Schuldenbremse: Die Neue Presse jubelt

Geschrieben von: am 30. Mai 2009 um 22:25

Claus Lingenauber kommentiert in der Samstagsausgabe der Neuen Presse Hannover den Bundestagsentschluss zur Schuldenbremse. Und er freut sich.

„Sparsame Haushaltsführung sollte auch in der Politik eine Selbstverständlichkeit sein. Leider sieht die Realität oft anders aus. Wie an der Schuldenuhr des Steuerzahlerbundes abzulesen ist. Zurzeit hat Deutschland 1613 Milliarden Euro Schulden – Tendenz steigend.“

Und was heißt das, lieber Herr Lingenauber? 1,6 Billionen Euro Schulden hat der Staat. Das ist aber schlimm. Bei wem denn? Genau. Bei denen, sie sich ein Vermögen von rund vier Billionen Euro in Deutschland teilen – Tendenz noch viel mehr steigend. Nämlich jenes obere Zehntel, das über 60 Prozent des Gesamtvermögens von rund 6,6 Billionen Euro verfügt. Gegen die viel schneller laufende Vermögensuhr sieht die bekloppte Schuldenuhr des Steuerzahlerbundes wirklich armselig aus.

Es ist immer dieselbe Leier.

„Allgemein aber muss der Grundsatz „Auch in Zeiten guter Konjunktur und sprudelnder Steuereinnahmen sollte sparsam gewirtschaftet werden“ gelten. Damit während einer Rezession noch Geld übrig ist und der Staat nicht sofort wieder in der Schuldenfalle sitzt. Hier ist ein grundsätzliches Umdenken notwendig. Vielleicht hilft die geplante Grundgesetzänderung ja dabei. Schön wärs.“

Gegen sparsames Haushalten ist überhaupt nichts einzuwenden, nur bedeutet das Geschreibsel von Herrn Lingenauber in Wirklichkeit, dass der Staat mit Hilfe der Schuldenbremse gezwungen werden soll, sinnvolle Ausgaben zu streichen, notwendige Investitionen zu verschieben, große öffentliche Bedarfe wie zum Beispiel Investitionen in Bildung und soziale Dienstleistungen auszusparen. Im Kern heißt das eine Fortsetzung der Sozialstaatsdemontage.

Dabei hätte Lingenauber von seinem Nachrichtenlieferanten aus Berlin, Christoph Slangen (vom PR-Büro Slangen+Herholz), etwas wichtiges erfahren können. Slangen hat nämlich Peter Bofinger interviewt und ihn zur Schuldenbremse befragt. Und Bofinger antwortet auf die noch immer dusselige Frage, ob eine Schuldenbremse von der Idee her nicht gut sei, weil an künftige Generationen gedacht werde, die ja dann ohne die Belastung von Schulden aufwachsen könnten, wie gewohnt sachverständig und einleuchtend.

„Der Staat muss aber auch in Bildung, Infrastruktur, Umwelt investieren. Ich fürchte, dass diese aktive Vorsorge unter die Räder gerät. Das sieht man auch an den Befürwortern der Schuldenbremse: Sie wird am lautesten von denen gefordert, die auch Steuersenkungen propagieren. Um beides zu verwirklichen, müssten die Staatsausgaben massiv beschnitten werden. Und am einfachsten lassen sich Investitionen in die Zukunft einsparen, weil diese Einschnitte nicht direkt spürbar sind. Unsere Kinder werden jedoch darunter leiden, wenn der Staat zu wenig investiert. Sie werden fragen: Warum habt ihr nur an Geld gedacht, nicht an Bildung und Umwelt?“

Und Bofinger liefert noch ein weiteres Argument. Man kann nämlich ausrechnen, was eine Schuldenbremse gebracht hätte, wäre sie schon früher zum Einsatz gekommen. Die Staatsausgaben der Vergangenheit sind ja bekannt. Wäre die Schuldenbremse zu Zeiten des zarten Aufschwungs in den vergangenen Jahren bereits wirksam gewesen, hätte sie dafür gesorgt, dass die Ausgaben, die mittels neuer Schulden getätigt wurden, nicht gemacht worden wären. Dies hätte wiederum zur Folge gehabt, dass das kleine Konjunkturpflänzchen rigoros zertrampelt worden wäre und am Ende höhere Schulden gestanden hätten. Diesen Zusammenhang begreifen Leute wie Lingenauber einfach nicht.

Ich zitiere mal aus einer aktuellen IMK-Studie, die die Auswirkungen einer Schuldenbremse auf die Wirtschaftsentwicklung und die Staatsfinanzen untersucht hat.

In einem ähnlichen Experiment wurde daher die Entwicklung nachgezeichnet, die sich ergeben hätte wenn die Schuldenbremse für den Bund schon ab dem Jahren 2001 gegolten hätte. Die Berechnungen zeigen, dass bei einer restriktiven Fiskalpolitik, wie sie die Schuldenbremse in jenem Zeitraum impliziert hätte, das Wirtschaftswachstum massiv reduziert worden wäre (IMK-Report 29/2008). Das nominale BIP wäre um bis zu 50 Mrd. Euro bzw. um bis zu 2,4 Prozent niedriger ausgefallen als im Status quo, am Ende des betrachteten 8-Jahreszeitraums hätte das nominale BIP 1,5 Prozent unter dem Status quo gelegen. Damit ist der BIP-Verlust deutlich höher als die Reduzierung des Staatsverbrauchs, der (implizite) Multiplikator liegt bei 1,75. Auch das reale BIP wäre deutlich gedrückt worden, und das Beschäftigungsniveau hätte zeitweise um mehr als 500 000 Personen niedriger gelegen. Insgesamt hätte die Anwendung der Schuldenbremse zu Beginn dieses Jahrzehnts zu wachstumsbedingten Einnahmeverlusten des Staates geführt, die einen nennenswerten Teil der intendierten Reduzierung der Nettokreditaufnahme zunichte gemacht hätten.

Mit anderen Worten – alles für die Katz. Am Ende stehen höhere Schulden, weil wirtschaftliches Wachstum verhindert wird. Das ist auch gar nicht so schwer zu begreifen, wenn man sich die Sparversuche der Minister Waigel, Eichel und Steinbrück anguckt. Sie haben prozyklisches Sparen auf die Spitze getrieben und somit Konjunkturzyklen regelrecht abgewürgt. Schauen sie sich die Staatsquote an. Ein historischer Tiefstand nach dem anderen. Erst als Deutschland vom weltwirtschaftlichen Wachstum profitierte, verringerte sich auch die Verschuldung der öffentlichen Haushalte. Leider wird diese positive Wirkung immer den eigenen Reformen zugeschrieben. Dass das Blödsinn ist, kann man schon daran erkennen, dass in der Krise der Reformgrundsatz plötzlich nicht mehr gilt. Denn stagniert oder schrumpft die eigene wirtschaftliche Leistungskraft, ist natürlich die Weltwirtschaft Schuld, wächst hingegen die eigene Wirtschaftsleistung, so liegt das immer an den Reformen.

Wer also der Schuldenbremse einen Verfassungsrang zugesteht, will in Wirklichkeit keine Schulden verhindern, denn er weiß es ja besser, sondern seinem Dogma von der Zurückdrängung des Staates Geltung verschaffen, um so den Sozialstaat vollständig zugrunde richten zu können. Der öffentliche Sektor soll auf ein Minimalmaß zurückgestutzt werden. Es soll nur noch einen Nachtwächterstaat geben. Sämtliche Aufgaben sollen in privater Hand liegen und den Bedingungen des freien Marktes unterworfen sein. An diesem Vorgang kann man viel verdienen, wie die Privatisierung der Rente bereits heute zeigt. Eine Schuldenbremse in Verbindung mit Steuersenkungen bedeutet also nur eins:

Sozialstaatsdemontage!

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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