Gelöscht, aber nicht vergessen

Geschrieben von: am 10. Dez 2022 um 10:14

Vielleicht sollten künftig Ministerpräsidenten ohne Twitter-Account immer und überall nachweisen, dass von ihnen keine Gefahr ausgeht.

Der Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki sagt, dass eine Aufarbeitung der Corona-Jahre dringend nötig ist. In der Berliner Zeitung hat er das begründet. Die Rolle der Medien und des RKI müsse kritisch beleuchtet, die politische Krise parlamentarisch aufgearbeitet werden.

Warum hielt es ein großer Teil der politischen, medialen, gesellschaftlichen Eliten für geboten, von Einzelnen eine solche Geste der erzwungenen Unterwerfung gegenüber der Mehrheitsgesellschaft zu fordern als Voraussetzung dafür, dass sie als dessen Teil wieder akzeptiert würden?

Denn dass die Ungeimpften zu Unrecht in die Rolle der Allgemeingefährder gebracht wurden, war spätestens klar, als sich die Berichte über Impfdurchbrüche häuften und die Zeitung Die Welt schlimme Mogeleien einiger Bundesländer bei den offiziellen Hospitalisierungszahlen zulasten der Ungeimpften aufdeckte. Dass dieser Umstand viele in ihrem Streben nach Vergeltung dann gar nicht mehr interessierte, sprach allen Beteuerungen Hohn, es ginge bei der Bewältigung der Pandemie um die Beachtung der Wissenschaft. In der Rückschau zeigt sich immer mehr, dass viele, die meinten, im gerechten Zorn auf Menschen zeigen zu können, eher von selbstgerechter Wut getrieben waren.

Wir haben nicht nur erlebt, dass viele Journalisten irgendwann nur noch eine coronapolitische Erzählung verteidigten, auf die sie sich einmal festgelegt hatten, anstatt der Wahrheit weiterhin auf die Spur zu gehen. Wir haben auch erlebt, dass dies politisch sogar kultiviert wurde. Die regelmäßigen journalistischen Hintergrundgespräche von Regierungssprecher Steffen Seibert an den Tagen vor den unsäglichen Bund-Länder-Runden waren dazu da, eine öffentliche Stimmung zu erzeugen, die die politische Linie Angela Merkels stützte. Journalisten machten sich damit offenbar zu Verkündern des Regierungsnarrativs und gaben ihre demokratische Aufgabe und ihre journalistische Selbstachtung an der Garderobe des Bundespresseamtes ab. Nicht nur das ist ein beispielloses Versagen, das einer Aufarbeitung bedarf.

Die Kritik ist berechtigt. Noch immer sind die Medien weit von einer angemessenen Aufarbeitung entfernt. Schließlich steht auch der Vorwurf im Raum, das die Verfassung vom gesamten Staatspersonal verraten worden sei. Das Land zeige zunehmend Züge eines korrupten Parteienkartellstaats mit repressivem Meinungsregime, meint Philosoph Michael Andrick. Übertrieben? Mag sein, zutreffend ist aber, dass die politische Agenda, je nachdem, was gerade opportun erscheint, willkürliche Züge aufweist. So hat sich der bayerische Ministerpräsident Markus Söder vom härtesten Maßnahmenbefürworter zum Verfechter der individuellen Freiheit gewandelt. Die Maskenpflicht ist im Freistaat nun abgeschafft. Der Grund ist aber nicht die Rechtsgrundlage, sie ist nur Mittel zum Zweck. Es ist die Landtagswahl im nächsten Jahr.

Umgekehrt halten Länder, wie das von Stephan Weil regierte Niedersachsen, an dieser Maßnahme wie auch an der sinnlosen Isolationspflicht weiterhin fest. Begründung ist nun aber nicht Covid 19, weil diese Erkrankung praktisch als Belastung im Gesundheitssystem gar nicht mehr vorkommt, sondern andere Infektionskrankheiten: „Wir halten es nach wie vor nicht für klug, mitten im Pandemiewinter mit weiteren Infektionskrankheiten auf Masken zu verzichten“, sagte ein Sprecher des niedersächsischen Gesundheitsministeriums. Eine Pflicht ist dann aber gesetzeswidrig, da der Paragraf 28b im Infektionsschutzgesetz vorgibt, dass Bund und Länder eine Maskenpflicht nur dann anordnen dürfen, „soweit dies zur Verhinderung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit und zur Gewährleistung der Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems oder der sonstigen kritischen Infrastrukturen erforderlich ist“.

Die Regierung Stephan Weil hält also an Maßnahmen aufgrund einer gefühlten Rechtsauffassung fest und stützt sich dabei auch noch auf das RKI, von dem der Vizepräsident des Bundestages sagt, es stelle politisch motivierte Zahlen für die Corona-Politik der Bundesregierung bereit. Man könnte demnach auch von einer Verbreitung von Falschinformationen und Verschwörungserzählungen sprechen, bei denen der Ministerpräsident noch voll dabei ist und die weitgehend unhinterfragt von den Medien verbreitet werden. Stephan Weil verlässt Twitter auch nicht, weil zutrifft, was er als Begründung anführt, sondern weil Elon Musk keine Autofabrik in Niedersachsen gebaut hat. Sonst hätte Stephan Weil wohl auf Twitter bleiben müssen. Da unterscheidet sich die niedersächsische Merkel nicht von dem gnadenlos opportunistischen Söder aus dem Süden.

2

Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
  Verwandte Beiträge

Kommentare

  1. Dieter  Dezember 10, 2022

    “ So hat sich der bayerische Ministerpräsident Markus Söder vom härtesten Maßnahmenbefürworter zum Verfechter der individuellen Freiheit gewandelt. “

    Was sind harte Maßnahmen ?

    Ich kenne nur Maßnahmen die wirksam sind und welche die unwirksam sind.

    FFP2 Maskenpflicht wie in Bayern ist sehr fragwürdig.
    Das ist seit Jahrzehnten von der DGUV fundiert begründet !
    FFP2 Masken sind für Bartträger inkl. 3 Tagebart nicht geeignet.
    FFP2 Maken dürfen 75 Minuten am Stück und maximal 4 h am Tag getragen werden.
    Wie das bei einem Vollzeitjob, bei einer längeren Bahnreise und einen Langstreckenflug funktioniert, kann mir jemand vormachen.

    Masken die 8 h am Stück getragen, mehrfach gewachsen und Monate getragen werden können, gibt es ja.
    Außendem beiten die wissenschaftlich erwiesen, einen höheren Schutz als eine FFP2 Maske.
    Das war Herr Söder und dem bayrischen Innenministerium seit 2020 bekannt ( ich informierte sie persönlich ).
    Trotzdem sind diese Masken in Bayern offiziell nicht zugelassen.

    Was man in Bayern mit Toleranz des Faustrechts gegen Abstandsgebots im Supermarkts durch Polizei und Staatsanwaltschaft erreichen will entschließt sich mir überhaupt nicht.

    Zu den Fakten:
    Bayern steht mit 207 Corona Toten pro Einwohner an fünftletzter Stellen.
    Zum Vergleich Hamburg 177 und Berlin 141.
    https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1116058/umfrage/todesfaelle-mit-coronavirus-je-einwohner-nach-bundeslaendern/

    Bayern hat über 26.000 Corona Tote
    Die die extrem dicht besiedelte Präfektur Tokio die wie ganz Japan kein wirtschaftlichen Lockdown, keine Ladenschließungen hatte, bringt es <6.400 Corona Tote.
    Dabei ist zu bedenken das die Präfektur zwar nur 14 Millionen Einwohner hat, aber aus Tokio Metro Area ( 38 Milllionen Einwohner auf 17.000 qkm ) zig Millionen Pendler täglich kommen. Außerdem hatte Japan im Januar 2020 noch 920.000 chinesische Touristen.

  2. Jörg wiedmann  Dezember 10, 2022

    Elon Musk wird sicher unendlich traurig sein das Herr Weil nun Konsequenzen zieht und seinen Twitter-Account löscht. Ein reisiger Verlust genau wie der Account von Frau Esken oder Herrn Kühnert.
    Und unser „Bundesolaf“ überlegt noch ob er bleiben will oder besser nicht.
    Die von Herrn Weil angesprochenen Falschnformationen bzw. Verschwörungstheorien wurden in der causa Corona wohl eher von Herrn Lauterbach und dem ihm hörigen Wieler-RKI gemacht.
    Auf jeden Fall sieht es heute so aus als ob die Querdenker, Schwrubler, Coronaleugner und Impfskeptiker wohl eher bei der Wahrhweit gewesen sind.
    Eine genaue Aufarbeitung der Vorgänge wird es nicht geben.
    Nicht mit von kritischem Journalismus komplett befreiten Mainstreamredaktionen.
    Zudem haben wir derzeit weitaus größere Probleme.
    Das ein grüner inkompetenter Wirtschafts und Klimaminister den deutschen Mittelstand mal kurz erledigt und Strom und Gas aus rein ideologischen Gründen zum Luxusgut macht. Geschenkt.
    Das Frau Baerbock innerhalb kürzester Zeit mehr diplomatisches Geschirr zerschlägt als China in 10 Jahren produzieren kann oder Frau Faeser den Rechtsstaat durch die Umkehrung der Beweislast mal eben zur „Diktatur“ umbaut. Geschenkt.
    Wichig ist nur: Man hat den Putschversuch der größten terroristischen Vereinigung der deutschen Geschichte einer 25 köpfigen „Rollatorgang“ mit Hilfe von 3000 Polizisten verhindert.