Sinnlose Signale und welche, die wieder aufhorchen lassen

Geschrieben von: am 04. Mrz 2024 um 22:53

Im Setzen von Signalen ist dieses Land einsame spitze. Man führt keine Diskussionen mehr, sondern grenzt sich ab, fordert oder erwartet gar einen Bekenntniszwang. Dabei werden berechtigte Zweifel oder Fragen immer wieder beiseite gewischt und nicht als wertvoll im Sinne einer demokratischen Debattenkultur verstanden, sondern lediglich als Indiz für eine radikale Grundeinstellung, die mit allen Mitteln bekämpft werden muss. Das Ergebnis ist ein Stellungskrieg von Selbstgerechten mit den Waffen Heuchelei und Doppelmoral. Ein paar Beispiele:

  • Politiker und „Experten“, die sofort wussten, dass die Russen einen genozidalen Krieg in der Ukraine führen, empören sich nun darüber, wenn das immer mehr Leute über Israels Vorgehen in Gaza sagen
  • Russland muss den Krieg immer noch verlieren, obwohl die Position der Ukraine sich zunehmend verschlechtert, was die Weltöffentlichkeit bis auf Deutschland auch klar so sieht
  • Die Ukraine verteidigt die Demokratie gegen eine Autokratie, die Oppositionelle tötet, während in Belmarsh ein Journalist Opfer der politischen Justiz des Westens wird
  • Kein Erdgas aus Russland, dafür Erdgas über Umwege aus Russland
  • Demonstration gegen Rechtsextremismus, aber nicht gegen Militarismus und Kriegstreiberei
  • Festhalten an einer allgemeinen Impfpflicht, trotz fragwürdiger Wirksamkeit und vorhandenen, aber heruntergespielten Risiken
  • Massive Aufwertung von Long Covid, bei gleichzeitiger Abwertung des Post-Vac-Syndroms, obwohl beides ähnlich unspezifisch ist
  • Massive Kritik an Sparpolitik, aber unbedingte Befürwortung der Schuldenbremse

Zum Glück nimmt Deutschland und seine Debatten kaum noch jemand ernst. Das ganze Empörungstheater, die wirren Auftritte einer Außenministerin, die wohl glaubt, noch einmal Kanzlerkandidatin ihrer Partei werden zu können, das alles zielt ja nur nach innen. Und das immer unter der Annahme: die vollständige Verblödung der Massen ist möglich. Doch es gibt auch andere Signale, die genauso merkwürdig sind, aber dann doch wieder aufhorchen lassen, auch international. Und dazu gehören die aktuellen Ereignisse um eine Kriegsbeteiligung in der Ukraine und abgehörte Gespräche von Offizieren.

Strategie der Influencer

Als in der vergangenen Woche der französische Präsident nach einem Treffen in Paris erklärte, man dürfe die Entsendung von Bodentruppen nicht ausschließen, ist das Ergebnis nun eine klare Absage aller Verbündeten. Man wolle keinen Krieg mit Russland. Sogar die lächerlichen Falkendarsteller aus Deutschland, die sonst immer einen zu laschen Umgang mit dem Aggressor beklagen, machen klar, dass das gar keine Option ist und Truppen auch nie zur Debatte standen. Besonders lustig sind dann aber wieder die üblichen Influencer wie Roderich Kiesewetter. Der CDU-Verteidigungsexperte sieht das Ausschließen von Bodentruppen als strategischen Fehler des Kanzlers.

Macron mache es hingegen richtig. Keine roten Linien, um eine strategische Ambiguität, also Unklarheit herzustellen, um den Gegner zu verwirren. Kiesewetter betonte zugleich, dass sich die Frage nach Bodentruppen überhaupt nicht stelle. Also: Man wird natürlich keine Soldaten in Marsch setzen, muss dem Gegner aber etwas anderes signalisieren, damit der die wahren Absichten nicht durchschaut. Und da die Russen auch nur heimlich Generäle abhören, die nicht wissen, wie man eine sichere Leitung benutzt, kann der Oberst a.D. mit Bundestagsmandat und Social Media Zugang die scheinbar so listige Strategie auch ganz offen erklären.

Was der Influencer neben seiner eigenen Widersprüchlichkeit allerdings übersieht, ist die internationale Reaktion auf den Vorstoß Macrons. Die ist eindeutig ablehnend und eine strategische Ambiguität somit reines Wunschdenken. Erschwerend hinzu kommt die Tatsache, dass Macron seinen Vorstoß umgehend relativierte, als er merkte, dass so gar keiner mitzog.

Dümmliches Geplapper

Deutlich ist hingegen, dass sich der Westen in strategischen Fragen ziemlich uneinig ist, jedoch die Ukraine nicht nur mit Waffen, sondern auch mit dem dafür nötigen Personal unterstützt. Man muss sich klarmachen, die Absage gilt ja nur hinsichtlich kämpfender Bodentruppen. Die Beratung, Planung und Hilfe bei der Kriegsführung ist längst Realität und lässt sich auch nicht mehr leugnen, gerade von denen nicht, die immer die Auffassung vertreten haben, bei der militärischen Auseinandersetzung handele es sich nicht um einen Stellvertreterkrieg. Es ist einer, und er geht aus Sicht des Westens wohl gerade verloren, was wiederum die Fixierung auf ein Waffensystem erklärt, das mal wieder Wunder bewirken soll. Verbale Eskalation als Kompensation für das Ausbleiben einer Kriegswende. So könnte der Befund lauten.

Interessant ist auch, dass das nun aufgezeichnete Gespräch deutscher Offiziere bestätigt, was der Kanzler zuletzt behauptet hat. Dass zum Beispiel die Briten die Ukrainer direkt vor Ort unterstützen, obwohl die das gerade noch empört zurückgewiesen hatten.

Aus dem abgehörten Gespräch geht dann auch hervor, dass der Taurus Marschflugkörper ohne Beteiligung deutscher Soldaten eben nicht so schnell eingesetzt werden könnte. Das hatte der Kanzler ebenfalls behauptet, musste sich aber von Möchtegern-Falken, die offenbar bessere Erkenntnisse in Waffentechnik besitzen als die Generäle selbst, vorwerfen lassen, die Öffentlichkeit angelogen zu haben. Schließlich wüssten sogar die Südkoreaner, wie man die Dinger benutzt, so das gewohnt dümmliche Geplapper von parlamentarischen Hinterbänklern mit langen Haaren, die beim politischen Karrierebingo zu kurz gekommen sind.

Wer ist Koch und wer ist Kellner?

Noch abenteuerlicher ist es aber, wenn ein Kanzler im Prinzip erklärt, dass das, was die Briten in der Ukraine tun, die Deutschen nicht tun können, weil das ja eine Art von Kriegsbeteiligung wäre, die es schon immer auszuschließen galt. Damit deutet der Kanzler gleichzeitig an, dass die Briten bereits in den Krieg verwickelt seien und, so die Logik zu Ende gesponnen, Russland einen möglicherweise berechtigten Grund hätte, auf diese Intervention militärisch zu reagieren. Entsprechend verstimmt zeigt man sich nun in dem Land, das sich von der Aufgabe der EU-Mitgliedschaft unter anderem versprach, wieder zu einer großen Nation in Europa aufzusteigen. Vielleicht ist die Äußerung des Kanzlers daher auch nur ein Signal gewesen, allerdings nicht an einen Verbündeten, sondern an einen Konkurrenten.

Wer ist Koch und wer ist Kellner? Das fragen sich auch innerhalb der EU viele. Macron führt Scholz vor und der zwingt den Franzosen wiederum, den Quatsch mit der strategischen Ambiguität fallen zu lassen und zwar ganz bewusst, indem er etwas zurückweist, das ja nie gefordert worden war, wie Macron selbst, alle Staatschefs, auch die im Osten, und die NATO unisono beteuern. Es wäre ja einfach kein gutes Signal an die eigene Bevölkerung, sich bereitzumachen, die Söhne in den Krieg zu schicken. Lieber sollen die Ukrainer weiter für westliche Interessen sterben, was freilich die Seelen der zahlreichen Sofageneräle:Innen immer wieder schmerzt, weshalb das schlechte Gewissen mit Taurus oder whatever from Rheinmetal beruhigt werden muss. Aber diese Torheit scheint nun ohnehin vom Tisch.

Die Gefahr einer weiteren Eskalation des Krieges bleibt dennoch bestehen. Denn nach wie vor ist unklar, wie er denn beendet werden soll, wenn die westliche Strategie nicht aufgeht, sich eine starke Verhandlungsposition auf dem Schlachtfeld zu erkämpfen. Dass Deutschland und die Verbündeten natürlich trotzdem keine Kriegsparteien sind oder würden, erklärt am Ende des Tages dann die tagesschau. Offenbar besteht hier große Sorge, dass die Menschen nach all dem Signalisieren doch etwas Falsches denken könnten.


Bildnachweis: Screenshot, Kanzler kompakt, 28. Februar 2024

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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