Klientelpolitik: Frau Merkel kommt auch der Industrie entgegen

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Als große Jahrhundertanstrengung wurde das Sparpaket der Bundesregierung angekündigt. Vor allem im sozialen Bereich sind die Einschnitte bekanntlich hart. Um das nicht so einseitig aussehen zu lassen, hat die Regierung in das 80 Mrd. Paket auch Belastungen für die deutsche Wirtschaft hineingeschrieben und diesen Umstand bei jeder unpassenden Gelegenheit zu Protokoll gegeben. Alles nur Schein, wie sich heute einmal mehr herausstellt.

Laut Ankündigung sollten die Vergünstigungen bei der Ökosteuer für besonders energieintensive Unternehmen reduziert werden, um Mitnahmeeffekten einen Riegel vorzuschieben (siehe tagesschau.de). Der Finanzminiser wollte dadurch eine Milliarde Euro in 2011 und in den darauffolgenden Jahren jeweils 1,5 Milliarden Euro einsparen.

Nun aber schrie der Cheflobbyist der deutschen Industrie Hans-Peter Keitel die altbekannte Schreckensmeldung in die Republik hinaus, dass die beabsichtigte Politik Arbeitsplätze gefährde und schon kuscht die Staatsratsvorsitzende auf einer Veranstaltung des Industrieverbandes BDI in Berlin mit den Worten…

„Ich sage Ihnen zu, dass wir über diese Regeln noch einmal sprechen.“

Es ist nicht unser Ansinnen, die guten Arbeitsmarktzahlen zu verschlechtern, indem wir an dieser Stelle etwas tun, was Arbeitsplätze kostet.“

Quelle: Tagesschau

Sie hätte Herrn Keitel auf dessen Veranstaltung auch ganz offen einladen können, bei der Finanzplanung des Bundes bis zum Jahre 2014 aktiv mitzuarbeiten und seine Wünsche in den Gesetzestext einfließen zu lassen. Andere Zweige der Wirtschaft haben das ja bereits erfolgreich getan, wie wir alle wissen.

Und so wird vom 80 Mrd. Sparpaket am Ende nur ein Sozialstaatskürzungsprogramm übrig bleiben, wie urprünglich auch geplant, als man sich überlegte, wie man die Mrd. Verluste an den Finanzmärkten PR-mäßig am besten sozialisiert.

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Der Hartz-IV Referentenentwurf im absurden Wortlaut

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Wer den Referentenentwurf von Ursula von der Leyen zur Ermittlung von Regelbedarfen einmal nachlesen möchte, hier der Link:

Klicke, um auf 2010__09__26__referentenentwurf__regelsaetze__sgb2.pdf zuzugreifen

Auf der Seite WEISSGARNIX gibt es einen sehr schönen und bezeichnenden Auszug aus dem Machwerk zur transparenten Ermittlung des Flüssigkeitsbedarfs eines auf deutsche Sozialleistungen angewiesenen Menschen.

“Ausgaben für Nahrung und alkoholfreie Getränke gehören zum unverzichtbaren Grundbedarf und damit zum physischen Existenzminimum. Deshalb werden die von den Referenzhaushalten hierfür durchschnittlich getätigten monatlichen Verbrauchsausgaben – wie bereits in der entsprechenden Sonderauswertung 2003 – in voller Höhe (100,0%) als regelbedarfsrelevant berücksichtigt. Insgesamt ergeben sich für das Jahr 2008 in Abteilung 01 regelbedarfsrelevante Verbrauchsausgaben in Höhe von 128,46 Euro, einschließlich des eingerechneten Betrags für die Substitution der durch den Konsum von alkoholischen Getränken konsumierten Flüssigkeitsmenge durch alkoholfreie Getränke. In der Sonderauswertung EVS 2003 waren in Abteilung 02 alkoholische Getränke zu 100 % regelsatzrelevant. Alkohol stellt allerdings ein gesundheitsgefährdendes Genussgift dar und gehört als legale Droge nicht zu dem das Existenzminimum abdeckenden Grundbedarf. Daher wird Alkoholkonsum nicht mehr als regelbedarfsrelevant berücksichtigt. Wird auf Alkohol verzichtet, muss die damit verbundene Flüssigkeitsmenge allerdings zumindest zum Teil durch alkoholfreie Getränke ersetzt werden. Daher wird statt der Ausgaben für Alkohol in Abteilung 01 ein zusätzlicher Betrag für alkoholfreie Getränke anerkannt.

Dieser Betrag berechnet sich folgendermaßen:

Nach der Sonderauswertung wurden für Einpersonenhaushalte der Referenzgruppe im Jahr 2008 durchschnittliche Verbrauchsausgaben von 8,11 € für alkoholische Getränke ermittelt. Davon entfielen – nach dem Wägungsschema des allgemeinen Preisindex – rechnerisch 11,35 % für Spirituosen, die nach der allgemeinen Lebenserfahrung nicht dem Zweck der Flüssigkeitsaufnahme dienen. Es verbleiben dann von den 8,11 € noch 7,19 € für alkoholische Getränke, die durch alkoholfreie Getränke zu substituieren sind.

Es gibt für die Umrechnungen des Preises alkoholischer in alkoholfreie Flüssigkeitsmengen keine Vorgaben, so dass hier eine Plausibilitätsrechnung erforderlich ist. Für 7,19 € lassen sich etwa 12 Liter preiswertes Bier kaufen. Im Durchschnitt sind Bier oder gar Wein deutlich teurer, so dass sich ein deutlich niedrigeres Volumen an zu substituierender Flüssigkeit ergeben würde. Ausgehend von 12 Litern Flüssigkeitsbedarf ergibt sich das maximal durch alkoholfreie Getränke zu substituierende Flüssigkeitsvolumen. Da die Flüssigkeitsmenge mit einem preisgünstigen Getränk berechnet wurde, ist es angemessen, auch die alkoholfreien Getränke mit dem niedrigpreisigem Mineralwasser anzusetzen. Für die anzusetzenden 12 Liter Mineralwasser wurde ein Betrag von 2,99 € eingesetzt, für den Supermärkte flächendeckend eine entsprechende Menge Mineralwasser anbieten. Legt man die Preise der preisgünstigen Discounter für 1,5 Liter Mineralwasserflaschen zugrunde, ergibt sich für 12 Liter Mineralwasser sogar nur ein Preis von 1,52 €. Bei den als regelbedarfsrelevant berücksichtigten 2,99 € ist also bei preisbewusstem Einkauf durchaus Spielraum für Saft oder andere alkoholfreie Getränke. Diese 2,99 Euro werden bei Abteilung 01 zusätzlich berücksichtigt.”

Das staatliche Bedürfnis, die Menschen nicht verdursten zu lassen, ist schon auffallend. Dabei finde ich noch interessant, dass die willkürliche Herausnahme von Alkohol und Tabak aus dem Regelsatz mit der Gefahr für die eigene Gesundheit begründet wird („gesundheitsgefährdendes Genussgift“). Da fragt man sich, welche billigen Lebensmittel, auf die sich die Bezieher von Sozialleistungen ja beschränken sollen, die Kriterien einer ausgewogenen und gesunden Ernährung erfüllen. Für Nahrungsmittel und alkoholfreie Getränke sind künftig nur 4,21 EUR pro Tag vorgesehen, für Jugendliche zwischen 7-14 Jahren gar nur 3,17 EUR. Allein diese Zahlen bergen meiner Meinung nach ein erhebliches Gesundheitsrisiko.

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Hartz-IV und die Montagsfrage

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Der Kabarettist Wilfried Schmickler befasst sich heute bei seiner wöchentlichen Montagsfrage auf WDR 2 auch mit der absurden Regelsatzdiskussion. Dabei kommt er zu dem Schluss, dass all diejenigen, die in der Umfrage dagegen gestimmt haben, den Regelsatz zu erhöhen, einfach nicht betroffen sein könnten. Wären sie es, hätten sie sich garantiert anders verhalten.

Ganz stimmt das natürlich nicht. Von der Höhe der Sozialleistungen ist im Prinzip jeder betroffen, egal ob er sie nun bezieht oder nicht. Der Witz ist doch gerade der, dass die Höhe des politisch festgesetzten Existenzminimus Auswirkungen auf die Lohnfindung hat. Hartz-IV entfaltet eine Sogwirkung der Löhne nach unten. Mit Hartz-IV macht die Politik eben genau das, was sie vorgibt, bei der Weigerung einen flächendeckenden Mindestlohn einzuführen, verhindern zu wollen. Sie greift in die Tarifautonomie ganz konkret ein. Statt eine Lohnuntergrenze festzusetzen, führen die politischen Hartz-IV-Entscheidungen dazu, diese Grenze immer weiter nach unten zu verschieben, und zwar durch die mit Hartz-IV zunehmende Marktmacht der Arbeitgeber.

Frau von der Leyen war ja so dumm, diesen Zusammenhang in der Sendung Anne Will von gestern noch einmal eindringlich zu betonen. Sie verteidigte ihr Schwachsinnsgesetz gerade damit, dass Transferleistungsbezieher nicht mehr haben dürften, als die ärmsten Lohnempfänger von ihren Arbeitgebern überwiesen bekommen (die Frisörin durfte als Beispiel einmal mehr nicht fehlen). Mit dem Scheinargument des „Lohnabstandsgebots“ brachte sie im Grunde zum Ausdruck, dass die Höhe der Leistungen ganz entscheidend davon abhinge, was am unteren Ende gerade noch so an Löhnen gezahlt würde. Die Marktmacht der Arbeitgeber entscheidet also über die Höhe der Sozialleistungen und zwar nachdem die Politik so arbeitgeberfreundlich war, das ALG II als Schuss ins Blaue zu installieren.

So konnte sich bis zum Urteil des Bundesverfassungsgericht im Februar diesen Jahres ein Niedriglohnsektor ausbreiten, in dem nunmehr 25 Prozent aller Beschäftigten tätig sind und der wiederum als Referenzgröße für die Berechnung von Sozialleistungen herangezogen wird. Wer das Urteil des Bundesverfassungsgerichts aber ausführlich gelesen hat, dem wird nicht entgangen sein, dass das Gericht gar kein Interesse an einer Würdigung des von der Bundesregierung für richtig erachteten Existenzminimums hatte, sondern lediglich formale Mängel bei der politischen Festsetzung desselben der Regierung zum Vorwurf machte. Zur Höhe der Regelsätze ließen die Richter sehr eindeutig verlauten, dass diese „nicht evident unzureichend“ seien. Meiner Meinung nach haben die Richter dem Gesetzgeber nur aufgetragen, beim durchaus erwünschten Abbau des Sozialstaats nicht so offensichtlich dämlich und verfassungswidrig vorzugehen.

Ob Frau von der Leyen diesen Kritierien des Bundesverfassungsgerichts nun gerecht wird, will ich nicht mehr beurteilen. Ich stelle nur fest, dass die politische Führungselite an geistiger Niveaulosigkeit immer noch eine Schippe drauflegen kann. Und wieder einmal geht dabei Guido Westerwelle stramm voran. Langsam glaube ich, dass dieser Typ ein von den Lobbyisten engagierter Laiendarsteller ist, der uns nach einem noch viel schlechteren Drehbuch Politik vorspielen will. Westerwelle meinte, dass man die Interessen der Steuerzahler nicht vergessen dürfe. Der Chefökonom der Linken im Bundestag Michael Schlecht schreibt dazu auf seiner Internetseite:

Westerwelle bekräftigt, dass die Regierung „die Interessen der Steuerzahler nicht vergessen“ dürfe. Jedoch werden unter dem Titel „Arbeitslosengeld II“ mehr als zehn Milliarden Euro Steuergelder an Unternehmer verteilt, die zu geizig sind die Beschäftigen anständig zu bezahlen. 1,3 Millionen Menschen – die sogenannten Aufstocker – verdienen so wenig, dass sie einen Anspruch auf Hartz IV haben. Diese zehn Milliarden Subventionen sind vermeidbar mit dem gesetzlichen Mindestlohn und viel mehr Vollzeitjobs. Insbesondere die krakenhafte Ausweitung der Minijobs muss beendet werden.

Gäbe es den gesetzlichen Mindestlohn von zehn Euro und Gute Arbeit, so könnte so viel Geld eingespart werden, dass ein Regelsatz von 500 Euro finanzierbar wäre.

Westerwelles Eintreten für „die Steuerzahler“ ist verlogen. Für Hoteliers haben sie mal eben eine Milliarde der Steuerzahler verpulvert. Und: Wo war die FDP wenn es um hunderte Milliarden für die Banker und Finanzocker ging? Wo war Westerwelle bei dem letzten „Rettungsakt“ von 40 Milliarden für die HRE? Vermutlich im Bett, denn die Milliarden wurden mal wieder über Nacht rübergeschoben.

Und bei Brigitte Vallenthin lese ich, dass Frau von der Leyen gar nicht acht Monate lang gerechnet hat, sondern einfach nur Zahlen aus einem Bericht vom Oktober 2008 genommen hat, in dem es heißt, dass für das Jahr 2010 ein Eckregelsatz von 364 Euro pro Erwachsenen angepeilt werden soll.

Beweis-RS-Manipulation-27.09.2010

Sollte das stimmen, wäre das mit krimineller Energie kaum noch zu beschreiben.

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Die Kanzlerin bleibt ihrer Linie treu

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Bundeskanzlerin Angela Merkel kommentiert den jüngsten Hartz-IV-Kompromiss. Fünf Euro mehr soll es pro Monat und erwachsenen Bezieher von Arbeitslosengeld II geben. Kinder gehen hingegen leer aus. Völlig überraschend habe man im Kuschelministerium der Frau von der Leyen festgestellt, dass die Regelsätze für Kinder bisher schon zu hoch waren. Großzügigerweise habe man aber von einer wirklichkeitskonformen Kürzung der Bezüge Abstand genommen, weil das der Bevölkerung nicht vermittelbar gewesen wäre, so die siebenfache Mutter.

Dabei liefert doch die bestellte emnid-Umfrage via Bild am Sonntag die passenden Ergebnisse. Über 50 Prozent der Bundesbürger würden eine Erhöhung der Sätze kategorisch ablehnen, heißt es da. Das wundert mich eigentlich nicht. Stutzig macht mich nur, dass emnid lediglich 502 Personen befragt haben will. Ich habe in den Statistikseminaren jedenfalls noch gelernt, dass eine repräsentative Stichprobe gemessen an der Bevölkerungsgröße der Bundesrepublik bei etwa 1000 Leuten liegen müsse. Da hat sich anscheinend etwas geändert. Ich finde leider auch keine exakte Fragestellung, daher unterstelle ich einfach mal Manipulation, schließlich halten über 70 Prozent derselben Bevölkerung einer anderen Umfrage zufolge die Hartz-Gesetzgebung schlicht für falsch und wünschen sich eine Rücknahme dieser Reform.

Aber nun zur Kanzlerin. Was sie zuzm Thema meint, können sie unter anderem auf Spiegel Online nachlesen.

Merkel gab sich demonstrativ gelassen. Die Karlsruher Richter hätten den Spielraum für politische Entscheidungen gegeben, was in die Grundsicherung für Langzeitarbeitslose hineingehöre und was nicht, betonte die CDU-Vorsitzende am Abend vor Beginn der gemeinsamen Präsidiumssitzung von CDU und CSU. Die Neuberechnung nannte sie „sachbezogen“ und „rational“, alles käme nun auf den Tisch, „und dann kann jeder sich das anschauen“.

Der Karikaturist Klaus Stuttmann bringt es mal wieder ganz aktuell auf den Punkt. Dieses Bild sollten sich vielleicht auch die vielen Springermüll-Leser anschauen, die morgen wieder fröhlich mithetzen werden, wenn sie zur Arbeitspause ihrer zunehmend schlechter bezahlten Jobs schreiten und nicht verstehen können, warum sie für immer weniger Geld malochen müssen, während andere zu Hause auf dem vermeintlich warmen Sofa herumliegen.

Karikatur von Klaus Stuttmann
Quelle: Klaus Stuttmann

Vielleicht schafft es aber doch der ein oder andere zu kapieren, dass nicht die Hartz-IV-Empfänger ein Problem verursachen, sondern Lobbyisten, die ihre eigenen Gesetze schreiben dürfen. So heißt es dann auch Milliarden für die Banken, Milliarden für die Pharmaindustrie und Milliarden für die Energiekonzerne und halt weniger für Rentner, Malocher, Arbeitslose und Kinder. Wenn man sich nun aber überlegt, welcher Aufstand um ein paar Hundert Millionen Euro für Hartz-IV-Empfänger veranstaltet wird, während an anderer Stelle Milliardenbeträge einfach so durchgewunken werden, muss es doch endlich einmal klingeln in den Köpfen der Massen.

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Hartz-IV und die aktuelle Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS)

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Am Freitag, 24.09.2010, wurde die aktuele Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) durch das statistische Bundesamt veröffentlicht. Auf Grundlage dieser Erhebung will die Bundesregierung die Regelsätze für Arbeitslosengeld II Bezieher transparent berechnen. Frau von der Leyen kommt zu dem Ergebnis, ihren Koalitionspartnern fünf Euro mehr pro Monat und Leistungsbezieher anbieten zu können. Allein der Vorgang des „Anbietens“, um darüber zu verhandeln, verstößt laut Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den Regelsätzen gegen die Verfassung. Denn wer transparent und realitätsnah einen Bedarf ausrechnet, kann nicht einfach eine Zahl nennen, über die dann intern verhandelt wird. Wozu dann etwas ausrechnen?

Die Bundesregierung behauptet nun aber, dass ihre Rechnung belegen würde, dass die bisherigen Bedarfe überraschend zu hoch angesetzt waren, der bisherige Regelsatz also mehr als ausreichend sei.

Quelle: Thüringer Allgemeine)

Aus Koalitionskreisen hieß es dazu, die Sätze für Kinder hätten eigentlich gesenkt werden müssen. Früher wurden sie vom Satz der Erwachsenen abgeleitet. Nun seien sie zum ersten Mal „spitz gerechnet“ worden. Überraschend sei herausgekommen, dass die bisherigen Sätze in allen Altersgruppen eigentlich zu hoch waren.

Schaut man aber in der aktuellen Verbrauchsstichprobe des statistischen Bundesamts nach, wird man feststellen, dass die Zahlen keinesfalls zu hoch, sondern zu niedrig angesetzt waren. Wenn man nämlich die unterste Gruppe mit einem Einkommen bis 900 Euro betrachtet, was schon realitätsfremd ist, da dieser Personenkreis wahrscheinlich selbst auf Hartz-IV-Leistungen angewiesen ist, fallen bei den Einzelbedarfen die Unterschiede zum Teil deutlich auf.

Angaben in EURO (ALG II-Angaben, Stand: 30.06.2007)

  • Lebensmittelausgaben: 156 Euro (ALG II: 132,71)
  • Kleidung/Schuhe: 30 (ALG II: 34,26)
  • Gesundheit: 25 (ALG II: 13,17)
  • Verkehr: 55 (ALG II: 19,20)
  • Nachrichtenübermittlung: 38 (ALG II: 22,37)
  • Freizeit: 68 (ALG II: 39,48)
  • Gastronomie: 25 (ALG II: 10,06)

Wie die Bundesregierung also darauf kommt, dass die Ausgaben bisher zu hoch angesetzt waren, erschließt sich mir jedenfalls nicht. Ich bin gespannt auf die neue transparente Rechnung der Frau von der Leyen…

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Tage des Irrsinns – Zwischen Aufschwung und Zonen für Massenvernichtungswaffen

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Es ist unglaublich. Kaum wird bekannt, dass die Bundesregierung eine über den Daumen gepeilte Anhebung der Hartz-IV-Regelsätze um satte 10 bis 13 Euro plant (heute Abend wissen wir mehr) und schon steigen ifo-Geschäftsklimaindex und die Prognose des Einzelhandelsverbands HDE zum privaten Konsum. Alles super. Es geht aufwärts. Schließlich weiß der Gesundheitsminister Philipp Rösler, dass im nächsten Jahr noch keine Zusatzbeiträge durch die Krankenkassen in maximaler Höhe von nunmehr zwei Prozent des Einkommens erhoben werden (auch bei Hartz-IV-Empfängern). Insofern kann die Binnenkonjunkur aber mal so richtig angekurbelt werden. Wobei der Einzelhandelsverband in seiner Pressemitteilung von einer Rückkehr zur Normalität spricht. Wenn ich mir die Entwicklung der letzten Jahre anschaue, bestand die Normalität gerade darin, stetig Umatzrückgänge hinnehmen zu müssen. Der entscheidende, aber von nahezu allen Medien völlig ignorierte Satz, lautet dann auch:

„Wir korrigieren unsere Umsatzprognose auf nominal plus 1,5 Prozent. Am Ende des Jahres könnte der Einzelhandel also einen guten Teil des Umsatzverlustes aus dem Vorjahr (minus zwei Prozent) wieder aufgeholt haben. Dies ist aber nicht viel mehr als eine Rückkehr zur Normalität.“

Man könnte darüber lachen, wenn man sich die Meldungen der täglich erscheinenden Volksverdummungsorgane vor Augen führt. Dazu eine Karikatur von Klaus Stuttmann.

Karikatur: Klaus Stuttmann
Quelle: Klaus Stuttmann

Inzwischen wurde aus Koalitionskreisen bekannt, dass sich Finanzminister Schäuble weigert, die zusätzlich benötigten Mittel in Höhe von 700 bis 800 Millionen Euro, die eine Erhöhung der Regelsätze um 10 Euro kosten würde, bereitzustellen. Das solle die Arbeitsministerin von der Leyen in ihrem Etat schön selbst zusammenkürzen. Das wird sie auch tun, in dem sie sich das Geld beim Kürzen von Qualifizierungsmaßnahmen und Eingliederungsleistungen zurückholt. In Zukunft gilt dann nicht mehr das Prinzip „Fördern und Fordern“, sondern die Maßgabe „Fordern und Sanktionieren“. Es soll ja demnächst viel leichter möglich sein, Bezieher von Arbeitslosengeld II zu sanktionieren. Das macht auch Sinn, wenn man die Förderung komplett einstellt. Möglicherweise führt dann schon ein fehlendes Satzzeichen in Bewerbungsschreiben Nr. 1025 zu einer sofortigen Kürzung der Leistungen wegen grober Pflichtverletzung.

Dieses Szenario ist dann auch ganz im Sinne derer, die sich bereits jetzt wieder über einen Sozialstaat beschweren, der wegen 10 Euro mehr aus dem Ruder laufen würde. Besonders widerlich geriert sich dabei der Fraktionsvize der Union Michael Meister. Er gilt gemeinhin als Chefhaushaltssanierer und Kostensparer, der großen Wert auf saubere Staatsfinanzen legt. Er lehnte sich mit der Bemerkung aus dem Fenster, dass der- oder diejenige, die Vorschläge für Mehrausgaben einbringe, auch dafür sorgen müsse, wie diese zusätzlichen Ausgaben finanziert werden sollen. Es sei daher nur konsequent, wenn Frau von der Leyen bei sich im Haushalt die nötigen Mittel für eine Erhöhung der Regelsätze suchen würde. Neue Schulden aufzunehmen, käme jedenfalls nicht in Betracht. Das sei unverantwortlich.

Komisch nur, dass derselbe Michael Meister die neuen Garantien für die HRE in Höhe von 40 Mrd. Euro als notwendige Maßnahme zur Gründung einer Bad Bank rechtfertigte, bei der auch Marktrisiken abgesichert werden müssten. Wörtlich sprach der offenkundige „Meister seines Fachs“ davon, dass die beabsichtigte Bad Bank ein „Versuch Boden unter die Füsse“ zu bekommen, sei. Ein ziemlich teurer Versuch für einen selbsternannten Haushaltssanierer, der im Mai 2010 noch davon sprach, dass „…wirklich alles. Man kann nichts ausnehmen, auch nicht die sozialen Leistungen.“ herangezogen werden müsse, um den Haushalt zu konsolidieren.

Das ist aber noch gar nichts im Vergleich zu Guido Westerwelle. Dieser Mann toppt einfach alles. Vor der UN-Versammlung hielt der Vizekanz-Nicht seine erste Rede (Deutschland bewirbt sich bekanntlich um einen frei werdenden nicht-ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat) und sprach von einer geplanten Konferenz zur Einrichtung einer Zone von Massenvernichtungswaffen im Nahen Osten, die eine große Chance für Frieden und Sicherheit in dieser Region darstellen würde. Sehen sie selbst.

LOL. Ausgerechnet das Wörtchen „frei“ übersah die liberale und selbsternannte Freiheitsstatue der Nation beim Ablesen seiner Rede. Wie kann denn so etwas nur passieren? Dabei hatte Westerwelle einen Tag zuvor die Rede des iranischen Staatspräsidenten Ahmadinedschad verurteilt und eine Verirrung des Redners beklagt.

„Es ist bedauerlich, dass Präsident Ahmadinedschad sich so verirrt hat, denn die Anschuldigungen sind natürlich abwegig und sie sind zugleich verletzend.“

Quelle: Reuters

Offensichtlich sind beide Gestalten verirrte Brüder im Geiste, die bei jeder Gelegenheit über ihre eigene Eitelkeit und Dummheit stolpern. Dazu passt doch einmal mehr die Karikatur über Westerwelle aus den Mitternachtsspitzen.

Extremist-Westerwelle

Mitternachtsspitzen: Jürgen Becker über den Ahmadinedschad des Mittelstands Guido Westerwelle

Über beteiligte Zuhörer, die empört den Saal verlassen hätten, ist nichts bekannt. Ich habe aber das Programm gewechselt.

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Zur Regelsatzdiskussion

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Seit sieben Jahren kommt in diesem Land mit der ALG-II-Regelung ein verfassungswidriges Gesetz zur Anwendung. Zu diesem Ergebnis kamen die Richter des Bundesverfassungsgerichts im Februar 2010. Bis zum Jahresende sollte der festgestellte Verstoß gegen Artikel 1 Grundgesetz (Menschenwürde) und Artikel 20 GG (Sozialstaatsprinzip) im Rahmen einer an der Wirklichkeit orientierten Neuberechnung der Hartz-IV-Sätze beseitigt werden. Die bisherigen Bemühungen der zuständigen Ministerin Ursula von der Leyen sind kaum erkennbar. Zwar hat sie für das kommende Jahr höhere Ausgaben für Öffentlichkeitsarbeit im Bundeshaushalt angemeldet, über die Neuberechnung der Regelsätze dringt nun aber recht wenig nach außen. Dabei wird es langsam eng.

Doch was passiert eigentlich, wenn die Regierung bis zum Jahresende kein neues Gesetz vorlegt? Wird Frau von der Leyen dann in Gewahrsam genommen oder die Amtszeit der schwarz-gelben Minderheitsregierung für beendet erklärt? Nein. Es passiert natürlich nix. Die Bundesrichter hatten das ja im Februar ganz toll geregelt:

Sollte der Gesetzgeber allerdings seiner Pflicht zur Neuregelung bis zum 31. Dezember 2010 nicht nachgekommen sein, wäre ein pflichtwidrig später erlassenes Gesetz schon zum 1. Januar 2011 in Geltung zu setzen.

Quelle: BverfG

Theoretisch könnte die Bundesregierung den verfassungswidrigen Zustand auch über das Jahresende hinaus andauern lassen, falls man noch keine adäquate Methode gefunden hat, die Regelsätze wirklichkeitskonform herunterzurechnen. Möglicherweise wächst der Niedriglohnsektor auch noch ein wenig, so dass die Bedarfssituation der unteren Einkommensgruppen, die ja zur geforderten transparenten Berechnung herangezogen werden sollen, noch etwas nach unten rutscht.

Möglicherweise führt dann ja ein Gesetz, das rückwirkend zum 1. Januar 2011 wirksam wäre dazu, dass viele Hartz-IV-Bezieher etwas zurückzahlen müssen, weil sie nach dem dann gültigen Stand überzahlt worden sind. Was für eine Vorstellung. Aber bei dem Pannenkabinett ist ja nichts unmöglich.

Nun ist aber doch ein wenig über die Pläne der Ministerin an die Öffentlichkeit gedrungen. So zum Beispiel der Vorschlag, dass sich die künftige Höhe der Regelsätze an der Preis- und Nettolohnentwicklung orientieren solle und nicht mehr an der Entwicklung der Renten. Das ist jetzt natürlich ein Riesenfortschritt. Da hat man einfach das Urteil gelesen (immerhin nach 7 Monaten) und das Verfahren lediglich dem Wortlaut der Richter angepasst.

Die Faktoren aber, die das für die Bildung der Regelleistung maßgebliche Verbrauchsverhalten des untersten Quintils bestimmen, namentlich das zur Verfügung stehende Nettoeinkommen und die Preisentwicklung, spielen bei der Bestimmung des aktuellen Rentenwerts keine Rolle. Er ist deshalb zur realitätsgerechten Fortschreibung des Existenzminimums nicht tauglich.

Quelle: BverfG

Jetzt muss Frau von der Leyen es nur noch schaffen, mit Hilfe dieser neuen Betrachtungsmethode weniger oder den gleichen Geldbedarf herauszubekommen, der bisher als Leistungsatz den Bedürftigen zugestanden wird. Und der große Wurf wäre perfekt. Denn laut der Richter kommt es ja nur darauf an, dass die Berechnung des Existenzminimums transparent und wirklichkeitsnah geschehe. Denn nur die unbegründete Abweichung von dieser Methode sei ein Verstoß gegen die Menschenwürde. Bei der Festlegung des Existenzminimums habe der Gesetzgeber hingegen nach wie vor gestalterische Freiheit. Und die Regelsätze seien ja „im Allgemeinen nicht evident unzureichend“, so die Richter in ihrem Urteil.

Da bin ich aber doch gespannt, wie die untersagten „Schätzungen ins Blaue“ mit der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers in Einklang gebracht werden können. Die bisherige Politik dieser Bundesregierung bestand doch nur aus derartigen Schüssen ins Blaue ohne Sinn und Verstand.

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Neues zum Fachkräftemangel: "Vielen Studenten und Azubis gelten technische Berufe als unsexy"

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Die aus dem Regenbogen-Fernsehen bekannte Redakteurin Anne Backhaus schreibt im Spiegel über den Fachkräftemangel in Deutschland und geht einer DIHK-Studie auf den Leim. Der Artikel heißt „Firmen klagen über deutsche Technik-Muffel“, dabei scheint Frau Backhaus etwas unausgeschlafen zu sein.

Deutschlands Wirtschaft boomt, schon finden manche Unternehmen keine Arbeitskräfte mehr. Vor allem im technischen Bereich fehlt es an qualifiziertem Nachwuchs: Vielen Studenten und Azubis gelten diese Berufe als unsexy. Nun wollen die Firmen ihr Image aufpeppen – und umwerben gezielt junge Leute.

Zum ersten gibt es keinen wirtschaftlichen Boom, sondern lediglich einen Aufholprozess der deutschen Wirtschaft nach dem biblischen Einbruch von fünf Prozent im letzten Jahr. Zum zweiten ist die wirtschaftliche Erholung vor allem dem Lageraufbau geschuldet und der Auslandsnachfrage, die nahezu vollständig durch staatliche Konjunkturprogramme der nachfragenden Länder induziert ist. Diese Programme werden aber auslaufen und die Nachfrage folglich schwächer werden. Da der deutsche Binnenmarkt hingegen kaum etwas zum derzeitigen wirtschaftlichen Wachstum beiträgt, wie im übrigen in der Vergangenheit auch, ist nicht davon auzugehen, dass die angebliche „Boomphase“ von Dauer sein wird.

Das hätte man schon einmal als Überlegung vorweg stellen können, bevor man darüber schwafelt, dass bestimmte Berufe als „unsexy“ gelten. Vielleicht besteht die Unattraktivität ja auch gerade darin, dass es in kaum einem anderen Land so viele arbeitslose Ingenieure gibt, wie in Deutschland. Irgendetwas scheint da mit der Wahrnehmung nicht zu stimmen, wenn man dieses hier liest.

Die Konjunktur läuft gut, viele Firmen fragen sich schon, wie sie all ihre Aufträge bewältigen sollen. Vor allem qualifizierte Mitarbeiter fehlen den Unternehmen. Genauer gesagt: Bau- und Elektroingenieure sowie Spezialisten für technische Gebäudeausrüstung. In diesem Bereich kommen auf einen Hochschulabsolventen in etwa drei freie Stellen. Aber auch Auszubildende sind in der Technikbranche ein knappes Gut.

Es ist natürlich bequem und einfach, den angeblichen Mangel an Fachkräften mit der mangelnden Bereitschaft potentieller Arbeitskräfte zu erklären und nicht mit der mangelnden Fähigkeit der klagenden Unternehmen, entsprechend auszubilden oder Personal zu schulen und dauerhaft zu beschäftigen zumal jedes Jahr eine hohe Zahl von jungen Schulabgängern keine Ausbildungsplätze finden und ältere qualifizierte Arbeitnehmer in die Sozialsysteme regelrecht entsorgt werden. Bis jetzt hieß es ja immer, die Bewerber seien einfach zu dumm. Nun heißt es also, die Stellen seien zu „unsexy“. Ist das jetzt eine Selbstkritik der Unternehmer? Wo liegt eigentlich das Problem, wenn man sich einmal vergegenwärtigt, dass zwischen fünf und sechs Millionen Menschen in diesem Land einen richtigen Arbeitsplatz suchen und etwa neun Millionen sich mehr Arbeit wünschen und damit auch Jobs mit mehr Gehalt.

Fachkräftemangel und anhaltende Massenarbeitslosigkeit, die zwar geleugnet, aber nicht durch fingierte Statistiken weggezaubert werden kann, passen einfach nicht zusammen. Glaubt wirklich jemand an eine vermeintliche Unattraktivität von Stellen, die dem Vernehmen nach beste Karrierechancen bieten? Der Brüderle wahrscheinlich. Der glaubt auch an den Weihnachtsmann und an Vollbeschäftigung im Jahr 2015. Prost!

Nach einer Studie des Deutschen Industrie- und Handelskammertags haben bereits 70 Prozent der Unternehmen Probleme, offene Stellen zu besetzen. Nach Einschätzung der Unternehmen wird sich der Fachkräftemangel in den kommenden fünf Jahren noch verstärken – über alle Qualifikationsniveaus hinweg.

Dieser Schwachsinn des DIHK ist natürlich ein beliebter Aufhänger für Journalisten, die sich keine Arbeit machen wollen und so vollkommen kritikfrei zum PR-Sprachrohr der Arbeitgeberlobby werden. Wenn es wirklich stimmte, dass 70 Prozent der Unternehmen offene Stellen besetzen müssten, bleibt die Frage zu klären, warum dieselben Unternehmen langjährige Angestellte mit Aussteigerprogrammen locken, wie z.B. das Unternehmen Siemens. Das stand auch im Spiegel, Frau Backhaus, vor gerade einmal sechs Wochen, also mitten im Aufschwung XL:

Quelle: Spiegel

Siemens greift tief in die Tasche, um ältere Mitarbeiter seines Tochterunternehmens SIS zum vorzeitigen Ausscheiden zu bewegen.

Was steckt dahinter? Fanden die Bosse ihre Mitarbeiter plötzlich zu „unsexy“? Wer will das Gejammer der Arbeitgeber eigentlich noch hören? Der beklagte Fachkräftemangel ist ein Mythos nichts weiter. Real sind hingegen hohe Anforderungen, schlechte Arbeitsbedingungen und mickrige Löhne, die nach gängiger Glaubenslehre sein müssen, um die Wettbewerbsfähigkeit der hiesigen Exportwirtschaft zu sichern. Unter diesen Bedingungen würde in Wirklichkeit keiner arbeiten wollen, aber weil die eigene Existenz davon abhängt und nur die persönliche Ware Arbeitskraft verkauft werden kann, müsste es jeder tun.

Es kann also nicht daran liegen, dass eine Stelle zu „unsexy“ ist, sondern nur daran, dass Arbeitgeber keine Bewerber akzeptieren, die entlohnt werden und eine sichere Perspektive haben wollen. Vor allem die Exportwirtschaft verlangt nach passfertigen Arbeitskräften, die zu möglichst geringen Kosten nur dann zur Verfügung stehen sollen, wenn sie gebraucht werden und ansonsten dahin zurückgehen, wo sie hergekommen sind. Warum sonst schreit die Arbeitgeberlobby ständig nach ausländischen Fachkräften, obwohl sie sich nur aus der bestehenden nationalen Reservearmee von Arbeitslosen und Unterbeschäftigten zu bedienen bräuchte? Sind die Sozialgesetze etwa noch nicht hart genug und die Leiharbeit zu unflexibel?

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SoFFin darf ein Jahr weiter Garantien verteilen

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Zu Beginn der Haushaltswoche und nach dem Auftritt von Wolfgang Schäuble, der zur neuerlichen 40 Mrd. Euro Garantie an die HRE recht wenig zu sagen hatte, fragte ich mich, wann wohl die nächste alternativlose Garantie durch den Finanzmarktstabilisierungsfonds SoFFin am Parlament vorbei ausgesprochen werden würde. Über die Kriterien, wie und wann über Hilfen entschieden wird, erfahren die Parlamentarier und der Bürger nichts. Wie wir wissen unterliegen diese Dinge der Geheimhaltung. Insgesamt 480 Mrd. Euro stehen dem SoFFin zur Verteilung zur Verfügung. Das wurde im Jahr 2008 binnen einer Woche im deutschen Bundestag durch eine breite Mehrheit aus CDU/CSU, SPD, FDP und Grüne so beschlossen. Gleichwohl mitbeschlossen wurde dabei die faktische Ausschaltung der Volksvertretung. Früher nannte man soetwas Ermächtigungsgesetz.

Inzwischen ist rund die Hälfte der Mittel in Form von direkten Kapitalhilfen, wie bei der Commerzbank (18 Mrd.) und Garantien wie bei der HRE (142 Mrd.) schon weg. Dabei sollte man sich nicht von dem Wort Garantie täuschen lassen. Auch da fließt Geld wenn man sich vor Augen führt, weshalb Garantien gegeben werden müssen. Im Fall der HRE ist es z.B. so, dass das Institut diese Garantien benötigt, um zahlungsfähig gegenüber seinen Gläubigern zu bleiben. Einer der Hauptgläubiger ist dabei die Deutsche Bank. Herr Ackermann macht also Profit, weil ihm die Allgemeinheit die Zahlungen seiner Schuldner garantiert. Und da sage noch jemand, der Ackermann würde sich schämen, wenn er Steuergelder annehmen müsste. In Wirklichkeit ist ihm das schnurzpiepegal. Genaugenommen zahlt die Allgemeinheit ja auch direkt an Gläubiger wie die Deutsche Bank, denn die HRE ist inzwischen in Volkseigentum übergegangen und lässt als Krönung des Ganzen die Führung der eigenen Bank gleich durch Ackermanns Leute besetzen.

Aber ich war ja noch beim glasklaren Verfassungsbruch SoFFin. Dieser komischen Einrichtung soll nun nach dem Willen des schwarz-gelben Pannenkabinetts erlaubt werden, noch ein weiteres Jahr Geld verteilen zu dürfen. Es gibt ja auch noch viel zu verteilen, wenn erst die Hälfte der 480 Mrd. abgerufen wurde. Es wäre ja auch blöd, wenn der Bundessparminister Schäuble erklären müsste, warum er in den Einzeletats radikale Kürzungen vornimmt, wenn gleichzeitig rund 240 Mrd. Euro im Bankenrettungsfonds noch gar nicht verteilt worden sind. So verlängert man einfach den SoFFin, die HRE kann noch ein paar Mal alternativlos zuschlagen und der Bürger kauft sich derweil weiterer Gürtel, die er sich dann enger schnallen kann. Ist doch prima durchdacht.

Quelle: Welt

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Zur Frage der Lohnangleichung

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Meine gestrige Kritik an Gregor Gysis Forderung nach einer Lohnangleichung der ostdeutschen Löhne unter der Parole gleicher Lohn für gleiche Arbeit hat zu ebenfalls kritischen Reaktionen geführt. Zum Kommentar von Ormuz möchte ich mich näher äußern:

Die Ausplünderung der DDR ist mittlerweile 20 Jahre her und von Produktivitätsunterschieden kann meines Erachtens nach keine Rede mehr sein.
Aber selbst wenn, die Leute im Osten müßen genau so viel arbeiten, müßen die selben Mieten bezahlen und auch das selbe für Lebensmittel, Strom etc.
Es ist also nicht zu rechtfertigen, daß im Osten noch immer deutlich weniger Lohn gezahlt wird, denn die Lebenshaltungskosten sind ja auch keineswegs deutlich niedriger.

Das ist verständlich, Ormuz.

Nur ändert das eben nichts an der Tatsache, dass die Währungsunion von 1990 mit der Umstellung von schwacher Ost-Mark auf die starke D-Mark sowie die schnelle Angleichung der Ost-Löhne richtig vergeigt worden war. Dieser ökonomische Irrsinn hatte fatale Folgen. Die Ost-Betriebe verloren ihre Wettbewerbsfähigkeit reihenweise und die Menschen im Osten ihre Jobs sowie eine Perspektive. Die gutausgebildeten migrierten in den Westen (meine Familie gehörte dazu) und die zumeist weniger gut ausgebildeten Menschen blieben als Chancenlose zurück.

Während dieses Ausblutens ganzer Regionen, erhöhten sich entsprechend die Marktanteile der West-Betriebe innerhalb einer gemeinsamen Volkswirtschaft, da ja die gleiche Währung galt. Es wurde einfach versäumt, den notwendigen Aufholprozess der ostdeutschen Wirtschaft fachlich zu begleiten.

Der Oberhammer war aber, dass die selben Idioten, die das Ausmaß ihres Tuns spätestens 1994 erkennen konnten, da die Arbeitslosigkeit im Osten einerseits weiter zunahm und andererseits die Migrationsbewegung von Ost nach West neue Höhen erreichte, dass diese Leute derweil die nächste Währungsreform (Euro) nach dem selben fatalen Muster planten und, wie wir heute wissen, ebenfalls gehörig in den Sand setzten.

Die politische Lösung in beiden Fällen, um die Auswirkungen falscher Wirtschaftspolitik einzudämmen, heißt Solidarität. Ohne Transferleistungen geht es innerhalb Deutschlands nicht, aber auch nicht innerhalb Europas. Doch das Gegenteil ist der Fall. In Deutschland klagt man lauthals über die Belastungen durch den Solidaritätszuschlag und mit Blick auf Europa klagt man, der Zahlmeister für Defizitsünder wie Griechenland sein zu müssen. Dabei ist die Rolle des Zahlmeisters die logische Konsequenz aus dem Verhalten einer starken Volkswirtschaft, die sich auf Kosten der im Aufholprozess befindlichen Ökonomien bereichert hat.

Mit Blick auf die Wirtschaftsleistung innerhalb Deutschlands lässt sich jedenfalls festhalten, dass die ostdeutschen Betriebe noch immer aufholen müssen. Die Wirtschaftsleistung Ostdeutschlands liegt erst bei 70 Prozent der westdeutschen. Um diese Lücke schließen zu können, bedarf es einer höheren Produktivitätsentwicklung als im Westen, die aber nur mit zusätzlichen staatlichen Hilfen angeschoben werden könnte. Erst dann ist es möglich, dass auch die Löhne im Osten stärker steigen als die im Westen. Ohne Subventionen geht es aber nicht und vor allem geht es nicht ohne einen Flächentarifvertrag, der den Lohnzuwachs für alle gleich regelt, also für Unternehmen mit hoher Produktivität und für die mit weniger Produktivität.

Wer hingegen das Lied von der Flexibilisierung der Tarife und Löhne fröhlich vor sich hin trällert, kapiert nicht, dass er die Marktwirtschaft außer Kraft setzt. Wenn jeder Betrieb nur noch dafür aufkommt, was er sich selber wirtschaftlich leisten kann, gibt es keine Nachfrage mehr, weil es permanent darum geht, die Lohnkosten zu drücken, um sich Marktanteile zu sichern. Daher sind steigende Löhne und vor allem ein gesetzlicher Mindestlohn als Nachfragegröße enorm wichtig, damit die Wirtschaft überhaupt gesund funktionieren kann. Die Parole „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit!“ ist hingegen falsch, weil es eben darauf ankommt, an welchem Ort der Lohn gezahlt wird. Es gilt daher der Satz „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort!“

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