Impfchaos sollen andere ausbaden

Geschrieben von: am 28. Mai 2021 um 7:49

Mit der Aufhebung der Priorisierung am 7. Juni, sollen sich auch alle Kinder im Alter von 12 bis 15 Jahren um einen Impftermin bemühen dürfen. Das haben Bund und Länder auf ihrem Impfgipfel beschlossen. Das Problem: Es gibt auch mit einer erwarteten Zulassung durch die EMA nicht mehr Impfstoff. Das bedeutet, dass sich der Ansturm auf die Arztpraxen weiter verstärken wird, mit Menschen, die sich nur deshalb impfen lassen wollen, damit sie ihre Freiheiten zurückbekommen. Das ist ein Skandal.

Der Beschluss des Impfgipfels ist damit kein Hoffnungsschimmer, sondern ein Brandbeschleuniger, der zu jeder Menge Frust und vielleicht auch krimineller Energie führen wird. Denn bei den niedergelassenen Ärzten dürften die Drähte in den kommenden Wochen und Monaten nicht mehr aufhören zu glühen. Eine hohe Nachfrage trifft auf ein knappes Angebot. Der Markt soll es wohl richten. Nicht auszuschließen, dass in Einzelfällen Status und gute Beziehungen sowie das nötige Kleingeld zum persönlichen Impferfolg beitragen.

Das ist aber nur ein Randszenario, das vergessen wurde, durchzuspielen. Viel wichtiger scheint doch zu sein, dass die Impfung gar nicht mehr als Schutz vor einer Krankheit wahrgenommen wird, sondern als Chance, sich von den Test-Schikanen des Alltags zu befreien. Denn die sollen ja, allem Anschein nach, beibehalten werden, da egal, wo die Meldeinzidenz auch landen wird, die Pandemie aus Regierungssicht einfach weitergeht. Über die Verlängerung der epidemischen Lage wird gerade verhandelt und ob die Bundesnotbremse Ende Juni tatsächlich ausläuft, ist ebenfalls offen.

Parallel wird auch der soziale Druck erhöht, sich einer Impfung nicht zu verweigern. Es gibt zwar keine Pflicht, wie man allenthalben betont, die ist aber auch gar nicht nötig. Lediglich im Schulbetrieb soll der Impfstatus keine Rolle spielen. Für den Rest des Alltags gilt das aber scheinbar nicht. Viele Dinge, die früher einfach machbar waren, werden in Zukunft für Ungeimpfte ohne einen Test nicht gehen. Die Kontaktregeln bleiben für sie strenger als für Geimpfte. Gerade junge Menschen beschäftigt das sehr und treibt sie zu einer Impfung, die gar nicht erforderlich ist.

„Ich bin kein Impfexperte“

Doch die Politik, die ständig betont, wie wichtig ihr der wissenschaftliche Rat ist, wischt die Bedenken der Ständigen Impfkommission (STIKO) einfach beiseite, ist sogar stellenweise empört über die Äußerungen, wie die Reaktionen aus Niedersachsen zeigen. Hier hat man sich aber schlicht verzettelt. Ministerpräsident Stephan Weil ist mit der Strategie seiner Kommunikationsberaterin Daniela Behrens, die in Hannover den Job der Gesundheitsministerin schwänzt, gescheitert.

Das Land bereitete einen Impffahrplan für Schüler vor und verlangte im Gegenzug mehr Impfstoff von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn. Den gibt es aber nicht, was in Berlin einfach wegmoderiert worden ist. Erklären muss das nun die Landesregierung, die offenbar glaubte, einen Bonuspunkt machen zu können, weil Spahn mal wieder etwas versprach, das er nicht halten konnte. Stattdessen mosert Stephan Weil gegen die Einschätzung von Impfexperten, die seinen Plan in gewisser Weise durchkreuzten, um dann einzuräumen, dass er ja selbst kein Impfexperte ist.

Am Ende moderiert auch er das Problem einfach weg und überlässt es den Eltern, die im vertraulichen Gespräch mit den Ärzten die Impfanliegen ihrer Kinder klären mögen. Das ist eine gigantische Blamage, zumal diese Landesregierung den Eindruck einer neuen Impfkampagne erweckte, deren Scheitern man elegant dem Bund in die Schuhe schieben wollte, um damit von den eigenen Pannen ein Stück weit ablenken zu können. Doch die Einschätzung der STIKO hilft hier tendenziell dem Bund und lässt die Länder wie ignorante Trottel dastehen, was sie allerdings auch sind.

Falsche Maßstäbe

Denn Aufgabe von Ministerpräsidenten und deren Fachministern ist es, alle relevanten Erkenntnisse zusammenzutragen und dann eine Abwägung vorzunehmen und diese nachvollziehbar zu begründen. In der aktuellen Wirklichkeit geht es aber nur noch um Schadensbegrenzung und den Versuch, andere noch schlechter dastehen zu lassen. Nun bringe halt die STIKO die Eltern in eine schwierige Lage, trötet die Alarmsirene Karl Lauterbach. Das ist wohl der letzte Versuch, die Schuld am grandios gescheiterten Pandemiemanagement aus dem politischen Raum hinaus zu delegieren.

Derweil sinken die Inzidenzen schneller, als die Anpassung der jeweiligen Regelwerke dauert. Vielerorts dürften sich angekündigte Stufenpläne bereits erledigt haben, bevor sie denn offiziell Rechtskraft erlangen. Bremsend wirken lediglich die politisch eingebauten Zeiträume von meist fünf Werktagen, innerhalb derer eine Entwicklung stabil verlaufen muss. Doch Stabilität ist bei einbrechenden Zahlen, die innerhalb der gesetzten Frist nicht nur einen, sondern bereits den zweiten Grenzwert unterschreiten, der eindeutig falsche Maßstab.

Wer jetzt noch mit Stufen- und Zeitplänen in einer Verordnung hantiert, gibt sich damit der Lächerlichkeit preis, zumal die bereits erfolgten Lockerungen keinerlei negative Auswirkungen auf das Infektionsgeschehen erkennen lassen. Hilflos wirkte daher auch der Versuch des Regierenden Bürgermeisters aus Berlin, die sinkende Inzidenz vor allem den Maßnahmen zuzuschreiben, um dann aber doch wieder davor zu warnen, sie aufzuheben. Offenbar will niemand vor den Bundestagswahlen einen finalen Shitstorm in den (a)sozialen Netzwerken riskieren.


Bildnachweis: Klaus Hausmann auf Pixabay

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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