Auf Kindergartenniveau

Geschrieben von: am 11. Apr 2024 um 7:10

Dass sich die deutsche Außenpolitik schon seit Längerem auf einer Art Kindergartenniveau bewegt, ist bekannt. Die Beispiele dafür sind zahlreich. So wusste das Auswärtige Amt zuletzt etwa nicht, wer kürzlich das iranische Botschaftsgelände in Syrien angegriffen hat, erkennt dafür schwerste Menschenrechtsverletzungen in Belarus, aber wiederum nicht in Gaza. Mal kommt es zum Stopp des Blutvergießens, wenn die Hamas kapituliert, dann, wenn beide Parteien einem raschen Kompromiss zustimmen, was aber nicht bedeutet, dass das auch für andere Konflikte gilt.

Beim Krieg in der Ukraine müsse sich der Aggressor Russland auch weiterhin einfach nur zurückziehen und schon herrsche Frieden. Verhandlungen lehnt die Bundesaußenministerin in diesem Fall klar ab, weil Putin ja gar keinen Frieden wolle. Wenn sie also erklärt: „Lassen Sie die ukrainischen Kinder frei. Ziehen Sie Ihre Truppen zurück. Beenden Sie diesen Krieg. Dann wäre morgen Frieden. Und die ganze Welt könnte endlich wieder aufatmen“, ist gar nicht Russland gemeint, denn das will ja nur Krieg, sondern offenbar irgendjemand anderes. Und dieses kommunikative Kindergartenniveau geht immer weiter.

So verkündet das Auswärtige Amt via Twitter/X:

„In einem schwierigen Umfeld hat #Moldau als EU-Beitrittskandidat wichtige Reformen angepackt. Der #EU-Beitritt von Moldau ist geopolitische Notwendigkeit & die Konsequenz aus Russlands Angriffskrieg. Wir unterstützen Moldau dabei nach Kräften. Russlands Drehbuch der Einflusszonen & hybriden Kriegsführung setzen wir unser #Europa der Freiheit & Solidarität entgegen. Zusammen mit unseren EU-Partnern unterstützen wir Moldau beim Kampf gegen #Desinformation & bei wirtschaftlicher Entwicklung und Reformen.“

Twitter/X

Nun darf man eine geopolitische Notwendigkeit natürlich nicht mit einem Drehbuch verwechseln und schon gar nicht mit Einflusszonen, in denen man eine hybride Kriegsführung betreiben könnte. Schließlich bleibt es auch gänzlich folgenlos, wenn deutsche Außenpolitiker nach einer Wahl, die nicht zu beanstanden ist, einem EU-Mitglied den Austritt aus der Union nahelegen oder diesem, weil ihnen das Wahlergebnis nicht passt, gleich androhen, europäische Mittel zu streichen. In einer Einflusszone ginge das vielleicht, in der Europäischen Union natürlich nicht. Hier herrscht Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und ab und zu – denn Fehler sind menschlich – auch ein bisschen Korruption, über die unabhängige Medien dann aber auch kritisch zupackend berichten.

Daher ist es auch ein Skandal, wenn so ein moralisch integres Land wie Deutschland von einer miesen Type aus Mittelamerika vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag wegen Beihilfe zum Völkermord verklagt wird. Die Bundesrepublik ist zwar zweitgrößter Waffenlieferant Israels hinter den USA – das ist halt aus Gründen der Staatsräson irgendwie erforderlich -, hilft nun aber auch mit einer Luftbrücke und einer sehr besorgten, aber immer ins rechte Licht gesetzten Außenministerin dabei, die Folgen des Konflikts zu lindern. Eine Herausforderung, denn die bisherige Bilanz des sechsmonatigen Feldzugs: mehr als 33.000 tote Palästinenser, darunter über 13.800 Kinder und eine massiv zerstörte Infrastruktur.

Legitimationskrise

Selbstredend ist die Bundesregierung daher weiterhin überzeugt, dass sich Israel an das Völkerrecht hält und die Klage gegen Deutschland vor dem Internationalen Gerichtshof völlig unbegründet ist, obwohl das Gericht wiederum zumindest plausible Anhaltspunkte für einen Genozid erkennt. Das Kindergartenniveau bei der Kommunikation bleibt Programm, nicht nur wenn die Regierung spricht. So ruft die SPD zu einem Boykott eines TV-Duells auf, guckt aber wahrscheinlich heimlich selbst. Man hält die Bevölkerung offenbar für unreif und meint deshalb, betreutes Denken zum leitenden Anspruch einer Politik erheben zu müssen, ohne zu merken, dass dieses Verhalten zum Gegenteil dessen führt, was eigentlich erreicht werden soll. Im Grunde bestätigt diese Art andauernden Bekenntniszwangs für die „gute Sache“ aber nur das, was man eine Legitimationskrise nennen kann.

Wenn kein Regierungschef der westlichen Welt mehr die Zustimmung von der Mehrheit der Bevölkerung hat, steckt das System in einer Legitimationskrise“, schreibt Jens Berger auf den NachDenkSeiten. Und weiter: „Unsere politischen Debatten sind mehr und mehr identitätspolitisch geprägt und haben die sozioökonomischen Fragen aus dem Blick verloren. Man könnte es wohl treffend „First World Problems“ nennen. Wer sich in ihnen verliert, verliert auch an Zustimmung und Legitimation.“ Im Ergebnis wird der Kindergarten dann auch immer mehr zur Wirklichkeit, wobei das natürlich nicht stimmt. Der autoritäre Charakter, der sich zunehmend offenbart, erinnert gerade nicht an die fortschrittlichen pädagogischen Konzepte der frühkindlichen Erziehung, die oftmals einfach nur ignoriert und darüber hinaus auch noch mies bezahlt werden, sondern eher an einen Erziehungsalltag, in dem Rohrstock, Teppichklopfer und Backpfeifen zum Standardrepertoire gehörten.

Wer keine Autorität mehr besitzt, greift zur Gewalt. Die zeigt sich heute nur nicht mehr in körperlicher Auseinandersetzung, wenn man einmal von der Zurschaustellung des staatlichen Gewaltmonopols während der Corona-Proteste absieht, sondern darin, Menschen über Umwege an den Pranger zu stellen. Journalisten rufen beispielsweise Universitäten an und fragen nach, warum dieser oder jener, der von der vermeintlich falschen Seite eines Kriegsgebietes berichtet, noch einen Lehrauftrag besitze oder Banken lösen ohne weitere Begründung die Geschäftsbeziehung mit Kunden auf, die über eine gewisse öffentliche Wahrnehmung verfügen, aber die falschen Ansichten vertreten. Die wehrhafte Demokratie: Sie besteht wohl in Wirklichkeit nur aus der Furcht vor einem Shitstorm.


Bildnachweis: Sarah Richter auf Pixabay

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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