Theater um keinen Unterschied

Geschrieben von: am 27. Feb 2017 um 13:20

Es ist Wahlkampf und ein neuer SPD Spitzenkandidat will Kanzler der Bundesrepublik Deutschland werden. Überall wo Martin Schulz auftritt, wiederholt er diesen Anspruch. Er möchte das mit einem Programm erreichen, das mehr soziale Gerechtigkeit verspricht und provoziert damit den Widerstand des politischen Gegners sowie von einigen Wirtschaftsverbänden, Lobbyisten und Teilen der Öffentlichkeit, die nun das große „Reformwerk“ der SPD, die Agenda 2010, bedroht sehen. Dabei hält auch die SPD weiterhin unbeirrt an dem neoliberalen Verarmungsprogramm fest.

An diesem Wochenende fühlten sich gleich mehrere Zeitgenossen bemüßigt, die Agenda 2010 zu verteidigen. Der Lobbyist der Arbeitgeber im Gewand des Wissenschaftlers, Michael Hüther, Kanzlerin Angela Merkel und auch das Spitzenduo der Grünen warfen sich für die Agenda 2010 ins Zeug. Sie griffen Martin Schulz für dessen halbgare Überlegungen an, so etwas wie Korrekturen vornehmen zu wollen. Für verlängertes Arbeitslosengeld I für Ältere etwa oder die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverträgen sowie eine Stabilisierung des Rentenniveaus will der SPD Kanzlerkandidat kämpfen.

So entstand der Eindruck, dass Martin Schulz tatsächlich etwas an der Agenda 2010 verändern wollte. Doch das will er gar nicht, wie eine Reihe prominenter SPD Politiker und die SPD Generalsekretärin Katarina Barley umgehend deutlich machten. „Keine Abkehr von der Agenda 2010“, stellte Barley gestern Abend bei Berlin Direkt noch einmal klar. Sie sprach von einem scheinbaren Widerspruch, der da konstruiert werde. Den Menschen gehe es ja eigentlich gut, sie hätten nur Sorgen, was ihre Zukunft anbetrifft. Damit sie sich wieder sicherer fühlten, müsse es halt Korrekturen geben. Eine Anpassung sozusagen, an veränderte Realitäten.

Das alte Glaubwürdigkeitsproblem

Und da ist es wieder das große Dilemma der SPD. Fehlende Glaubwürdigkeit. Mit dem Gerede von den Fehlern und Korrekturen will die Partei beruhigen und den „hart arbeitenden Menschen“ Hoffnung geben. Gleichzeitig hält sie an der durch die Agendapolitik verschärften Spaltung zwischen Arm und Reich fest oder blendet sie einfach aus. Dass Schröders Reformwerk richtig war, wiederholt die SPD seit Jahren ständig. Ebenso lange versucht sie in Wahlkämpfen eine soziale Rhetorik zu vermitteln, die im krassen Widerspruch dazu steht. Darauf angesprochen, reagieren Sozialdemokraten trotzig und übernehmen dann gern die neoliberalen Schlagworte von einst, um sich zu verteidigen.

So auch Barley wieder, die vom „Kranken Mann Europas“ und den „fünf Millionen Arbeitslosen“ sprach, um damit einen Handlungsdruck aufzuzeigen, der die Agenda 2010 rechtfertigen soll. Dabei wird selten danach gefragt oder darüber nachgedacht, was eigentlich dran war an den Schauergeschichten von einst, die interessierte Kreise lancierten. Es wird auch nicht danach gefragt, welche alternativen Politikkonzepte es hätte geben können, um die wirtschaftliche wie soziale Lage des Landes zu verbessern. Oder anders gefragt, war es überhaupt richtig und sinnvoll zu sagen: „Wir werden Leistungen des Staates kürzen, Eigenverantwortung fordern und mehr Eigenleistung von den Einzelnen abfordern müssen.“

Wieso musste die Sozialdemokratie eine neoliberale Agenda übernehmen, die sich klar gegen die Interessen der eigenen Wähler richtet? Es ist die Bewunderung für eine grundfalsche Politik, die nach wie vor das Denken von Sozialdemokraten bestimmt, weil sie entweder selbst an einen Erfolg derselben glauben oder es sich immer wieder von denen einreden lassen, die nicht SPD wählen. Dabei müsste es doch wehtun, ausgerechnet von Angela Merkel und ihren Parteifreunden, die mit sozialer Gerechtigkeit naturgemäß nicht viel am Hut haben, für eine Agendapolitik gelobt zu werden. Nein, die SPD ist auch noch stolz darauf. Ihr Spitzenkandidat meint sogar, Merkel betreibe im Kern eine sozialdemokratische Politik.

Schulz ist Merkel mit Maske

Das bedeutet ja, dass Schulz und die SPD eine inhaltliche Korrektur der vorherrschenden Politik gar nicht für sonderlich wichtig erachten. Schulz will bloß Kanzler sein und fortsetzen, was seiner Ansicht nach bereits jetzt schon gut funktioniert. Er setzt also nur darauf, dass der Wähler nach zwölf Jahren Merkel mal ein anderes Gesicht an der Spitze einer Großen Koalition sehen möchte. Diese Strategie ist ziemlich einfallslos und riskant. Denn sollte sich herumsprechen, dass Schulz nur eine Merkel mit Maske ist, könnte sich der Wähler fragen, wieso er eigentlich für die Kopie seine Stimme opfern sollte.

Der Politikwissenschaftler Christoph Butterwegge legt deshalb den Finger in die Wunde und fragt Martin Schulz in einem offenen Brief ganz konkret nach seinen Absichten: „Was nützt den Erwerbslosen die von Ihnen ins Gespräch gebrachte Verlängerung des Arbeitslosengeldes I für Ältere, wenn ein Viertel aller Neuzugänge überhaupt nicht in seinen Genuss kommt und die große Mehrheit der Erwerbslosen bloß noch das Arbeitslosengeld II bezieht?“ Und weiter:

Im Rahmen des „Hartz IV“ genannten Gesetzespaketes wurde mit der Arbeitslosenhilfe eine den Lebensstandard der Langzeiterwerbslosen noch halbwegs sichernde Lohnersatzleistung, die 53 bzw. (bei Vorhandensein unterhaltsberechtigter Kinder) 57 Prozent des letzten Nettoentgelts betrug, durch eine Lohnergänzungsleistung auf Fürsorgeniveau, das Arbeitslosengeld II, ersetzt. Dies war der mit Abstand schwerste Eingriff in das Arbeits- und Sozialrecht der Bundesrepublik. Dazu kann heute kaum schweigen, wer glaubwürdig für mehr Gerechtigkeit eintritt.

Die Antworten darauf stehen noch aus. Bislang gilt: „Keine Abkehr von der Agenda 2010!“ Darum meinen es die Genossen auch mit den Korrekturen nicht wirklich ernst, sonst würden sie eigene Mehrheiten im Bundestag auch einmal nutzen. Auf Nachfrage heißt es lächelnd, O-Ton Barley: „Es gehört zur Verlässlichkeit dazu, dass man sich die Treue hält.“ Das heißt, die „hart arbeitenden Menschen“, die wieder treu zur SPD halten und im Herbst für sie stimmen sollen, müssen sich hinter der Union anstellen und warten, bis irgendwann vielleicht einmal ein Gesetz für sie zustande kommt. Wie der Mindestlohn zum Beispiel, der bereits nach etwas mehr als zehn Jahren Agenda 2010 das Licht der Welt erblickte, nur leider nicht wirklich armutsfest und damit auch nicht gerecht ist. Aber vielleicht schafft es die SPD zusammen mit Union ja in den nächsten zehn Jahren harter Koalitionsarbeit, das zu korrigieren.

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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Kommentare

  1. Tim Buktu  Februar 27, 2017

    Das kann doch der Maddin nicht jetzt schon machen nur weil es jetzt dafür eine Mehrheit gibt. Was soll er denn dann in seiner Regierungszeit (in welcher Koalition auch immer) tun wenn er das ganze Pulver schon jetzt verschießt. So wie Frau Barley von gefühlter Sicherheit spricht, kann man doch dem Wahlvolk einen gefühlten Kampf inzenieren.

  2. h.schaefer  Februar 27, 2017

    danke für den kommentar

  3. m.müller  März 1, 2017

    Dabei hält auch die SPD weiterhin unbeirrt an dem neoliberalen Verarmungsprogramm fest.

    Die karnevalistische Frohnatur Schulz ist für mich eher ein Blender. Schulz ist „Elite“ und simuliert nur Volksnähe, daß haben aber anscheinend viele noch nicht realisiert. Er wirkt, daß muss man ihm zugestehen, wie ein Prediger, der heilbringende Messias der Enterbten, der einsame Streiter für die „soziale Gerechtigkeit“, die ja gerade von den rotlackierten Neoliberalen“(Wölfe im Schafsfell) zerstört wurde !

    Man sollte auch immer die Personen im Auge behalten, die hinter Schulz stehen ! Es sind die neoliberalen Tarnkappenbomber Nahles, Steinmeier, der Opportunist Oppermann und der neoliberale „Seeheimer Kreis“, alles knallharte marktradikale AGENDA 2010 Befürworter, die einen Teufel tun werden von dieser neoliberalen Politik nur einen Deut abzuweichen !

    Man kann eben nicht einen Politikwechsel herbeiführen mit dem Austausch von nur einer Personalie !