Gossenjournalismus at its best

Geschrieben von: am 18. Sep 2014 um 13:08

Poroschenko weilt zurzeit in Washington. Berichtet wird darüber kaum, dafür aber über eine angebliche Prahlerei Moskaus, bei Bedarf in ganz Osteuropa einmarschieren zu können.

Spiegel und andere Medien berichten heute ganz groß, dass Putin mit Einmärschen in Riga und Warschau gedroht haben soll. Alle berufen sich dabei auf einen exklusiven Bericht von Daniel Brössler in der Süddeutscher Zeitung. Der wiederum beruft sich auf eine Gesprächszusammenfassung des Auswärtigen Dienstes der EU. Darin sind offenbar Dialoge zwischen Poroschenko und dem EU Kommissionspräsidenten Barroso dokumentiert. Der Informationsgehalt tendiert mal wieder gegen Null.

Barroso hatte Anfang September etwas Ähnliches behauptet, als er Inhalte eines Telefongesprächs mit Putin aller diplomatischen Gepflogenheiten zum Trotz öffentlich machte. Auf den heutigen Bericht der Süddeutschen angesprochen, sagte eine Sprecherin Barrosos, dass die EU keine Diplomatie über die Presse betreibe und auch keine Auszüge aus vertraulichen Gesprächen kommentiere. Das liegt wohl an der unangenehmen Ankündigung des Kremls, das gesamte Gespräch zwischen Putin und dem Kommissionspräsidenten zu veröffentlichen.

Die Quelle heute ist also Poroschenko, der behauptet, dass Putin ihm gegenüber gesagt haben soll, er könne osteuropäische Städte einnehmen wenn er nur wollte. Was von Aussagen des ukrainischen Präsidenten zu halten ist, der schon mehrmals eine russische Invasion in seinem Land fernab von allen Kameras gesehen haben will, sollte inzwischen klar sein. Deutschen Medien offenbar nicht, sie verbreiten munter die Schlagzeile, dass Putin mit Einmärschen in EU und NATO Länder gedroht haben soll.

Wie wäre es denn zur Abwechslung mal mit Fakten? Der ukrainische Präsident ist heute nach Washington gereist. Was macht er da? Welche Diskussionen werden dort geführt? Glaubt man amerikanischen Medien, so soll der Druck auf Poroschenko erhöht werden, damit der seinerseits härter gegenüber Moskau auftritt. Wieso berichten deutsche Medien darüber nicht? Warum schreiben sie nicht über einen ukrainischen Präsidenten, der offenbar seine Sponsoren in den USA besucht und Dienstanweisungen entgegen nimmt? Man wäre so gern schlauer.


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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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Kommentare

  1. HELLMOOD  September 18, 2014

    Die Betonung dürfte wohl auf „wenn er nur wollte“ liegen. Und dieses „wenn er nur wollte“ ist gleichzeitig als beständige Versicherung zu werten, dass er gar nicht die Absicht hegt und nie gehegt hat, denn wenn er auch nur „gewollt hätte“, wäre dies längst geschehen.

  2. DomenicaCuore  September 18, 2014

    Ja, ein sehr interessanter Beitrag. Dass Poroschenko derzeit in den USA weilt war mir auch nicht bekannt. Schon seltsam, dass darüber so wenig berichtet wird. Die einseitige Berichterstattung und die mangelhafte Quellenangabe, bzw. eine absolute Akzeptanz von Gerüchten als zuverlässige Quellen funktioniert, denn mittlerweile glauben sämtliche Russland-Skeptiker und Antiphatiker den Nachrichtenberichten sofort, aufs Wort, ohne Wenn und Aber.

    Neulich sagte mein Chef zu mir „Das ist eine absolute Unverschämtheit, dass Putin ein unabhängiges Land so respektlos behandelt, seine Armee dahin schickt und es zu annektieren versucht. Natürlich muss er gestoppt warden, er kann dort doch nicht einfach so einmarschieren.“ Ich war sprachlos. „Wo bitte marschiert er denn ein? Könntest Du das mal belegen?“ Er winkte wie selbstverständlich ab „Jaaa, jetzt komm schon. Das ist doch mittlerweile kein Geheimnis mehr. Das weiß doch jeder.“