An der falschen Stelle geklatscht

Geschrieben von: am 13. Feb 2017 um 14:35

Über seine Ansprache war viel Lob zu hören. Sie kam so gut an, dass manche einmal mehr das Fehlen von Norbert Lammerts Namen auf dem Wahlzettel bedauerten. Das Gefühl wollte der Bundestagspräsident mit seiner Rede vor der Bundesversammlung auch ganz bewusst erzeugen, um dem vorher bereits feststehenden Gewinner der Wahl ein wenig die Schau zu stehlen. Der begnügte sich wiederum mit einer kurzen Rede, die wie gewohnt ohne Inhalt, aber dafür mit einer Schlagzeile zum Schluss auskam. So geht Große Koalition, die sich bei grundsätzlichen Fragen immer einig ist, auch beim Glauben an eine fatale Wirtschaftspolitik.

Das Thema Wirtschaft tauchte in Lammerts Rede auf und zwar als es um Abschottung, Freihandel und Protektionismus ging. Eine Stelle, an der das Publikum besonders lauten Beifall spendete.

„Wer Abschottung anstelle von Weltoffenheit fordert und sich sprichwörtlich einmauert, wer statt auf Freihandel auf Protektionismus setzt und gegenüber dem Zusammenarbeiten der Staaten Isolationalismus predigt, wer damit zum Programm erklärt: Wir zuerst!, darf sich nicht wundern, wenn es ihm andere gleichtun.“

Mit dieser Spitze war sicherlich nicht die Bundesregierung gemeint, die sich schon seit Jahren eingemauert hat, um die immer lauter werdende weltweite Kritik an der deutschen Wirtschaftspolitik an sich abprallen zu lassen. Denn es ist die Bundesregierung, die Abschottung betreibt, weil sie den freien Handel als Einbahnstraße für deutsche Exportüberschussweltmeisterschaften missbraucht. Im vergangenen Jahr häufte die Bundesrepublik einmal mehr einen Überschuss im Außenhandel diesmal in Höhe von 253 Milliarden Euro an, was 8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts entspricht. Das Rekordergebnis verstößt damit nicht nur gegen das Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft (StabG), sondern auch gegen europäische Stabilitätsregeln, die die Deutschen zu ihren Gunsten vor ein paar Jahren noch verändert hatten. Ganz nach dem Motto: „Wir zuerst!“

Kleinkarierte Glaubenssätze

Wie sollte man ein Land wohl bezeichnen, das unter Weltoffenheit das Abfeiern von Exportüberschüssen versteht und gleichzeitig eine Bestrafung von Ländern mit Defiziten in der Leistungsbilanz für zwingend erforderlich hält? Ein Amerikaner nannte es Ausbeutung. Die deutsche Haltung, die zu Ungleichgewichten im internationalen Handel führt, kritisiert Lammert aber nicht, sondern ausgerechnet die Reaktion darauf. Dabei verletzt der Protektionismus nicht einmal die heiligen Regeln. Er ist vielmehr ein legitimes Mittel, um sich gegen uneinsichtige Staaten wie Deutschland zur Wehr zu setzen, die sich trotz der weltoffenen Zusammenarbeit auf internationalem Parkett nicht von ihren kleinkarierten Glaubenssätzen verabschieden wollen.

Als launiger Klassensprecher einer in ökonomischen Dingen offenbar ahnungslosen oder beratungsresistenten Truppe verwechselt der mahnende Lammert damit auch nur wieder Ursache und Wirkung. Dabei wäre statt des Gejammers ein wirklicher nicht bloß geheuchelter Politikwechsel auch mit Blick auf das Verständnis volkswirtschaftlicher Zusammenhänge jetzt dringend erforderlich. Doch Äußerungen der Einsicht sucht man vergebens. Es ist vor allem Kampfrhetorik zu hören und ein neuerlicher Ruf nach Ausgrenzung jener Geister, denen man mit einer neoliberalen Politik den Weg erst in die Parlamente geebnet hat.

Dazu gibt es das bekannte Wahlkampfprogramm. Die CDU probiert es mal wieder mit der Leitkultur, die CSU mit der tausendsten Version einer roten Socken Kampagne und die Sozis mit der durch sie maßgeblich entstellten und damit bedauernswerten sozialen Gerechtigkeit. Doch niemand problematisiert die anhaltend hohen Exportüberschüsse und das damit verbundene Auseinanderdriften von Staaten, die einmal Partner waren. Würde Lammert es mit seiner Kritik ernst meinen, hätte er sich mit dem Balken im eigenen Auge beschäftigen müssen, statt nach dem Splitter im Auge des Fremden zu suchen. Dabei hatte Lammert schon die richtigen Worte auf den Lippen, als er sagte: „Beides braucht es heute mehr denn je, Selbstkritik und Selbstkorrektur […]

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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