Sanktionen wirken doch

Geschrieben von: am 21. Nov 2022 um 13:20

Seit gestern rollt der Ball bei der Fußball-Weltmeisterschaft in Katar. Doch Freude kommt nicht auf, wie vor allem jene Sender erklären, die trotzdem 214 Millionen Euro für die Übertragung ausgegeben haben. Und zwar an die schlimmen Heuchler von der Fifa, die man in Wirklichkeit nur wegen der Rechnung kritisierte. Und dann auch noch die erste Paarung Katar gegen Ecuador – am Totensonntag. Eine Partie, die zur deutschen Trostlosigkeit im November passt.

Denn hierzulande kann man es sich wegen drohender Gasmangellage zuhause nicht einmal vor dem Fernseher gemütlich machen. Dafür haben wir aber die wärmende Moral, gespeist aus etwas depperten Ritualen. Eine Regenbogenbinde der Nation, die schon keine mehr war, sollte am Mittwoch stolz aufs Feld geführt werden. Daraus wird jetzt aber nichts, weil die Fifa es verbot und diese Vorgabe mit der Androhung von Sanktionen bekräftigte. Gelbe Karte vor dem Anpfiff, das wäre lustig gewesen, Punktabzug im Nachgang, na das geht gar nicht. Man wird wohl alle brauchen. Die Argumente des Weltverbandes überzeugten daher und Mohammed bin Salman, Experte im Zerteilen von Menschen und Kunde bei uns, lacht neben Fifa-Boss Gianni Infantino auf der Ehrentribüne.

Vielleicht kann der Münchner Oberbürgermeister, Dieter Reiter, noch mal einen wohlfeilen Brief schreiben, wie vor über einem Jahr an die UEFA, als die den Vorschlag seines Stadtrates ablehnte, die Allianz-Arena zum EM-Spiel Deutschland gegen Ungarn in Regenbogenfarben zu tauchen. Eine solidarische Alternativaktion wie damals wird es am Mittwochnachmittag um 14 Uhr zum Auftaktspiel der DFB-Elf wohl aber nicht geben. Einige deutsche Stadien bunt anzustrahlen, ist keine gute Idee, da es trotz des Novembers, erstens immer noch helle Stunden am Tag gibt und zweitens vermutlich gegen die Energieeinsparverordnung des Bundeswirtschaftsministers verstoßen würde. Der fand die Vergabe der WM an Katar sowieso schon immer bekloppt und krümmte sich vermutlich nur deshalb aus Schmerzen vor dem Emir.

Nun ist die Empörung natürlich groß. Der DFB, wie auch andere Verbände knickten überraschend schnell ein, obwohl doch noch am Sonntag lautstark verkündet worden war, „Wir bleiben dabei, dass wir mit der Binde auflaufen“. „Machtkampf mit der Fifa, spitzt sich zu“, titelte daher die Sportschau. Mohammed bin Salman, immer noch Experte im Zerteilen von Menschen und Kunde bei uns, lachte da zusammen mit Fifa-Boss Gianni Infantino auf der Ehrentribüne noch viel mehr. Fifa-Sanktionen funktionieren eben und die sind natürlich kein Grund zur Abreise. Bayern München will ja schließlich auch künftig in der Wüste mit Manuel Neuer trainieren. Aber, und das ist die gute Nachricht: es bleibt immer noch reichlich Stoff für die Haushaltswoche des Bundestages. Da gibt es ordentlich was wegzukehren.

Vielleicht kann der Kanzler am Mittwoch zum Auftakt der Generaldebatte über sein Budget eine One Love-Binde als sichtbares Zeichen tragen und Annalena Baerbock, obwohl in der Redner[Pause]innen Liste vermutlich gar nicht vorgesehen, spontan das Wort ergreifen und ihre Geschichte über ein Land wiederholen, das hunderttausende Kilometer oder vielleicht auch mehr, von uns entfernt liegt. Und wenn dann die Ampel erklärt hat, wie man die Schuldenbremse trotz 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr, 200 Milliarden Euro Doppelwums und Steuerentlastungen für alle, auch die Reichen, einhält, sind sicher auch ein oder mehrere erschwingliche Biere im Beduinenzelt, Verzeihung, der Kantine des Bundestages erlaubt.

Denn: „Ein Zeichen, das man nur dann setzt, wenn man dadurch keinerlei Konsequenzen zu befürchten hat, ist kein Zeichen. #OneLoveBinde“, twittert Moderator und Teilzeitphilosoph Jochen Breyer.

Er wird jetzt vermutlich seine Stelle beim ZDF aufgeben und Fotograf von Robert Habeck werden.


Bildnachweis: Sergggio auf Pixabay

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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