"Nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch."

Geschrieben von: am 09. Apr 2012 um 20:21

Eigentlich wollte ich mit der Überschrift „Grass macht den Möllemann“ zum Ausdruck bringen, dass sich Grass auf die Stufe eines Möllemanns begibt und nicht umgekehrt, wie das in einem Kommentar geäußert wurde. Grass wusste um die Wirkung seines Gedichtes. Er hat es ja selbst dort hinein geschrieben. Insofern hat Reich-Ranicki in der FAZ vollkommen Recht wenn er sagt, dass es Grass nur um die Wirkung, die Diskussion und die Aufmerksamkeit zu einem zudem problematischen Zeitpunkt ging und nicht um den Inhalt, wie Grass im anschließenden Interview mit dem NDR beteuerte.

Ich frage noch einmal, warum kritisiert Grass nicht die „out of area“ Politik zur Sicherung von Ressourcen und Nachschubwegen, an der sich auch die deutsche Bundesregierung beteiligt und der das iranische Regime einfach im Wege steht? Die Anfeindungen, die Grass aus den Mainstreammedien entgegenschlagen, ist nicht verwunderlich und wirkt wie bestellt. Jetzt kann man nämlich die neue Wirtschaftspolitik mit militärischer Option prima verteidigen. Eine Kritik daran hat nun den Ruch antisemitisch zu sein. Eigentlich müsste die Linke, der Grass mit seinem Gedicht einen Bärendienst erwies, ihn dafür verurteilen.

Stattdessen stolpert die Linke sichtlich irritiert durch ihre eigenen Artikel und findet jemanden toll, dem auch die Rechten Beifall klatschen, was dem Verfasser des Gedichtes von Anfang an klar sein musste. Und obwohl die schlechte Qualität seiner Arbeit von niemanden bestritten wird, nimmt man ihn in Schutz, weil eine Kritik an Israel geäußert wurde, die in diesem Land nun einmal nicht so einfach formuliert werden darf. Doch wenn es einer tut, führt das zu einer seltsamen Verbindung zwischen links und rechts und zu einer Diskussion um Antisemitismus, an der sich alle abarbeiten und ihren Blick von den wirklichen Problemen wenden.

„Nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch.“
Zitat: Theodor W. Adorno.

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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Kommentare

  1. Careca  April 10, 2012

    „Et sching ze stimme: Ne Vatter, dä Ausschwitz zolöht hätt nit verdeent, dat e Kind ihm zohöht.“
    Wolfgang Niedecken & Complizen im Lied „Vatter“

    • Careca  April 10, 2012

      „Ich frage noch einmal, warum kritisiert Grass nicht die „out of area“ Politik zur Sicherung von Ressourcen und Nachschubwegen, an der sich auch die deutsche Bundesregierung beteiligt und der das iranische Regime einfach im Wege steht?“
      Die Antwort für mich darauf ist, dass Grass soweit nicht gedacht hat, jedoch bei Lesern seines Gedichtes diese gedanken hervorrief. Dass Rechte soetwas nur positiv konotativ denken, verwundert niemanden, weil sie so etwas immer begrüßen. Linke reagieren auf so etwas ebenfalls, wenn auch anders. Halbgare Gedanken sind wie eine Weggabelung. Die einen sagen „Dort geht’s lang“ und finden es in Ordnung. Die anderen sagen „Dort geht’s lang“ und meinen die andere Richtung, welche die anderen nicht in Ordnung finden. Grass hat einfach nur bis zur Weggabelung gedacht. Damit wurden Assoziationen explosionsartig frei, weil sich bestimmte Kräfte ertappt fühlten. Grass war anfangs nur ein Katalysator, aber jetzt wird er selber verbrannt (was mit keinem Katalysator geschieht), was er selber nie dachte. Verbrannt in dem Topf, wo er nur halbgar angekocht hat, was jetzt andere hoch kochen.
      Warum kritisiert Grass nicht die „out of area“ Politik?
      Weil er nicht wusste, in welches Wespennest er hinein stach, aber eine Ahnung hatte, worin er reinstochern müsste. Das gereicht ihm nicht zur Ehre, sondern lediglich zum Brandstifter. Ob der Brand heilend wird oder nur verbrannte Erde hinterlässt, das zeichnet sich momentan ab. Für alle Seiten. Nicht nur für Rechts sondern auch für Links.

  2. Arnold  April 10, 2012

    “ Die Anfeindungen, die Grass aus den Mainstreammedien entgegenschlagen, ist nicht verwunderlich und wirkt wie bestellt. Jetzt kann man nämlich die neue Wirtschaftspolitik mit militärischer Option prima verteidigen. Eine Kritik daran hat nun den Ruch antisemitisch zu sein. Eigentlich müsste die Linke, der Grass mit seinem Gedicht einen Bärendienst erwies, ihn dafür verurteilen.“

    Ich sehe das umgekehrt: Die Anfeindungen aus den Mainstreammedien sind bestellt. Es ist egal wer immer die Waffenlieferungen angesprochen hätte, wäre als Antisemit beschimpft worden. Hätte die Linke das Thema in irgend einer Form angesprochen stünde sie im Kreuzfeuer. So zieht Grass das Ganze auf sich.
    Zudem habe ich den Eindruck, dass der Großteil der Bevölkerung den Fall anders sieht als die Medien. In der Bevölkerung hat Grass mehr Sympathisanten als Gegner. Wenn Grass durch die Linke gestützt wird, wird ihr das eher Sympathien einbringen.

  3. Kopfstaendler  April 14, 2012

    Hier kommt noch ein schlimmes Gedicht:

    http://www.israelnationalnews.com/News/News.aspx/154608#.T4V68u2RtHE

    Da würde jemand tatsächlich nicht nur verbrannte Erde, sondern einen unbewohnbaren Globus hinterlassen.

  4. Gastarbeiter  April 19, 2012

    Ich habe den Eindruck hier wird weder Adorno noch Grass verstanden.
    Adorno meinte wohl, dass die Zeit der nur um sich selbst kreisenden Schögeisterei, nach Auschwitz vorbei sei.
    Und nun kommt ein Dichter und nimmt ihn beim Wort und redet Tacheles.
    Er greift das auf, was seit Monaten ja Jahren als alternativlose Option im „Umgang“ mit dem Iran, gegen jedes Völkerrecht, in die Hirne der Massen gebläut wird: den Iran angreifen, je früher desto besser.

    Und jetzt erfahre ich, dass Grass sich auch noch schuldig gemacht hat die out of area – Einsätze der Bundeswehr nicht erwähnt zu haben.

    Und Pfui Teufel, er hat auch nichts zum Mindestlohn gesagt.

  5. adtstar  April 19, 2012

    Grass hat eben nicht Tacheles geredet, sondern eine Provokation formuliert, deren er sich bewusst sein musste. Der Umgang mit dem Iran verkommt zur Randnotiz, weil er sich an Israel und einem vermeintlichen Tabu abarbeitet. Das haben auch die zunächst begriffen, die ihn jetzt nur vertreidigen, weil die Reaktionen aus Israel entsprechend übertrieben bis albern ausfielen.

    Eine Kritik an dem Umgang mit dem Iran ist untrennbar mit der „out of area“ Politik, die als Strategie nach dem Wegfall der globalen Bipolarität 1990 entwickelt wurde verknüpft. Der Fortbestand des westlichen Verteidigungsbündnisses (NATO) hing und hängt von dieser Anpassung ab, von der auch die Bundeswehr betroffen ist.

    Die Einheit Deutschlands fiel in eine Zeit, als in der Bundesrepublik über den politischen Stellenwert des Nationalsozialismus gestritten wurde. Mit einem Schlag war die direkte Folge von Auschwitz – die deutsche Teilung – passé und der Gedanke, Normalität einkehren zu lassen, wurde am Ende durch Sozialdemokraten und Grüne verwirklicht.

    Das Denkmal für die ermordeten Juden beschrieb Kanzler Schröder als einen Ort, „wo die Leute gern hingehen“. Im Grunde wurde damit die Befürchtung einer Geschichtsrelativierung durch die Kritiker des Historikerstreits Wirklichkeit. Ein neues Selbstbewusstsein war die Folge, das mit dem Ende der DDR auch die NS-Geschichte als abgeschlossen betrachtete. Dann war es plötzlich auch kein Problem mehr, deutsche Soldaten gemäß der neuen NATO-Doktrin „out of area“ in den Krieg zu schicken, um Handelsrouten und Bodenschätze vor dem Zugriff von Feinden zu schützen, die das NATO-System nach wie vor braucht.

    Die Kritik am Umgang mit dem Iran hat sehr viel mehr mit Deutschland und dessen Einbettung in eine irrsinnige weltpolitische Strategie zu tun als mit Israel. Nur am Rande sei dabei erwähnt, dass der ehemalige französische Präsident Chirac öffentlich die Bereitschaft bekundete, Atombomben auf Teheran zu schmeißen. Kann mich nicht erinnern, dass das Günter Grass lyrisch irgendwie gejuckt hätte.

    Und wie Adorno seinen Satz mit dem Gedicht gemeint hat, hat er selbst präzisiert:

    „Den Satz, nach Auschwitz noch Lyrik zu schreiben, sei barbarisch, möchte ich nicht mildern; negativ ist darin der Impuls ausgesprochen, der die engagierte Dichtung beseelt.“

    (vgl. Theoder W. Adorno, Noten zur Literatur: Engagement., in: Gesammelte Schriften, Band 11, S. 422 f.)

  6. Gastarbeiter  April 20, 2012

    Erst mal vielen Dank, dass mein Beitrag doch noch freigeschaltet wurde.
    Zur Replik.
    Sie versteifen sich also weiterhin darauf dass G.Grass in seinem Gedicht nicht das Thema out of area Einsätze erwähnt, bzw. eine ungültige oder verzerrte Darstellung der weltpolitischen Gemengelage abbildet, sich dabei „nur“ auf auf Israel kapriziert.
    (Jetzt kommt auch noch das addendum Chirac, die Auslassung seiner Drohung ist also ein weiterer Beleg der Grass’schen
    Unredlichkeit?)

    Sorry, aber da kann Ich nicht so richtig folgen.

    Es ist in diesen Zeiten eindeutig Israel,dass auf einen
    präventiven Angriff auf den Iran pocht und das ist der Skandal den dieses Gedicht anspricht und das Verdienst von G.Grass ist es, das ganz klar zu benennen.