Realsatire im Bundestag

Geschrieben von: am 03. Dez 2010 um 15:50

Im Bundestag soll es heute heiß her gegangen sein. Die Reform des Hartz-IV-Gesetzes stand auf der Tagesordnung und Arbeitsministerin von der Leyen schritt gleich zweimal ans Rednerpult, nachdem die SPD überraschend ihren letzten Redner gegen Parteichef Sigmar Gabriel ausgetauscht hatte, der zum Rundumschlag ausholte. Das konnte sich die ehemalige Unions-Barbie und Zensursula natürlich nicht gefallen lassen und wechselte sich kurzerhand gegen den letzten Redner der Union noch einmal selbst ein.

Wütende Proteste hüben wie drüben. Auf Antrag der Linken wurde die Sitzung dann unterbrochen und später wieder fortgesetzt. Am Ergebnis hat der inszenierte Zoff natürlich nichts geändert. Hartz-IV bleibt Armut per Gesetz und zwar ganz unabhängig davon, ob die SPD ihren Mindestlohn bekommt oder nicht. Rot-Grün steckt in einer Glaubwürdigkeitsfalle, weil sie die Arbeitsmarktreformen buchstäblich zu verantworten haben und das immer noch toll finden. Union und FDP können der Opposition somit genüsslich die Beteiligung und das Versagen während ihrer eigenen Regierungszeit vorhalten und jeder kann dem spontan zustimmen.

Dass Union und FDP die Arbeitsmarktreformen von Schröder selber mitbeschlossen haben, als damals SPD und Grüne die Zustimmung im Bundesrat brauchten, ist nur eine Randnotiz, aber auch ein entscheidender Hinweis auf die Gegenwart, die unter veränderten Vorzeichen genauso schäbig abzulaufen droht wie damals. Jetzt brauchen Union und FDP halt die Zustimmung von der SPD oder nur von den Saarland-Grünen, um ihr Gesetz im Bundesrat zu verabschieden.

Gregor Gysi wies in seiner Rede darauf hin und betonte noch einmal die seltsame Rolle der Grünen mit Blick auf Hamburg und das Saarland sowie auf die Tatsache, dass die große Hartz-IV-Konsenssoßenvereinigung im deutschen Bundestag einmal mehr ein verfassungswidriges Gesetz beschließen wird.

Die neue Chefmathematikerin der Union Ursula von der Leyen wurde am Ende ihres zweiten Auftritts, bei dem sie schon eigenartige Schüttelsätze von sich gab, frenetisch gefeiert und mit minutenlangem Applaus bedacht. Das war im Prinzip der zweifelhafte Höhepunkt dieser geschmacklosen Show. Die Frage aber, warum man für die Rechnung fünf Euro mehr fast ein ganzes Jahr braucht und damit jene Frist, die das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber gesetzt hat, bis zum Schluss ausnutzen muss, bleibt weiterhin ein Rätsel.

Bei der Ablösung des kriminellen Vorstands der HSH-Nordbank, Dirk Jens Nonnenmacher, sind die Politiker offenbar bereit, zwei Millionen Euro Abfindung unter Vorbehalt zu zahlen.

Der Bankchef soll nach dem Willen der Eigentümer – vor allem Hamburg und Schleswig-Holstein – die zwei Millionen Euro nur unter Vorbehalt bekommen, wie die „Süddeutsche Zeitung“ weiter berichtete. Sie wollen vertraglich festlegen lassen, dass Nonnenmacher das Geld zurückzahlen müsse, falls er wegen Straftaten verurteilt werden sollte oder noch Sachverhalte bekannt würden, die eine fristlose Kündigung gerechtfertigt hätten.

Und wie soll die „vertragliche Festlegung“ dann heißen. Ausgliederungsvereinbarung? Und wieso sagt man nicht einfach, dass Nonnenmacher sein Vermögen zunächst aufbrauchen müsse, bevor der Steuerzahler, der schon seine Bank und sein Gehalt gerettet hat, ihm noch einen Abschiedsbonus hinterschiebt? Die Schnösel von der FDP meinen ja, dass man diese beiden Dinge, also Eingliederungsvereinbarung und Ausgliederungsvereinbarung nicht miteinander vergleichen könne.

Wenn aber Gabriel den Vergleich in seiner Rede gezogen und auf die Schieflage innerhalb der Gesellschaft hingewiesen und Vorschläge zur Abhilfe unterbreitet hätte, dann wäre ihm vielleicht auch die Zuschauertribüne applaudierend zur Seite gesprungen, obwohl die Besucher des Bundestags das eigentlich gar nicht dürfen.

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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Kommentare

  1. Gerd Westrup  Dezember 3, 2010

    Es ist einfach traurig, daß in diesem Land niemand den Arsch hochkriegt. Scheinbar ist alles eingelullt in Bild-Zeitung-Terror und Media-Markt-Müffelei. Die dümmsten Kälber…

    Ich bin jedenfalls dankbar für Ihre Mühe und Ihre Energie, diese Mißstände zu dokumentieren und darzustellen. Mir fehlt einfach die Kraft(ha, siehe oben).

  2. Teja552  Dezember 3, 2010

    Ich habe mir das heute Vormittag auch angetan, okay auf der einen Seite hat von der Lallen recht, Hartz IV haben nun mal SPD und Grüne auf den Weg gebracht und damit hält sie ihnen das auch zurecht vor, die eigene Unterstützung äh Zustimmung lässt man da schon mal gerne unter den Tisch fallen.
    Die SPD ist somit in ihrer eigenen Vergangenheit gefangen und um aus dieser wieder herauszukommen haben sie einfach bisher nichts oder eben zu wenig getan und somit haben CDU/CSU/FDP leichtes Spiel und können diesen ganzen H4-Mist noch schlechter machen und dennoch das Gegenteil behaupten, das es hier um Menschen und Menschlichkeit geht scheint niemand so richtig zu interessieren, erbärmlich diese ganze Schauspiel, sie sind nicht nur eine erbärmliche ReGIERung, nee sie sind eine ganz schlechte Laientruppe, als Schauspieler müssten sie verhungern!

  3. Careca  Dezember 3, 2010

    Ich habe inzwischen einen HArtz-IV-Empfänger privat unterstützt. Es hat mich schockiert, welche Dokumente und wie oft diese immer wieder eingefordert wurden, obwohl ich dachte bestimmte Oragnisationen wären imstande zusammen zu arbeiten (ARGE, Finanzamt, Familienkasse, Arbeitsamt). Nein, es war nicht so. Weil von dem Arbeitsamt keine Kopie des Ende der Arbeitslosikeit vorgelegt wurde, wurde das Arbeitslosengeld weiterhin in die Berechnung einbezogen. Eine Rückzahlung des Finanzamtes wurde verspätet gemeldet (aber offenbar noch rechtzeitig, bevor es das Finanzamt an die ARGE durchführte!), was erhebliche Verwerfungen für den Antragsteller erzeugte. Zudem zeigte sich, dass nur wenige ARGE-Beamte hinreichende Motivation für Arbeit mitbringen, um ihre Kunden zu bedienen. Beim Sperren von Gelder (die lebensnotwendig sind, um Miete etc zu zahlen) da sind die recht schnell. Aber was andere Dinge angeht, da haben die die Schnelligkeit nicht gepachtet.
    Und 5 Euro mehr sind pro Woche eines Monats drei Brötchen zusätzlich. Das ist eine Frechheit. Und was die neue Kinderfreundlichkeit von Hartz-IV angeht: Basis eines jeden Bescheides ist IMMER die Beurteilung des Sachbearbeiters, ob der Antragssteller kooperativ und proaktiv war. Ich hatte bereits Briefumschläge mit Dokumentenkopien gefüllt, was damit danach geschehen war, entzieht sich meiner Kenntnis, aber wenn dann ein Brief eintrudelt, der eine Sperrung damit begründet, dass eben jene Dokumentenkopien nicht vorlagen, dann ist der Wunsch zu einem Amokläufer zu werden, nicht so ferne. Und wer dann die Sicherheitsleute in jeder ARGE-Stelle an der Rezeption bemerkt hat, weiß, dass diese dort rumstehen, weil eben das Aggressionspotential vorhanden ist.
    Nüchtern betrachtet, ist der jährliche Arbeitsamt-Rechenschaftsbericht eine gnadenlose Bestätigung von dem, was ich jetzt geschrieben habe: „2/3“ der Widersprüche der Kunden (SGB-II-Klientel) sind auf menschliches Versagen bei der ARGE zurück zu führen. Und sei es nur, weil die die Grundregeln einfachster Berechnungen nicht zu beherrschen scheinen (oder weil die vielleicht liebend gerne Copy&Paste anwenden?).
    Das, was die CDU/CSU/FDP sagt, dass die Grünen und SPD an Hartz-IV Schuld sind, stimmt. Was von Grünen und SPD deren Legislaturperiode angefangen und überdauert hat, sind die Pfandflaschensammler. Aber das, was CDU/CSU/FDP jetzt zusammen legislativieren, ist eine solche bodenlose Frechheit, dass ich mir wünschte, die ganzen Zustimmer sollten mal ein halbes Jahr direkt auf Hartz-IV gesetzt werden. Ich wette, die werden keine Zeit mehr haben, dumm rumzulabern, die werden viel Zeit ihrer Freizeit damit verbringen, Dokumente zusammenzutragen und Briefe zu schreiben und auf den Fluren der ARGE zu versuchen, deren Sachbearbeiter zu erreichen. Oder nur die Entscheidungen der Sachbearbeiter annähernd nachzuvollziehen. SGB-II ist auf eine reine Demütigung der Inanspruchnehmer ausgerichtet (wesewegen es auch Menschen gibt, die erst gar nicht Hartz-IV beantragen wollen, um nicht in diese Demutsmühle zu geraten). Würde? Darum geht es nicht. Es geht nur darum, Geld zu sparen. Und die 2,5 Brötchen pro Woche mehr, die ernähren nicht Hartz-IV’ler sondern beruhigen Politikergewissen. Und die „neue Kinderfreundlichkeit“ ist in ihrer Absicht so dermaßen von den praktischen sozialen Gegebenheiten abgehoben, was beweist, dass viele Politiker von gesellschaftlichen Stigmatisierungen weder Ahnung haben noch wissen was die Basis der Marginalitätserlebenden ernsthaft bewegt. Aber nachher wieder über Bildungsferne oder Parallelgesellschaften wettern. Dieser niedere Populismus kommt immer gut.

  4. Careca  Dezember 3, 2010

    Ach ja, von all den Nullblickern im Bundestag und Strategen a la Gabriel: Gysi war der realitätsnahe.

  5. Ormuz  Dezember 3, 2010

    bleibt mal wieder nur der Gang vor Gericht – und das kann dauern….
    Es ist doch nur zum kotzen, daß die SPD und die Grünen den Arsch wieder nicht hoch gekreiegt und NEIN gesagt haben.
    Mindestlohn ? Was denn für einer – der polnische !?

    • Careca  Dezember 3, 2010

      Ab 01. Mai 2011 mit der Entsenderegelung: Danach gilt die Freizügigkeit für Arbeitnehmer in der EU. Ausnahmen für osteuropäischen Staaten sind lediglich für Bulgarien und Rumänien vorgesehen. Polen oder Tschechen können dann auch zu Dumpinglöhnen ohne Hürden in Deutschland arbeiten.

      • Ormuz  Dezember 4, 2010

        Sowas in der Art habe ich befürchtet :(

  6. madFox  Dezember 3, 2010

    Hallo,
    der Begriff „Realsatire“ ist treffend.

    „Die Frage aber, warum man für die Rechnung fünf Euro mehr fast ein ganzes Jahr braucht und damit jene Frist, die das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber gesetzt hat, bis zum Schluss ausnutzen muss, bleibt weiterhin ein Rätsel.“

    Meine Vermutung ist:
    Einfach Zeit ins Land gehen lassen, bis ein weiteres Urteil des Verfassungsgerichts gesprochen wird.
    Bis dahin kann man sich Ausgaben sparen.
    Rückwirkend wird mit Sicherheit kein Geld an die Hilfeempfänger gezahlt.

    Was careca beschreibt hat wahrscheinlich Methode.

    Mir drängt sich für die Machthaber zunehmend das Bild einer Würgeschlange auf:
    Sie drückt zu,
    wartet ab, bis du nachgibst,
    dann drückt sie weiter zu,
    du mußt Luft holen,
    sie drückt wieder zu,
    du …

    Und Tschüß