Dauerthema Gesundheitspolitik und ein Grundkurs zu den Arbeitskosten

Geschrieben von: am 07. Okt 2009 um 16:35

Nach der Schweinegrippe, die nun doch nicht zum gefährlichen Killervirus mutiert ist, nachdem die Pharmabranche offensichtlich genug Geld hat eintreiben können, konfrontiert man uns nun mit der Kostenexplosion in der Gesundheitspolitik, derer sich die neue Koalition in Berlin annehmen müsse. Dazu hört und liest man mal wieder allerhand Unsinn. Im Radio geben Korrespondenten völlig regungslos Vermutungen darüber ab, was mit Schwarz-Gelb wahrscheinlich kommen könnte. Auf NDR 2 hörte ich zum Beispiel einen redaktionellen Beobachter, der persönlich davon überzeugt sei, dass der Arbeitgeberbeitrag zur gesetzlichen Krankenversicherung aus Gründen der Wettbewerbsfähigkeit natürlich eingefroren bliebe und nur der Anteil steigen würde, den Arbeitnehmer aufzubringen hätten. Dann würde „vernünftigerweise“ auch darüber diskutiert, ob man die 1 Prozent-Regel bei Zusatzbeiträgen kappen könnte, damit auch höhere Zusatzbeiträge der Krankenkassen möglich werden. Über Leistungskürzungen spreche man natürlich auch. So sei es durchaus vorstellbar, den Zahnersatz komplett auszugliedern und auch andere Leistungen wie Krankengeld, die der Versicherte dann zusätzlich durch eine private Krankenversicherung absichern könnte und müsste.

Der ganze FDP-Katalog ohne mit der Wimper zu zucken, runtergebetet, habe ich da gedacht. Auch in der Neuen Presse Hannover gibt Christoph Slangen vom PR-Büro Slangen & Herholz seinen dummen Senf dazu.

„Für Schwarz-Gelb geht es um die Grundsatzfrage, wie Kostensteigerungen aufgefangen werden sollen: Wird die bereits durchlöcherte paritätische Finanzierung von Arbeitgebern und Arbeitnehmern weiter eingeschränkt? Da Union und FDP Wirtschaftswachstum als vorrangiges Ziel betrachten, ist es nur logisch und folgerichtig, den Arbeitgeberbeitrag einzufrieren. Die Entkoppelung von Gesundheits- und Lohnkosten würde den Firmen helfen.“

Ganz großer Bullshit. Die Höhe der Versicherungsbeiträge, die der Arbeitgeber abführen muss, hat auch betriebswirtschaftlich betrachtet, überhaupt keinen Einfluss auf dessen Einstellungsverhalten. Das ist in der betriebswirtschaftlichen Kostenrechnung nicht mal ein extra Posten. Versicherungsbeiträge fallen ganz selbstverständlich unter Lohnkosten. Wenn also ein Versicherungsbeitrag steigt oder sinkt, ändert das überhaupt nichts an der Höhe der Lohnkosten. Die Bruttolöhne ändern sich nämlich nicht, wenn die Beiträge zur Sozialversicherung steigen oder fallen. Dem „normalen“ Arbeitgeber ist es dann auch völlig wurscht, wie sich die Lohnkosten im Einzelnen zusammensetzen. Er hat nur ein natürliches Interesse an möglichst geringen Kosten. Durch eine Änderung bei Beiträgen kann er jedoch direkt nichts einsparen.

Folglich hat auch das Wirtschaftswachstum nichts mit den in den Löhnen enthaltenen Sozialversicherungsbeiträgen zu tun. Wer behauptet, die Senkung der sog. Lohnzusatzkosten führe zu einer Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit, ist ein blöder Spinner. Dass ausgerechnet die Arbeitgeberlobby und in ihrem Gefolge die Politiker-Lemminge immer wieder für eine Senkung dieser Phantom-Kosten eintreten, hat andere Gründe. Wer Sozialversicherungsbeiträge permanent kürzt, schafft damit die Grundlage für weniger Leistungen:

Weniger Sozialbeiträge bedeuten ganz konkret…

  • Weniger Rente
  • Weniger Arbeitslosengeld I
  • Weniger Krankengeld
  • Weniger Krankengeld bei Betreuung eines kranken Kindes
  • Weniger Übergangsgeld
  • Weniger Mutterschaftsgeld
  • Weniger Kurzarbeitergeld

Die bisherigen Senkungsorgien haben noch nie zu einem verifizierbaren Beschäftigungsaufbau beigetragen. Im Gegenteil: Mit jedem neuen Arbeitsmarktdesaster, infolge falscher Wirtschaftspolitik, nehmen die Hiobsbotschaften der Versicherungsträger zu. Dabei sind für das neuerliche 7,5 Mrd. Loch bei den gesetzlichen Krankenkassen nicht, wie immer wieder behauptet, die gestiegenen Ausgaben verantwortlich, bei denen man nun wieder ansetzen will. Jede Leistungskürzungswelle wurde unter dem Argument geführt, bei steigenden Kosten seien auch mehr Einsparmöglichkeiten zu erzielen. Das ist grober Unfug, wenn man sich die Gesamtausgaben für das Gesundheitswesen gemessen am BIP vor Augen führt. Seit Jahrzehnten schwanken die Ausgaben um die 10 Prozent, zuletzt sind sie sogar gesunken von 10,5 auf 10,4 Prozent. Demnach sind nicht die nominal gestiegenen Kosten dür die Löcher verantwortlich, sondern die dramatisch wegbrechenden Einnahmen, infolge hoher Arbeitslosigkeit, zunehmender Umwandlung von regulärer Beschäftigung in Teilzeitarbeit und unzureichenden Lohnerhöhungen. Der gleichzeitig betriebene Beitragsabsenkungsfetisch der verantwortlichen Bundesregierungen verschärft demnach die Lage.

Mit der Einführung des Gesundheitsfonds wurde die paritätische Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung schlussendlich aufgegeben und der Arbeitgeberbeitrag auf sieben Prozent eingefroren. Im Grunde müsste sich gerade die FDP darüber freuen, dass es mit Hilfe des Gesundheitsfonds nun möglich ist, Kostensteigerungen einseitig den Versicherten aufzuhalsen. Ziel der FDP ist es demnach nicht, den Fonds als solches abzuschaffen, sondern den Anreiz für private Zusatzversicherungen zu erhöhen. Und das geht nur über Leistungskürzungen. Beitragsgelder sollen künftig auf die Mühlen der privaten Versicherungswirtschaft umgelenkt werden. Das hat ja bei der Rente bereits prima funktioniert. Damit das auch klappt, bedarf es einer Dramatisierung des gesetzlichen Systems. Die FDP sähe künftige Steuergelder also lieber als Subvention in der privaten Versicherungsbranche als in den Bilanzen der gesetzlichen Kassen. So wird es kommen, ganz im Sinne der Parole – Privat vor Staat.

Dass dabei die Fakten aus dem Blick geraten oder gar gefälscht werden, ist nur allzu logisch. Im Gesundheitswesen begegnet uns zum Beispiel die aus der Rentendebatte bekannte Lüge über das demografische Problem. Die Überalterung wirke sich demnach auch auf die Kosten für Gesundheit aus. Auch das ist großer Unfug und dümmliche Meinungsmache. In der betriebswirtschaftlichen Rechnung des Gesundheitswesens verursacht jeder Mensch die meisten Kosten seines Lebens fast immer im letzten Jahr vor seinem Tod. Dabei spielt es keine Rolle wie alt der Mensch zum Zeitpunkt seines Todes ist. Man kann aber sagen, dass die medizinischen Aufwendungen und Anstrengungen bei Jüngeren intensiver und teurer ausfallen, als bei älteren Menschen.

Über das sehr wichtige Thema „versicherungsfremde Leistungen“ wird hingegen nicht gesprochen. Die schleichende Übertragung von sozialen Aufgaben auf die Krankenversicherung sollte aber auf die Tagesordnung kommen. Versicherungsfremde Leitungen bei Schwangerschaft, bei Mutterschaft sowie Mutterschaftsgeld, Kuren und Kosten für Haushaltshilfen sind ihrem Sinne nach eigentlich Aufgaben, die die Allgemeinheit und damit der Steuerzahler zu tragen hätte. Insgesamt geht es hierbei um ein Volumen von vier Milliarden Euro jährlich. Warum werden diese Leistungen zur Familienförderung nicht von der gesamten Gesellschaft getragen, anstatt sie der kleinen Gruppe von Beitragszahlern aufzubürden, aus der sich Besserverdienende dank Beitragsbemessungsgrenze verabschieden können?

Besteht das politische Versagen nicht eigentlich darin, ursprünglich gesellschaftliche Aufgaben in die Sozialversicherung ausgelagert zu haben, um sie dann bequemer unter dem Argument der „Kostenexplosion“ streichen zu können? Und wird das Lohnnebenkostentheater nicht deshalb immer wieder aufgeführt, um von einer falschen Wirtschaftspolitik abzulenken, die sich einseitig auf die Kapitalseite und die damit bereits stattgefundene Umverteilung von unten nach oben konzentriert? Und welche absurde Rolle spielt eigentlich der Honorarschreiber Christoph Slangen dabei?

Zu Beginn des Jahres (hier und hier) schrieb er über den Gesundheitsfonds und steigende Kosten noch widersprüchlich, dass man nun alle Sparpontenziale bei den Krankenkassen ausnutzen müsse, um das Finanzierungsproblem zu beseitigen. Ein paar Tage später bedauerte er dann, dass die wahrscheinlichen Sparmaßnahmen der Krankenkassen zu Lasten von Service und Qualität gehen würden. Heute nun schreibt er, dass die Kosten für mehr Wettbewerb und Freiheit in der Gesundheitsversorgung nicht zu stark auf dem Rücken der Versicherten abgeladen werden dürften.

„Die schöne neue Welt von mehr Wettbewerb und Freiheit für die Versicherten, mit der die Liberalen locken, darf nicht zu einer Überforderung der Versicherten führen. Darauf wird die Union achten müssen.“

Ich bin doch sehr irritiert über den inneren Kompass des Christoph Slangen. :??:

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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