Dämonierung als Politikersatz

Geschrieben von: am 02. Sep 2019 um 13:51

Die Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg werden die Große Koalition in Berlin keinesfalls erschüttern. Das liegt an den Wahlergebnissen, die sowohl der CDU als auch der SPD genügen, ausreichend positive Schlüsse zu ziehen. Denn obwohl beide Parteien in beiden Ländern deutlich verloren haben, feiern sich die Christdemokraten in Sachsen und die Sozialdemokraten in Brandenburg als Wahlsieger. Nur weil man die Umfragen der letzten Wochen Lügen strafte. Das ist der neue Maßstab, wundert sich auch Heiner Flassbeck auf Makroskop. Dass es für eine GroKo mittlerweile weder auf Landes- noch auf Bundesebene reicht, ist offenbar zweitrangig. Beide eint schließlich der Kampf gegen die AfD. Doch der wird völlig falsch geführt.

Den Wählern ständig zu erklären, dass sie mit ihrer Stimme für die AfD nur Rechtsradikale unterstützen würden, ist einfach dumm. Die Wähler wissen sehr genau, welche zwielichtigen Gestalten in der AfD das Sagen haben. Deshalb wird die Partei aber nicht gewählt. Sie wird gewählt, weil die anderen keine politischen Alternativen zum neoliberalen Einheitsbrei anzubieten haben, dafür aber eine besondere moralische Instanz für sich reklamieren. Das geht den Leuten schlichtweg auf die Nerven. Die Befragungen der Wahlforscher zeigen, dass man der AfD am wenigsten zutraut, irgendetwas auf die Reihe zu bekommen. Schon gar nicht in den drängensten Fragen der Sozialpolitik. Dennoch wird sie gewählt, weil sie glaubhaft vorgibt, gegen das Establishment zu sein.

Kurz gesagt, von der AfD erwartet man nicht viel, außer der Tatsache, dass sie die anderen treibt. Nur wohin? Die Reaktionen zeigen, dass sich der bisherige Kurs noch weiter verschärft, auch weil das progressive Spektrum seine Glaubwürdigkeit längst verspielt und der ebenso neoliberalen Partei AfD das Wählerpotenzial einfach überlassen hat. In Sachsen kommen rote und grüne Parteien zusammen auf nur noch 26,7 Prozent der Stimmen. Die AfD allein hat mehr und dazu auch die meisten Wähler aus den einst klassischen sozialdemokratischen Millieus. Die Genossen von Linkspartei und SPD spielen überhaupt keine Rolle mehr. Das ist einfach nur schlimm, hält die SPD aber nicht davon ab, ihre 7,7 Prozent dennoch als Erfolg zu verkaufen. Man werde schließlich in einem Dreierbündnis gegen Rechts gebraucht, ließ SPD-Spitzenkandidat Martin Dulig wissen.

Dabei unterscheidet sich die sächsische CDU kaum von der AfD. Insofern war es vollkommen richtig, als eine überforderte Moderatorin im Ersten von einer möglichen bürgerlichen Koalition zwischen CDU und AfD sprach. Die Reaktionen im Netz auf diese, der Sprachregelung eindeutig zuwiderlaufenden Äußerung, zeigt, wie gefangen der öffentliche Diskurs bereits ist. Die Stigmatisierungen sind aber gänzlich unangebracht, weil sie genau dazu führen, dass die AfD immer größer wird. Und sie wird selbstverständlich von Bürgern gewählt. Sehr deutlich sogar. Sie hat die Wahl in beiden Bundesländern klar gewonnen und es als einzige Partei vermocht, die Bürger aus dem Nichtwählerlager zu mobilisieren. Das ist eine bittere Erkenntnis für alle übrigen Parteien, die immer behaupteten, dass ausgerechnet die Wahlenthaltung zu einer Stärkung der Rechten beitrage.

Es ist ganz anders. Die billige Dämonisierung, die auch nach der Wahl nicht aufhört, hat die AfD zu ihren Erfolgen geführt. Auf der anderen Seite gehört eine Partei wie die Linke zu den allergrößten Verlierern, weil sie bei dem Spiel der Stigmatisierung gedankenlos mitmacht und dabei beiläufig für eine Reinwaschung jener politischen Kräfte sorgt, die mit ihrer neoliberalen Agenda schon lange vorher einen Rechtsruck vollzogen haben. Der ist aber vergessen. Der gemeinsame Kampf gegen Rechts zählt. Die AfD steht aber nicht weiter rechts, sie tritt nur deutlich radikaler und plumper in der Sprache auf. Das mag für das Establishment abstoßend sein, ändert aber nichts an dem eigentlichen Befund. Es mangelt an glaubwürdigen Alternativen, an einer Vorstellung von Politik, die den Bürgern insbesondere auch im Osten wirklich etwas bringt. Politikwechsel, das war mal populär als Ankündigung formuliert. Eingelöst wurde das Versprechen aber nie.

Stattdessen wird in den Koalitionen, egal ob nun groß oder klein, bürgerlich oder was auch immer ein „Weiter so“ betrieben und beispielsweise über Steuererleichterungen für alle, was konkret nur Wohlhabende meint, mitten in der Konjunkturkrise geredet oder über eine lächerlich niedrige Grundrente gestritten. Dazu gibt es allerhand Vorschläge für eine Anpassung der Klimapolitik, die aber sehr wahrscheinlich wieder nur zu einseitigen Belastungen derer führen wird, die man gemeinhin als die Bürger bezeichnet. Die Schuldenbremse bleibt sakrosankt, genauso wie die Schwarze Null heilig. Wen werden die Bürger wohl künftig wählen, wenn sie mehr für die Rettung des Klimas aus eigener Tasche bezahlen sollen, aber wegen der angeblich soliden Haushaltsführung keinesfalls eine bessere Infrastruktur vom Staat erwarten dürfen? Irgendwann ist ja Halbzeitbilanz, von der man jetzt schon weiß, wie sie ausgehen wird.


Bildnachweis: geralt / Pixabay

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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Kommentare

  1. Alex  September 3, 2019

    Schöner Artikel, der es absolut verdient hat, von den Nachdenkseiten aufgegriffen worden zu sein. Ich füge nur eine Kleinigkeit zu folgendem Satz hinzu:

    „Es mangelt an glaubwürdigen Alternativen, an einer Vorstellung von Politik, die den Bürgern insbesondere auch im Osten wirklich etwas bringt.“
    ALLE Politiker stammen aus der ganz normalen Bevölkerung, also wo sind all diejenigen Leute, die sich bessere Politik wünschen? Warum wird immer nur gemeckert, ohne dass man auf die Idee kommt, mal SELBER aufzustehen, in die Politik zu gehen und den Korrupten die Mandate abzujagen? Wenn das nicht geschieht, dann ändert sich auch nichts. Da konnten auch die PIRATEN nichts dran ändern, denn die wurden auch sofort von korrupten Selbstdarstellern unterwandert, während diejenigen, die bessere Politik wollen, nicht selber aufgestanden sind, sondern lieber gemeckert oder gelästert haben.

    Selbstermächtigung heißt das Zauberwort.