Erwählte können nur Versagen

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Das Versagen war heute das bestimmende Thema des Tages. Wissen Sie, wie viele Abgeordnete des Bundestages der Kanzlerin ihre Stimme versagten. Die Meinungen gehen da weit auseinander. Die genaue Zahl der Abweichler schwankt von Medium zu Medium. Vielleicht bekommen wir das amtliche Endergebnis mit den Kommentaren von morgen serviert. Für die Versager und das Versagen im Amt findet sich hingegen kaum eine kritische Stimme. Es dominiert die Freude darüber, dass es nun endlich mit dem Regieren losgehen müsse. Auch diese Einschätzung weist auf ein Versagen hin.

Wie enttäuscht wohl die meisten sein werden, wenn sie herausfinden, dass sich die Regierungsarbeit kaum von der in den Koalitionsverhandlungen unterscheiden wird? Über das erste Thema, zu dem sich die wiedererwählte Bundeskanzlerin am Mittwoch im Bundestag erklären wird, ist außerdem gar nicht ernsthaft verhandelt worden. Merkel wird etwas zum Europäischen Rat in Brüssel vortragen, zu dem sie am Donnerstag aufbrechen wird. Egal ob mit der FDP oder mit der SPD an ihrer Seite, auf europäischer Ebene macht die Kanzlerin einfach so weiter wie bisher. Ihr Versagen wird einfach umgedeutet.

Der geplante Wettbewerbspakt soll weiter vorangetrieben werden. Die Staats- und Regierungschefs sollen sich auf ein deutsches Europa verpflichten und jedes Jahr neoliberale Reformen umsetzen, die von der EU-Kommission streng überwacht werden. Widerspruch von der SPD, die einmal forderte, dass die bisherige Krisenpolitik ein Ende haben und es auch so etwas wie einen Impuls für die wirtschaftliche Entwicklung geben müsse, sucht man vergebens. Deutet man das bereits vorab bekanntgewordene Abschlussdokument des noch stattfindenden Gipfels richtig, ist nicht weniger als eine Troika für alle das Ziel von Angela Merkel.

Kommt künftig ein Land in finanzielle Schwierigkeiten, muss es die Bedingungen der Kommission zunächst akzeptieren, um im Gegenzug Kredite und Hilfen zu erhalten. In diesem Szenario fällt den nationalen Parlamenten nur die Rolle von Beratern zu, deren Rat weder gebraucht noch an den Entscheidungen etwas ändern wird, die in Brüssel unter Ausschluss der gewählten Volksvertreter getroffen werden. Und wir regen uns über Putin auf, der der Ukraine billiges Gas und einen Rettungskredit ganz ohne Daumenschrauben in Aussicht stellt.

Merkel geht es natürlich bei ihrem Gerede um Wettbewerbsfähigkeit vor allem um Kontrolle, die sie mittels Schocktherapie in Europa erlangen will. Mit Demokratie hat das alles nichts mehr zu tun, obwohl die Bilder aus der Ukraine mit dem unverständlichen Boxer, der Präsident werden will, etwas anderes suggerieren. An der SPD geht das übrigens auch vorbei. Sie reiht sie wieder ein. Der neue Außenminister Steinmeier findet es empörend, wie Russland die Notlage der Ukraine ausnutze. Dabei sollte er sich über seine Kanzlerin empören, deren Ziel es ist, die Eurozone in den Würgegriff zu nehmen.

Kurz vor der Wahl forderte die SPD noch eine Entschuldigung von Angela Merkel für die Behauptung, die 150 Jahre alte Partei sei europapolitisch total unzuverlässig. Die Sozialdemokraten drohten gar ernsthafte Konsequenzen an und sprachen von zerstörten Brücken, die sie nun aber bereitwillig abstützen werden, während Merkel mit ihrem Panzer darüber rollt. Die Sozialdemokraten sind tatsächlich total unzuverlässig, aber nicht Merkel gegenüber, sondern den noch verbliebenen Wählern. Diese Totalversager werden auch weiterhin versagen, weil sie sich entgegen der Auffassung Brandts, auf den sie sich immer berufen, eben doch als Erwählte und nicht als Gewählte begreifen.

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Die Koalition der großen Coups

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Alle schreiben, das Gabriel und der SPD ein großer Coup gelungen sei. Trotz ihres Wahldebakels habe die Parteispitze ein aus SPD-Sicht gutes Verhandlungsergebnis erzielt, das auch die Basis überzeugen konnte. Bei der Vergabe der Ministerposten ernten die Spitzengenossen ebenfalls staunende Blicke. Die Union steht zu Beginn der 3. Großen Koalition als vermeintliche Verliererin da. Doch verlieren wird und kann auch nur die SPD.

Das Regieren unter Angela Merkel ist zu einem quälenden Prozess verkommen. Entscheidungen werden nicht getroffen, sondern so lange hinausgezögert, bis es nicht mehr anders geht. Warum sollte die SPD daran etwas ändern können, zumal die nächsten Wahlen ihre Schatten schon voraus werfen. Viele fragen, was die Union eigentlich aus ihrem Programm in den Koalitionsvertrag hat einbringen können. Die Antwort: Kaum etwas. Das ist aber keine Niederlage, sondern Absicht derer, die bloß so weitermachen wollen wie bisher. Der Union reicht Angela Merkel als unangreifbare Übermutti und ansonsten reicht es ihr, die SPD in ihrem Eifer auszubremsen.

Nicht nur Merkel, sondern auch Schäuble, der als Finanzminister über besondere Rechte in der Regierungsmannschaft verfügt, werden zu gegebener Zeit intervenieren. Die Vorboten treten bereits in Erscheinung. Die zu kurz gekommenen Jungpolitiker in der Union wie Mißfelder und Spahn kritisieren den Koalitionsvertrag ganz offen, obwohl sie ihn zum Teil selbst mit aushandelten. Über viele Dinge müsse im Verlauf der Legislaturperiode noch einmal gesprochen werden, so die Auffassung. Und das wird auch so geschehen mit Unterstützung der sogenannten Experten an ihrer Seite wie auch den Medien.

Glaube an den Weihnachtsmann

Die SPD hingegen glaubt fest an das Gegenteil und erweckt auch den Eindruck, sie könne in dieser Koalition politische Erfolge erringen. Die Sozialdemokraten scheinen immer noch nicht verstanden zu haben, wie politische Entscheidungen in diesem Land unter Merkel vorbereitet werden. Dabei hätten sie aus der beispiellosen Demontage ihres zunächst gefeierten Kandidaten Steinbrück etwas lernen können. Zu viel Lorbeeren und Bewunderung vom Gegner ist trügerisch. Dennoch nutzte die Parteispitze um Gabriel deren vergiftetes Lob erneut als Argument, um die eigenen Leute in einem aussichtslosen Kampf hinter sich zu scharren.

Politische Entscheidungen unter Merkel werden durch das öffentliche Klima bestimmt. Gerade beim Thema Rente ist der eisige Gegenwind schon deutlich zu spüren. Die Stimmungsmache läuft bereits in den Medien mit Begriffen wie „Wahlgeschenk“ oder „Wohltat“. Die SPD merkt das nicht, sondern sonnt sich noch im Lichte eines Koalitionsvertrages, der nicht das Papier wert sein wird, auf dem er geschrieben steht. Die Sozialdemokraten werden mit einer Union, die sich aufs Bremsen verständigt hat und die Medienmacht im Rücken weiß, um halbherzige sozialpolitische Korrekturen im Koalitionsausschuss ringen müssen, während die Opposition mit der Umsetzung eines viel besseren Pakets frohlockt.

Posten als Belohnung fürs Scheitern in Vergangenheit und Zukunft

Der erhoffte Glanz, von dem auch die Wähler Notiz nehmen würden, bleibt ein frommer Wunschtraum derer, die mit einem Pöstchen im großen Personalkarussell entlohnt worden sind. Union und SPD wollen insgesamt 33 Parlamentarische Staatssekretäre ernennen. Ein neuer Negativrekord. Hinzu kommen die beamteten Staatssekretäre wie der unsägliche Asmussen, der bei der EZB aufgrund seiner mittelmäßigen ökonomischen Fähigkeiten mehr oder weniger kaltgestellt, nun ausgerechnet ins Arbeitsministerium entsorgt werden muss (was genau dahinter steckt, hat Jens Berger etwas genauer analysiert).

Hinzu kommt noch das Bundestagspräsidium, das noch vor Abschluss der Koalitionsgespräche in einem Akt großer Einigkeit zwischen Union und SPD aufgestockt werden musste. Die Posse des Postengeschachers liefert aber die Chefin selbst. Auf ihrer Pressekonferenz kündigte Kanzlerin Angela Merkel eine neue Stelle in ihrer Machtzentrale an. Ein neuer Staatssekretär soll sich um die Belange der Geheimdienste kümmern. Und zwar wegen dem, was andere die NSA-Affäre nennen, sie aber lieber als Angelegenheit bezeichnen würde. Das ist Kanzlerinnen-Duktus und zu diesem passt dann auch Klaus-Dieter Fritsche, der offenbar als Entschädigung für die beim Postengeschacher arg zu kurz gekommene CSU befördert werden soll.

Bleibt eigentlich nur noch Ursula von der Leyen, die künftig das Verteidigungsressort leiten soll. Diese Personalentscheidung gilt als faustdicke Überraschung und als mehr oder weniger gelungener Coup der Kanzlerin. Was daran nun aber gelungen sein soll, erschließt sich wohl nur den Hauptstadtjournalisten. Auf die erste wirklich gute Frage von Günther Jauch (Verstehen sie etwas von Verteidigungspolitik?) antwortete die designierte Ministerin gestern mit einem sehr ausführlich vorgetragenen und bezeichnenden Nein.

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Kampagnen hüben wie drüben

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Ein Interview von Marietta Slomka mit SPD-Chef Sigmar Gabriel im ZDF heute journal sorgt für Aufregung. Beide lieferten sich gestern Abend ein Wortgefecht der besonderen Art. Slomka konfrontierte den SPD-Chef mit der Meinung des Leipziger Staatsrechtlers Christoph Degenhart, wonach der Mitgliederentscheid verfassungsrechtlich illegitim sei, weil dieser die Abgeordneten in der Ausübung ihres freien Mandats einschränken würde. Gabriel meint, alles Quatsch, findet aber nicht die richtigen Argumente. Dabei waren er und Slomka sich doch einig. Die SPD muss zustimmen.

Quelle: heute journal vom 28.11.2013

Statt sich auf eine Diskussion mit Slomka einzulassen, hätte Gabriel auf den Koalitionsvertrag verweisen können, den Frau Slomka offenbar auch nicht wirklich gelesen hat, indem aber die Einschränkung des freien Mandats von CDU, CSU und SPD festgeschrieben wurde. Ich darf mal zitieren (Seite 184):

Kooperation der Fraktionen

Im Bundestag und in allen von ihm beschickten Gremien stimmen die Koalitionsfraktionen einheitlich ab. Das gilt auch für Fragen, die nicht Gegenstand der vereinbarten Politik sind. Wechselnde Mehrheiten sind ausgeschlossen.

Entschuldigung, aber im Gegensatz dazu ist die popelige Mitgliederbefragung ein Witz. Die SPD hat sich mit ihrer staatstragenden Haltung mal wieder ins Abseits geschossen und zur Zielscheibe des Kampagnenjournalismus gemacht. Nun wundert sich die SPD-Parteiführung, die ja auch ein “Ja” bei den Mitgliedern erzwingen will, über die Angriffslust der Systemmedien. Immerhin besteht ein Risiko, falls die Mitglieder ablehnen und die SPD-Führung bzw. die Abgeordneten dem folgen müssten. Da werden schon mal schwere Geschütze aufgefahren, um die Entscheidung zu beeinflussen.

Die Kampagne hat mehrere Ebenen, derer sich auch die SPD-Führung bedient. Die SPD sei die Gewinnerin der Koalitionsverhandlungen ist eine davon. Demnach trage der Vertrag vor allem die Handschrift der Sozialdemokraten. Gabriel selbst bestätigte diesen Unsinn einmal mehr und zitierte ausgerechnet Herrn Lindner von der FDP. Das alles soll die Mitglieder beeindrucken und sie zur Zustimmung bewegen. Das zweite sind die möglichen Folgen, die bei einer Ablehnung des Vertrages durch die SPD-Mitglieder drohen würden. Ich hatte bereits darauf hingewiesen, dass einige der Meinung sind, das in diesem Fall eine Staatskrise über das Land hereinbräche.

Nun versuchen sie es mit der Verfassung und dem Recht auf die Ausübung des freien Mandats. Mit anderen Worten: Wenn die gewählten Volksvertreter der Meinung sind, dass die Koalition richtig sei, dürfen sie sich nicht durch einen Mitgliederentscheid davon abbringen lassen. Doch, wie oben schon erwähnt, müsste diese Regel auch für den Fraktionszwang gelten, der so im Grundgesetz ebenfalls nicht vorgesehen ist. Verfassungsrechtlich hat die Regierungschefin die Möglichkeit, mit Hilfe der Vertrauensfrage sich ihrer parlamentarischen Mehrheit zu versichern. Das wollen  Herr Gabriel von der SPD wie auch Frau Slomka vom ZDF der Frau Merkel von der CDU aber offenbar nicht zumuten.

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Déjà-vu

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Schwere Verhandlungen schweißen Schwarz-Gelb -Rot zusammen. Man kann da schon durcheinander kommen. Vor vier Jahren haben die Schwarzen und die Gelben ebenso freudig gescherzt wie heute die Schwarzen und die Roten. Sigmar Gabriel ist ein würdiger Nachfolger für Guido Westerwelle. Allerdings ist nicht abschließend geklärt worden, ob der Siggi nun auch den Horst duzen darf, aber das kann ja noch werden, bevor sie sich gegenseitig als Wildsäue und Gurkentruppe verunglimpfen.

Für die SPD-Mitglieder ist die Botschaft klar. Wer will, dass sich Horst und Siggi künftig duzen, muss mit Ja stimmen.

Damals wars

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Nach der Falschmeldung folgt die Fehleinschätzung

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Thorsten Denkler von der Süddeutschen Zeitung fordert die Genossen auf, dem Koalitionsvertrag zuzustimmen, weil man ihn aus inhaltlichen Gründen nicht ablehnen könne. Die Begründung ist ein Witz, weil auch Denkler sich nur von den hübschen Schachteln blenden lässt, anstatt eine kritische Würdigung des Inhalts vorzunehmen. Er spielt die Dinge lieber herunter. “Die kleinen Kompromisse mit der Union beziehen sich in diesem Fall allein auf technische Details. Nicht auf den Grundsatz”, schreibt er beispielsweise beim Thema Mindestlohn. Mit anderen Worten: Wenn Mindestlohn draufsteht, muss er auch drin sein.

Der Knaller ist aber, dass Denkler das “Klein-Klein”, wie er es dann doch am Ende nennt, dennoch nicht für ablehnungswürdig hält. Seiner Meinung nach hätte ein Nein der SPD-Basis auf der anderen Seite einen hohen Preis. Eine akute Staatskrise mit Neuwahlen wäre die Folge. Man kann auch maßlos übertreiben beim Wettrennen um den ersten Platz im Enddarm der geschäftsführenden Kanzlerin. Oder taumelte das Land etwa in den letzten Wochen nach der Wahl vor sich hin? Die Wahrheit ist doch, dass es zwischen der Regierung Merkel und der Geschäftsführerin Merkel keinen Unterschied gibt. Wenn überhaupt dauert die Staatskrise schon seit 2005 an, weil die Kanzlerin das regieren konsequent verweigert.

Gerade die Journaille, die ständig von klaren und stabilen Verhältnissen träumt, müsste Neuwahlen doch förmlich herbeisehnen, weil dann aus der Geschäftsführerin Merkel wieder eine Kanzlerin würde, die auf das Klein-Klein eines Koalitionsvertrages zumindest mit der SPD verzichten könnte. Es stimmt auch nicht, dass die SPD eine Führungskrise erst dann bekäme, wenn die Mitglieder den Koalitionsvertrag ablehnen. Die Krise ist längst da, weil die Wahl von jenem Personal verloren wurde, das auch schon die davor vergeigte. Trotzdem erheben diese Leute den Anspruch auf Regierungsämter, in denen sie aus Furcht vor der Basis aber erst einmal nicht erkannt werden wollen.

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Falschmeldungen am Morgen

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Pkw-Maut und flächendeckender Mindestlohn kommen. Das sind die Falschmeldungen des Morgens. Aber auf diese kommt es den künftigen Koalitionären an. Der erste Eindruck zählt und nicht der Blick ins Detail. Schließlich können alle Seiten mit der Einigung sehr gut leben und ihren Mitgliedern die Zustimmung empfehlen. Fakt ist aber, dass sich Union und SPD lediglich darauf geeinigt haben, in einem Koalitionsvertrag bestimmte Begrifflichkeiten festzuschreiben, die als Schlagworte rasch in Umlauf gebracht werden können.

Wie vorhergesagt, hat die SPD beim Mindestlohn nur eine Umetikettierung erreicht. Es wird Ausnahmen geben und eine Kommission, die nur eingerichtet wird, um den faulen Kompromiss über die Legislaturperiode hinweg fest und die Lohnuntergrenze möglichst niedrig zu halten. Der politische Basar ist den Koalitionären wichtiger als die Vernunft, die in der Lohnpolitik eine gesamtwirtschaftliche Funktion erkennen würde. Hätte sich die Vernunft durchgesetzt, gäbe es keine Kommission und keine Ausnahmen und schon gar nicht irgendwelche Übergangsfristen, sondern einen gesetzlichen Automatismus, der sich an der goldenen Lohnregel (Zielinflationsrate der EZB und Produktivitätsentwicklung) orientiert.

Beim Thema Pkw-Maut, es interessiert halt jeden, sind Bedingungen formuliert, die kaum zu erfüllen sind. Vielleicht fragt ja mal ein Journalist nachher bei der Vorstellung des finalen Entwurfes zum Koalitionsvertrag, wie es gelingen kann, Deutsche Fahrzeughalter nicht stärker zu belasten. Die Höhe der Kfz-Steuer reicht in vielen Fällen gar nicht aus, um sie mit einer Vignette zu verrechnen. Da wird dann Seehofer bestimmt noch eine Straßenbenutzungsprämie einführen müssen, um einen Ausgleich zu generieren.

Oder aber, es kommt ganz anders. Die Verhandlungen und der Regierungsstil Merkels haben doch gezeigt, das Entscheidungen eher auf die lange Bank geschoben werden und Formulierungen im Koalitionsvertrag nur grobe Richtschnüre sind, die man so und so interpretieren kann und die sich vor allem der jeweiligen Tagespolitik unterzuordnen haben. Was passiert denn, wenn die Wirtschaft im kommenden Jahr weiter einbricht und die Agenda-Befürworter, die schon längst ihre Zurückhaltung abgelegt haben, erneut das Lied der schmerzlichen Reformen anstimmen, die Deutschland angeblich schon einmal den Weg aus der Krise wiesen? Wenn erst wieder vom kranken Mann Europas geredet wird, ist auch der sogenannte Mindestlohn schnell wieder vom Tisch. Dafür reicht die Übergangszeit locker aus.

So dürfte es auch den Vereinbarungen bei der Rente ergehen. Die abschlagsfreie Rente mit 63 soll nur kommen und die Aufstockung von Geringverdienerrenten voraussichtlich erst im Jahr 2017 in Kraft treten. Demnach ist auch die Meldung, wonach man sich auf Verbesserungen bei der Rente geeinigt habe, im Lichte des genauen Wortlautes betrachtet, eher übertrieben. Wo viele solls stehen, entscheidet am Ende die Stimmung. Und die zu beeinflussen und in die richtigen Bahnen zu lenken, damit kennt sich das Spitzenpersonal aus, das vorsorglich noch nicht erkannt werden will.

Ergänzung: Die Wirklichkeit ist wahrscheinlich noch schlimmer wie die Einführung der Schuldenbremse beweist. Diese stand nämlich 2005 nicht im Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD und wurde dennoch kurz vor dem Ende der letzten Großen Koalition noch schnell ins Grundgesetz geschrieben.

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Die Woche der faulen Kompromisse beginnt

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Bei den Koalitionsverhandlungen in Berlin steht die Entscheidungswoche an. Bis zum 27. November soll der Vertrag zwischen Union und SPD stehen. Eigentlich sind es aber traurige Tage, an denen ein fauler Kompromiss nach dem anderen geschlossen werden wird wie zum Beispiel die feste aber unverbindliche Frauenquote. Manuela Schwesig, die vor dem Parteitag der SPD noch medienwirksam mit dem Abbruch der Verhandlungen drohte, spricht nun von einem wichtigen Signal für die Frauen und von einem großen Fortschritt in Sachen Gleichstellung. Brauchbare Ergebnisse sind das aber nicht.

Die Durchbrüche, die der Öffentlichkeit jetzt wahrscheinlich jeden Morgen aufs Butterbrot geträufelt werden, taugen vielleicht etwas für die ARD-Themenwoche Zum Glück, nicht aber für die Mitglieder der SPD, die über das Bündnis mit der Union abschließend entscheiden sollen. Beim ganz wichtigen Thema Mindestlohn droht die Union ebenfalls mit einem Kompromiss. Dabei ist allein schon die Vorstellung eines Vergleichs beim Mindestlohn abwegig. Entweder man ist dafür oder dagegen. Wenn eine Seite das Etikett für eine Schachtel liefert, in der die Überzeugung des anderen enthalten ist, nennt man das Etikettenschwindel. Und genau daran arbeiten Union und SPD.

Das großzügige Entgegenkommen der Union besteht nämlich darin, der SPD eine Lohnuntergrenze anzubieten, die erst 2016 kommen, von einer Kommission aus Arbeitgebern und Arbeitnehmern überwacht werden und nicht für alle Branchen und Regionen gelten soll, dafür aber offiziell gesetzlicher Mindestlohn genannt werden darf. Die Union will Übergangsfristen durchsetzen, um einen nach ihrer Auffassung drohenden Anstieg der Arbeitslosigkeit vor allem im Osten zu vermeiden. Damit räumt die Union beiläufig und dennoch ganz konkret ein, dass das angebliche Jobwunder auf einer Scheinbeschäftigung beruht, die ohne staatlich subventioniertes Lohndumping nicht funktionieren würde.

Nicht Flexibilität, sondern Teilhabe

Beide Verhandlungspartner verstehen Löhne nur als Kosten, die sich dem Dogma der Arbeitsmarktflexibilität unterzuordnen haben. Daher werden Union und SPD auch einen Kompromiss finden, wo eigentlich nur eine klare Entscheidung für den Mindestlohn angemessen ist. Würden die großen Koalitionäre, die sich wechselseitig finanz- und wirtschaftspolitische Kompetenz ins Stammbuch schreiben, endlich begreifen, dass nicht möglichst flexible Arbeitsmärkte, sondern die Teilhabe der Arbeitnehmer die Wachstumsentwicklung stabilisiert, wäre schon viel erreicht.

Wenn dann noch klar würde, dass die Arbeitslosigkeit gestiegen ist, obwohl die Zunahme der Reallöhne hinter der Produktivitätsentwicklung zurückgeblieben ist und im Süden Europas sogar das radikale Kürzen der Löhne zu einem massiven Anstieg der Arbeitslosigkeit geführt hat, wäre vielleicht auch mal Schluss mit dem Verbreiten des irrigen Glaubensbekenntnisses, wonach eine Lohnanpassung nach oben unweigerlich zu mehr Arbeitslosigkeit führe. Das Gegenteil ist richtig, wie jeder sehen kann, der Augen im Kopf hat.

Eine Phalanx deutscher Autobauer hält das aber nicht davon ab, vor dem Mindestlohn und überhaupt vor weitreichenden Zugeständnissen an die Arbeitnehmer zu warnen. So dürfe beispielsweise an den Regeln für die Leiharbeit nicht gerüttelt werden. Das sei hochgefährlich, meint etwa Daimler-Chef Zetsche. Die Flexibilität am Arbeitsmarkt müsse erhalten und Energie bezahlbar bleiben. Andernfalls, drohen die Manager, müsse die Produktion ins Ausland verlagert werden. Das zieht immer. Die CDU will die Bedenken der hohen Herren umgehend mit der SPD besprechen und beweist damit einmal mehr die eigene Erpressbarkeit.

Gerade bei der Leiharbeit werden die vier Automanager Dieter Zetsche (Daimler), Norbert Reithofer (BMW), Martin Winterkorn (VW) und Opel-Chef Karl-Thomas Neumann deutlich. Ohne die Leiharbeit sei ein wirtschaftliches Arbeiten kaum möglich, erklärt Reithofer. Zetsche meint sogar, dass man ohne Leih- und Zeitarbeit gar nicht mehr produzieren könnte. Richtiger wäre wohl, dass ohne Leiharbeiter und Werkverträgler Gehälter wie 14,5 Millionen Euro (Winterkorn), 8,2 Millionen Euro (Zetsche) und 6,6 Millionen Euro (Reithofer) nicht drin wären oder kostspielige Zukäufe und Fusionen, die hinterher mit hohen Verlusten wieder rückgängig gemacht werden müssen (siehe DaimlerChrysler Desaster).

Auch die unanständig hoch bezahlten Manager liefern nicht mehr ab als das Ergebnis einer Scheinbeschäftigung. Wenn der eine mit goldenem Handschlag geht, korrigiert sein Nachfolger dessen Unternehmenspolitik umgehend und zwar auf die immer gleiche Weise. Entlassungen und Lohnkürzungen. Vielleicht sollte an dieser Stelle über eine Beschneidung des Sozialstaates nachgedacht werden und eine Diskussion über die Begrenzung von Gehältern und Boni nach oben sowie höhere Steuern stattfinden. Das wäre tatsächlich mal eine Meldung, die man auch als Erfolg verkaufen könnte.

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Er steht da nur und kann nicht anders

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Da steht er nun und kann nicht anders. Sigmar Gabriel empfiehlt seiner Partei die Große Koalition. Er würde einen ausgeben, wenn in Prozent umgerechnet nur so viele Mitglieder den Koalitionsvertrag ablehnen würden wie ihn als Parteivorsitzenden. Gleichzeitig kann er seiner Basis aber nichts anbieten, denn die Verhandlungen mit der Union sind bisher ergebnislos verlaufen. Gabriels Dialektik besteht nun darin, einen Koalitionsvertrag mit SPD-Handschrift in Aussicht zu stellen und dafür bereits um Zustimmung zu werben. Gleichzeitig würde er einen Vertrag aber gar nicht erst vorlegen, wenn dieser nicht den Kriterien seiner Partei entspricht.

Das heißt, am Ende geht es bloß um hübsche aber inhaltsleere Schaufensterschachteln, wie Peer Steinbrück vor der Wahl und zugegebenermaßen treffend formulierte, als er das Programm der Union kritisierte. Natürlich wird es eine Schachtel mit der Aufschrift Mindestlohn geben und natürlich wird es auch eine Schachtel mit der Aufschrift doppelte Staatsbürgerschaft geben. Das wird die Union schon liefern, aber konkret geht es doch dann um Formulierungen, mit denen sowohl Union als auch SPD vor ihre Anhänger treten und sich das Bündnis absegnen lassen können.

Daher können beide Seiten, obwohl sie ihre Zustimmung zu einem Koalitionsvertrag gerade wieder öffentlich infrage stellen, auch von Verhandlungen sprechen, die sich auf der Zielgerade befänden und Ende November zu einem Abschluss gebracht werden sollen. Wer hier wen gemeinschaftlich für dumm verkauft, das sollte inzwischen klar sein. Machen Sie sich auf ein Feuerwerk der Durchbrüche gefasst, die weder zum Wohle der einen noch der anderen Partei vermeldet, sondern einzig und allein in Ihrem Sinne ausfallen werden. Merken Sie sich die Worte Volker Kauders: “Die großen Streitpunkte werden in den letzten zwei Verhandlungstagen entschieden.”

Das alles wäre viel einfacher, wenn es keine Mehrheit links von Frau Merkel gäbe. Diese aber sei nur eine Scheinmehrheit, die nach kurzer Zeit schon wieder zerbrechen würde, meinte Gabriel auf dem Parteitag, weshalb sie auch frühestens ab 2017 wahrgenommen werden dürfe. Es handelt sich also quasi um eine Mehrheit auf Zeit. Doch was unterscheidet diese Mehrheit auf Zeit von einem offen propagierten Bündnis auf Zeit mit der Union? Nun, für das Bündnis auf Zeit mit der Union spricht offenbar die Verlässlichkeit eines Vertrages mit den oben bereits erwähnten Schaufensterschachteln. Ein vorzeitiger Ausstieg wäre aus- und die Ablehnung des eigenen Wahlprogramms im Bundestag mit eingeschlossen.

Ein Bündnis mit Grünen und Linken scheitere zwar nicht an der Kanzlerwahl, so Gabriel, dafür aber an dem Hass einiger Linker gegenüber der SPD. Wenn überhaupt beruht das Verhältnis auf Gegenseitigkeit. Das nur zur Klarstellung. Im Kern spielt Gabriel mit seinen Spitzengenossen immer noch die gleiche Leier. Weil es auf der persönlichen Ebene nicht klappt, könne eine Zusammenarbeit nicht funktionieren. Doch wie passt dieses infantile Gehabe zum Pathos der Inhalte, um die sich bei den Sozialdemokraten doch alles drehe?

“Die Deutschen wollen, dass wir nicht im Interesse von Parteien handeln, sondern im Interesse der Menschen in unserem Land”, sagte Gabriel im Interview mit der ARD. Das trifft aber nur für Verhandlungen mit der Union zu, mit denen man sich im Interesse der Menschen offenbar viel besser versteht als mit den Linken, die zufällig das gleiche inhaltlich wollen, wie die SPD. Was wäre da wohl besser für die Menschen? Eine Große Koalition, die im Grunde nur eine Fortsetzung dessen ist, was seit ein paar Wochen Koalitionsverhandlungen genannt wird, nämlich über die Medien zum gegenseitigen Einlenken aufzurufen, um sich dann im Koalitionsausschuss auf einen windelweichen Kompromiss zu einigen? 

Oder sollte eine Regierung tatsächlich daran interessiert sein, möglichst schnell jenes Programm umzusetzen, dass man für absolut notwendig erachtet, auch wenn man sich persönlich nicht leiden kann? Sogar die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat wären zur Zeit so, dass man eine Politik im Interesse der Mehrheit der Menschen in diesem Land wagen könnte.

Quelle: Bundesrat

Doch Sigmar Gabriel steht da nur und kann nicht anders. Weil er es einfach nicht will.

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Die SPD und die 100 Prozent

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„Viele Wähler haben eben nicht für die SPD gestimmt. Da kann am Ende eines solchen Prozesses auch nicht 100 Prozent SPD rauskommen“, sagte Hannelore Kraft heute auf dem Parteitag der SPD in Leipzig und Gabriel so etwas Ähnliches. Aber mehr als Nichts sollte es doch schon sein. Nach derzeitigem Stand könnte die SPD allerdings mehr von ihrem Programm umsetzen, wenn sie in der Opposition bliebe. Ob die Delegierten aber auch wissen, dass eine SPD-Bundestagsfraktion in der Großen Koalition ihr eigenes Programm, ihre eigenen Inhalte, für die Frau Kraft und der heuchelnde Rest der Parteispitze angeblich so sehr kämpfen, offen ablehnen müssten, wenn die Linkspartei oder die Grünen es ihr servieren?

Neben all der leisen und selbstkritischen Töne bleibt doch immer noch die simple Arithmetik, die der Traumrealität entgegensteht. Was könnte die SPD schon mit der Union umsetzen, das sie nicht viel besser in einer Koalition unter eigener Führung verwirklichen könnte? Aber die ist für den Moment noch ausgeschlossen, obwohl es, wie wir seit heute wissen, nie an der SPD lag. Geredet habe man mit den Linken. Für die Zukunft gelten Bedingungen, und zwar eine stabile und verlässliche parlamentarische Mehrheit, ein finanzierbarer Koalitionsvertrag und eine „verantwortungsvolle Europa- und Außenpolitik im Rahmen unserer internationalen Verpflichtungen“.

Demnach reicht eine einfache Mehrheit nicht aus, und die Linke müsste, wie die SPD heute, im Rahmen verantwortungsvoller Außenpolitik, dem Kauf und Einsatz von weiteren Kampfdrohnen zustimmen, egal ob sie nun fliegen dürfen oder nicht oder wenn sie denn doch in der Luft sind nacheinander abstürzen. Aber das sind ja nur Kompromisse, die der staatspolitisch Verantwortliche eingehen müsse. Ziel der SPD sei es aber wirklich, versichert Frau Kraft, Verbesserungen für die Menschen zu erreichen. „Die Inhalte sind wichtig. Messt uns am Ende an den Inhalten“, rief sie mit gebrochener Stimme. Doch welche Inhalte sind noch übrig oder nicht bereits verwässert?

Die SPD dürfe nicht vergessen, dass 75 Prozent der Wähler nicht für die Sozialdemokraten gestimmt haben. Man könne deshalb auch nicht erwarten, dass in einem Koalitionsvertrag mit der Union zu 100 Prozent SPD-Forderungen erfüllt werden, sagte Kraft, wie oben bereits erwähnt. Richtig, die SPD ist von einer überwältigenden Mehrheit nicht gewählt worden. Keiner erwartet deshalb 100 Prozent SPD, aber doch in jedem Fall den Rücktritt der Personen, die das zweitschlechteste Ergebnis der Geschichte zu verantworten haben.

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Die SPD will in die Koalition

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Die SPD will die Koalition mit der Union um jeden Preis und keinen Politikwechsel. Diese Erkenntnis ist schon länger klar. Doch nun gibt es auch immer mehr Beispiele, die das belegen. Die PKW-Maut lehnt die SPD ja ab, aber die Koalitionsgespräche würde sie an dieser Frage auch nicht scheitern lassen. Heute Morgen antwortete der niedersächsische Verkehrsminister Olaf Lies im Interview mit NDR Info, dass nicht er der Typ sei, der mit dem Fuß aufstampfe. Es wäre nicht gut, noch mehr Seehofers in einer möglichen Koalition zu haben. Lies wolle in einer sachlichen Diskussion Seehofer überzeugen und keine Fronten aufbauen.

Natürlich nicht, denn die SPD will ja in die Koalition

Das zweite Beispiel ist die heutige Einigung bei den Rüstungsexporten. Das Zauberwort heißt Transparenz. Was für ein bahnbrechender Erfolg, der beinahe einem echten Politikwechsel gleichkommt. Der Bundessicherheitsrat soll seine Entscheidungen künftig “unverzüglich” dem Bundestag mitteilen. Das ist das Ergebnis, welches die Unterhändler Thomas de Maizière (CDU) und Frank-Walter Steinmeier (SPD) stolz verkündeten. Sie wissen also unter schwarz-rot künftig etwas eher bescheid, wenn die Bundesrepublik Waffen an Menschenrechtsverletzer und Diktatoren verkauft. War nicht mal ein Verbot von derartigen Lieferungen oder zumindest die parlamentarische Kontrolle solcher Geschäfte im Gespräch?

Sicher, aber die SPD will ja in die Koalition.

Das dritte Beispiel ist die doppelte Staatsbürgerschaft. Hier scheinen die Fronten total verhärtet. “Wir sind weit auseinander”, sagte Innenminister Friedrich nach den Gesprächen heute. Sein Gegenüber Thomas Oppermann von der SPD stellte fest: “Da geht überhaupt nichts mehr.” Und es geht doch etwas. Die Frage wird nämlich an die große Runde und schließlich an die Parteichefs weitergereicht. Ein Scheitern ist damit ausgeschlossen. Warum dann das Theater? Na ja es ist noch Zeit bis Weihnachten.

Und erst dann will die SPD in die Koalition.

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