Die elenden Expertenexperten

Geschrieben von: am 15. Feb 2023 um 14:32

Die Expertenexperten sind genervt, weil eine Petition für den Frieden nicht nur immer mehr Aufmerksamkeit, sondern auch immer mehr Unterstützung erfährt. Carlo Masala wirkt inzwischen wie der Nachfolger von Karl Lauterbach bei seiner Tour durch die Fernsehstudios. Er verkörpert eine Gattung gefragter intellektueller Kleingeistigkeit, die, wenn sie nicht gerade in irgendwelchen Talkshows herumsitzt, den ganzen Tag auf Twitter herumdödelt. Gehört das eigentlich zum Lehrauftrag eines Professors?

Die Forderung, dass beide Seiten im Ukraine Krieg Kompromisse machen müssten, sei unverschämt, sagt der Expertenexperte nun bei Maischberger. Und das Manifest für Frieden sei Ausdruck eines übelsten Nationalpazifismus, ein Begriff aus der Mottenkiste der Mottenkisten, den man offenbar hervorkramen muss, weil die bisherige Diffamierungskampagne gegen Wagenknecht und Schwarzer nicht so recht verfängt. Da unterzeichnen ja immer noch viele Leute und auch eine Mehrheit in der Bevölkerung hätte lieber Verhandlungen, statt eine Fortsetzung des Krieges mit oder ohne NATO-Beteiligung.

Und da kommt man vielleicht auch zum Kern des Problems. Denn alle sind sich in zwei Punkten einig. Erstens: der Krieg wird auf dem Schlachtfeld entschieden. Zweitens: am Ende stehen Verhandlungen. Leute wie Masala vertreten nun aber die These, dass eine Fortsetzung des Sterbens und der Zerstörung notwendig ist, um am Ende Verhandlungen im Sinne der Ukraine führen zu können. Geht es schief, lag es wahrscheinlich an einem defekten Leoparden. Er glaubt, dass die Unterstützung mit Waffen und noch mehr Waffen die russische Aggression erfolgreich zurückdrängen könnte.

Danach sieht es aber nach einem Jahr Krieg überhaupt nicht aus. Denjenigen, die einen Waffenstillstand und Verhandlungen fordern, wird hingegen vorgeworfen, dem Angreifer das Schlachtfeld und die Ukraine einfach überlassen zu wollen, ihn quasi dafür zu belohnen, dass die Formel Krieg als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln aufgegangen ist. Diese Sicht blendet den Blutzoll des Angreifers zwar bewusst aus, aber geschenkt. Gefallene Russen zählen halt nicht, die sind eben selbst schuld. Doch worin unterscheidet sich die eine von der anderen Position? Das Ergebnis ist dasselbe, nur das Ausmaß von Tod und Zerstörung, das man in Kauf zu nehmen bereit ist, unterscheidet sich.

Hätte es eine Vereinbarung zwischen Russland und der Ukraine kurz nach Kriegsausbruch geben können? Der ehemalige israelische Ministerpräsident Naftali Bennett sagt ja. Der Westen wollte aber nicht. In der Debatte spielt dieser Vorgang gar keine Rolle. Hier dominiert die Auffassung, dass Russland gar nicht verhandeln wolle und nur darauf aus ist, im Stile eines Neo-Imperialismus‘ andere Völker zu unterwerfen oder zu vernichten. Hierzulande erfinden Berichterstatter des ZDF, die ebenfalls viel Zeit für selbstgerechte Herumdödelei auf Twitter verwenden, dass 4 von etwa 50 Staaten der Ukraine-Kontaktgruppe ausreichen, um Deutschland in der Panzerfrage zu isolieren.

Von diesen vier Houdini-Nationen ist nach dem Umfallen des Kanzlers nun allerdings nicht mehr viel übrig geblieben. Es laufe nicht so berauschend beim militärischen Lieferando, stellt der neue Verteidigungsminister Boris Pistorius resigniert und auch ein wenig angefressen fest.

Bei Panzern vom Typ „Leopard 2A4“ aus Polen gebe es möglicherweise Probleme, was den Zustand und die Einsatzfähigkeit angehe. Zur Frage, ob er Verständnis für Länder habe, die erst wahnsinnig Druck gemacht hätten, Panzer zu liefern und jetzt Lieferprobleme hätten, sagte Pistorius: „Da ich mich hier auf diplomatischem Parkett bewege, würde ich sagen: wenig.“

Der NATO-Generalsekretär Stoltenberg erklärte diese Woche zudem, dass die Ukraine pro Tag rund 5000 Artilleriegeschosse abfeuere, was umgerechnet in etwa der Jahresbestellung eines kleinen Landes entspricht. Die Russen auf der Gegenseite feuern etwa viermal so viel ab. Nun müsse man sich also auch noch mit einem Munitionswettlauf beschäftigen, der schwer zu gewinnen ist, da der Verbrauch der Ukraine derzeit deutlich höher sei, als die Produktionsraten der Allianz. Die Wartezeiten für großkalibrige Munition habe sich demnach von 12 auf 28 Monate erhöht.

Da heißt es wohl durchhalten oder wie? Denn was bei den Panzern zu besichtigen ist, dürfte bei der Produktion von Munition kaum anders sein. Das Tragische ist, dass gerade die Länder, die ein fast fertig ausgehandeltes Waffenstillstandsabkommen scheitern ließen, nun ihre Logistik nicht mehr in den Griff bekommen. Daher fordern wohl ehemalige Vorsitzende von Sicherheitskonferenzen jetzt, dass der Westen doch endlich mal ein Kriegsziel formulieren möge. „Wollen wir tatsächlich die Ukraine ermuntern, die Krim militärisch zurückzuerobern?“ Dazu gebe es gegenwärtig „ein weites Spektrum unterschiedlicher Meinungen“. Über sie entschieden wird letzten Endes nicht in Kiew, sondern im Westen.

Also doch ein Stellvertreterkrieg? Der Expertenexperte lehnt das natürlich ab. Die Russen kämpfen ja direkt und nicht mit einem Stellvertreter. Das ist diese Art von intellektueller Kleingeistigkeit, die hier eingangs als zwingend notwendige Kritik beschrieben wird. Der Karl Lauterbach der Münchner Bundeswehruniversität liest zwar keine Studien Tag und Nacht, um sich mit einer Scheinaura von Expertise zu umgeben, sondern feuert im leicht verständlichen Gossenjargon einen substanzlosen Tweet nach dem anderen ab, um seine klatschende Bubble bei Laune und seinen Marktwert oben zu halten.

Hersh und Habermas, alle irgendwie dumm wie Brot. Braucht man nicht zu lesen. Wagenknecht und Schwarzer sind es hingegen nicht, die sind nicht naiv, sondern gefährlich, weil sie genau wüssten, dass ein Waffenstillstand zur Niederlage der Ukraine führe. Ist denn erkennbar, dass Waffenlieferungen, die gar nicht mehr geleistet werden können, zum einen, weil die vier Houdini-Nationen plötzlich vom Hosenschiss befallen sind und zum anderen aus Mangel an genügend Produktionskapazitäten für 5000 Schuss pro Tag, die Niederlage noch abwenden können? Was ist überhaupt das Kriegsziel des Expertenexperten? Die Kapitulation Russlands?

Es bleibt festzuhalten: Die Talkshow-Kasper der Deutschen ähneln den Talkshow-Kaspern der Russen auf frappierende Weise. Sie können ihren Krieg im Fernsehen, auf Twitter oder Telegram gern fortsetzen. In der wirklichen Welt sollte endlich die Vernunft einkehren und das sinnlose Abschlachten aufhören. Dafür braucht es Verhandlungen.


Bildnachweis: Screenshot: Sendung Maischberger, 14. Februar 2023

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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