Das Narrativ-Dilemma

Geschrieben von: am 03. Feb. 2025 um 23:12

Die Brandmauer ist gefallen und die Empörung groß. Das Interessante an dem Vorgang ist jedoch das Narrativ-Dilemma. Und das geht so. Die AfD ist in Teilen rechtsextrem, rechtsradikal, was auch immer. Folglich sind auch deren Ansichten und deren Programm ohne weitere Prüfung in Teilen rechtsextrem, rechtsradikal, was auch immer. Der Union, deren Positionen schon immer auch die der AfD waren, ist das inzwischen egal. Sie gilt aber nicht als in Teilen rechtsextrem, rechtsradikal, was auch immer, sondern als eine Partei, die der demokratischen Mitte angehört, ja, sie sogar als dominierende Kraft anführen will.

Dass Absichten und Programm weitgehend identisch mit dem der AfD sind (oder siehe hier), wird nicht mehr bestritten. Die Abgrenzung erfolgt lediglich redaktionell. So werden Anträge mit Inhalten, die beide Parteien im Brustton der Überzeugung teilen, um einen Prolog ergänzt, in dem dann steht, wie doof, widerwärtig und falsch die AfD ist. Eine sonderliche Schutzwirkung vor den ungebetenen Stimmen entfaltete dieses durchschaubare Manöver zuletzt aber nicht. Fraglich ist, ob das überhaupt beabsichtigt war. Das Ansinnen besteht schließlich darin, sich als Union nicht mehr von „linken Parteien“ die Politik diktieren zu lassen, auch wenn die in Teilen rechtsextreme, rechtsradikale, was auch immer AfD den Vorlagen dann halt zustimmt. Auf ihre Stimmen käme es schließlich gar nicht an, wenn die „Mitte“ nur weiter zusammenhielte.

Das Dilemma besteht nun darin, dass der allgemeine Bekenntniskitsch gegen rechts an seine Grenzen stößt, in den albernen Formulierungen von Anträgen und Vorlagen, aber auch woanders. Karl Lauterbach twitterte zum Beispiel an Merz gewandt: „Als erster Demokrat sagt er im Prinzip: Wo es mir hilft, lasse ich mich auch von Nazis unterstützen.“ Lauterbach löschte diesen Post nach Protesten wieder und entschuldigte sich. Friedrich Merz nahm diese Entschuldigung nicht an. Man kann daraus Folgendes lernen. Wenn ein Demokrat AfD-Politik vertritt, bleibt er Demokrat. Wenn ein AfD-Politiker AfD-Politik vertritt, bleibt er ein Faschist, Nazi oder was auch immer. Oder: Was demokratisch legitim ist, hängt nicht von den Inhalten ab, sondern von der Parteizugehörigkeit.

Schließlich wird auch nicht die CDU vom Verfassungsschutz überwacht oder in Teilen als gesichert rechtsextrem eingestuft, sondern die AfD. Das muss doch was bedeuten, auch wenn der Verfassungsschutz bloß ein Werkzeug der Regierenden ist und deren ehemaliger Chef nun für die CDU um einen Sitz im Bundestag kandidiert. Die Brandmauer steht. Na ja, sie steht nicht mehr oder weniger als bisher. Sie ist bloß ein theoretisches Konstrukt, dass ganz praktisch eine Zusammenarbeit mit der AfD verhindert, je nachdem, was man unter Zusammenarbeit versteht. Geht es um Koalitionsverträge oder Ähnliches, dann ist die Sache klar. Niemand will oder wird mit der AfD eine Regierung bilden – jedenfalls bisher. Doch in der Sache reagiert sie längst mit, bei der Union, bei der FDP, bei der SPD und natürlich auch bei den Grünen, dessen Kanzlerkandidat gerade einen eigenen Migrationsplan entworfen hat.

Friedrich Merz hat aus seiner Sicht einen richtigen Schritt vollzogen und für Polarisierung im Wahlkampf gesorgt. Die Demonstrationen belegen das. Dort beschäftigt man sich dann auch nicht mit Merz, dem Lobbyisten und Blackrocker, was allemal lohnender wäre, sondern mit der Belanglosigkeit eines zur Lächerlichkeit entstellten Narrativs. In den Umfragen dürfte der Union das vermutlich gar nicht schaden, sondern eher nützen. Sein Ziel, die AfD zu halbieren, wird Merz allerdings nicht erreichen. Denn das Narrativ-Dilemma bleibt, geschweige denn das Umsetzungsproblem bei allen simplen Vorstellungen, wie man die Migration als „Mutter aller Probleme“ lösen könnte. Dazu hat Heiner Flassbeck einiges über Konfrontation und Kooperation geschrieben. „Wer sich zu Kooperation entschließt, weil er glaubt, dass das auch für ihn Vorteile bringt, muss zu Kompromissen mit den Nachbarn bereit sein.“

Dass die „gesamte europäische Asylpolitik dysfunktional“ sei, wie Merz sagt, mag zutreffen. Jedoch geht sie auf einen zäh errungenen Kompromiss zurück, den der Vorsitzende der EVP, Manfred Weber, im vergangenen Jahr noch als großen Schritt nach vorn bezeichnete. Der 10. April 2024 sei ein wichtiger Tag für die Einheit Europas. Merz sieht das nun anders und glaubt mit nationalen Alleingängen erreichen zu können, was durch nationale Alleingänge vorher schon nicht erreicht werden konnte. Beim Weltwirtschaftsforum in Davos signalisierte der Unions-Kanzlerkandidat kürzlich noch, Interesse an einer engeren Kooperation mit Italiens rechter Ministerpräsidentin Giorgia Meloni zu haben. Er zeigte sich überzeugt von Melonis proeuropäischer Haltung. Ob sie allerdings mit Blick auf Merz Asylpolitik, die unmittelbar Folgen für Italien hätte, auch noch prodeutsch ist, wird die sauerländische Trump-Karikatur erst noch herausfinden müssen.


Bildnachweis: Screenshot, Eröffnung CDU-Parteitag am 3. Februar 2025.

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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