Zur Ordnung rufen

Geschrieben von: am 23. Jan 2023 um 15:46

Eine spannende Frage in dieser Woche müsste eigentlich sein, ob die Ampel in Berlin am Freitag noch steht. Zumindest müsste geklärt werden, ob der Chef der SPD-Bundestagsfraktion, Rolf Mützenich, oder die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), auf ihren Posten bleiben können, nachdem sie sich am Wochenende gegenseitig so demontiert und beschädigt haben.

„Frau Strack-Zimmermann und andere reden uns in eine militärische Auseinandersetzung hinein“, sagte Mützenich der dpa in Reaktion auf die anhaltende Kritik an Kanzler Olaf Scholz. Dieselben, die heute Alleingänge mit schweren Kampfpanzern fordern, würden morgen nach Flugzeugen oder Truppen schreien, so Mützenich weiter. Eine Politik in Zeiten eines Krieges in Europa macht man nicht im Stil von Empörungsritualen oder mit Schnappatmung, sondern mit Klarheit und Vernunft.

Das ließ die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses nicht auf sich sitzen und konterte via Twitter: „Rolf #Mützenich ist das Sinnbild aller zentralen Verfehlungen deutscher Außenpolitik. Seine Ansichten von gestern führen in die Probleme von morgen. Er ist nicht mehr in der Lage, sein Weltbild der Realität anzupassen.“ Das klingt nach einem heftigen Koalitionskrach, der einer Klärung bedarf. Die Attacken von Strack-Zimmermann werfen die Frage auf, ob der Kanzler eigentlich noch den erforderlichen Rückhalt in der Koalition genießt.

Panzerknacker

Hinzu kommt, dass auch aus den Reihen der Grünen Äußerungen getätigt werden, die an der Unterstützung zweifeln lassen. Die CDU fordert daher FDP und Grüne schon einmal zum Ausstieg aus der Ampel auf. Medienberichten zufolge steht man auf Unionsseite für Verhandlungen über Jamaika bereit. Ein Bruch der Koalition? Das ist eher unwahrscheinlich, jedenfalls nicht wegen Panzern, die auch ein Kanzler der Union nicht liefern würde oder könnte.

Allgemein wird sich ja darüber lustig gemacht, auch hier im Blog, dass der neue Verteidigungsminister erst einmal die Bestände durchzählen lässt. Das hat aber durchaus einen ernsten Hintergrund. Denn so eine richtige Aufstellung, obwohl Papiere dazu bereits existieren sollen, fehlt in der öffentlichen Debatte. Wie viele Leos gibt es denn und welche können überhaupt abgegeben werden? Darauf wird in den zahlreichen Medienberichten, die die Zögerlichkeit Deutschlands kritisieren, gar keine Antwort gegeben.

Dabei wäre die wichtig, um sicherzustellen, ob sich die Diskussion überhaupt lohnt. Fangen wir zunächst bei den Amerikanern an. Die haben ja allerhand alberne Gründe angeführt, weshalb sie keine Kampfpanzer an die Ukraine liefern können. Interessant ist, dass nach diesem Bericht eine Lieferung auch deshalb unnötig sei, weil die Ukraine schon über ausreichend Panzer verfügen würde. Laut US-Beamten habe sie hunderte eigene Panzer im Bestand und während des Krieges hunderte von russischen Panzern zusätzlich erbeutet.

Sie brauchen also keine Abrams, aber den deutschen Leo, der offenbar eine Wunderwaffe ist. Gut, wie viele gibt es denn? Also mindestens 19, schreibt der Spiegel. Diese seien zur »Darstellung gegnerischer Kräfte« im Gefechtsübungszentrum des Heers eingesetzt, sie simulieren also bei Manövern feindliche Panzer. Bei der Truppe heißt es, auf die 2A5-Modelle könne man am ehesten verzichten, da sie nur zu Übungen eingesetzt werden. Nur zu Übungen, wer braucht die schon, es ist Krieg. Na ja, Einspruch, sagt Bundeswehr-Experte Thomas Wiegold. Der Eindruck, dass Ausbildung nicht wichtig wäre, sei zurückzuweisen.

Der Leopard I steht zwar auf Halde in Schleswig-Holstein rum, müsse aber erst instandgesetzt werden, was wiederum dauert. Er sei dann aber immer noch den russischen Kampfpanzern unterlegen. Ob die Ukrainer solche veralteten Systeme überhaupt wollten, sei eine Frage. Wenn, dann könne es nur um den Leopard II gehen, der ja in zahlreichen europäischen Staaten vorhanden ist. Das stimmt, nur können die auch darauf verzichten? Von den 2000 Leos könnten dem britischen Think Tank ECFR (European Council on Foreign Relations) etwa 1000, also die älteren Versionen 2A4 und 2A5, an die Ukraine gegeben werden.

Zweifelhafte Nummer

Doch gibt es die unterstellte Verfügbarkeit überhaupt? 340 sind in den türkischen Streitkräften, 180 bei den Griechen, macht zusammen 520, also rund die Hälfte, die da auch bleiben werden, da Türkei und Griechenland jetzt nicht die allerbesten Freunde sind. Was ist mit den Polen, die jetzt angeblich einen Antrag auf Ausfuhrgenehmigung stellen wollen, nachdem die deutsche Außenministerin französischen Medien erklärt hatte, diesem Ansinnen dann nicht im Wege stehen zu wollen? Ob sie dabei nur für sich selbst oder die Bundesregierung sprach, wollte sie heute lieber nicht beantworten.

Aber zurück zu Polen. Dort stünden also 250 Leos. Die Polen hatten aber im vergangenen Jahr viel Gerät, sowjetischer Bauart an die Ukraine abgegeben, unter anderem den T-72. Ohne Ersatz geht da gar nichts. Und wenn die Amerikaner nun Abrams liefern, obwohl die in Europa so schwer zu bedienen sind, wirft das Fragen auf. Es soll ja auch noch Panzer aus Südkorea geben. Wahrscheinlich per Expresslieferung. Bleiben noch 140 Leos in Finnland, das aber neuerdings NATO-Staat werden will und damit Drohungen Russlands auf sich zog. Eine Entwaffnung macht da wirklich Sinn.

Theoretisch gebe es dann noch Leos in den neutralen Staaten Schweiz und Österreich. Übrigens: gibt es von den Eidgenossen mittlerweile Munition für den Gepard? Die Angaben zur Verteilung der Leos in Europa sind übrigens von Roland Popp geklaut, Forschungsmitarbeiter an der Militärakademie an der ETH Zürich. Er sagte schon im September: „Entweder fehlt da die militärische Expertise komplett oder man hat ganz bewusst, eine zweifelhafte Nummer in die Welt gesetzt, um den Druck auf die deutsche Bundesregierung in den sozialen Medien und der Presse schön hoch zu halten. Zumindest dieser Plan scheint voll aufgegangen zu sein.“

Der SPD-Fraktionschef Mützenich täte also gut daran, sich nicht bieten zu lassen, was da die Frau Strack-Zimmermann über die sozialen Netzwerke blubbert. Der SPD-Co-Vorsitzende Lars Klingbeil erklärte heute auf einer Pressekonferenz, dass er den Parteichefs der anderen Koalitionsparteien empfehlen würde, in ihren Reihen für Ordnung zu sorgen. Das kann eigentlich nur bedeuten, dass am Ende der Woche der Vorsitz im Verteidigungsausschuss neu vergeben werden muss. In einer besseren Welt wäre eben nicht „Rama“ die Mogelpackung des Jahres, sondern Marie-Agnes Strack-Zimmermann.

Wahrscheinlich bleibt aber alles so, wie es ist und der Kanzler knickt einfach ein, so wie er es bislang immer tat.


Bildnachweis: Screenshot, heute-journal, 22. Januar 2023

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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