Das Märchen von den Spitzenkandidaten

Geschrieben von: am 23. Jun 2019 um 14:32

Nun ist das Spitzenkandidatenmodell, auf das sich das Europaparlament verständigt hatte, auch offiziell beerdigt. Weder Manfred Weber noch Frans Timmermans werden EU-Kommissionspräsident. Die Staats- und Regierungschefs können sich auf keinen von beiden verständigen und auch das EU-Parlament bekommt keine Mehrheit für irgendwen oder irgendetwas organisiert. Doch die Idee eines Spitzenkandidaten war von vornherein zum Scheitern verurteilt. Man kann eben nicht einfach etwas erfinden und die Verträge der EU, die etwas völlig anderes regeln, unangetastet lassen.

In Brüssel ist alles wie immer. Um die Spitzenposten wird geschachert. Bei der Wahl des Kommissionspräsidenten triumphiert Macron über Merkel, so berichten es die Medien. Europa ist eben nicht die Antwort, könnte man in Abwandlung eines schlechten Wahlkampfslogans sagen. In Europa prallen vielmehr die nationalen Interessen ganz offen aufeinander. Bisher gaben die deutschen Oberlehrer stets den Ton an. Das hat sich mittlerweile geändert. Die Lame Duck Merkel hat mit Manfred Weber und Jens Weidmann, der für den Posten des EZB-Chefs gehandelt wird, ordentlich daneben gegriffen.

Weidmann Wendehals

Der Widerstand gegen beide wächst und das ist auch gut so. Weder Weber noch Weidmann haben etwas, dass man mit Sachverstand in Verbindung bringen könnte. Der Niederbayer ist ohnehin abgetaucht, weil er wohl weiß, dass er in Brüssel nichts mehr werden kann. Nun wittert aber Bundesbankchef Jens Weidmann seine Chance. Er macht den Wendehals und findet plötzlich die Anleihekäufe der EZB in Ordnung. Dabei hat Weidmann immer dagegen gewettert („süßes Gift für Regierungen„), das sei ja ganz schrecklich für die nationalen Zentralbanken und erst für die Steuerzahler. Weidmann war auch der einzige, der im EZB-Rat gegen das OMT-Programm gestimmt hat.

Das ist aber Schnee von gestern. Weidmann will schließlich Karriere machen. Und da muss man eben sagen, was die Leute, die man bislang als undisziplinierte Schuldenmacher beschimpft hat, hören wollen. Doch besser wird es auch jetzt mit Wendehals Weidmann nicht:

„Meine Argumentation war aber auch keine rechtliche, sondern mich hat die Sorge umgetrieben, dass die Geldpolitik ins Schlepptau der Fiskalpolitik geraten kann. Natürlich muss eine Notenbank im Fall der Fälle entschlossen handeln, vor dem Hintergrund ihrer Unabhängigkeit sollte aber kein Zweifel bestehen, dass sie sich damit im Rahmen ihres Mandats bewegt“, sagte Weidmann jetzt.

Er bleibt also im Grunde bei seiner absurden Behauptung, dass das Anleihekaufprogramm der EZB eine versteckte Staatsfinanzierung durch mehr Schulden erlaube und das für alle anderen irgendwie schädlich sei. Schließlich würden dadurch Verluste für die Zentralbanken entstehen, für die der Steuerzahler dann aufkommen müsse. Mit diesem Blödsinn hat der Bundesbankpräsident Weidmann die Medien hierzulande über die Jahre hinweg versorgt. Die haben übrigens artig Beifall geklatscht und ihm gehuldigt, dem vernünftigen Bundesbanker, der sich als weise Zentralbankstimme gegen die südeuropäische Verantwortungslosigkeit stemmte. In Wahrheit interessiert bis heute niemanden, was Weidmann zu sagen hat. Er gilt in Fachkreisen als „Inkarnation des arroganten deutschen „Übermenschen“, der mit seiner Ideologie andere Völker ins Unheil treibt.“

Gerade die deutschen Medien, die ihn immer hofierten und in den Himmel hoben, müssten sich eigentlich verwundert die Augen reiben und fragen, ob der Mann von allen guten Stabilitätsgeistern verlassen worden sei. Tun sie aber nicht, weil irgend ein Deutscher schließlich was werden muss in diesem kaputt gesparten Europa. Da spielen Inhalte schon längst keine Rolle mehr. Die Kanzlerin braucht einen Sieg über Frankreich. Noch schlimmer ist schließlich die Vorstellung, dass die „faulen“ und „unser Geld verschlingenden“ Südeuropäer einschließlich die Franzosen plötzlich den Ton in Europa angäben.

Statt Qualifikation: Immer Deutschland zu erst

So soll Merkel erbost darüber gewesen sein, dass sich die Fraktionschefs von Sozialdemokraten und Liberalen im Europäischen Parlament immerhin darauf verständigten, Manfred Weber auf gar keinen Fall zum Kommissionspräsidenten zu wählen. „Dann sind alle raus“, soll die Kanzlerin trotzig geraunt haben. Wenn das stimmt, ist ja nicht nur das Spitzenkandidatenmodell, an dem alle „Europäer“ so leidenschaftlich hingen, erbärmlich schnell zugrunde gegangen, sondern auch einmal mehr klargestellt worden, dass es auf fachliche Eignung bei der Besetzung der Spitzenposten überhaupt nicht ankommt.

Dabei sollten sowohl der EZB-Präsident als auch der Kommissionspräsident über ein Mindestmaß an ökonomischem Sachverstand verfügen. An vorderster Stelle steht aber leider etwas anderes. Jens Weidmann hat das übrigens selbst bestätigt. So wurde er kürzlich mit dem Satz zitiert: „Es wäre sicherlich schlecht, wenn der Eindruck entstünde, dass es bestimmte Nationalitäten gibt, die von der EZB-Präsidentschaft grundsätzlich ausgeschlossen sind.“ Wieso sollte das schlecht sein, wenn wir doch alle leidenschaftliche Europäer sind. Sollte da nicht die Eignung an erster Stelle stehen? Ganz sicher sollte keiner EZB-Präsident sein, der bislang die Entscheidungen des EZB-Rates als illegal bezeichnete.

Auch Manfred Weber will weiter Kommissionspräsident werden, weil er schließlich Spitzenkandidat war und daraus eine Legitimation für sich ableitet. Alles andere würde der „dringend notwendigen Demokratisierung der EU“ zuwiderlaufen, meint Weber. Ganz schlimm wäre es aus seiner Sicht daher auch, wenn die Entscheidungen in der EU wieder in die Hinterzimmer der Diplomaten wandern würden. Das klingt nach einem starken Argument, ist es aber nicht, wenn man weiß, wie in der EU-Kommission die Entscheidungen fallen. Über den einflussreichen Spitzenbeamten Martin Selmayr wird aber nur wenig diskutiert.

Der Generalsekretär der EU-Kommission, der unter skandalösen Umständen und ohne Beteiligung des Parlaments an seinen Top-Job gelangte, ist auch verantwortlich dafür, dass die mittlerweile vom EuGH abgelehnte deutsche Pkw-Maut von der Kommission überraschend gebilligt wurde. Manfred Weber und Martin Selmayr im Duett, das wäre der Albtraum unter den Albträumen. Zudem stimmt der Eindruck einfach nicht, dass die Deutschen bei der Besetzung der Posten seit längerer Zeit zu kurz gekommen wären. Mit diesem Mythos hat schon Eric Bonse im letzten Jahr aufgeräumt.

Deutsche führen die Europäische Investitionsbank, den Euro-Rettungsschirm, den Rechnungshof und das Sekretariat im Europaparlament, wo fast alle Fraktionen von Deutschen geführt werden.

Es ist höchste Zeit für weniger deutschen Einfluss in der Europäischen Union.

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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