Steuerschätzer rechnen mit Plus, unterm Strich steht aber immer noch ein Minus

Geschrieben von: am 10. Mai 2011 um 11:33

Können sie sich noch an die letzte Steuerschätzung erinnern? Das war im November 2010. Damals haben die Experten die Erwartung formuliert, dass der Staat mit deutlich höheren Einnahmen rechnen könne. Vor allem der damals noch Ein-Themen-Partei FDP hat das gefallen. Die Liberalen glaubten, ihr Steuersenkungswahlversprechen doch noch umsetzen zu können. Bekanntlich kam es dann zu Steuervereinfachungen, mit denen sich die liberalen Fachmänner für Luftbuchungen ohne Bodenhaftungsrückkehrversicherung (Zitat: Volker Pispers) brüsteten.

Stolz verkündete man, mit der Erhöhung der Werbungskostenpauschale auch etwas für kleinere und mittlere Einkommen getan zu haben. Dabei kostet die Erhöhung der Pauschale den Staat gerade einmal 330 Millionen Euro im Jahr. Die Beschäftigten dürfen sich demnach auf etwa ein bis zwei Euro Steuerersparnis freuen. Die Hoteliers waren da zuvor deutlich besser weggekommen. Rund eine Milliarde Euro pro Jahr verschenkte die schwarz-gelbe Bundesregierung mit der Senkung der Mehrwertsteuer auf Hotelübernachtungen. Eine weitere Reform der Unternehmenssteuern schlug mit rund 2,5 Milliarden Euro zu Buche.

Das alles wird natürlich durch die freudige Botschaft der Steuerschätzer gedeckt, dem Fiskus stünden künftig höhere Einnahmen zur Verfügung. Im Jahr 2010 schlossen Städte und Kommunen ihre Bilanzen gerade wegen des unerwarteten Steuersegens mit einem Rekorddefizit von 10 Mrd. Euro ab. Da fragt man sich doch glatt, was von höheren Erwartungen zu halten ist, die den katastrophalen Ist-Zustand regelmäßig ausblenden.

Volker Pispers hat das einmal so formuliert:

„D.h., in einer Situation, in der der Staat auf jeden Fall deutlich weniger einnehmen wird, als er ausgibt, wollen sie mögliche Mehreinnahmen für noch höhere Ausgaben nutzen, wohl um das Einnahmen-Ausgaben Abstandsgebot nicht zu verletzen.“

Der Staat gibt deutlich mehr Geld für Bankenrettung aus, als er zur Verfügung hat. Im letzten Jahr betrug die Nettoneuverschuldung 304,4 Mrd. Euro. Davon entfielen allein 232,2 Milliarden Euro, also über 76 Prozent der Neuverschuldung, auf Maßnahmen zur Stabilisierung maroder Finanzinstitute. Sicher ist, dass noch mehr Geld zur Rettung des Finanzkasinos locker gemacht werden muss. Der dauerhafte Eurokrisenmechanismus ist, wie zu erwarten war, bereits jetzt schon am Ende seiner Kräfte angelangt.

Wenn man die Berichterstattung über den Einbruch der griechischen Wirtschaft und den damit verbundenen Vertrauensentzug durch die Märkte so verfolgt, kann man wirklich den Eindruck gewinnen, als hätten Journalisten und verantwortliche Politiker das Märchen vom Spardiktat geglaubt. So als ob sich der Spruch Solidarität nur gegen Solidität tatsächlich verwirklichen ließe. Es war von Anfang an klar, dass mit dem Kürzen von Löhnen, Renten und Sozialleistungen bei gleichzeitiger Erhöhung der Konsumsteuern, die Nachfrage ein- und die Wirtschaft zusammenbrechen würde und damit auch die Einnahmen des Staates.

Das sich Dummstellen der Kanzlerin in dieser Frage haben alle kritiklos zur Kenntnis genommen, weil sie es gut fanden, dass den angeblich so faulen Griechen mal so richtig in den Arsch getreten wurde. Jetzt wird es für die Deutschen wieder teurer. Das war absehbar. Von den Griechen hätte man lernen können, es bei den Portugiesen besser zu machen. Aber nein, auch da wird erst der Fuß ausgefahren. Am Ende wird es noch teurer. Garantiert. So etwas kann man als realistische Erwartung durchaus formulieren. Es wird nur nicht getan.

Stattdessen blickt man auf die Steuerschätzer, die für dieses Jahr neuen Geldsegen voraussehen und somit eine weitere Debatte über Steuersenkungen in Gang setzen werden. Im Grunde genommen kann man es wieder nicht erwarten, die erwarteten Mehreinnahmen, ganz unabhängig davon, ob sie denn auch tatsächlich eintreten, gleich wieder auszugeben.

Geschätzte Steuermehreinnahmen haben eben eine höhere Glaubwürdigkeit als das sicher vorhersagbare Zusammenbrechen ganzer Volkswirtschaften infolge nach wie vor ungezügelt agierender Finanzmärkte, die ihre Verluste durch staatliche Rettungsschirme dauerhaft absichern durften. Wetten, dass es am Ende wieder heißt, die Katastrophe sei völlig unerwartet, wie ein Spring-ins-Feld-Teufel, über uns gekommen?

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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Kommentare

  1. Eifelphilosoph  Mai 10, 2011

    Ich schätze mal … die verschätzen sich.

  2. philippp  Juli 5, 2011

    Ich bin ja noch viel mehr gespannt auf die angekündigte Steuersenkung… dann können Sie jetzt schätzen was Sie wollen was Sie sich eh verschätzen… :-)