Neues aus der Anstalt – Folge 29

Geschrieben von: am 18. Nov 2009 um 12:31

Die gestrige Sendung bekannt zu geben, habe ich ja total vergessen. Ich bitte um Verzeihung. Aprospos Verzeihung bzw. Haltungsänderung, heute ist doch Buß- und Bettag. Vielleicht sollten sich an dieser Stelle unsere feinen Politiker bei uns entschuldigen. Der Feiertag wurde nämlich 1994 abgeschafft, um die angebliche Mehrbelastung der Arbeitgeber durch die Einführung der paritätisch finanzierten Pflegeversicherung mit Mehrarbeit der Arbeitnehmer zu vergelten. Nun will aber die neue schwarz-gelbe Koalition auch noch eine private Zwangszusatzversicherung für Arbeitnehmer einführen, um die Pflegeversicherung zukunftsfest zu machen, wie es heißt. Könnte man dann nicht den Feiertag wiederhaben, um über den Unsinn von Regierungspolitik nachdenken zu können? Übrigens hätte ich dann auch die Anstalt nicht verpasst.

Und damit sind wir wieder beim Thema. Ich habe mir die Sendung gerade angesehen und muss sagen, ein heiteres Zusammentreffen diesmal. Und ein wenig Selbstkritik. Das Nachgeäffe der Kanzlerin durch Priol soll aufhören, meinte Dombrowski. Bei Priol gerate die Kanzlerin immer zu einer „Vorpommerschen Platitüden-Mamsell“, zu so einer

„…mecklenburgischen Landpommeranze, die über den Suppentellerrand eines Heringsdorftrampels nie herausgekommen ist und nichts anderes im Sinn hat, als den Minderwertigkeitskomplex einer bedeutungslosen Pastorentochter dadurch zu kompensieren, dass sie mit den Mächtigen an einem Tisch sitzt und von deren Tellerchen essen darf und von 80 Millionen Untertanen als Königin Aschenputtel verehrt wird.“

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Dombrowski will weg von der Karrikatur, er will vielmehr zu dem vorstoßen, was die Kanzlerin und ihre Regierung konkret sagt und vor hat. Eine Entpommeranzung sozusagen.

Die zentrale Botschaft „Mut zur Zukunft bei Freiheit in Verantworung“, könnte zum Beispiel heißen „Husten als Chance“. Die neue Regierung fahre in der Krise auf Sicht, hätte Volker Kauder gesagt. Dombrowski darauf:

„Das hat die Titanic auch gemacht. Aber! Es gibt einen wichtigen Unterschied. Wer hat Tempo und Kurs der unsinkbaren Titanic bestimmt? Der Mehrheitsaktionär. Und der saß in London-City im Trockenen.“

In seinem späteren Solo führte Dombrowski dann aus, was er mit dem Versuch einer „Entpommeranzung“ zu Beginn meinte. Zunächst einmal die Feststellung, dass alles bereits gesagt ist. Selbst die bürgerliche Presse zerreißt das politische Konzept und die beabsichtigte Geisterfahrt von Schwarz-Gelb. Selbst der Sachverständigenrat, der sonst auch nicht immer mit Sachverstand glänzt, fand klare ablehnende Worte. Was sollte Dombrowski da noch zu sagen. Dass in Bezug auf die neue Bundesregierung die Sprache zum Gegenteil dessen benutzt wird, wofür sie eigentlich da ist, nämlich zur Verständigung, ist schon sehr seltsam. Es werde extra so formuliert, dass wir nicht verstehen, was die Regierung will. Doch Dombrowski klärt einmal mehr sein Publikum auf.

Möglicherweise sei es ja Absicht, dass die Bundesregierung die Verschuldung im kommenden Jahr auf Rekordniveau steigen lassen will, und die irrsinnigen Steuersenkungen dienen nur als Mittel zum Zweck. Denn ab 2011 schreibt die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse ja vor, müsse das Haushaltsdefizit jährlich um ein Sechstel abgebaut werden. Ein Finanzmathematiker folgert daraus nun messerscharf:

„Je höher im vorausgehenden Jahr die Schulden sind, desto mehr Schulden kann ich in den Jahren danach machen.“

Dombrowski liefert die entsprechende Grafik aus der Süddeutschen Zeitung vom 17.11.2009 gleich mit. En passant: vom 17.11.2009! Tag der Sendung!, d.h. Georg Schramm hat seinen Auftritt quasi mit heißer Nadel gestrickt.

Zulässiges Haushaltsdefizit

An den Kurven können sie sehr schön sehen, wie im Finanzministerium gerechnet wird. Nocheinmal Dombrowski dazu:

„Solche rechenakrobatischen Kunststücke, die kannte man bisher ja nur von den Bonusartisten der Investmentbanken. Aber von deren Geist beseelt, führt jetzt eine gerade Linie hin zum Bilanzbetrug, zur kreativen Defizitmanipulation unserer marktwirtschaftlich bewussten und kompetenten bürgerlichen Regierung. Das ist der Geist von: Nach uns die Sinntflut. Aber nach uns kommt vielleicht keine Sinntflut. Wir sind vielleicht schon die Sinntflut.“

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Quelle zum Nachschauen in der Mediathek des ZDF unter:
http://www.zdf.de/ZDFmediathek/kanaluebersicht/aktuellste/508#/beitrag/video/899226/Neues-aus-der-Anstalt—Folge-29/

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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Kommentare

  1. Anonymous  November 18, 2009

    Die Sendung war gestern Abend mal wieder Klasse, vor allem die Erklärung der Kurve mit der Neuverschuldung und der im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse regte zum Nachdenken an.

  2. Careca  November 18, 2009

    Nicht zu vergessen den Oberstleutnant Sanftleben und seine Unterschrift mit dem Vergleichen zum Todesschützen vom Fort Hood.
    Insgesamt fand ich Urban Priol und Georg Schramm nicht so bissig wie in den Sendungen vor der Wahl. Man muss aber dazu sagen, dass momentan die M&W-Regierung alles dran setzt, jeden Kabarettisten schneller die Pointen zu klauen als einem lieb ist. Deswegen fand ich den Auftritt vom Oberstleutnant Sanftleben als den am Griffigsten. Die zu der oberen Grafik angegebenen Wahlperioden 2013 und 2017 helfen beim Verstehen. Wenn eine Regierungspartei 2016 es nicht geschafft haben sollte, so wird es ihr 2017 eine Fußangel werden. Für die CDU/CSU ein Garant der Wiederwahl. So oder so. Denn sollte sie 2013 nicht abgewählt worden sein, dann wird sie argumentativ drei Jahre auf 2016 hinarbeiten. Für jede andere Regierungspartei wird es mit Hilfe der Medien der vorbereitete Untergang werden. Ein geschickter Schachzug, der nur dann nicht funktioniert hätte, wäre die SPD + Grüne wieder an die Macht gekommen …

    • adtstar  November 18, 2009

      Man muss aber dazu sagen, dass momentan die M&W-Regierung alles dran setzt, jeden Kabarettisten schneller die Pointen zu klauen als einem lieb ist.

      Das sehe ich auch so. Aber das ist eben auch das Problem, wie Schramm ja im Prinzip ausführte. Wenn schon die Deppen der bürgerlichen Presse über Schwarz-Gelb spotten, hat es wenig Sinn, auch noch einen satirischen Senf abzugeben. Dafür ist schließlich Welke oder der Satiregipfel da. :>>

      Nein, ich finde den Ansatz, mit Statistiken und Grafiken zu arbeiten, um wichtige Zusammenhänge plastisch zu machen, bei Schramm schon immer genial. Das unterscheidet ihn auch von anderen Kabarettisten. Schramm hat neben dem satirischen eben auch einen wissenschaftlichen Anspruch. Ohne die sprachlich perfekt gesetzten Pointen könnte ich mir Schramm auch als Dozent an der Uni vorstellen.

  3. Meine Sicht der Dinge  November 18, 2009

    Neues aus der Anstalt – Folge-29 vom 17.11.09
    Wie gestern von mir als kurzer TV Tipp geschrieben gab es gestern ja wieder neues aus der Anstalt. Für Alle Die es nicht sehen konnten hier die Sendung. Ich muß sagen Schramm hat sich mal wieder selbst übertroffen und wenn man Ihm so zu hört könnte man…

  4. Megahoschi  November 18, 2009

    Die Sendung war einfach großartig, Schramm mal wieder unübertrefflich