Moving the goalposts

Geschrieben von: am 13. Apr 2021 um 15:01

Infektionszahlen und Intensivstationen sind in dieser Woche egal. Jetzt müsse man zunächst einmal in die Partei hineinhören, meint Markus Söder, bayerischer Ministerpräsident, engagierter Bienenkönig, liebevoller Bäume-Umarmer und visionärer Sternegreifer, der den Friseursalons die Würde zurückgab. Gestern sprach er über die Entscheidung zur Kanzlerkandidatur vom Beginn eines Prozesses, was ein wenig nach Langstreckenlauf klang und somit auch als Gegenangebot zur hysterischen Pandemieberichterstattung verstanden werden konnte. Und siehe da. Prompt stellte die Talk-Show-Welt ihr Programm um.

„Showdown der Kandidaten – verstolpert die Union das Kanzleramt?“, wollte hart aber fair plötzlich wissen, nachdem die ursprüngliche Fragestellung der Sendung noch lautete „Politik blockiert, Virus marschiert – zieht jetzt der Bund die Notbremse?“ Mit anderen Worten: Wer braucht schon wieder Furcht vor der unaufhaltsamen Apokalypse, wenn er doch über Ungelenkigkeiten in der Union lachen kann. Heute ist die Bundestagsfraktion von CDU und CSU Schauplatz der nächsten Episode im Kandidatenrennen.

Markus Söder treibt Armin Laschet dabei vor sich her, denn letzterer hatte einen Besuch der Abgeordneten am Montag noch ausgeschlossen. Söder wollte aber unbedingt hin und nun sind beide in der Fraktion anwesend. Der Franke wird erneut seine Trumpfkarte spielen, die eigene Popularität. Nur er, so kann man zwischen den Zeilen lesen, könne die Mandate der Abgeordneten im Herbst sichern. Laschet hingegen, steht als Zugpferd in den Umfragen nicht besonders gut da. Da habe so mancher Sorge um den Wiedereinzug ins Parlament.

Entscheidend dürfte daher die Choreografie der Sitzung werden. Im Hintergrund orchestrieren Söders und Laschets Anhänger längst die Reihenfolge der Wortmeldungen, heißt es beim Spiegel. Vielleicht gibt es ja eine Abstimmung, wie im Jahr 1980, als Franz-Josef Strauß gegen Ernst Albrecht gewann. Söder würde es wohl fordern, wenn er genug Rückenwind aus der Fraktion zu spüren bekäme. Das Verfahren wäre auch angebracht, da es ja immer noch die Abgeordneten des Deutschen Bundestages sind, die schließlich einen Kanzler oder eine Kanzlerin wählen.

Die Union könnte sich im Nachgang sogar als moderne Partei inszenieren, die es besser hinbekommt, als die Grünen, die in ihrem Streben nach bürgerlicher Spießigkeit nur der alten Union nacheifern und am kommenden Montag die Kandidatenfrage vielleicht beim veganen Frühstück klären, vermutet Frank Lübberding in der FAZ. Andere wiederum meinen, das das Ganze bloß von der neuerlichen Sauerei mit dem Infektionsschutzgesetz ablenken soll. Nicht wirklich, denn zur Ausgangssperre heißt es in dem Gesetzentwurf von heute morgen wörtlich:

„Zeitlich beschränkte Ausgangsbeschränkungen sind geboten, um das Infektionsgeschehen einzudämmen. Es handelt sich vorliegend nicht um eine Freiheitsentziehung, sondern lediglich um eine Einschränkung der persönlichen Bewegungsfreiheit zu regelmäßigen Ruhens- und Schlafenszeiten, die sich als Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit auswirkt.“

Das dürfte die Gerichte sicherlich milde stimmen, geht es doch nur um eine allgemeine Bettruhe, deren Einhaltung das Kanzleramt lediglich festschreiben möchte. Ähnlich fürsorglich fällt auch die neue Testpflicht in Unternehmen aus, die in Wahrheit eine Pflicht zum Testangebot ist. Diese Regierung sollte tatsächlich die Bundesnotbremse ziehen und endlich zurücktreten.


Bildnachweis: Screenshot aus Benny Hill – World of Sport (1976) via Youtube

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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