Bei der Herde bleiben

Geschrieben von: am 08. Jun 2021 um 18:00

Niedersachsens Gesundheitsministerin Daniela Behrens spricht von der Herdenimmunität als Ziel. Um die zu erreichen, müsste eben auch ein Teil der Kinder und Jugendlichen geimpft sein. Daher sei es weiterhin richtig, auch dieser Bevölkerungsgruppe ein Impfangebot zu machen. Die Bedenken der STIKO seien aus Sicht der Landesregierung nicht so gravierend, da die fachärztliche Konsultation vor einer Impfung in jedem Fall geboten sei. Und die Mediziner wissen ja, was sie tun, was man von der Fachministerin der Landesregierung nun nicht behaupten kann. Minderjährigen ein Impfangebot nur deshalb zu machen, weil sie für die Herdenimmunität gebraucht würden, ist aus mehreren Gründen falsch.

Zunächst einmal spielen Kinder und Jugendlichen beim Infektionsgeschehen eine untergeordnete Rolle. Trotz gegenteiliger Behauptungen kommen immer mehr Untersuchungen zu dem Ergebnis, dass die Jüngsten der Gesellschaft eben doch keine Treiber der Pandemie sind. Kommt es zu Infektionen verlaufen diese in der jungen Altersgruppe auch meist unauffällig. Die Berichte über schwere Verläufe oder gar Folgeschäden erhalten zwar immer wieder viel öffentliche Aufmerksamkeit, sind aber nüchtern betrachtet marginal oder anders ausgedrückt, statistisch kaum relevant, so bitter das im Einzelfall auch immer ist. In dieser Reihenfolge ist dann ein dritter Grund entscheidend. Eine Impfung schützt nicht vor Infektion oder Übertragung.

Eine Tatsache, die die Ministerin offenbar komplett ausblendet. Das Konzept Herdenimmunität hat sich insofern zu einem abstrakten Ziel entwickelt, weil es die sterile Immunität nicht gibt. Von Auffrischungsimpfungen ist ja bereits die Rede. Das RKI weist auch selbst darauf hin, dass nach einer Impfung das Risiko einer Virusübertragung lediglich stark vermindert ist, was im Umkehrschluss bedeutet, dass Infektionen und Übertragungen trotz Impfungen nicht gänzlich ausgeschlossen werden können. Ein zusätzlicher Nutzen durch die Impfung von Kindern und Jugendlichen kann dann also nur darin bestehen, schwere Verläufe zu verhindern, was die Impfstoffe auch zweifellos leisten. Nur da Kinder und Jugendliche kaum schwere Verläufe haben, erübrigt sich die Diskussion, vor allem auch dann, wenn es angesichts der knappen Ressource Impfstoff zunächst einmal darauf ankommt, die tatsächlich Gefährdeten in den Priorisierungsgruppen zu schützen.

Das Ende der Pandemie wird politisch entschieden

Denen ist nun aber nicht damit geholfen, wenn jeder, der will, also auch Kinder und Jugendliche, sich seit Montag um einen Impftermin bemühen dürfen. Bedenklich ist auch, wenn dann die jüngeren Bevölkerungsgruppen den Impfschutz gar nicht wegen des Schutzes vor einer Krankheit wollen, sondern weil sie damit die Rückgabe ihrer Freiheitsrechte verbinden. Das Versagen des Krisenmanagements besteht vor allem auch darin, den Eindruck erweckt zu haben, dass Normalität nur gegen Vorlage eines Immunisierungsnachweises möglich ist. Aber nicht einmal das ist sicher. Denn trotz weiter sinkender Infektionszahlen, sollen allgemeine Beschränkungen auch dann noch gelten, wenn die Zahl von 10 Neuinfektionen auf 100.000 Einwohner in sieben Tagen unterschritten oder gar die Null erreicht wird.

Das Ende der Pandemie wird politisch entschieden. Wissenschaft ist da nur Mittel zum Zweck. Der Bundestag soll noch in dieser Woche die Verlängerung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite um drei weitere Monate bis Ende September beschließen. Damit kann auch die Landesregierung mit ihrem grotesken Pandemiemanagement weitermachen, bei dem die Rücknahme von Einschränkungen immer mehr Verordnungstext erfordert als die Verbote zur Hochzeit der Pandemie selbst. Völlig wirr wird es aber, wenn der Bundesgesundheitsminister einerseits davon spricht, zur Erreichung der Impfziele noch Menschen überzeugen zu müssen, aber gleichzeitig darum bittet, dass Impfwillige ihren Frust bitte nicht an den Arzthelferinnen auslassen mögen.

Der Impfstoff fehlt, aber das Einzige, was den zuständigen Fachministern dazu einfällt, ist die Bitte um Geduld, also das, was aus Profilierungszwecken in den Häusern von Spahn und Behrens keineswegs eine Tugend ist. Das Vorpreschen bei der Ankündigung zusätzlicher Impfstoffmengen, das in Aussichtstellen einer zusätzlichen Impfkampagne für Kinder und Jugendliche und das Festhalten an einer Aufhebung der Impfreihenfolge mit der Empfehlung, Kinder und Jugendliche trotzdem zu impfen, obwohl es Bedenken von der STIKO gibt, richtet einen immer größeren Schaden an. Doch an die Übernahme von Verantwortung in Form von Rücktritten denkt niemand. Stattdessen schreibt man noch ein paar Seiten mehr in die aktuelle Corona-Verordnung. Denn wenn sich bald nicht mehr drei Haushalte, sondern vielleicht zehn privat treffen dürfen, muss natürlich genau formuliert werden, unter welcher Fallkonstellation der aktuelle Impfstatus wie zu bewerten ist.


Bildnachweis: Bild von David Mark auf Pixabay

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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