Spiegel Online und die Hartz-IV Verfahrensflut

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Verfahrensflut – Klagewelle gegen Hartz IV erreicht neuen Höhepunkt, heißt es auf Spiegel Online. In der Einleitung steht dann.

Die Sozialgerichte werden mit Hartz-IV-Klagen förmlich überrannt: Allein beim bundesweit größten Sozialgericht gingen 2010 fast 32.000 neue Beschwerden ein – rund ein Fünftel mehr als im Vorjahr. Die Hälfte der Kläger gewinnt ihren Rechtsstreit.

Hätte dann die Überschrift nicht anders lauten müssen? Die eigentliche Nachricht ist doch nicht die, dass es eine gestiegene Verfahrensflut gebe, sondern dass ziemlich viele Bescheide über das Existenzminimum offenbar immer noch falsch sind. Wenn 50 Prozent der Kläger vor Gericht Erfolg haben, heißt das doch ganz klar, dass etwas in den Jobcentern gehörig schief läuft.

Wenn der einfach gestrickte Leser aber nur die Überschrift Klagewelle gegen Hartz-IV erreicht neuen Höhepunkt liest, könnte er auch spontan der kürzlich geäußerten Auffassung des rechtspolitischen Sprechers der CDU-Landtagsfraktion Brandenburg, Danny Eichelbaum, zustimmen, dass man eine Gebühr bei Hartz IV Klagen einführen sollte, um die Klageflut einzudämmen. Eichelbaum begründete seinen Vorstoß übrigens damit, dass es seiner Meinung nach viele unbegründete Klagen von ALG II Empfängern gäbe.

“Es gibt viele offensichtlich unbegründete Klagen von ALG II Empfängern”, so der Christdemokrat. Seiner Meinung nach sollte in der ersten Instanz bei den zuständigen Sozialgerichten eine pauschale Gebühr erhoben werden. Ihm schweben in diesem Zusammenhang 75 Euro pro Klage vor.

Gerichtsgebühren würden Eichelbaum zufolge die Hemmschwelle senken, die Sozialgerichte mit der Einreichung erfolgloser Klagen zu überschwemmen. Zehn bis Zwanzig Prozent der Klagen wären nämlich unbegründet.

Quelle: Sozialleistungen.info

Dabei nimmt der CDU-Politiker in seiner geistigen Umnachtung eine noch höhere Zahl an fehlerhaften Bescheiden an, nämlich 80 bis 90 Prozent. Das grenzt mal wieder an Volksverdummung, an der sich auch andere Medien beteiligen.

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Der Spiegel und der Sparwahnsinn

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Gerade bin ich über einen Artikel bei Spiegel Online (Marode Länderhaushalte) gestolpert, der sich mit dem Thema Sparen in den Länderhaushalten beschäftigt. Es geht dabei um die skandalöse Aufdeckung, dass die Länder mit dem verfassungstechnisch vorgeschriebenen Sparen erst nach den jeweiligen Wahlen beginnen wollen. Wie überraschend übrigens. Der erste Satz im Artikel beschreibt mal wieder eine Situation, die angeblich zu einem alternativlosen Handeln zwingt.

Es wird ernst: Ab dem Jahr 2020 sind die Bundesländer zu ausgeglichenen Haushalten verpflichtet – sie müssen bis dahin teils gigantische Neuverschuldungen reduzieren. Das schreibt die Schuldenbremse vor, die im Grundgesetz verankert ist.

Hier steckt ein logischer Fehler drin. Die Konsequenz aus der Tatsache, dass es eine Schuldenbremse gibt, die die Länder dazu zwingt, ihre gigantischen neuen Schulden, deren Herkunft den Spiegel Redakteur nur am Rande interessiert, drastisch zu reduzieren, besteht doch nicht in der Erfüllung dieser scheinbar rechtfertigungslosen Verpflichtung, sondern in deren Abschaffung. War es denn überhaupt richtig, in Zeiten des Aufspannens milliardenschwerer Bankenrettungsschirme eine Schuldenbremse ins Grundgesetz zu schreiben? Im Nachhinein müsste man doch zu dem Ergebnis kommen, dass das eine total bescheuerte Idee gewesen ist?

Aber nicht für den Spiegel und weite Teile der Öffentlichkeit. Die glauben ja noch immer, dass die gesetzlich vorgeschriebene Schuldenbremse endlich ein Mittel sei, Verschuldung einzudämmen. Dabei ist das grober Unfug. Neuverschuldung lässt sich nicht durch eine restriktive Ausgabenpolitik zurückführen. Das ist historisch mehrfach widerlegt. Und schon gar nicht in einer Wirtschaft, die gerade im Begriff ist, ihren Einbruch aus dem letzten Jahr wieder wettzumachen. Was passiert denn, wenn der Staat seine Ausgaben kürzt? Er verschiebt die Finanzierung von Dingen gerade auf diejenigen, die mit ihren Einkommen gleichzeitig für den Aufschwung sorgen sollen. Die werden sich dann aber eins von beiden sparen, weil sie den Euro nur einmal ausgeben können.

Das Ganze funktioniert also nicht. Die Schuldenbremse steuert im Prinzip nur einen Beitrag zur Handlungsunfähigkeit des Staates bei. Das gibt der Spiegel-Artikel ja auch zu, wenn er davon berichtet, dass die Entscheidungen über Sparmaßnahmen hinter Wahltermine verschoben werden. Wieso macht man denn das? Weil es unpopulär ist und weil jeder weiß, dass öffentliches Sparen übersetzt einen großen Griff in die Geldbörsen der Menschen bedeutet.

Dennoch wird so getan, als ob ein ausgeglichener Haushalt jenes erstrebenswerte Ziel sei, dem sich alles unterzuordnen habe. Dabei wird dann auch arglistig getäuscht und gelogen.

Nur Bayern hat es gut: Als einziges West-Land besitzt es bereits einen ausgeglichenen Haushalt.

Für diesen Satz gehört der Redakteur mit dem Kürzel fdi wegen Schlampigkeit und Ahnungslosigkeit hochkant rausgeschmissen. Bayern besitzt nur deshalb einen ausgeglichenen Haushalt, weil man die zehn Milliarden Finanzspritze für das BayernLB-Desaster als Sonderkapitel im Haushalt verbucht hat. Mit anderen Worten, es taucht in der Bilanz nicht auf. Man könnte daher auch von Bilanzfälschung und Bilanzfälschern da unten in München sprechen. Bis in die Hamburger Spiegelredaktion scheint das aber noch nicht vorgedrungen zu sein.

Den Griechen hat man übrigens das Fälschen von Haushaltszahlen permanent zum Vorwurf gemacht.

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Noch einmal Kruzifix und dann ist Schluss

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Aygül Özkan ist nun endlich vereidigt und Ministerin für Soziales, Frauen, Familie, Gesundheit und Integration im Kabinett Wulff in Niedersachsen. Eine schwere Geburt und ganz wichtig: Frau Özkan schwor ihren Eid mit religiöser Formel, „So wahr mir Gott helfe“. Das ist dem neoliberalen Propaganda-Organ „Der Spiegel“ natürlich eine Schlagzeile wert, während die Bild-Zeitung etwas umständlich pathetisch formuliert:

„Sie hat auf Gott geschworen“

:crazy:

Na ja, was für eine Aufregung um Gott und Kreuz. Der Karikaturist Klaus Stuttmann hat mal darüber nachgedacht, was wohl wäre, wenn Jesus nicht ans Kreuz genagelt, sondern an einem Galgen gehängt worden wäre…

Klaus Stuttmann
Quelle: Klaus Stuttmann

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Kampagne gegen Urban Priol und die Anstalt?

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Es ist schon sehr seltsam, dass der Spiegel gut zwei Wochen nach der Sendung Neues aus der Anstalt nun eine Kritik an Urban Priol aus Polen aufgeschnappt haben will. Dabei geht es um die Bemerkung unter der Überschrift „Betroffenheitsorgie“:

„Ist da eine Heuchelei im Gange: Wie beliebt er war, der in ganz Europa als Nervensäge belächelte Lech Kaczynski. Mit dem wollte doch keine Sau was zu tun haben.“

Die Meldung gab es bereits gestern. Nun springen nach und nach zahlreiche Onlinemedien auf den Zug mit auf. Soll da eine Kampagne gestartet werden?

Bei Klaus Baum schrieb ich vorhin:

Tja der Spiegel soll die Kritik an Priol aufgeschnappt haben. Das sagt doch schon viel. Und das immerhin eineinhalb Wochen nach der Sendung.

Allerdings glaube ich auch nicht Herrn Bellut, der als Reaktion darauf hinwies, dass sich Priols Satire nur kritisch mit Trauerfallritualen beschäftigte. Es ging schon um die Person Lech Kaczynski und das auch zu Recht.

Eine nationale Betroffenheitsorgie für einen Mann, der nicht sonderlich beliebt war und auch sehr radikale, menschenrechtsverletzende Ansichten vertrat, muss befremdlich wirken.

Im Übrigen stört mich auch Belluts Bemerkung, dass der “Anstalts-Humor” nicht zu 100 Prozent seiner sei, er bzw. die ZDF-Redaktion sich da aber nicht einmischen wollen. Wie soll man denn das verstehen?

Es könnte ja auch sein, dass man gegen die Anstalt, die in ihrer Kritik immer deutlicher wird, eine Kampagne starten will.

Besonders die vermeintliche Rückendeckung durch Thomas Bellut (ZDF-Programmdirektor) wirkt halbherzig.

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Nachtrag zur Griechenland-Strategie der Bundesregierung

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In den Nachrichten wird die Beteiligung des IWF an einem möglichen Rettungsplan für Griechenland als Zugeständnis an Merkels Bundesregierung betrachtet. Der Spiegel feierte ja gestern schon die Kanzlerin als „Siegerin im Griechenland-Poker“ (siehe letzten Beitrag). Doch ganz so dumm sollte man nicht sein und annehmen, dass das Geld, welches der IWF bereitstellen könnte, von einem Goldesel käme. Wer finanziert denn den IWF, wäre die richtige Frage. Wolfgang Lieb von den NachDenkSeiten weist auf ein Dokument der Bundesregierung vom 02.04.2009 hin, aus dem die Absichten einer Neuausrichtung der weltweiten Finanzarchitektur hervorgehen, die dann auch später von den G20 so beschlossen wurden. In dem Papier heißt es:

Insgesamt mehr als eine Billion Dollar stellen die G20 in den kommenden Jahren für Investitionen in den Entwicklungs- und Schwellenländern bereit. Die Weltbank und die regionalen Entwicklungsbanken erhalten 100 Milliarden. 250 Milliarden fließen für sofortige Hilfen an den IWF (davon mehr als 100 Milliarden von der EU), weitere 250 Milliarden später. Dieses Geld soll unter anderem dazu beitragen, den Welthandel wieder ans Laufen zu bringen. Hinzu kommen Bürgschaften und andere Liquiditätshilfen, um den Handel der ärmeren Länder stützen.

Und sie dürfen einmal raten, wer den Löwenanteil an den EU-Geldern für den IWF beigesteuert hat. Wolfgang Lieb bezeichnet dieses Vorgehen von Merkel und Co. als besonders elegante Vertuschung und schreibt dazu:

„Damit könnte Merkel vordergründig ihre starre Haltung im Hinblick auf ein Beistandsverbot der EU beibehalten und durch die IWF-Hintertür Finanzhilfen leisten. Damit würde allerdings die Funktion des IWF als eine monetäre Institution missbraucht und dieser als Kreditgeber zur Überwindung kurzfristiger Zahlungsbilanzprobleme eingesetzt werden, um damit wiederum die Gläubigerbanken Griechenlands zu schützen. Damit könnte man natürlich auch dem IWF in bewährter Manier die „Drecksarbeit“ übertragen und Griechenland die neoliberale Rezeptur für die Überwindung der Haushaltskrise überlassen. Deutschland wäre damit seine Rolle los, dass am deutschen Reform-„Wesen“, mit Lohn- und Steuerdumping die Europäische Union genesen soll.“

Aber wie von mir schon gestern geschrieben, geht es meiner Meinung nach natürlich um die Sanktionen. Mit denen lässt sich im Wahlkampf prima Politik machen und die Hetze gegen die Griechen aufrecht erhalten. Das Feindbild Geriechenland braucht die Merkel auch, um davon abzulenken, welch falsches Spiel sie selber spielt.

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Notfallplan für Griechenland: Merkel & Co lenken endlich ein, diktieren aber unsinnige Bedingungen

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Das muss man so klar schreiben, weil deutsche Medien, wie hier der Spiegel etwa, Merkel als strahlende Siegerin verkaufen wollen.

Merkel vor Sieg im Griechenland-Poker

Kurz vor dem Gipfeltreffen der europäischen Staats- und Regierungschefs am Donnerstag und Freitag in Brüssel zeichnet sich ab, dass die EU der Bundeskanzlerin in der Frage der Griechenland-Hilfen in einem entscheidenden Punkt entgegenkommt: Die französische Regierung zeigt sich offen, den Internationalen Währungsfonds (IWF) in einen Notplan für Athen miteinzubeziehen, wie es Merkel zuletzt immer wieder ins Gespräch gebracht hatte. Angesichts der bisher herrschenden Vorbehalte gegen den IWF könnte die Kanzlerin ein solches Zugeständnis als großen Erfolg für sich verbuchen.

Das ist kein Erfolg, sondern das Eingeständnis, ein real existierendes Problem nicht weiter verleugnen und aussitzen zu können. Internationale Medien sehen das etwas realistischer. Dort steht Deutschlands Bewegung im Mittelpunkt und die Tatsache, dass Berlin bestimmte und sehr problematische Bedingungen diktiert.

Quelle: New York Times

Germany Seems to Signal a Compromise on Greece

Germany indicated on Tuesday that it might agree on an aid package for Greece financed in part by the countries of the euro zone — but only as a last resort and subject to tough conditions.

In addition, European countries would have to agree to negotiate “additional instruments” to enforce budget discipline, beyond the existing rules that allowed Greek finances to run out of control. That raised the possibility of a change to the European Union’s governing treaties, something that would probably take several years to achieve.

Es geht also nicht nur um die Beteiligung des IWF, sondern um tough conditions. Mit anderen Worten, die deutsche Zustimmung gibt’s nur, wenn auch härtere Strafen gegen Defizitsünder, bis hin zum Ausschluss aus der Eurozone, in Zukunft möglich werden. Das wiederum ist eine Scheindiskussion, nicht nur weil es dazu einer Änderung der gerade erst verabschiedeten EU-Verfassung bedarf, die nicht mal eben über Nacht stattfinden kann, sondern weil sich das Überschussland Deutschland selbst ins Knie schießt, wenn es gerade jene Länder härter bestrafen will, die artig deutsche Produkte kaufen und somit für die gefeierten Überschüsse der Deutschen erst Sorge tragen. Deutschlands Vorschlag bedeutet konkret nichts anderes, als eine unter Strafandrohung verordnete Deflation in Südeuopa.

Merkel greift also nicht an, sondern rudert planlos zurück. Dabei versucht sie das Gesicht zu wahren, indem sie Bedingungen stellt, die ökonomisch betrachtet völlig unsinnig sind. Für diese Dumm- und Albernheiten wird sie nun vom Spiegel gefeiert. Aber von diesem Blatt darf man ökonomischen Sachverstand schon lange nicht mehr erwarten. Europa indes atmet etwas auf, dass Deutschland endlich von seinem nach außen hin propagierten kategorischen Nein zu möglichen Hilfen Abstand nimmt. Die Frage ist halt nur, ob sich Europa diesen Berliner Quatsch gefallen lässt. Ich fürchte schon…

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Der Spiegel ist und bleibt ein neoliberales Propagandaorgan

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Lesen sie zunächst Sven Bölls Kommentar „Vergesst Weihnachten!“ Ein wirklich schlimmes Machwerk billiger Meinungsmache.

„Geschenke soll es geben, viele und große, darauf hat sich die neue Regierung geeinigt. Doch in Wahrheit müssten Union und FDP endlich die Staatsausgaben reduzieren – selbst wenn Arbeitnehmer, Rentner und Hartz-IV-Empfänger auf die Barrikaden gehen.

Notfalls auch mit Waffengewalt? Wenn der Bürgerkrieg ausbricht, wissen wir, auf welcher Seite Frontberichterstatter Böll stehen wird. :roll:

„Deutschland braucht mehr Ehrlichkeit in der Finanzpolitik“

Nein, Deutschland braucht mehr Aufklärungsarbeit, um vor allem die Rolle des Spiegels im System der Meinungsmache offenzulegen.

„Mehr als eine Billion Euro Schulden hat der Bund bereits – und im kommenden Jahr könnten im Extremfall nochmals bis zu 100 Milliarden Euro dazukommen. Das liegt auch an der Finanzkrise – aber nicht nur. Selbst wenn der Bund ab 2011 jedes Jahr zehn Milliarden Euro seiner Schulden tilgen würde, wäre er erst nach 110 Jahren damit fertig. Das entspricht fast vier Generationen.“

Finanzstaatssekretär Asmussen zu der These, es läge nicht nur an der Finanzkrise, und der muss es ja schließlich wissen:

„Wir sind weit von einer Normalisierung entfernt.“ „Es ist weiterer Kapitalbedarf in Banken absehbar.“

Quelle: Süddeutsche

Doch zurück zu Sven Böll:

„Zu dieser neuen Ehrlichkeit würde auch gehören, mit der Lebenslüge aller Parteien aufzuhören, in der Vergangenheit sei bereits ernsthaft gespart worden.“

Diesen Satz werden wir demnächst öfters hören, garantiert. Über die Absenkung der Staatsquote auf ein historisches Tief kein Wort. Der Anteil der Ausgaben von Bund, Ländern und Gemeinden an der Wirtschaftsleistung lag im Jahr 2008 bei 25 Prozent (ohne den Anteil der Sozialsysteme) und damit auf dem Niveau der 60er Jahre. Böll und andere werden einfach behaupten, Eichel und Steinbrück hätten nie wirklich gespart und sie begründen das dann so:

„Zwischen 1998 und 2008 stiegen die jährlichen Ausgaben der Bundesregierung von gut 233 auf rund 282 Milliarden Euro – das ist ein sattes Plus von weit mehr als 20 Prozent und nicht gerade ein Synonym für „den Gürtel enger schnallen“.“

Etwas Dümmeres gibt es ja wohl nicht. Wer nominal mit real verwechselt und es unterlässt die Ausgaben gemessen am Bruttoinlandsprodukt zu betrachten, hat echt einen an der Waffel und gehört in die Bild-Zeitung entsorgt. Die nominalen Ausgabensteigerungen sagen für sich genommen überhaupt nichts aus und schon gar nicht, wenn man einen willkürlichen Zeitraum ohne Bezugsgröße wählt. Herr Böll hat auch noch nie etwas davon gehört, dass die realen Spareinschnitte der Minister Eichel und Steinbrück ursächlich dafür sind, dass die Ausgaben in jenem Bereich stark ansteigen, die Herr Böll in der Folge nun endlich „ehrlich“ kürzen will. Das systematische Aushungern des Staates durch prozyklische Sparpolitik wirkte als Konjunkturbremse, was wiederum dazu führte, dass die öffentlichen Etats erstens unter Einnahmeausfällen zu leiden und zweitens einen Anstieg ihrer Sozialbudgets zu verkraften hatten.

Dennoch lag die Staatsquote mit dem Anteil der Sozialsysteme im Jahr 2008 bei 43,9 Prozent, dem niedrigsten Stand seit 1990. Im Jahr 2003 betrug die Staatsquote noch 48,5 Prozent. Wie kann das sein, wenn angeblich nicht gespart wurde? Fakt ist, die Ausgaben des Staates stiegen langsamer als das Bruttoinlandsprodukt. Böll will aber nur den wachsenden Haushalt zur Kenntnis nehmen, daraus eine dramatische Entwicklung aufzeigen und somit versuchen, den Leser in grober Weise zu täuschen.

„Das Motto der neuen Koalition dürfte deshalb nicht Volksbeglückung heißen, sondern müsste „Sparen – aber diesmal ernsthaft“ lauten.

Der Bundeshaushalt hat in diesem Jahr ein Volumen von 290 Milliarden Euro. Zieht man davon die Ausgaben ab, die wie die Zinszahlungen (14 Prozent des Volumens) nicht verhandelbar sind oder echte Investitionen bedeuten – etwa Verkehr und Bildung, die rund 13 Prozent des Haushalts ausmachen -, bleiben rund 210 Milliarden Euro übrig. Abzüglich der Personalausgaben, die nur langfristig Sparpotentiale bieten, sind es dann nur noch gut 180 Milliarden Euro. Darunter fallen die Budgets für Entwicklungshilfe, Verteidigung, Familien und so weiter. Und vor allem die Ausgaben für Soziales: Die summieren sich auf fast 130 Milliarden Euro.

Wer also ernsthaft sparen will, kommt am Sozialbudget nicht vorbei.“

Es gibt also Haushaltsgrößen die nicht verhandelbar sind und welche die es sind. So einfach ist die Rechnung. Es spielt für Böll überhaupt keine Rolle, woher die Schulden stammen, nur dass die Zinszahlungen aufgebracht werden müssen. Und dafür muss das Sozialbudget gekürzt werden. Deutlicher kann man nicht sagen, dass die Krise von den Schwachen in dieser Gesellschaft finanziert werden müsse. Unglaublich! In seiner geistigen Beschränktheit kommt Sven Böll gar nicht auf den Gedanken, mal zu fragen, von wem sich der Staat das Geld leiht und wie viel diese Geldgeber eigentlich auf der anderen Seite selbst zur Finanzierung des Gemeinwesens beitragen, außer dass sie Kredite geben und gute nicht verhandelbare Zinsen dafür erhalten, die sie dann wiederum an den internationalen Finanzplätzen verzocken können.

Denn klar ist ja wohl, dass nach diesem von Böll beschriebenen Haftungsmuster, der vermögende Kreditgeber ein tolles Geschäft macht. Vor, während und noch lange nach der Krise, bis die Ausgaben im Sozialbereich irgendwann auf Null gedrückt worden sind. Dabei geht es dann auch nicht um ein Generationenproblem, sondern um eine Verteilungsschieflage in jeder Generation. Denn nicht nur die Schulden werden an die nächste Generation weitergegeben, die Forderungen ja auch. Auch das vergisst Herr Böll. Es wäre mal an der Zeit, zu begreifen, dass die Kosten der Krise auch von jenen aufgebracht werden sollten, die sie erstens verursacht und zweitens von ihr profitiert haben. Was ist mit der Vermögens-, Erbschafts- und Spitzensteuer? Warum holt sich der Staat nicht das Geld zurück? Weil es dann die angeblichen Leistungsträger der Gesellschaft träfe?

Man könnte jetzt noch mehr zu dem Müllkommentar von Böll sagen, aber ich lass es und komme lieber zu einem zweiten Bericht im Spiegel über das angeblich so positive Herbstgutachten der Wirtschaftsforscher. Darin findet sich folgender Satz:

In ihrer Prognose, die an diesem Donnerstag in Berlin vorgestellt wurde, gehen die Institute außerdem nur noch von einer 5,0-Prozent-Rezession in diesem Jahr aus. Vor Monaten wurde ein tieferer Absturz erwartet.

So als ob Minus fünf Prozent kein tiefer Absturz wären. Schlimm ist aber, dass die Koalitionäre in Berlin nun diese Fantasiezahlen für nächstes Jahr nehmen und glauben, da wären Spielräume für ihre Steuersenkungsversprechen. Das ganze Gutachten scheint politisch motiviert. Denn zwei Aussagen lassen sich einfach nicht in Einklang bringen:

  1. Dazu kommen Gefahren, die die aktuelle positive Prognose noch revidieren könnten. Als eines der größten Risiken betrachten die Institute, „dass neue Erschütterungen des internationalen Finanz- und Bankensystems keineswegs ausgeschlossen sind“.
  2. Außerdem halten sie es für geboten, schon jetzt über Strategien zu entscheiden, wie die außergewöhnlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der Finanzkrise beendet werden sollen. „Beginnen sollte man mit dem Abbau des strukturellen Defizits im Jahr 2011, wenn sich die Konjunktur stabilisiert haben dürfte“, lautet die Empfehlung.

Dem Spiegel als neoliberales Kampfblatt ist das natürlich keine kritische Anmerkung mehr wert. :roll:

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