Kurzer Einwurf

Geschrieben von: am 07. Jan 2011 um 17:46

Aufgrund einer Familienfeier, die auch am Wochenende noch weitergehen wird, konnte ich gestern weder dem Westerwelle in Stuttgart zuhören, noch der Kommunisten-Sau zusehen, die die verspätet aufgeschreckte Scheindemokratie durchs Dorf getrieben hat. Aber lustig war’s als ich mir für einen kurzen Moment vorstellte, dass Gesine Lötzsch von der Linkspartei einen Rettungsschirm für Guido Westerwelle aufspannte. Brilliante Taktik. An irgend einer Stelle, soll der Westerwelle ja wieder davon gesprochen haben, dass das Land nicht in linke Hände fallen dürfe. Ich glaube es war gleich nach dem Absatz mit der neuen Forderung nach S T E U E R S E N K U N G E N. :>>

Zwar konnte die Rede über den Kommunismus, in der es aber gar nicht um den Kommunismus als solchen ging, sondern um eine sehr zutreffende Analyse der aktuellen Lage, den ARD-Deutschlandtrend nicht beeinflussen, aber gewohnt absurd war dieser Wahlforschungsmist von Jörg Schönenborn allemal. Das der selber nicht merkt, was für einen demoskopischen Unsinn er zusammenredet, ist bezeichnend für diese wache Mediendemokratie.

Mit Blick auf das FDP-Desaster heißt es einerseits.

74 Prozent machen die Tatsache verantwortlich, „dass die im Wahlkampf von der FDP versprochenen Steuersenkungen bisher ausgeblieben sind“.

Aha, aber unter der Prioritätenliste für 2011 steht:

Auf dem vorletzten Platz stehen die Steuersenkungen mit 26 Prozent.

Komisch oder? D.h. die Mehrheit der Befragten meint, dass die FDP an Zustimmung verloren habe, weil die versprochenen Steuersenkungen ausgeblieben sind, die man aber selber für gar nicht so wichtig hält. Und die gleiche Mehrheit, die an erster Stelle eine bessere Ausstattung für Schulen und Hochschulen und eine bessere Qualität in der Pflege alter und kranker Menschen wünscht, meint auch, dass die gegenwärtige wirtschaftliche Lage gut oder sehr gut sei.

Was läuft da nur schief? Gar nichts. Denn die Verwirrung ist perfekt. Und das war auch die Absicht.

Inzwischen redet ganz Deutschland über Westerwelle, dem schon mitleidiges und zum Teil aufbauendes Journalistengetue entgegenschlägt, und über den Kommunismus, der unsere XXL-Aufschwungsdemokratie gefährdet, obwohl bisher jede scheinbürgerliche Regierung mit ihren Gesetzen gegen die Verfassung nachweislich verstoßen hat.

Neulich hörte ich einen interessanten Gedanken, dass der Verfassungsbruch auch ein kalkulierter Akt kurzfristig denkender Finanzpolitik sein könnte. Frau von der Leyen hätte so zum Beispiel einplanen können, dass ihr Gesetz zu den Regelsätzen erneut vom Bundesverfassungsgericht kassiert werden würde. Das mache aber nichts, weil bis zu einem Urteil genug Zeit verstreichen würde, in der man den grundgesetzwidrigen Zustand als haushaltspolitischen Erfolg abfeiern könnte.

Eine Demokratie muss soetwas aushalten. Den Kommunismus verträgt sie freilich nicht. Das ist doch klar. Ein viel zu gefährliches Gedankengut. Geradezu verfassungsfeindlich. Es hätte nur noch gefehlt, wenn der CSU-Schreihalsbeauftragte Dobrindt gefordert hätte, die Linke als terroristische Vereinigung zu klassifizieren. Das hat er nicht, ich weiß. Er sprach zurückhaltend von der Wiedereinführung der flächendeckenden Beobachtung durch die Stasi den Verfassungsschutz und von einem Verbotsverfahren.

Die selbsternannten bürgerlichen Parteien wissen eben ganz genau, wie man Kurs hält, was richtig und gut für das Land ist. An dieser Stelle darf ich an Georg Schramm erinnern, der natürlich nicht tot ist, aber uns dennoch schrecklich fehlt.

Weil wir gerade bei 1933 waren, sollten wir uns in Erinnerung rufen, wie die deutsche Regierung damals auf die Weltwirtschaftskrise reagierte: mit dem Gesetz „zur Beseitigung von Not und Elend des Volkes“, verabschiedet am 24. März 1933, bekannt geworden als „Ermächtigungsgesetz“, das die demokratischen Rechte außer Kraft setzte. Das bürgerliche Lager, inklusive Adenauers Zentrum und dem liberalen Theodor Heuss, haben damals zugestimmt. Der Grund für diese Zustimmung ist rückblickend ungeheuerlich: Hitler hatte ihnen versprochen, die Funktion des Reichspräsidenten Grußaugust Hindenburg zu erhalten.

Quelle: Financial Crimes Deutschland

Und Grußaugust ist ein gutes Stichwort, als ich in diesem Zusammenhang vom „Marxisten-Blatt“ Junge Welt hörte, in dem der schrecklich gefährliche Text von Gesine Lötzsch abgedruckt wurde.

Vor über einem Jahr war es nämlich nur dieses angebliche Marxisten-Blatt, das durch eine journalistische Rechercheleistung den damaligen Grußaugust Horst Köhler der Lüge überführte, weil dieser im Zusammenhang mit einer Rede zum Festakt „20 Jahre Friedliche Revolution“ in Leipzig falsche Fakten als Wahrheit verkaufte. Er bezog sich dabei auf eine Studie, deren Autor selbst einräumte, für seine Angaben noch keine ausreichenden Belege zu haben. Damals wurde von der großen Welt auf die jüngere Welt eingedroschen, aber indirekt bestätigt, dass die Recherche der jungen Welt richtig war.

Und das beschreibt schön unser Problem. Es ist nicht Westerwelle oder der Kommunismus, sondern die Produktion von Öffentlichkeit. Sie geschieht inzwischen unter total verrückten Bedingungen und Personen, die sich noch immer als Journalisten bezeichnen. Man hat sich ja daran gewöhnt, dass die Distanz zum journalistischen Gegenstand nahezu verschwunden ist und die Berichtenden zunehmend als Enddarmbewohner (Urban Priol) derer auftreten, über die sie eigentlich berichten sollen. Dass nun auch die Themen immer absurder, wilder und mit erhöhter Schlagzahl durch den Raum schießen, ist kaum noch reflektierbar. Man hat gar nicht die Zeit, sich mit einer Obskurität zu beschäftigen, weil schon die nächste, aus dem Zusammenhang gerissene, Sau durchs Dorf getrieben wird.

Was also tun? Ignorieren? Was Westerwelle und den Kommunismus angeht sicherlich. Die beiden werden miteinander noch genug zu tun haben, da sollte man sich lieber raushalten. Aber das, was dahinter verschwindet, wie die heute bekannt gegebenen Umsätze im Einzelhandel für den Monat November sollte man doch diskutieren, weil wieder einmal deutlich wird, wie die Öffentlichkeit mit Jubelmeldungen zum Kaufverhalten an der Nase herumgeführt wird.

Im Vergleich zum Vormonat Oktober geht es wieder deutlich nach unten. Das statistische Bundesamt meldet unter irreführender Überschrift im Text versteckt:

Im Vergleich zum Oktober 2010 ist der Umsatz im November 2010 unter Berücksichtigung von Saison- und Kalendereffekten nominal um 1,9% und real um 2,4% gesunken.

Der Einzelhandel mit Lebensmitteln, Getränken und Tabakwaren setzte im November 2010 nominal 2,3% mehr und real 0,2% weniger um als im November 2009.

Seit dem Sommer fallen damit die Umsätze und das obwohl die Deutschen angeblich wieder mehr einkaufen und den Aufschwung XXL in Konsum umsetzen. Selbst die frohe Botschaft, dass über das Jahr gesehen mit einem Plus von 1,5 Prozent gerechnet werde, hieße ja, dass man den Verlust aus dem Krisenvorjahr nicht einmal wettmachen und die Erwartungen des Einzelhandelsverbandes, der schon mit einem Plus von zwei Prozent gerechnet hatte, nicht erfüllen könne. Aber lange Gesichter wird es auch dieses Mal nicht geben, weil keiner der Kaufrausch-Propheten in den Redaktionen darüber ähnlich groß berichten würde, wie über das Weihnachtsgeschäft. Stattdessen wird munter weitergelogen wie in Springers Märchen-Welt.

„Import-Rekord: Warum die Deutschen wieder kräftig Geld ausgeben“

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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