Europa übt sich in moralischer Bequemlichkeit

Geschrieben von: am 18. Aug. 2025 um 23:21

Was sind eigentlich Sicherheitsgarantien, die allenthalben gefordert werden? Bislang ist doch schon niemand bereit, für die Ukraine gegen Russland in den Krieg zu ziehen. Spätestens seit dem auffallend entspannten Gipfeltreffen zwischen Trump und Putin in Alaska können die Europäer auch ihre Hoffnung begraben, dass die USA diese Rolle vielleicht übernehmen würden. Und die Europäer selbst werden lieber noch ein 119. Sanktionspaket beschließen, statt jemals militärisch irgendeinen Fuß in die Ukraine zu setzen. Für Deutschland hat Bundesaußenminister Wadephul schon einmal klargestellt, dass es keine deutschen Truppen in der Ukraine geben werde (später gab es eine Klarstellung). Das würde die Bundeswehr, die schon in Litauen für die NATO präsent ist, nur überfordern. Mit anderen Worten: Die Freiheit Europas müssen dann eben andere in der Ukraine verteidigen.

Sicherheitsgarantien machen daher auch wenig Sinn, wenn nicht ganz grundsätzlich über eine europäische Sicherheitsarchitektur gesprochen wird. Bislang galt das aber als russische Propaganda, nach dem Gipfel in Alaska ist jedoch klar, dass es auch die russischen Sicherheitsinteressen zu bedenken gilt, nicht nur ukrainische. Da hilft das Gerede über westeuropäische Truppenpräsenzen in der Ukraine oder eine Stachelschwein-Strategie recht wenig. Diese bornierte Herangehensweise, die insbesondere auch die rücksichtslose NATO-Osterweiterung meint, wird nämlich von einem immer größeren Teil der Welt (offenbar nun auch in den USA) als die wahre Kriegsursache anerkannt. Die Russen dulden keine NATO- oder NATO ähnliche Infrastruktur in der Ukraine, genauso wenig wie die USA russische Raketen auf Kuba, in Mexiko oder Kanada dulden würden.

Das Gewäsch vom imperialen Krieg zum Zwecke der bloßen territorialen Ausweitung sowie Vernichtung eines Staates, weil der angeblich so bedrohlich demokratisch sei, glaubt niemand mehr. Die europäischen Moralapostel können ihr Narrativ vom völkerrechtswidrigen Angriffskrieg selbst in ihrer eigenen Echokammer kaum noch aufrechterhalten, wenn sie gleichzeitig einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Israels und der USA gegen den Iran mal eben so als legitime „Drecksarbeit“ gutheißen. Die territorialen Fragen sind doch eher zweitrangig und vielmehr das Ergebnis der Kampfhandlungen. An anderer Stelle sind sie sogar Ergebnis einer aufschlussreichen Vorgeschichte, über die man hierzulande bloß nicht genauer unterrichtet werden soll. Vor allem die wundersame deutsche Interpretation, wonach die Krim 2014 erst von Russland völkerrechtswidrig annektiert worden war, nach Kriegsausbruch 2022 dann aber nur völkerrechtswidrig besetzt gewesen sein soll, ist so ein Beispiel an betreuter Denkvorgabe, die durch „Miet-Experten“ verbreitet wurde.

Erklärbar ist das nur, weil die unter westlicher Anleitung geplanten Feldzüge die vollständige Wiederherstellung der territorialen Integrität zum Ziel hatten. Die nicht anerkannten Volksrepubliken im Osten sowie die Krim gehören demnach zum Territorium der Ukraine, egal was die Menschen dort tatsächlich denken und wollen und egal, was in Abkommen wie Minsk I und II mal ausgehandelt worden war, um einen bestehenden Konflikt, den es nach dem Maidan 2014 nun einmal gab, zu lösen. Das alles sollte mit Beginn des Krieges unkenntlich werden und hinter der bloßen russischen Aggression zurücktreten. Nun will man wieder über Sicherheitsgarantien sprechen, aber nicht über russische, sondern über ukrainische. Alles andere wäre ja eine Täter-Opfer-Umkehr, was, wenn man die Vorgeschichte einfach nicht betrachtet, auch vollkommen logisch erscheint. Nach dem Alaska-Treffen geht das aber nicht mehr so recht. Die tatsächlichen Kriegsursachen kommen allmählich auf den Tisch.

Sicherheitsinteressen waren auch immer Thema, 2014, Ende 2021 als Biden antwortete, darüber diskutiere er nicht, direkt vor der Invasion 2022, als Kanzler Scholz in Moskau einen Witz auf Kosten Putins machte und kurz danach bei den Verhandlungen in Istanbul, als im Vergleich zu heute ein viel besseres Angebot zur Beendigung des Krieges auf dem Tisch gelegen hat. In allen Fällen erklärte der moralisierende Westen diese Frage für nicht weiter relevant. Stattdessen empfahl man der Ukraine, für ihr souveränes Recht, über den Beitritt zu militärischen Bündnissen frei entscheiden zu dürfen, eine ganze Generation an jungen Männern zu opfern. Doch statt der NATO-Mitgliedschaft auch nur einen Schritt näher zu kommen, verlor sie in den letzten dreieinhalb Jahren neben den Menschen immer mehr Land. Heute ist die Ukraine so frei in ihrer Entscheidung, dass ihrem Präsidenten gleich ein ganzer Tross europäischer Staats- und Regierungschefs plus die Betonfrisur aus Brüssel nach Washington hinterher reist, nur um ihm vor dem Treffen mit Trump auf die richtige Strategie einzuschwören.

Denn mittlerweile hält auch der zu groß geratene Zukurzgekommene und zweite Wahl Kanzler, der sich immer noch für wichtig hält, Friedensverhandlungen zwischen der Ukraine und Russland auch ohne vorherigen Waffenstillstand für vertretbar. Das ist bemerkenswert, nachdem Friedrich Merz vor ein paar Monaten noch große Töne spuckte und mit haltlosen Ultimaten um sich warf, falls Russland nicht in einen bedingungslosen Waffenstillstand einwillige. Nun muss er ein weiteres Mal seinen Urlaub unterbrechen, um kurzfristig zu einem Treffen nach Washington zu eilen, bei dem nicht ganz klar ist, was am Ende herauskommt. Dabei flog der Karl Ranseier der deutschen Politik und wahrscheinlich erfolgloseste Kanzler aller Zeiten nicht ganz anspruchsgerecht mit dem kleinen Airbus A319 der Flugbereitschaft. Ein Flug mit Tankstopp, wie der Spiegel-Leser hinter einer Bezahlschranke erfährt.

Später am Katzentisch im Weißen Haus war es wiederum Merz, der sich weitere Verhandlungen mit Russland, wo er jedoch selbst noch nie angerufen hat, um zu verhandeln, nur vorstellen könne, wenn es einen Waffenstillstand gebe. Es klang fast so, als müsse das nun wieder eine Bedingung sein, obwohl Trump, auf den Europa noch weniger verzichten kann, das Thema längst abgeräumt hatte, auch am Katzentisch. Was ist also der Plan der Europäer? Den Frieden verhindern? Jedenfalls scheint eine Einigung unter diesen Voraussetzungen schon wieder deutlich schwieriger. Unklar bleibt auch die Frage, was mit Sicherheitsgarantien nun konkret gemeint sein soll. Der deutsche Außenminister eiert herum, andere Europäer kündigen zwar Großes an, werden am Ende aber nichts dergleichen unternehmen und Russland stellt klar, dass es NATO-Truppen in der Ukraine nicht tolerieren wird.

Daher telefoniert Trump mit Putin, während sich die Europäer weiter in moralischer Bequemlichkeit üben, statt endlich gemeinsam mit Moskau über eine Sicherheitsarchitektur für ganz Europa zu sprechen.


Bildnachweis: Screenshot, Empfang Merz im Weißen Haus, 18. August 2025

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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Kommentare

  1. Aldo Orelli  August 20, 2025

    „Karl Ranseier ist tot“.
    …also politisch auf alle Fälle…

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