Zunehmend in Erklärungsnot

Geschrieben von: am 26. Okt 2021 um 18:05

Inzwischen zeigt sich immer mehr, dass die Impfung allein nicht reicht, um die Risikogruppen auch weiterhin gut zu schützen. Infektionen bei Geimpften nehmen zu, was nicht ungewöhnlich ist, allerdings diejenigen nun in eine schwierige Lage bringt, die der Impfung eine besonders hohe Wirksamkeit von Anfang an unterstellten und darauf aufbauend ein Belohnungssystem für Wohlverhalten etablierten, wie die 2G-Regel, die ein Wegfall von Masken und Abständen als Goodie explizit erlaubt. Doch angesichts der Infektionszahlen fordert die Sprecherin der niedersächsischen Landesregierung alle Geimpften nun auf, im Herbst und Winter sonstige Schutzmaßnahmen wie Maske und Abstand einzuhalten. An der 2G-Regel ändert sich dagegen nichts.

Die HAZ berichtet im Nachgang zur Landespressekonferenz, auf der es wöchentlich ein Update zur Corona-Lage gibt. Thema war unter anderem, wie die ältere Bevölkerung, insbesondere in den Heimen, durch Booster-Impfungen besser geschützt werden kann und wann die dritte Impfung auch für unter 70-Jährige möglich sein wird. Dabei fiel auf, dass das Infektionsgeschehen in den älteren Kohorten eher heruntergespielt wurde. Bei den über 80-Jährigen steige die Inzidenz unterdurchschnittlich im Vergleich zu anderen Altersgruppen, so die Aussage. Nur ist dieser Vergleich irreführend, da höhere Inzidenzen bei den Jüngeren unproblematisch sind, langsam steigende Inzidenzen bei den Älteren aber auf eine bedenkliche Entwicklung hindeuten. Zumindest beginnen die Journalisten wieder Infizierte und Tote zu zählen.

Doch die Landesregierung wiegelt zunächst noch ab und erklärt, dass man genau hinschauen müsse, woran die Alten gestorben seien. Es könne ja sein, dass es einfach nur am Alter liege, eine Erklärung übrigens, die im letzten Jahr um dieselbe Zeit kaum in Betracht gezogen wurde. Sobald es einen positiven Corona-Befund gab, galt man auch als Corona-Toter, den man hätte vermeiden können. Die Landesregierung kommt nun aber in Erklärungsnot, weil die Impfung nicht das hält, was man mit der eigenen Katastrophenkommunikation verbreiten ließ. Statt von Anfang an zu erklären, dass die Impfung nur einen Selbstschutz darstellt, der ein bestimmtes individuelles Risiko herabsenkt, und dies zum Beispiel mit einer anschaulichen Grafik verdeutlicht, spinnt man sich immer noch etwas von einem Fremdschutz und einer erreichbaren Herdenimmunität zusammen.

Das war ein politischer Fehler, aus dem die Landesregierung allerdings bis heute nichts lernt. Sie hat wissenschaftlich unhaltbare Erwartungen geweckt und ein Impf-Wohlverhalten vor kurzem auch noch mit der 2G-Regelung belohnt. So nach dem Motto, seht her ihr Unwilligen, darauf müsst ihr verzichten, wenn ihr euch weiter verweigert. Es gehört auch jetzt immer noch zum Repertoire der Impfenthusiasten, den noch Nichtgeimpften zu erklären, dass man sich nach dem Piks um 2 oder 3G keine Gedanken mehr zu machen braucht. Das stimmt nun nicht mehr, wenn man der Sprecherin der Landesregierung folgt. Kurze Rückblende: Ministerpräsident Stephan Weil erklärte am 14. September im niedersächsischen Landtag.

Allerdings gibt es eine ganz wesentliche Veränderung. Wir werden der Gastronomie, der Kultur, der Veranstaltungswirtschaft, dem Sport und vielen anderen anbieten, als präventive Maßnahme auf 2G umzusteigen. Wenn also in diesen Bereichen nur Geimpfte und Genesene Zutritt bekommen, entfallen dort Abstand und Maske. […] Durch 2G wird die Schutzwirkung von Maske und Abstand kompensiert. Betreiber haben also die Möglichkeit, ihren Gästen den Aufenthalt wesentlich komfortabler zu gestalten, ohne dass die Sicherheit reduziert wird. Wir sind zuversichtlich, dass wir mit diesem Vorschlag einen weiteren Beitrag zur Normalisierung des öffentlichen Lebens leisten können.

Quelle: Niedersächsische Staatskanzlei

Etwas mehr als einen Monat später fordert die Sprecherin der Landesregierung nun, dass auch die Geimpften Abstände und Masken weiter einhalten sollen. Ja, was denn nun? Warum wird die 2G-Regel dann nicht zurückgenommen, wenn die Landesregierung erkannt hat, dass die Impfung doch keine absolute Sicherheit bietet? Stimmt außerdem noch, was Stephan Weil in seiner Regierungserklärung behauptete, dass durch 2G die Schutzwirkung von Maske und Abstand kompensiert werde? Was ist überhaupt noch dran an einer „Pandemie der Ungeimpften“, wenn doch die Verbreitung des Virus gerade durch so etwas Absurdes wie die 2G-Regelung wieder beschleunigt wird? Will man nun das Virus eindämmen oder es doch laufen lassen? Auf einen Fußballspieler, der Bedenken äußert, wird genüsslich draufgeschlagen und behauptet, er würde mit seiner Haltung ja nur den Spinnern in die Hände spielen. Das ist praktisch, weil auf diese Weise von den argumentativen Pirouetten und dem Kommunikationsdesaster in den Staatskanzleien elegant abgelenkt werden kann.

Dem Pandemieende kommt man auf diese Weise kein Stück näher. Schon wieder hat man die gefährdeten Gruppen aus den Augen verloren, weil man lieber alle Anstrengungen auf Nichtgeimpfte in den jüngeren Altersgruppen sowie Kinder und Jugendliche lenkt, um sie zu einer Impfung zu nötigen, die sie vielleicht gar nicht unbedingt brauchen, aber die dazu berechtigt, als gute Staatsbürger wieder am gesellschaftlichen Leben teilnehmen zu dürfen. Nun stellt man aber überrascht fest, dass das ja gar nichts für die Altenheime bringt, wo tatsächlich schon wieder gestorben wird, sogar mit doppelter Impfung. Wie wäre es also damit, die Pandemielage und das Zählen von gefälschten Impfausweisen endlich zu beenden und das zu tun, was von Beginn an richtig gewesen wäre. Der Schutz von Risikogruppen mit gezielten Maßnahmen statt mit dem Holzhammer und vor allem mit mehr Personal, das wegen der nicht besser gewordenen Arbeitsbedingungen leider immer noch an allen Ecken und Enden fehlt.


Bildnachweis: Steve Buissinne auf Pixabay

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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Kommentare

  1. StefanFriedrich  Oktober 27, 2021

    Hallo Herr Tautenhahn
    Wiedermal ein erhellender Artikel zum Thema Corona.
    Doch glaube ich so langsam nicht mehr daran, dass es in Zukunft besser wird . Im Ggenteil , es ziehen dumkle Wolken am Horizont auf. Die Spaltung der Gesellschaft nimmt immer grössere Ausmaße an. Die Wirtschaft wird sehenden Auges an die Wand gefahren .Auch die politschen Akteure entpuppen sich nach u. nach als willfährige Handlanger , welche nur noch eigene Interessen u. Karrieren verfolgen . Im Grunde geht es bei dem Pandemie -u. Impfgedöns nicht mehr um meine , Ihre oder anderer Gruppen Gesundheit . Nein , es geht schlichtweg nur noch ums große Geld u. Kontrolle . Und da lassen sich die Pharmakonzerne , wie Pfizer, nicht mehr die Butter vom Brot nehmen . Das ist vorbei, die Verträge sind gemacht .Rückweg ausgeschlossen . Zwei Wortschöpfungen , welche ich neuerdings des Öfteren höre , lassen in mir ein ungutes Gefühl aufsteigen .
    Neue Normalität u. Transformation .
    Das sind schon mal Ausblicke , wohin die Reise geht .
    MfG Stefan Friedrich

  2. Rammler  Oktober 28, 2021

    „Man hat aber keine absolute Sicherheit durch die Impfung“, sagte Anke Pöksen.
    Nun, da hat die gute Frau Pöksen ja FAST ins Schwarze getroffen. Richtig wäre gewesen:
    „Man hat aber absolut keine Sicherheit durch die Impfung“!