Hart aber Fair vom 16.09.2009 – Thema: Geschmierte Ärzte, Patienten zweiter Klasse – wie krank ist das Gesundheitssystem?

Geschrieben von: am 17. Sep 2009 um 12:15

Die gestrige Hart aber Fair Sendung im Ersten würde ich ausnahmsweise mal empfehlen. In der Sendung können sie einen sehr schönen Einblick bekommen, wie unser Gesundheitssystem zwischen politischen Entscheidungen, die von der Ideologie des Wettbewerbs getragen sind und der medizinischen Praxis zerrieben werden. Da beklagen sich die Ärzte über die Politik, die ihnen das privatwirtschaftliche Wettbewerbsmodell aufgenötigt habe und die Politiker schimpfen mit erhobenem moralischen Zeigefinger auf jene Ärzte, die eine Gewinnmaximierungspraxis auf Kosten der Gesundheitsvorsorge betreiben, die vom Gesetzgeber so nicht gewollt wurde.

Und dazwischen saß Daniel Bahr, gesundheitspolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, der sich als cleverer Hütchenspieler präsentierte. Natürlich wurden seine Mitgliedschaften im Beirat der ERGO Versicherungsgruppe und des privaten Versorungsunternehmen DUK.e.V. nicht erwähnt, jedoch erfreulicherweise der Aufsichtsratposten von Karl Lauterbach bei der privaten und börsennotierten Krankenhauskette Rhön-Klinikum AG. Frank-Ulrich Montgomery brachte diese Tatsache an, verzichtete aber gleichzeitig darauf, Daniel Bahrs Verflechtungen mit der Finanz- und Versicherungswirtschaft offenzulegen. Stattdessen warb Montgomery für Schwarz-Gelb, da dann eine bessere Gesundheitspolitik Einzug hielte. Übrigens hat Daniel Bahr vor kurzem noch die Abschaffung der gesetzlichen Krankenversicherung gefordert und vorgeschlagen, dass sich jeder Bürger zwangsweise bei einem privaten Anbieter versichern solle.

Sei’s drumm. Der eigentliche Glücksgriff der Sendung und damit für den Zuschauer war Dr. Werner Bartens von der Süddeutschen Zeitung, der mit einigen Vorurteilen aufräumen konnte und sehr schön beschrieb, welche Probleme die Ökonomisierung der Medizin mit sich bringt. Besonders toll fand ich die Antwort auf Daniel Bahrs leistungsgerechtes Entlohnungssystem. Bartens zog dem FDP-Trickser somit die Hosen runter, indem er danach fragte, wie man denn die Leistung eines Arztes überhaupt messen soll.

Die Sendung gibt es unter folgendem Link zum Nachschauen.

http://www.wdr.de/themen/global/webmedia/webtv/getwebtv.phtml?p=4&b=237

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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Kommentare

  1. Grilleau  September 17, 2009

    Super, danke Dir für den Hinweis ;-)

    Mit bestem Gruß: Grilleau

  2. Anonymous  September 17, 2009

    Ich habe die Sendung gesehen.

    Das Thema hatte irgendwas mit „Patient“ zu tun, jedenfalls habe ich dieses Wort zu Beginn der Sendung gehört. Erwartungsgemäß wurde von Seiten der Gäste nicht auf den Patienten als solchen eingegangen.

    Mir wurde beim offen zur Schau getragenen Lobbyismus der Herren Montgomery, Bahr und Lauterbach schon nach wenigen Minuten schlecht.

    Vielleicht treffe ich den Daniel Bahr morgen auf einer offenen Veranstaltung. Das kann ja heiter werden…

    Beste Grüße goodtime118

  3. Wennschondennschon  September 18, 2009

    Kann man wohl auch anders sehen.

    Zum einen ist es mitnichten so, dass die Kassenärzte in einem wirklich marktwirtschaftlichen Umfeld arbeiten. Dank der nach wie vor streng gekappten Honorarmengen, individuellen „Regelleistungsvolumina“ (anderes Wort für Plansoll) und der – möglichst nie thematisierten – Flatrate-Mentalität vieler Patienten findet das Hauptargument, das es auf der Welt für die Marktwirtschaft gibt, der Leistungswettbewerb, im Grunde nicht statt: Menge – und zunehmend auch Inhalt – der Leistungen sind politisch vorgegeben. Der Arzt, der aus medizinischen Erwägungen, aus Angst um seinen Patientenstamm oder einfach, um einem Kunstfehlerprozess zu entgehen, mehr leistet als vorgesehen, tut das auf eigene Kosten. Man kann viel über das Leiden auf hohem Niveau der Mediziner lästern, aber diese Anreizsituation hat nichts mit der absoluten Höhe der Honorierung zu tun, ist so politisch von Allen außer der FDP gewollt, und sie ist krank.

    Zum Zweiten mag Bartens vielleicht mit ein paar Vorurteilen aufgeräumt haben, er hat das aber leider durch Ersatz dieser Vorurteile mit ganz neuen Vorurteilen getan. Ich bin kein Mediziner, kenne aber die Welt der niedergelassenen Ärzte gut genug, um sagen zu können, dass ausnahmslos JEDE pauschale Beschreibung des Geisteszustands dieser ungemein heterogenen Gruppe nur auf eine kleine Minderheit je wirklich zutreffen kann.

    Mindestens genauso verträumt (oder verlogen) sind des Kölner Professors Tiraden gegen die „Zwei-Klassen-Medizin“. Jeder halbwegs intelligente Bürger mit einem Taschenrechner, könnte(!) wissen, dass bestmögliche Versorgung für Alle bereits heute eine komplette, die Möglichkeiten jeder Volkswirtschaft sprengende Utopie ist. Im Grunde seines Herzens weiß das auch Jeder und akzeptiert die Existenz der Rationierung von medizinischen Leistungen, solange sie nicht individuell bezahlt werden. Was für ein Quatsch ist es da, erreichen zu wollen, dass alle Menschen dieselbe Versorgung erhalten! Das KANN nur auf ein obrigkeitlich verordnetes Mittelmaß hinauslaufen – aus dem die, die es sich leisten können, immer irgendwie ausbrechen werden. Erhöht man die Hürden für diesen Ausbruch, verkleinert man diese Gruppe vielleicht, vertreibt aber auch letztlich die besten Köpfe der Branche vollständig aus dem für Alle zugänglichen Bereich.

    • adtstar  September 18, 2009

      Jeder halbwegs intelligente Bürger mit einem Taschenrechner, könnte(!) wissen, dass bestmögliche Versorgung für Alle bereits heute eine komplette, die Möglichkeiten jeder Volkswirtschaft sprengende Utopie ist. Im Grunde seines Herzens weiß das auch Jeder und akzeptiert die Existenz der Rationierung von medizinischen Leistungen, solange sie nicht individuell bezahlt werden. Was für ein Quatsch ist es da, erreichen zu wollen, dass alle Menschen dieselbe Versorgung erhalten!

      Da möchte ich doch widersprechen. Denn es ist schlicht Unfug, zu behaupten, dass die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung zurückgefahren werden müssen, weil wir es uns volkswirtschaftlich nicht leisten könnten. Du schreibst sogar, dass sei utopisch. Dann wollen wir doch mal festhalten, was in diesem Land konkret ist. In Deutschland müssen die unteren Einkommensgruppen prozentual mehr von ihrem Gehalt für die Krankenversicherung abgeben, als jene, die soviel verdienen, dass sie sich dank Beitragsbemessungsgrenze aus der solidarischen Versicherungsgemeinschaft verabschieden können. Dort verzichtet der Gesetzgeber also freiwillig auf Einnahmen, die gerade auch dann fehlen, wenn die Wirtschaft mal nicht so gut läuft und Leute mit vor allem kleinen und mittleren Einmkommen entlassen werden.

      Es gibt also einen Zusammenhang zwischen Beschäftigungsquote, Höhe der Grundlohnsumme und den tatsächlich abgeführten Beiträgen. Die Bezahlbarkeit der Gesundheitsversorgung hängt also ganz entscheidend von der wirtschaftlichen Entwicklung und der Entwicklung des Arbeitsmarktes ab und ebenfalls von dem Umstand, ob Menschen mit höheren Einkünften, die nicht unbedingt nur aus abhängiger Beschäftigung erzielt werden müssen, sich an der Finanzierung beteiligen oder eben nicht, wie es aktuell Realität ist.

      Wenn die Regierung es nun aber toll findet, den größten Niedriglohnsektor der Welt geschaffen zu haben, um eine geringfügigen Rückgang der Arbeitslosenzahlen als beschäftigungspolitischen Erfolg zu feiern, ist klar, damit kann man auflaufende soziale Kosten nicht bezahlen. Entweder erhöht man dann den Steuerzuschuss an die Sozialträger oder man kürzt Leistungen. Beides geschieht im Moment.

      Aber die sozialen Kosten stehen noch immer im Raum. Irgend einer muss die bezahlen. Durch Leistungskürzungen erreicht man volkswirtschaftlich gesehen nur eine Verschiebung der Kosten auf die privaten Haushalte und zwar egal ob dort gut verdient wird oder eben nicht. Der Gutverdiener-Haushalt kann es sich leisten, der Wenigverdiener-Haushalt nicht. Aber was viel wichtiger ist, die Privatisierung von sozialen Kosten hat volkswirtschaftliche Konsequenzen. Sie ist eine Wachstumsbremse. Denn einmal verdientes Geld kann wiederum nur einmal ausgegeben werden. Geld, welches beispielsweise für eine zusätzliche private Gesundheitsvorsorge ausgegeben werden muss, steht für andere Dinge nicht mehr zur Verfügung.

      Wer aber als Regierung einen Wachstumskurs verfolgt und ständig propagiert, dass nur Wachstum uns aus der Krise führen könne, muss auch erklären, wie die Überlassung von kollektiv getragenen sozialen Kosten in die Privatsphäre dazu führen soll, dass die Menschen mehr Geld zum Ausgeben haben, um die Konjunktur zu beflügeln.

      Die Tatsache, dass viele die Leistungskürzungen in unseren Sozialsystemen einfach hinnehmen, liegt nicht daran, dass sie persönlich davon überzeugt wären, sondern eher daran, dass sie pausenlos mit Lügen im Sachzwanggewandt konfrontiert werden und ihnen Erklärungen vorenthalten werden. Die Hinnahme von Sozialkürzungen geht einher mit der Resignation der Betroffenen.