Griechenland-Hilfe: Die Stunde der Volksverhetzer

Geschrieben von: am 27. Apr 2010 um 13:18

Die heutige Titelschlagzeile der Bild-Zeitung lautete ja:

„Warum zahlen wir den Griechen ihre Luxus-Renten?“

Und der Stammtisch reagiert prompt und fragt zurück, ja warum eigentlich, ohne zu gucken, worum es eigentlich geht und wer sich hinter diesem miesen Propagandastück verbirgt. Der PR-Stratege Oliver Santen, Ex-Allianz Sprecher, ist einer der Mitautoren und schreibt:

Deutsche Milliarden-Hilfe für die Griechen ist nur noch eine Frage von Tagen, sagt Kanzlerin Angela Merkel. Aber für Experten ist Griechenland ein Fass ohne Boden. Und viele fragen sich, warum sollen wir z.B. für das üppige Renten- und Pensionssystem der Griechen zahlen?

Wenn wir zahlen, zahlen wir nicht für Griechenlands Renten- und Pensionen, sondern für den Schuldendienst des griechischen Staates. Wir zahlen also für Herrn Ackermann zum Beispiel, der keinen so großen Gewinn vermelden könnte, wenn die griechischen Zinszahlungen für Kredite aus seinem Haus nicht sicher wären. Insgesamt 43 Mrd. Euro haben deutsche Banken den Griechen geliehen. Warum fragt Bild nicht, wie bekloppt eigentlich Herr Ackermann ist. Der hätte doch wissen müssen, mit wem er Geschäfte macht.

Lesen sie sich mal den Unsinn von Oliver Santen und Co. durch. Wie man versucht, in der Ausgestaltung des griechischen Rentensystems ein Schlaraffenland einerseits und einen Skandal andererseits zu konstruieren. Man fragt sich verwundert, warum Herr Santen und die Bild-Redaktion nicht schon längst die griechische Staatsbürgerschaft beantragt haben. Ein frühes Ausscheiden aus dem Arbeitsleben würde ich jedenfalls bei Oliver Santen sehr begrüßen.

Und wenn wir schon dabei sind, soll er den Wolfgang Clement gleich mitnehmen. Der hat nämlich zusammen mit Friedrich Merz ein neues und total überflüssiges Buch geschrieben, in dem er davon spricht, dass wir über unsere Verhältnisse gelebt hätten und dass das Reformieren jetzt intensiviert werden müsse. Dem Deutschlandfunk hat der ewige und rechthaberische Dummschätzer ein Interview gegeben. Wenn sie starke Nerven haben, müssen sie auch das lesen, um einen Überblick darüber zu erhalten, was derzeit in diesem Land an Hetze betrieben werden darf.

Clement verteidigt seine Hartz-Reformen und den Ausbau des Niedriglohnsektors unter seiner Fuchtel. Das sei richtig gewesen, weil die Menschen schließlich in Arbeit gekommen wären. Das er mit diesen, seiner Ansicht nach, „alternativlosen“ Reformen vor allem auch dazu beigetragen hat, die Entwicklung der deutschen Lohnstückkosten von der konstant steigenden Tendenz im Rest Europas nach unten hin abzukoppeln und damit einen entscheidenden Grund geschaffen hat, warum Griechenland und bald auch Portugal, Spanien, Italien und Irland im Wettbewerb nicht mehr mithalten können und konnten, bleibt ihm ebenso verborgen wie die Tatsache, dass er sich durch Wirtschaftsinteressen mit Pöstchen bei Adecco, RWE, DuMont Schauberg, INSM und Citibank korrumpieren ließ.

Seine Dummheit stellt sich dann auch in Passagen wie diesen heraus:

„Dass Märkte reguliert werden, ist eine Binsenweisheit. Das wissen wir in der sozialen Marktwirtschaft seit 100, jedenfalls seit 50 Jahren.“

Ja, ja, soziale Marktwirtschaft seit 100 Jahren. Da merkt man die Kompetenz Kompetenz, die er wohl bei seinem jüngsten Engagement in der Lobbyorganisation der Arbeitgeber, der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM), verinnerlicht hat. Der Mann ist eine Zumutung. Nicht nur, dass er in seiner gewohnt aggressiven Art, die Fragen des Redakteurs angreift und eine Beantwortung verweigert, er tut auch noch so, als hätten die Deutschen, er natürlich ausgenommen, über ihre Verhältnisse gelebt. Würde er die Entwicklung der Lohnstückkosten im europäischen Vergleich kennen, wüsste er, dass es genau andersherum ist. Die Deutschen, natürlich mit Ausnahme von ihm, haben unter ihren Verhältnissen gelebt und deshalb dazu beigetragen, dass so eine hohe Risikoverschuldung, wie die Griechenlands erst zu Stande kam.

Die Katastrophe ist allgegenwärtig, doch der Brandstifter Clement fordert eine Erhöhung der Dosis. Das kennt man ja. In meinen Augen hat Wolfgang Clement viel zu lange über seine geistigen Verhältnisse gelebt. Das kommt auch in folgender Antwort zum Ausdruck, als er nach der Regulierung der Finanzmärkte gefragt wurde.

„Darüber besteht ja allgemeine Klarheit, wie er reguliert werden soll. Leider kommen die Staaten nicht zueinander. Wir müssen natürlich verhindern, dass in Zukunft noch einmal eine Situation entsteht, in der Kreditinstitute, Geldinstitute so groß sind und weltweit so vernetzt sind, dass sie nicht mehr vom Markt genommen werden können, ohne Schaden für die ganze Welt anzurichten. To big to fail, das ist die, glaube ich, wichtigste Frage heute, die zu beantworten ist, aber es kommen viele hinzu. Unser Ratingsystem stimmt nicht, das Aufsichtssystem stimmt nicht, das hat sich ja alles in der Krise erwiesen, ist eigentlich auch unstrittig. Strittig ist aber zwischen den Regierungen, insbesondere zwischen den USA und Deutschland und Frankreich, wie das im Konkreten jetzt in Regulierungen umgesetzt werden soll, und da verlieren wir viel Zeit und es wird wieder spekuliert. Das Kasino ist längst wieder eröffnet, nur spielt es jetzt sogar mit öffentlichem Geld. Also es besteht höchste Zeit, daran etwas zu ändern. Das machen wir ja in unserem Buch auch deutlich.“

Von der allgemeinen Klarheit, wie reguliert werden soll, über das Eingeständnis, dass noch gar nichts geschehen sei, weil international unterschiedliche Meinungen dazu existieren bis hin zu einer Werbung für sein Buch, in dem nichts weiter steht, als dass wir über unsere Verhältnisse gelebt hätten und der Sozialstaat weiter zurückgebaut werden müsse, um dann mehr Geld auf die Mühlen der heilsbringenden privaten Versicherungswirtschaft umzuleiten. So als ob sich nicht gerade auch diese Branche ordentlich verzockt hätte. Wenn das das Angebot ist, sollten sie darauf verzichten und den geistigen Sondermüll des Ex-Superministers im Regal stehenlassen.

Übrigens ist vom G-20-Treffen der Finanzminister in Washington ein handfestes Ergebnis überliefert:

Quelle: taz

„Wir sind uns einig, die Anstrengungen zu verdoppeln, eine gemeinschaftliche und konsistente Herangehensweise für ein stabiles globales Finanzsystem zu entwickeln.“

Bis Ende diesen Jahres will man sich dann endlich auf gemeinsame Regeln für den Finanzmarkt einigen. Zu allen anderen Themen wie die Harmonisierung von Bilanzierungsvorschriften etwa, oder die Beaufsichtigung von Hedgefonds und Ratingagenturen oder die Kontrolle des außerbörslichen Wertpapierhandels besteht noch weiterer Beratungsbedarf.

Da hat sich die Reise doch wieder gelohnt. Bin ich der Einzige, der sich angesichts dieser traurigen Entwicklung die Vulkanasche zurückwünscht?

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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Kommentare

  1. Anton  April 29, 2010

    Bei diversen Veranstaltungen habe ich einige Funktionäre der SPD kennengelernt und gesehen, dass bis hinunter in die Ortvereine die Führung dieser Partei aus lauter kleinen Clements, Münteferings und dergleichen besteht.

    Da sage ich mir, es muss doch insgesamt etwas mit der deutschen Gesellschaft nicht stimmen, dass sie solche Charaktere in Machtpositionen bringt, dort hält und sehen will.

    Ich habe mich abgewendet, weil ich mich unter diesen Leuten nicht wiedergefunden und vertreten gesehen habe.

    So reagieren ja nicht wenige Menschen, wenn man die Zahl der Wahlbeteiligung sieht. Vielen Menschen bleibt ja nichts anderes übrig, wollen sie sich selbst treu bleiben, dann eben keiner Partei ihre Stimme zu geben und sich aus der deutschen Politik auszuklinken und nur für sich zu bleiben.

    Aber die Parteien, die nur noch eine Minderheit der Bevölkerung vertreten, die können mit dem gegenwärtigen Parteiensystem trotzdem dann über alle bestimmen. Und wenn die Wahlbeteiligung auch unter 20 Prozent sinkt.