Strategie des Aussitzens

Geschrieben von: am 03. Mrz 2021 um 12:25

Die Menschen verlieren die Geduld und werden misstrauischer, weil die Politik beim Pandemiemanagement versagt und nur noch zu einer überteuerten Simulation von Handlungsfähigkeit im Stande ist. Sie spüren, dass die Regierenden gar keine Lösungen und Perspektiven aufzeigen, sondern mit der ständigen Verlängerung des Lockdowns unter Zuhilfenahme von fadenscheinigen Argumenten schlicht nur Zeit erkaufen wollen. Früher nannte man das, ein Problem einfach aussitzen. Das nervt.

Diese Strategie des Aussitzens bewahrheitet sich immer mehr, wenn man die Entwürfe zu einem neuen Beschluss von Bundesregierung und Ministerpräsidenten zugrunde legt, über den ab heute Nachmittag verhandelt werden soll. Die angekündigten Öffnungsschritte entpuppen sich bei näherer Betrachtung als Alltagsverhinderungskonzept. Es wird so getan, als ließe man mehr zu, knüpft das aber gleichzeitig an unerfüllbare Bedingungen und führt ein nicht näher erläutertes Sicherheitsbedürfnis als Begründung an. Doch um Sicherheit geht es nicht, eher um Verachtung.

Noch immer traut man der Bevölkerung ein eigenverantwortliches Handeln nicht zu, das betrifft die Anwendung von Schnelltests, wie auch das Betreten von Geschäften, Restaurants oder Freizeiteinrichtungen. Am wenigsten Vertrauen hat die Kanzlerin, die zu Beginn des Jahres in ihrer Fraktion über einen Lockdown bis Ostern gesprochen haben soll. Diesem Ziel kommt sie Schritt für Schritt immer näher. So steht die beabsichtigte und grundsätzliche Verlängerung der Maßnahmen bis zum 28. März gar nicht zur Diskussion. Der auf vier Wochen veranschlagte sogenannte Wellenbrecherlockdown wird somit mindestens fünf Monate andauern. Ein Skandal, denn eine nachprüfbare Wirkung der Maßnahmen ist nicht feststellbar.

Im Gegenteil. Schwere Krankheitsverläufe und Sterbefälle hatten trotz aller Beschränkungen weiter zugenommen. Inzwischen gehen die Behandlungszahlen in den Krankenhäusern zurück. Die Infektionsdynamik ist aber immer noch weitgehend unbekannt. Die Behörden wissen schlicht nicht, wo die Ansteckungen stattfinden und klären das auch nicht auf. Sie wissen daher ebenfalls nicht, welche Gründe es für hohe oder niedrige Inzidenzwerte gibt. Daher bleibt aus ihrer Sicht die Verlängerung der Angststarre die einzige Option. Doch während die Deutschen sich weiter fürchten sollen, impfen andere Länder einen Großteil ihrer Bevölkerung oder lassen das Leben schrittweise auch bei einem viel höheren Infektionsgeschehen zu.

In Deutschland diskutieren die Regierungschefs der Länder und das BundekKanzleramt stattdessen über stabile, aber fragwürdige Inzidenzen, die Öffnungen erst erlauben, und Notbremsen, die beim Überschreiten von gewürfelten Grenzwerten alles wieder dicht machen. Mit Verlaub: das ist weder eine Strategie, noch eine Perspektive. Denn man braucht keine Virologen mehr, um zu begreifen, dass die Infektionen wieder zunehmen werden, ob nun irgendwas geöffnet wird oder nicht. Die Menschen beginnen mit dem Virus zu leben und passen sich an. Das erwarten sie auch von der Politik. Doch die antwortet derzeit mit noch detailverliebteren Vorschriften und verkauft diesen bürokratischen Quatsch als eine Planungsperspektive.

Dabei beginnt selbst der ein oder andere im heillos überforderten Regierungsapparat zu begreifen, dass man die Gegenwart des Virus nun einmal akzeptieren und Risikogruppen endlich besser schützen muss. Der Erreger scheint, und auch das war schon lange klar, über deutlich mehr Sitzfleisch zu verfügen, als so manch bräsiger Politiker Hintern. Übrigens sitzen in Berlin 709 gewählte Abgeordnete in einem aufgeblähten Parlament, das nur deshalb so groß ist, weil eine Reform des Wahlgesetzes wieder und wieder misslingt. Warum beteiligt man den Bundestag nicht endlich an der Entscheidung über Maßnahmen, die die Grundrechte immer länger einschränken oder an einer Überarbeitung der völlig verfehlten Impfstrategie, die mittlerweile dazu geführt hat, das Deutschland trotz weiterhin mangelnder Verfügbarkeit einen Überschuss an ungenutzten Dosen vorzuweisen hat?


Bildnachweis: Screenshot aus Liveübertragung der Pressekonferenz im Bundeskanzleramt vom 19. Januar 2021.

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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