Arbeitgeber wollen weiter triumphieren

Geschrieben von: am 23. Jul 2019 um 11:24

Da reibt man sich verwundert die Augen. Die Süddeutsche Zeitung bringt eine exklusive Sommerlochgeschichte über den Präsidenten des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, Rainer Dulger. Er droht der Gewerkschaft IG Metall mit einem Ende des Flächentarifvertrages. „Wenn alle Unternehmen die Tarifbindung verlassen, kann die Gewerkschaft zusehen, wie sie sich im Häuserkampf durchschlägt“, sagte Dulger in einem Interview. Warum aber Häuserkampf? Die Schlacht ist doch schon längst zugunsten der Arbeitgeber entschieden. Das zeigt gerade der jüngste Tarifabschluss, den Dulger als angeblich schmerzhaftes Beispiel hervorkramt.

Übertriebenes Gejammer

Das Gejammer der Unternehmen ist übertrieben. Sie prangern an, dass die Gewerkschaft andauernd höhere Löhne und mehr Freizeit für die Beschäftigen verlange. Ja was denn auch sonst? Das überfordere die Betriebe, die sich deshalb Stück für Stück aus dem Arbeitgeberverband verabschieden würden. Diese Geschichte hat Dulger bereits Anfang 2018 erzählt, zur Zeit des jüngsten Tarifabschlusses. Den führt der Verbandschef oder die Interviewer, man weiß es wohl erst hinter der Bezahlschranke genauer, auch an, um zu zeigen, unter welch harten Lohnbedingungen die Arbeitgeber zu leiden hätten. „Es war ein sehr, sehr hoher Abschluss, der bei uns zu Austritten geführt hat“, sagte Dulger. „Ich habe da wirklich Sorgen: sowohl, was die Tarifbindung der Betriebe, als auch die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie betrifft.“

Die IG Metall setzte 4,3 Prozent durch, heißt es in dem Teaser-Bericht, der nicht hinter der Bezahlschranke steht. Das klingt zunächst nach viel. Jedoch bleibt unerwähnt, dass der Tarifabschluss ein hochkompliziertes Gewirr aus intransparenten Vereinbarungen mit einer Reihe von Einmalzahlungen ist, der aber für ganze 27 Monate gilt. Auf ein Jahr gerechnet, kommt damit etwas anderes in der Lohntüte heraus, als plakativ angegeben. Unerwähnt bleibt auch, dass die Gewerkschaft mit 6 Prozent mehr Lohn damals in die Verhandlungen gegangen ist. Ist das Ergebnis nun immer noch schmerzhaft. Eindeutig ja, aber nicht für die Arbeitgeber, sondern für die Arbeitnehmer, die vermutlich trotz der Steigerung ihrer Tariflöhne kaum mit einer Zunahme ihrer realen Einkommen rechnen können. Gewonnen haben dagegen die Arbeitgeber. Sie haben über zwei Jahre lang Ruhe an der Streikfront für einen sehr moderaten Preis erstanden, der aber öffentlich als außerordentlich teuer verkauft und verstanden wird.

Nachwirkungen

Deshalb jammern die Arbeitgeber weiter über die Streikoptionen der Gewerkschaften und erwecken damit den Eindruck, nicht sie, sondern die Arbeitnehmer hätten eine überlegenere Position, die zudem um unfaire Mittel im Arbeitskampf ergänzt würde. „Das ist einfach zu viel für uns“, erfährt der Leser von Dulger hinter der Bezahlschranke der Süddeutschen Zeitung. Daher drohen die Arbeitgeber mit weiterer Tarifflucht. Das nutzt aber bei einer langen Laufzeit von Tarifverträgen nicht sonderlich viel. Denn so lange der Tarifvertrag gilt, gilt er, auch für Unternehmen, die aus dem Arbeitgeberverband austreten. Der Vertrag gilt sogar noch über sein reguläres Ende hinaus, solange kein neuer Tarifvertrag abgeschlossen worden ist. Nachwirkung nennt der Gesetzgeber das. Die Drohung mit der Tarifflucht ist daher zwar nicht gänzlich gegenstandslos, aber ein Häuserkampf, so wie Dulger es formuliert, ist es nun auch wieder nicht.

Beabsichtigt ist daher auch etwas ganz anderes. Die Arbeitgeber wollen mit der bekannten Drohung vor allem Angst bei den Beschäftigten erzeugen, um später Zugeständnisse bei der nächsten Tarifrunde leichter durchsetzen zu können. Sie bereiten also den nächsten Triumph über die Arbeitnehmer in der Zukunft vor, mit viel öffentlicher Empörung über angeblich zu schmerzhafte Tarifabschlüsse in der Vergangenheit. Und die Öffentlichkeit schluckt den Köder. Sie glaubt tatsächlich, dass die Arbeitnehmer in unverschämter Weise aus der Lohnpulle saufen. Dabei ist es genau umgekehrt. Die Gewinne der Unternehmen steigen. Sie sind mittlerweile zu Nettosparern geworden. Der Tarifabschluss der IG Metall hatte außerdem Symbolcharakter, vor allem was die lange Laufzeit betrifft. Andere Branchen zogen nach. Im öffentlichen Dienst kam am Ende ein Tarifvertrag mit einer Gesamtlänge von gar 30 Monaten heraus.

Große Einkommensungleichheit

In Wirklichkeit hinkt Deutschland bei der Lohnentwicklung aber weiterhin deutlich hinterher, was kürzlich auch der Internationale Währungsfonds (IWF) in seinem Deutschlandbericht bemängelte. „Während der Überschuss in den letzten zwei Jahrzehnten anschwoll und 2018 einen neuen Weltrekord von 260 Milliarden Euro erreichte, stagnierten die unteren und mittleren Einkommen, schreiben die IWF-Ökonomen. Lediglich die Top-Einkommen seien in Deutschland gestiegen. Die scheinbar hohen Lohnabschlüsse, die auch die Gewerkschaften immer wieder stolz aus Zwecken des Eigenmarketings vor sich her tragen, wobei das mit den längeren Laufzeiten nicht so prominent kommuniziert wird, täuschen allerdings darüber hinweg.

Die Drohung der Arbeitgeber, wegen angeblicher Härten aus der Tarifpartnerschaft aussteigen zu wollen, verdeckt zudem, dass die Tarifbindung in Deutschland bereits sehr schlecht ist und schlechter wird. Die Gewerkschaften verfügen dadurch schon jetzt im Arbeitskampf über immer weniger Macht. Hier ist dann auch die Politik gefragt. Sie kann die Tarifpartnerschaft stärken, indem sie erstens für ordentliche Abschlüsse im öffentlichen Dienst sorgt und zweitens geschlossene Tarifverträge für allgemeinverbindlich erklärt. Doch all das passiert nur unzureichend, wie der immer noch große Niedriglohnsektor beweist und der feste Glauben an die Sinnhaftigkeit von schwarzer Null, Schuldenbremse und Exportüberschüsse. Dieses Dogma herrscht leider auch in den Köpfen der meisten Medienmacher vor, die folglich das Arbeitgebermärchen von den viel zu hohen Lohnabschlüssen überzeugend finden.

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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Kommentare

  1. Gabriel  Juli 23, 2019

    siehe auch

    https://www.manager-magazin.de/unternehmen/artikel/das-maerchen-vom-fachkraeftemangel-a-1136647-2.html

    „Nehmen wir an, ich stelle mich morgen auf den Alexanderplatz und verkaufe dort Limonade. Die Limonade ist lecker, gern auch vegan oder bio und wird preisgünstig angeboten. Die Menschen kaufen meine Limo und ich verdiene sehr viel Geld. Nun ist das Herstellungsverfahren dieser Limonade recht kompliziert und ich alleine kann die Nachfrage nicht mehr befriedigen. Also stelle ich studierte Limonadenhersteller m/w ein und produziere in meinen Werken tausende Liter Limonade. Als guter Kaufmann überprüfe ich regelmäßig meinen Wirtschaftsplan und sehe, dass die studierten Limonadenhersteller m/w meinen Gewinn schmälern. Klar, ich verdiene immer noch sehr viel, aber es wurmt mich, dass ich so viel an diese Leute abgeben muss. In den Universtäten sehe ich außerdem, dass immer weniger junge Menschen studierte Limonadenhersteller m/w werden möchten, da der Studiengang sehr schwierig und lang ist.

    Gemeinsam mit meinem Team aus Werbeexperten und Arbeitsmarktforschern überlege ich mir, wie ich das Problem lösen

    kann. Dabei komme ich auf zwei großartige Ideen:

    1.) Ich unterstütze die Universitäten, die Jugendlichen und die Schulen bei der Ausbildung und investiere in den Markt, um auch in Zukunft gut ausgebildete Fachkräfte zu haben. Das kostet zwar Geld, zahlt sich aber auf lange Sicht aus, da ich qualifizierte Arbeitskräfte bekomme und sie an mein Unternehmen binde. Außerdem engagiere ich mich gesellschaftlich und unterstütze die Limo-Branche.

    2.) Ich entwickele Studien, halte Vorträge und klage gegenüber der Politik, dass wir in zehn Jahren niemanden mehr haben, der sich um das Limo-Geschäft kümmern kann. Ich prognostiziere mit zweifelhaften Daten, dass Deutschland in zehn Jahren mehr als 100.000 Limo-Fachkräfte fehlen. Ich rufe Kampagnen, Vereine und Maßnahmen ins Leben, die mich in meiner Meinung unterstützen. Um es nicht zu auffällig zu machen gebe ich diesen Vereinen Namen wie „Verband deutscher Limonadenhersteller“ oder „Verband der studierten Limonadenmacher“. Ein schöner Nebeneffekt: Je mehr Fachkräfte auf den Markt strömen, desto niedriger kann ich das Lohnniveau halten. Zusätzlich übe ich – dank meiner starken wirtschaftlichen Position – massiven Druck auf die Politik aus und drohe mit Arbeitsplatzverlegung ins Ausland, Kündigungswellen oder gleich der kompletten Aufgabe meines Geschäfts.

    Der wahre Fachkräftemangel

    Das Beispiel zeigt, wie leicht ein Fachkräftemangel konstruiert werden kann. Und dass es von verschiedenen Seiten ein großes Interesse daran gibt. In der Realität läuft dieser Kampf noch viel schmutziger und kalkulierter ab. Dies trifft nicht nur auf die Ingenieure zu, sondern auch auf viele andere Studienrichtungen. Das neueste Spielzeug der Wirtschaft sind die IT-Studiengänge.

    Wie eingangs erwähnt, gibt es durchaus auch einen realen Fachkräftemangel. Nur betrifft dieser meist nicht irgendwelche Studiengänge, sondern Berufe, die keine große Lobby hinter sich haben: Erzieher, Pflegekräfte, Maschinenbauer, Handwerker und viele mehr. Hier hat es die Politik versäumt zu reagieren. Gerade am Beispiel der Pflegebranche sieht man, wie verzweifelt die Lage ist.“

  2. der-5-minuten-blog  Juli 23, 2019

    KRIEGSFILM?

    Häuserkampf, Streikfront, Arbeitskampf und Schlacht klingt alles ziemlich martialisch. Dabei saßen Arbeitgeber und IG Metall die meiste Zeit bei Kaffee und Kuchen am Verhandlungstisch. Die Tagesschau berichtete übrigens ohne Bezahlschranke auch darüber :https://www.tagesschau.de/wirtschaft/ig-metall-157.html

  3. Dieter Gabriel  Juli 23, 2019

    Grandiose Analyse 2011 von Professor Richard Wolff

    https://www.youtube.com/watch?v=_cvQjqp2Q70

    „Das System hat keine Lösung“: US-Ökonom Richard Wolff über die Krise in den USA und Europa

  4. Petra  Juli 26, 2019

    Hallo,
    bitte informiere dich vorab über die Inhalte des Abschlusses und versuche diesen zu verstehen bevor du polemisch wirst. Die Erhöhung von 4,3% auf die Entgelte bzgl. der Laufzeit stimmen. Weiterhin wurden aber zusätzliche Sonderzahlungen von zusammengerechnet 40% eines Bruttomonatsentgeltes erstritten. Es ist also völliger Blödsinn (und ehrlicherweise schwach recherchiert) zu behaupten die 4,3% müssten auf 27 Monate runtergerechnet werden.

    Zu behaupten die Tarifverträge beinhalten intransparente Vereinbarungen ist toll. Aber eine Begründung zu deiner aufgestellten Behauptung fehlt da völlig.

    Die Kommentare derjenigen, die behaupten es wurde wurde bei Kaffee und Kuchen alles nebenbei verhandelt und erledigt, haben anscheinend nicht mitbekommen wieviele KollegInnen bundesweit für die Forderungen während 24h Warnstreiks vor die Tore gegangen sind.

    Bevor man im übrigen Allgemeinverbindlichkeitserklärungen fordert, sollte man lieber fordern, dass die Kollegen und Kolleginnen sich organsieren und sich für ihre Interessen einsetzen um diese durchzusetzen bevor es Vater Staat wieder tut. Man tut ja immer so, als wäre die Tarifflucht Schuld an allem. Aber mit organisierten KollegInnen bekommste so gut wie jeden Betrieb in die Tarifbindung. Allgemeinverbindlichkeitserklärung sind nur da sinnvoll, wo ein Kollektiv nicht zustande kommen kann (Montage, Bau usw. usf.).

    • André Tautenhahn  Juli 26, 2019

      Hallo Sie nicht Du,
      warum informieren Sie sich nicht über die Inhalte dieser Seite, bevor Sie lospoltern. Unter „Das Blog“ steht doch auch für Deppen sichtbar: „Anspruch dieses Blogs ist daher die Übersetzung der zur Gewohnheit gewordenen Herrschaftssprache mit Mitteln der Polemik.“ ;-)

      BTW: Zur Horrizonterweiterung empfehle die Einordnung des oben genannten Tarifabschlusses auf Makroskop hier, hier, hier und hier