Mit dem Firmenjet in die Freiheit

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Es ist schon erstaunlich, was alles außerhalb des Protokolls für einen verurteilten Kriminellen möglich ist. Ein schnelles Visum, ein Privatjet und offenbar eine gesicherte Eskorte vom Flughafen Schönefeld nach nirgendwo. Chodorkowski, der hierzulande von den Medien als politisch Verfolgter betrachtet wird, dem die Menschenrechte aberkannt worden seien, hat deutschen Boden betreten. Gleich nach seiner Entlassung hat ihn ein von Hans-Dietrich Genscher organisierter Privatjet nach Berlin geflogen, angeblich, so vermuteten es die Medien, damit er seine kranke Mutter besuchen könne. Die befindet sich aber gar nicht mehr in Deutschland, sondern in Moskau. Aus der rührseligen Story wird also erst einmal nix.

Wieso denke ich jetzt bloß an Edward Snowden, der ja wirklich ein politisch Verfolgter ist und, so irre das auch klingen mag, ausgerechnet beim Putin Asyl bekommen hat? Nicht in Deutschland. Da ließ das Außenministerium nach Rücksprache mit dem Innenministerium vermelden, dass Snowden kein politisch Verfolgter sei, damit die Voraussetzungen für eine Aufnahme fehlen würden und wenn überhaupt, er nur Asyl beantragen könne, wenn er sich im Land befände.

Hätten wir also den alten Kämpfer für Freiheit, Genscher, fragen sollen? Wohl kaum, denn der deutsche Oberliberale Christian Lindner meinte damals: “Die Gewährung von Asyl wäre das Kündigungsschreiben für die transatlantische Partnerschaft mit den USA.” Und die SPD, im November noch nicht in der Regierung, sondern in Verhandlung mit der Union, lieferte einen typischen Merkelsatz nach dem Muster: “Wir müssen auf europäischer Ebene eine gemeinsame Lösung finden.”

Ein Whistleblower ist eben etwas anderes als ein Kreml-Kritiker. Gregor Gysi hatte in seiner – inzwischen vom Seminar für Allgemeine Rhetorik der Eberhard Karls Universität Tübingen ausgezeichneten – Rede vor dem Deutschen Bundestag am 18. November wohl Recht, als er Christa Wolf zitierte:

“Und dass wir lieber den bestrafen, der die Tat benennt, als den, der sie begeht.”

Gregor Gysi, Deutscher Bundestag, 18. November 2013

Letzteren, einen verurteilten Straftäter, empfangen wir sogleich mit offenen Armen, weil er besser zu unserer Vorstellung einer marktkonformen Demokratie passt und zu unseren Interessen an Rohstoffen, die uns nicht gehören, die wir aber gerne hätten. Das kann der andere nicht bieten. Der hat nur brisante Informationen, unangenehme Informationen, mit denen er sich auch in Russland strafbar machen könnte, wenn er sie denn weiter preisgebe. Aber da haben wir ja kein Problem mit der zweifelhaften Menschenrechtslage in Putins Land, die wir im Fall Chodorkowskis so beklagen.

In den Tagesthemen wird Genscher nachher sagen, dass er zwar kein russisch verstehe, aber die Telefongespräche von Chodorkowski mit seinen Angehörigen ihm eine anrührende Szene im Auto bot. Er habe den Anwälten Chodorkowskis geholfen, weil es um eine humanitäre Maßnahme ging, die man immer und überall unterstützen müsse.

Jens Berger weist auf den NachDenkSeiten darauf hin, dass Chodorkowski nicht ausschließlich wegen Steuerhinterziehung, sondern wegen gewerbsmäßigen Betrugs, Unterschlagung und Geldwäsche eine lange Haftstrafe zu verbüßen hatte. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sah übrigens keine politische Motivation im Fall Chodorkowski und wies dessen Klage ab. Das russische Vorgehen gegen ihn sei allenfalls ungerecht gewesen, was auch bedeuten kann, dass gegen andere Oligarchen, die auf ähnliche Weise wie Chodorkowski zu Schürfrechten, Geld und Macht gekommen sind, keine Anklage erhoben wurde.

Unser neuer Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) scheint das alles nicht zu wissen oder öffentlichkeitswirksam auszublenden. Er sagte in Berlin zur Entlassung des Oligarchen: „Das ist eine gute Nachricht. Das ist aber auch eine Nachricht, die uns darauf hinweist, dass wir die Gespräche mit Russland über Rechtsstaat und Menschenrechte auch in den nächsten Jahren mit Engagement weiterführen müssen.“

Sehr interessant. Was will Steinmeier damit erreichen? Eine Haftverschonung für Leute, die nach unseren Gesetzen genauso hart bestraft worden wären, wie Chodorkowski für seine Vergehen in Russland? Steinmeier reklamiert Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte. Das sagt der Außenminister, der auch schon mal Kanzleramtschef war und eine zumindest zweifelhafte Rolle im Fall Murat Kurnaz spielte. Vielleicht sind wir auch nur, wie Albrecht Müller schreibt, auf den Weg zurück in den Kalten Krieg. Dann müsste man die Freilassung des Oligarchen als Art Agententausch verstehen. Jetzt müssen die USA nur noch sagen, den Snowden dürft ihr behalten.

Das wird aber nicht passieren. Wenn überhaupt sind wir in einem klimagewandelten Krieg, in dem sogar der Pilot der Maschine, die Chodorkowski ausflog, in den Online-Medien dieser Republik für sich und sein Unternehmen werben darf. Mit dem Firmenjet in die Freiheit, wenn man erstens die richtige Einstellung und zweitens die richtigen Kontakte hat. So etwas fehlt eben Leuten wie Snowden und Kurnaz.

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Chodorkowski sei ein „Beispiel für politische Willkürjustiz“

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Das meint der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Löning (FDP). Und zahlreiche Medien auch. Heute hörte ich nach der Arbeit im Deutschlandradio die letzten Minuten der Gesprächsrunde Journal am Vormittag. Ein Anrufer beklagte sich über den Ausfall der Medien, die ihrer Aufgabe nicht mehr gerecht und ihn in ihrer gleichgerichteten Bereichterstattung an die DDR-Zeit zurückerinnern würden. Diese berechtigte Kritik wurde von den Anwesenden einmal mehr als Hirngespinnst zurückgewiesen und mit der Bemerkung quittiert, dass man sich ausreichend informieren könne, wenn man nur wollte.

Journal am Vormittag

Kontrovers
Das Jahr 2010 – Die Wutbürger
und die Politik
Studiogäste:
– Sabine Adler, Deutschland-
radio, Leiterin des Haupt-
stadtstudios
– Thomas Steg, Kommunikations-
und Politikberater
– Hans-Hermann Tiedje, ehema-
liger Bild-Chefredakteur und
Kohl-Berater
Moderation: Stefan Heinlein

Quelle: Deutschlandradio

Leider hat es der Anrufer versäumt, die Diskutanten mit konkreten Beispielen in Erklärungsnot zu bringen und festzunageln. Dabei liegen die auf der Straße herum. Sei es der Riester-Renten-Betrug, die Demografie-Lüge, das Hochschreiben von Karl-Theodor zu Guttenberg, dem man sogar die Bemerkung, Deutschland müsse Wirtschaftskriege führen, nicht übel nehme, während ein Bundespräsident für die gleiche Aussage seinen Sessel räumen musste. Oder eben die Tatsache, wie seit Tagen über den Prozess gegen Michail Chodorkowski berichtet wird. Mit Journalismus hat das nämlich nix zu tun, sondern mit einem regelrechten Reinfallen deutscher Medien und Politiker auf gelungene PR-Arbeit.

Ist der Prozess gegen Chodorkowski politisch motiviert. Sicherlich. Ist er aber unschuldig. Sicherlich nicht, wenn man sich einmal die Umstände seines Aufstiegs und seiner Verhaftung vor Augen führt. In der deutschen Medienlandschaft findet diese Aufarbeitung aber nicht statt, weil sie sich in der Rolle gefällt, ein scheinbar undemokratisches System in Russland vorführen und kritisieren zu können. Wenigstens zeigt die Justiz in Russland Zähne während sich deutsche Kapitalverbrecher wie zum Beispiel Steuerhinterzieher aus dem Strafmaß herausdealen dürfen.

Die Präsidentschaft Putins, der mit Sicherheit auch kein lupenreiner Demokrat ist, stand unter dem Stern, die gigantische russische Privatisierung zurückzuführen. Sie hat nämlich dazu geführt, dass russische Milliardäre wie Pilze aus dem Boden schossen. Jeder Fußballfan weiß das, wenn er sich in Erinnerung ruft, wie diese neureichen Oligarchen Fußballclubs in ganz Europa aufkauften und unter massiven Kapitaleinsatz für den eigenen Zeitvertreib nach ihren Vorstellungen umbauten. Der bekannte Milliardär „aus dem Nichts“ und Eigentümer des Chelsea FC, Roman Abramowitsch, musste unter Putin sogar den Gouverneur der Region Tschukotka spielen, einer Provinz im äußersten Nordosten Russlands, um seine patriotische Gesinnung gegenüber dem russischen Staat zu beweisen.

Denn als Putin Präsident wurde, gab es einen Deal mit den Superreichen, deren kriminellen Aufstieg und dubiose Geschäfte juristisch nicht zu verfolgen, solange sie sich im Gegenzug aus der Politik heraushielten. Diese Vereinbarung konnte natürlich nicht halten, weil wirtschaftliche Interessen immer auch das Politische berühren.

Chodorkowski wurde mit seinem Yukos-Konzern so mächtig, dass er es wagen konnte, mit dem Kreml zu brechen. Er wollte sich mit viel Geld in die geschlossenen Kreise Washingtons einkaufen und bot den Amerikanern im Gegenzug nicht weniger als den direkten Zugriff auf die üppigen russischen Erdölreserven an, die er mit seinem Konzern zu einem Großteil kontrollierte. Putin konnte nicht zulassen, dass der größte Ölkonzern der Welt, Exxon, 40 Prozent an Yukos Oil übernimmt.

Es ging also nie um Demokratie oder um Rechtsstaatlichkeit, die hier so jammernd beklagt wird, sondern ganz konkret um die Kontrolle von Erdölreserven. Also um wirtschaftliche Interessen. Und da sollten gerade deutsche Medien und deutsche Politiker einen Gang zurückschalten, wenn sie den Russen die Verletzung von Menschenrechten vorwerfen. In Deutschland gehört es doch inzwischen zum guten Ton, für wirtschaftliche Interessen sogar Kriege zu führen. Immerhin haben die Russen darauf verzichtet und vielleicht sogar verhindert, dass sich die Amerikaner mit russischen Oligarchen verbünden, um sich so den Zugriff auf wichtige Rohstoffe zu sichern.

Michail Chodorkowski glaubte daran, ein russischer Rockefeller zu werden, der mit viel Geld und Einfluss auch die politische Richtung hätte vogeben können. Aber das hat nicht geklappt. Ihn jetzt als Märtyrer oder Volkshelden zu stilisieren, ist nicht nur irgendwie komisch, sondern auch bitter, weil es zeigt, wie gestört oder beeinflussbar die Wahrnehmung der Menschen doch ist.

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Quellen:

Netstudien
AG Friedensforschung an der Uni Kassel

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