bizarren Menschenbildern der Merkels, Seehofers und Westerwelles zu beschäftigen.

Ich frage mich allerdings schon, warum die Muslime in Deuschland nicht einfach die bestehende Rechtsordnung ausnutzen und sich genau zu dem zusammenschließen, was ihnen permanent von einer xenophoben Öffentlichkeit unterstellt wird. Zu einer homogenen Religionsgemeinschaft im Rang einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, die vom Grundgesetz geschützt qua Selbstbestimmung die Shari’a für die eigenen Mitglieder einführt. Warum ist das eigentlich noch nicht passiert, Frau Merkel und Herr Seehofer?

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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Kommentare

  1. Ormuz  Oktober 18, 2010

    ***dass derjenige hier fehl am Platze sei, der nicht das christliche Menschenbild akzeptiere*** na, dann werde ich mal schon mein Köfferchen packen und auswandern …. mit DEM Menschenbild was Merkel und Co haben möchte ich bitte NICHTS zu tun haben.
    Diese ganze Verquickung von Staat und Religion ist doch unsäglich krank und gefährlich.