Vertrauen erst wiederherstellen

Geschrieben von: am 31. Jul 2021 um 22:35

Zwischen Geimpften und Ungeimpften zu unterscheiden, ist diskriminierend, vor allem dann, wenn die eine Gruppe bewusst besser und die andere bewusst schlechter gestellt werden soll. Das Ziel, die Impfquote zu erhöhen, darf nicht über direkten oder indirekten Zwang erfolgen. Das ist verfassungswidrig und nur im äußersten Ausnahmefall als letztes Mittel unter sehr strengen Auflagen zulässig. Der Staat muss zunächst selbst Überzeugungsarbeit leisten, also einen Dialog mit den Bürgern führen und auf diese Weise die Bereitschaft zu einer freiwilligen Impfung erhöhen. Das tut er aber nicht. Das Gegenteil ist sogar der Fall. Das Pandemiemanagement sowie die Krisenkommunikation der Regierung sind zutiefst widersprüchlich und im Ergebnis ein Desaster. Das hat zu einem massiven Vertrauensverlust beigetragen, der nun nicht durch die Androhung einer Impfpflicht, ob nun direkt oder indirekt, oder die Stigmatisierung von Teilen der Bevölkerung geheilt werden kann. Die Regierung hat nicht das Recht, laufend schwere Fehler zu begehen und dann die Bürger für die Konsequenzen verantwortlich zu machen. Sie muss das verlorene Vertrauen wiederherstellen.

Was ist mit dem Vertrauensverlust gemeint? Das kann man zum einen an konkreten Äußerungen, aber auch an verantwortlichen Personen als Ganzes festmachen. So ist der Bundesgesundheitsminister Jens Spahn weiterhin im Amt, dem das Parlament weitreichende Kompetenzen übertragen hat. Diese Machtfülle hat aber nicht zu klugen und umsichtigen Entscheidungen geführt, sondern wiederholt zu fragwürdigen Vorgängen, die einen massiven Vertrauensverlust befördert und hohe Kosten verursacht haben. Die Beschaffung von Schutzausrüstung geriet zum Debakel. Durch Maskendeals hat zudem eine unfassbare Bereicherung auf Kosten der Steuerzahler stattgefunden. Zudem wurden minderwertige Masken beschafft und später mutmaßlich an Bedürftige weitergereicht. Der Bundesrechnungshof hat die Beschaffungspraxis insgesamt gerügt. Zudem warf die Behörde dem Ministerium eine enorme Geldverschwendung vor. Apotheker hätten von der Maskenabgabe übermäßig profitiert und teure Anreize hätten zu Intensivbetten geführt, die nicht auffindbar sind.

Vollmundige, aber leere Versprechungen gab es im Verlauf der gesamten Impfkampagne. Sie startete, nachdem die EU-Kommission auf Betreiben der Bundeskanzlerin die Beschaffung der Impfstoffe grandios vergeigte. Ausreichend Dosen konnten bis Mitte des Jahres nie geliefert werden. Die Priorisierung wurde am 7. Juni dennoch aufgehoben, obwohl zu diesem Zeitpunkt viele Menschen aus den Risikogruppen noch kein Impfangebot wahrnehmen konnten. Bis heute scheint es so zu sein, dass Deutschland vor allem in der älteren Generation noch keinen vergleichbaren Schutz vorweisen kann, wie das in anderen Staaten, die auch von Idioten regiert werden, der Fall ist. Stattdessen ist eine Debatte um die Impfung von Kindern und Jugendlichen entbrannt, die weder besonders gefährdet noch eine besorgniserregende Rolle beim Fortgang der Pandemie einnehmen. Die Experten der STIKO sehen daher keinen Grund, gesunde Kinder zu impfen, dennoch setzt sich die Politik mit Appellen sowie fragwürdigen Impfeinladungen und wiederholten Aufforderungen, das Vorliegende anders zu bewerten, über die Einschätzung der Fachleute hinweg, und das erkennbar nur, weil es nicht gelingt, Luftfilter für die Schulen zu beschaffen.

Um den Druck auf Ungeimpfte zu erhöhen, sollen die schnellen Bürgertests bald kostenpflichtig werden. Es lohnt, darauf zurückzublicken, wie lange es gedauert hat, dieses Mittel der Pandemiebekämpfung überhaupt einzuführen. Da gab es Versprechungen am laufenden Band, die nicht eingehalten werden konnten. Das Bundesgesundheitsministerium versagte auch hier auf ganzer Linie und ließ lange Zeit Mondpreise für die Abstriche über die Kassenärztlichen Vereinigungen erstatten. Getestet wird zudem inflationär und unsystematisch, so dass es großer Summen bedarf, um überhaupt ein positives Ergebnis zu erhalten. In vielen Fällen wurde nicht einmal vernünftig getestet, sondern einfach gleich abgerechnet. Die Auswertungen der Tests an Schulen hat zudem ergeben, dass sich die meisten positiven Befunde durch PCR nicht bestätigen ließen. Auch hier werden damit Mittel unnötig vergeudet. In Summe etwa 4,5 Milliarden Euro. Nun davon zu reden, dass es nicht gerechtfertigt sei, wenn die Allgemeinheit für kostenlose Tests der Ungeimpften aufkomme, entbehrt angesichts der bisherigen Verschwendung nicht einer gewissen Komik. Die ständige Anpassung von Teststrategien, so auch jetzt wieder mit den Einreiseregeln, die sich kaum überprüfen lassen und für die zudem die gesetzliche Grundlage nicht ausreicht, kosten zusätzliches Vertrauen.

Ein weiteres Beispiel des Versagens ist die 50 Millionen Euro teure Corona-Warn-App, die lange Zeit nur eingeschränkte Funktionalität bot und nach großem Einführungstamtam den Minister nicht weiter interessierte. Der vergnügte sich dafür später auf einem Spendendinner in Leipzig. Zuvor rief er die Bevölkerung dazu auf, weiterhin aufeinander aufzupassen und geselliges Beisammensein, ob zu Hause oder bei Veranstaltungen unbedingt zu vermeiden. Besondere Ironie: Zu diesem Zeitpunkt war der Minister, der auch eine Vorbildfunktion ausübt, bereits selbst mit dem Virus infiziert. Spahn hat also so viele Fehler gemacht, dass er als Regierungsmitglied mit Sonderbefugnissen untragbar geworden ist. Seine längst überfällige Entlassung wäre eines dieser Signale, die notwendig wären, um verlorenes Vertrauen wieder aufzubauen. Stattdessen darf Jens Spahn wie sein minderbegabter Kabinettskollege und Steuergeldverschwender aus dem Verkehrsministerium einfach immer weiterdödeln und sich sogar als Moralapostel aufspielen, der Ungeimpften ins Gewissen redet. „Wer sich heute nicht impfen lässt, darf sich morgen nicht beschweren, wenn er nicht zur Party eingeladen wird.“

Vertrauen wird aber auch dadurch zerstört, dass klare Aussagen von gestern, heute nicht mehr gelten. So sagte Kanzleramtsminister Helge Braun im März der Funke Mediengruppe: „Wenn wir jedem in Deutschland ein Impfangebot gemacht haben, dann können wir zur Normalität in allen Bereichen zurückkehren. Diejenigen, die ihr Impfangebot nicht wahrnehmen, treffen ihre individuelle Entscheidung, dass sie das Erkrankungsrisiko akzeptieren. Danach können wir aber keine Grundrechtseinschränkung eines anderen mehr rechtfertigen. Dann kehren wir im vollen Umfang zur Normalität zurück. Und alle Einschränkungen fallen.“ Im Klartext: Wer sich nicht impfen lassen möchte, trägt das Risiko einer Infektion selbst. Er kann nicht erwarten, dass andere ihn schützen, was absolut richtig ist. Inzwischen klingt das aber komplett anders. „Geimpfte werden definitiv mehr Freiheiten haben als Ungeimpfte. Das kann auch bedeuten, dass gewisse Angebote wie Restaurant-, Kino- und Stadionbesuche selbst für getestete Ungeimpfte nicht mehr möglich wären, weil das Restrisiko zu hoch ist.“

Braun sieht keinen Widerspruch in seinen Äußerungen und behauptet, dass die erste Aussage unter der Bedingung gilt, jedem ein Impfangebot machen zu können. Da es für Kinder keinen Impfstoff gibt, sei diese nicht erfüllt. Nur war das im März auch schon bekannt und das berühmte Impfangebot explizit an die erwachsene Bevölkerung formuliert. Zudem hatte Braun in besagtem Interview zwei andere Bedingungen hervorgehoben, nämlich dass genug Impfstoff verfügbar ist, was mittlerweile zutrifft, und keine Mutante auftaucht, die den ganzen Impferfolg infrage stellt. Auch das ist augenscheinlich nicht der Fall, da eine Wirksamkeit gegen die dominierende Delta-Variante weiterhin gegeben ist und für die Impfung deshalb auch geworben wird. Es entsteht also der Eindruck einer bewussten Irreführung. Aussagen werden wieder einkassiert, weil sich politische Maßstäbe verschoben haben. Auch das zerstört Vertrauen. Dies nun Ungeimpften in Rechnung zu stellen und ihnen zudem mit Nachteilen im Alltag zu drohen, ist deshalb nicht nur ein klarer Verstoß gegen die Verfassung, sondern auch eine Missachtung des demokratischen Prinzips.

Dass sich die Regierung mit ihrem Impfangebot in einer Vertrauenskrise befindet, hat sie letztlich selbst zu verantworten. Sie muss deshalb auch alle Anstrengungen unternehmen, um Glaubwürdigkeit wiederherzustellen. Falsch ist es da, Menschen zu beschimpfen und ihnen gesonderte Einschränkungen in Aussicht zu stellen, nur weil die eine andere Auffassung vertreten, die vielleicht noch gar nicht so sehr in Stein gemeißelt ist, aber zunehmend manifester wird, je herablassender der Staat sich ihnen gegenüber verhält. Ein milderes Mittel kann dann auch der Rücktritt einer Regierung sein, bevor diese zu immer autoritären Maßnahmen greift, nur um nicht eingestehen zu müssen, auf ganzer Linie versagt zu haben. Es ist in diesem Zusammenhang beschämend, dass eine wirkliche Opposition, eine Regierung im Wartestand, wie in einer Demokratie eigentlich üblich, weit und breit nicht zu erkennen ist. Stattdessen wird sich in solidarischer Eintracht pausenlos mit irgendwelchen Randgruppen beschäftigt, die die öffentliche Meinung negativ beeinflussen und manipulieren sollen. Durch diesen sinnlosen Kampf wird aber erst die Aufmerksamkeit geschaffen, die diese Bewegungen bedeutender erscheinen lassen, als sie in Wirklichkeit sind. Im Ergebnis wird durch all das nur die Gesellschaft weiter gespalten und ein konstruktiver Dialog, den die Verfassung eigentlich verlangt, unmöglich gemacht.


Bildnachweis: geralt / Pixabay

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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