Masterplan Schwarze Null

Geschrieben von: am 19. Aug 2018 um 18:42

Bild: ShonEjai, pixabay

Da können Brücken einstürzen, die schwarzen Nullen interessiert das nicht. Sie reagieren genervt. Sogar Journalisten, die es eigentlich besser wissen müssten, leugnen, dass es so etwas wie Sparvorgaben in unserer heutigen Zeit überhaupt gibt. Die EU gebe lediglich Empfehlungen ab, heißt es in einem Bericht der Tagesschau beschönigend. Das ist traurig, zumal sich der Rückgang öffentlicher Investitionen infolge des Konsolidierungsdrucks detailliert für jedes Land nachprüfen lässt.

Wer jedoch naiv an „Empfehlungen“ glaubt, hat wohl auch schon wieder vergessen, wie Griechenland mit dem Stopp der Notfall-Liquiditätshilfe (ELA-Kredite) gezwungen worden war, sich den Vorgaben der Austeritärspolitik zu beugen. Im Übrigen: Was auf europäischer Ebene gilt, wird auch national bis hinunter zu den Kommunen immer weiter praktiziert. Es folgt ein aktueller Blick auf das beschauliche Niedersachsen.

Seit Wochen langweilt Hannovers Tageszeitung „HAZ“ ihre Leser mit der sogenannten Rathaus-Affäre. Oberbürgermeister Stefan Schostok soll Besoldungsregeln missachtet, von einer rechtswidrigen Gehaltszulage an seinen Büroleiter gewusst und die Öffentlichkeit über den Vorgang getäuscht haben. Inzwischen ist aus der Affäre ein Schlagabtausch zwischen dem Oberbürgermeister und der HAZ geworden. Schostok wirft einem Redakteur des Blattes vor, illegal an Informationen aus einem laufenden Ermittlungsverfahren gelangt zu sein. Die Madsack Mediengruppe, zu der die HAZ gehört, wehrt sich wiederum juristisch und dringt auf Unterlassung. Andere sehen die Pressefreiheit mal wieder bedroht.

Langweilige Machtkämpfe

Spannend ist das Ganze eigentlich nicht, da es ja nur um ein albernes, ja beinahe boulevardeskes Kräftemessen geht. Vermutlich müssen sich die Kollegen mit solchem Kasperkram aber beschäftigen, weil sie sich in anderen Dingen nicht auskennen. Sparpolitik zum Beispiel. Mitten in der Affäre um Macht und Geld im Rathaus – so fängt die Tageszeitung ihren Bericht in der gedruckten Ausgabe tatsächlich an – hat der Oberbürgermeister den neuen Haushaltsplan vorgelegt. Dieser wird von der Zeitung als eine Art Befreiungsschlag gedeutet, da es der Stadtverwaltung gelungen sei, „Rosige Zahlen“ – gemeint ist die Schwarze Null – für die kommenden Jahre vorzulegen.

Dank wachsender Einnahmen rechnet Kämmerer Axel von der Ohe in den kommenden Jahren auch für die Landeshauptstadt mit ausgeglichenen Haushalten. Bereits für den Doppelhaushalt 2019/2020 kalkuliert er mit einer schwarzen Null. Bis 2023 sollen sich Einnahmen und Ausgaben dann weiterhin die Waage halten. Zudem verzichtet die Stadtspitze erstmals seit 24 Jahren auf ein neues Sparprogramm – trotz eines Altschuldenbergs von 1,57  Milliarden Euro. Zugleich will die Stadt weiterhin viele Millionen Euro investieren, vor allem in die Schulsanierung und den Bau neuer Kitas und Krippen. […]

In der Überschrift zum Artikel steht unter anderem „Keine Sparprogramme geplant“. Das heißt natürlich nicht, dass es keine Sparpolitik mehr gibt. Der Artikel tut aber trotzdem so, als würden dank höherer Steuereinnahmen und einem ausgeglichenen Haushalt „rosige Zeiten“ anbrechen. Weiter heißt es aber:

Seit 1994 legt die Stadt alle paar Jahre ein neues Sparprogramm auf. Ziel ist es bisher gewesen, in jedem Dezernat die Kostendisziplin zu erhöhen. Doch seit einigen Jahren sehen die Dezernenten in ihren Bereichen kaum noch Einsparmöglichkeiten. „Wir haben es mit einer ausgequetschten Zitrone zu tun“, sagt Schostok. Kämmerer von der Ohe ist der Ansicht, dass es auch ohne Sparverordnung geht – und zwar durch Gespräche mit den Dezernenten im Vorfeld. „Wenn wir jeden Antrag aus den Dezernaten annehmen würden, hätten wir ein dickes Defizit“, sagt von der Ohe.

Also. Es geht hier mitnichten um ein Ende der Sparpolitik. Man könne halt nicht mehr weiter kürzen, so die Aussage. Die üblichen Sparverordnungen würden daher durch Gespräche ersetzt. Man könnte auch das Wort „Empfehlungen“ von oben einbauen und käme zum selben Ergebnis. Nur die Zeitung kapiert es nicht. Sie schreibt über ein angebliches Ende der Sparpolitik, die in Wirklichkeit fortgesetzt wird und beschreibt das dann auch noch als vergleichsweise rosige Finanzaussichten. Über dieses unangebrachte Lob wird sich der Oberbürgermeister sicherlich freuen. Denn zur Sinnhaftigkeit der Schwarzen oder in dem Fall Roten Haushaltsnull hat die Zeitung keine eigene Meinung parat, wohl aber wiederholt zur Rathaus-Affäre, über die das Blatt urteilt: „Schostoks politische Bankrotterklärung“

Kosten werden verschoben

Kann man machen, nur berührt das die Leser vermutlich weniger, als die politische Bankrotterklärung, dass es nur beim Masterplan Schwarze Null bleiben dürfe. In einer Zeit, in der das öffentliche Anlagevermögen dramatisch sinkt, bricht eben auch mal die ein oder andere Brücke in sich zusammen. Straßen und Gebäude gehen ebenfalls kaputt. Doch die Zusammenhänge werden überall stramm ignoriert. Seit dem Jahr 2003 ließen die Kommunen bundesweit Infrastruktur mit einem Wert von 61 Milliarden Euro verfallen. „Dies ist besonders dramatisch, da in den Kommunen der größte Teil der staatlichen Investitionen in Deutschland getätigt wird. Aktuell sind es rund 35 Prozent. Zu Beginn der 1990er Jahre betrug der kommunale Anteil noch rund 50 Prozent“, schrieben Patrick Schreiner und Kai Eicker-Wolf im Januar auf Makroskop.

Zu Beginn des Jahres ging das KfW-Kommunalpanel noch von einem Investitionsrückstand in Höhe von 126 Milliarden Euro aus. Inzwischen haben die Experten einen neuen Höchststand von 159 Milliarden Euro errechnet. Darunter machen die Schulen mit rund 47,7 Milliarden Euro mittlerweile den größten Anteil aus. Diese Lücke bekommen die Menschen unmittelbar zu spüren. Sie haben damit nicht nur die Folgen einer absurden Sparpolitik zugunsten ausgeglichener Haushalte zu tragen, in Form von Einschränkungen, sondern natürlich auch die Kosten. Bleiben wir beim Thema Bildung. Das ist seit Jahren ein Herzensanliegen der Politik. Schüler brauchen bessere Lernbedingungen und gleiche Chancen, heißt es in den Sonntagsreden. Das erste klappt schon mal nicht. Die Baustelle Schule ist inzwischen Normalität. Das zweite wird durch einen neuen Plan, der sich freilich auch nur an der Schwarzen Null orientiert, ebenfalls verfehlt.

Niedersachsens Wirtschaftsminister Bernd Althusmann (CDU) hat einen Masterplan Digitalisierung erstellt. Klingt nach etwas Neuem, ist aber genau der befürchtete Aufguss altbekannter neoliberaler Politik. Das Schlagwort Digitalisierung soll der Fortsetzung des Kürzungsdogmas nur einen hübscheren Anstrich verleihen. Vorsicht ist daher vor dem neuen Lieblingsbegriff der Politik geboten. In dem Masterplan enthalten ist offenbar eine Laptop-Pflicht für Schüler. Die digitalen Arbeitsmittel sollen die Eltern aber selbst beschaffen, also aus eigener Tasche bezahlen. Der SPD-Kultusminister findet das in Ordnung. Eine digitale Zweiklassengesellschaft werde es seiner Meinung nach deshalb nicht geben, da die meisten Schüler ohnehin auf eigene Geräte zurückgreifen könnten. Und so geht es auch in der Bildungspolitik nicht um bessere Bildung oder gleiche Chancen, sondern nur um die Wahrung der Schwarzen Null. Sie bleibt der Masterplan, trotz einstürzender Brücken und maroder Schulen.

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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Kommentare

  1. Hartmut Schwarz  August 20, 2018

    Der groß angelegte Sparplan, hat in Italien ein nicht gewolltest „Sparziel“ erreicht. Den Neuaufbau einer kostspieligen Brückenanlage. Das war jetzt mal Italien.
    Eine Fahrt auf die A45, der Hochsauerlandlinie, veranschaulicht die BrückenInstandsetzung.
    Aber die Brücken sind aktuell nicht unser vorrangiges Abzockmodell.
    Es ist der Angriff auf das Gesetztliche Sozialsystem,dem Renten- und Krankenversicherungssytem.
    4% Rietsrerrenteneinnahmeumverteilung ins Private.
    Und genau diese 4%, für das altbewährten Gesetzlichen Umlagerentensytem, was zwei Kriege überstanden hat, fehlen uns zu einer auskömmlichen Rente, auch ohne Privatzusatzrente.
    Der großangelegte RiesterMaschmeyerdeal hat das Gesetztliche Rentenversicherungsystem deutlich geschwächt.
    Schulen, Autobahnen, Trinkwasser und, und … sollen ins Private, am einfachsten mittels ÖPP’S.
    Die Rote Null, oder ehemals die Schwarze Null machens möglich.
    Geplant scheint ein Zerfall der Infrastruktur zu sein, denn dann kann sich mit der Austerizität ein heimliches, offenes Ziel so richtig entfalten.
    ÖPP’S auf breiter Front, mit all den nicht mehr zu lenkenden Kostensteigerungen gegen das Sozialsystem.
    Für mich sieht die Haushaltssparplanung unserer Regierenden, nach einem gigantischen Privatesierungsmodell aus.

  2. Roland Kuntz  August 26, 2018

    Laut Norbert Häring (http://norberthaering.de/de/27-german/news/323-autobahnraub-plan-2) hat die „Welt am Sonntag“ eine gelungene Doku gemacht, die den Titel „Der verkaufte Staat“ trägt; das war bereits im Februar 2014. (https://www.welt.de/print/wams/article124667018/Der-verkaufte-Staat.html)
    Ein wichtiger Abschnitt daraus liest sich so:
    „In der einstigen ÖPP-Hochburg Frankreich reichte ein neues Gesetz, um die verdeckte Schuldenmacherei zu beenden. Bis Ende 2010 wurden Investitionen, die mit ÖPP finanziert wurden, nicht als Schulden angesehen. Nach dem neuen Gesetz müssen sie wie Schulden behandelt werden. Damit taugt die öffentlich-private Partnerschaft nicht mehr dazu, die Schuldenbremse zu umgehen, und so fiel einer der wesentlichen Anreize für dieses viel gepriesene Instrument der Politik weg. Der ÖPP-Markt in Frankreich brach innerhalb kürzester Zeit ein. Von 5,3 Milliarden Euro im Jahr 2011 auf 1,06 Milliarden im Jahr 2013.

    Eine entsprechende Gesetzesänderung dürfte auch in Deutschland das Ende der öffentlich-privaten Lizenz zum Gelddrucken sein. Und der teuren Illusion, dass man eine moderne Infrastruktur, Schulen, Autobahnen oder auch Gefängnisse bauen kann, ohne sie zu bezahlen.“

    Sollte man diesen Abschnitt nicht ständig auf den NDS wiederholen, wenn es um dieses Thema geht? Da kann man ja mal drüber nachdenken. ( Und übrigens …, wie immer bei diesem Thema weisen wir auf folgendes hin…, wussten Sie eigentlich…)

    MfG