Neu auf NSO: Innerdeutsche Kontroversen – Zum 20. Juli

Geschrieben von:

(Auszug aus der akademischen Arbeit “Folgen der unterschiedlichen Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus in der DDR und der alten Bundesrepublik: am Beispiel Gedenkstättenpolitik” – von André Tautenhahn)

Quelle: Nachrichtenspiegel-Online (NSO)

Nachrichtenspiegel-Online ist ein neues Portal für Blogger, das die Gleichförmigkeit der Medienwelt zu durchbrechen versucht. An dieser alternativen Arbeit beteilige ich mich gern. Der verlinkte Artikel ist eine längere wissenschaftliche Arbeit mit zahlreichen Fußnoten und etwas anstrengender Sprache. Sorry dafür, aber diese Form der schriftlichen Ausarbeitung passt eben besser in so ein Portal wie NSO als in einen kleinen privaten Blog, der eher dem Motto in der Kürze liegt die Würze folgt. :)

0

Déclaration des Droits de l’Homme et du Citoyen

Geschrieben von:

Déclaration des droits de l'homme et du citoyen

„Les représentants du peuple français, constitués en Assemblée nationale, considérant que l’ignorance, l’oubli ou le mépris des droits de l’homme sont les seules causes des malheurs publics et de la corruption des gouvernements, ont résolu d’exposer, dans une déclaration solennelle, les droits naturels, inaliénables et sacrés de l’homme, afin que cette déclaration, constamment présente à tous les membres du corps social, leur rappelle sans cesse leurs droits et leurs devoirs ; afin que les actes du pouvoir législatif et ceux du pouvoir exécutif, pouvant être à chaque instant comparés avec le but de toute institution politique, en soient plus respectés ; afin que les réclamations des citoyens, fondées désormais sur des principes simples et incontestables, tournent toujours au maintien de la Constitution et au bonheur de tous.“

„En conséquence, l’Assemblée nationale reconnaît et déclare, en présence et sous les auspices de l’Être Suprême, les droits suivants de l’homme et du citoyen.“

Die Vertreter des französischen Volkes, als Nationalversammlung konstituiert, haben unter der Berücksichtigung, dass die Unkenntnis, die Achtlosigkeit oder die Verachtung der Menschenrechte die einzigen Ursachen der öffentlichen Missstände und der Verderbtheit der Regierungen sind, beschlossen, die natürlichen, unveräußerlichen und heiligen Rechte der Menschen in einer feierlichen Erklärung darzulegen, damit diese Erklärung allen Mitgliedern der Gesellschaft beständig vor Augen ist und sie unablässig an ihre Rechte und Pflichten erinnert; damit die Handlungen von der Legislative und die der Exekutive in jedem Augenblick mit dem Ziel jeder politischen Einrichtung verglichen werden können und dadurch mehr respektiert werden; damit die Ansprüche der Bürger, fortan auf einfache und unbestreitbare Grundsätze begründet, sich immer auf die Erhaltung der Verfassung und das Allgemeinwohl richten mögen.

Dementsprechend anerkennt und erklärt die Nationalversammlung in Gegenwart und unter dem Schutze des höchsten Wesens folgende Menschen- und Bürgerrechte.
__________________________________________

Nur zur Erinnerung, falls diese so wichtige Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte in Vergessenheit geraten sein sollte. ;)

0

Neues aus der Anstalt – Folge 29

Geschrieben von:

Die gestrige Sendung bekannt zu geben, habe ich ja total vergessen. Ich bitte um Verzeihung. Aprospos Verzeihung bzw. Haltungsänderung, heute ist doch Buß- und Bettag. Vielleicht sollten sich an dieser Stelle unsere feinen Politiker bei uns entschuldigen. Der Feiertag wurde nämlich 1994 abgeschafft, um die angebliche Mehrbelastung der Arbeitgeber durch die Einführung der paritätisch finanzierten Pflegeversicherung mit Mehrarbeit der Arbeitnehmer zu vergelten. Nun will aber die neue schwarz-gelbe Koalition auch noch eine private Zwangszusatzversicherung für Arbeitnehmer einführen, um die Pflegeversicherung zukunftsfest zu machen, wie es heißt. Könnte man dann nicht den Feiertag wiederhaben, um über den Unsinn von Regierungspolitik nachdenken zu können? Übrigens hätte ich dann auch die Anstalt nicht verpasst.

Und damit sind wir wieder beim Thema. Ich habe mir die Sendung gerade angesehen und muss sagen, ein heiteres Zusammentreffen diesmal. Und ein wenig Selbstkritik. Das Nachgeäffe der Kanzlerin durch Priol soll aufhören, meinte Dombrowski. Bei Priol gerate die Kanzlerin immer zu einer „Vorpommerschen Platitüden-Mamsell“, zu so einer

„…mecklenburgischen Landpommeranze, die über den Suppentellerrand eines Heringsdorftrampels nie herausgekommen ist und nichts anderes im Sinn hat, als den Minderwertigkeitskomplex einer bedeutungslosen Pastorentochter dadurch zu kompensieren, dass sie mit den Mächtigen an einem Tisch sitzt und von deren Tellerchen essen darf und von 80 Millionen Untertanen als Königin Aschenputtel verehrt wird.“

:>>:>>:>>

Dombrowski will weg von der Karrikatur, er will vielmehr zu dem vorstoßen, was die Kanzlerin und ihre Regierung konkret sagt und vor hat. Eine Entpommeranzung sozusagen.

Die zentrale Botschaft „Mut zur Zukunft bei Freiheit in Verantworung“, könnte zum Beispiel heißen „Husten als Chance“. Die neue Regierung fahre in der Krise auf Sicht, hätte Volker Kauder gesagt. Dombrowski darauf:

„Das hat die Titanic auch gemacht. Aber! Es gibt einen wichtigen Unterschied. Wer hat Tempo und Kurs der unsinkbaren Titanic bestimmt? Der Mehrheitsaktionär. Und der saß in London-City im Trockenen.“

In seinem späteren Solo führte Dombrowski dann aus, was er mit dem Versuch einer „Entpommeranzung“ zu Beginn meinte. Zunächst einmal die Feststellung, dass alles bereits gesagt ist. Selbst die bürgerliche Presse zerreißt das politische Konzept und die beabsichtigte Geisterfahrt von Schwarz-Gelb. Selbst der Sachverständigenrat, der sonst auch nicht immer mit Sachverstand glänzt, fand klare ablehnende Worte. Was sollte Dombrowski da noch zu sagen. Dass in Bezug auf die neue Bundesregierung die Sprache zum Gegenteil dessen benutzt wird, wofür sie eigentlich da ist, nämlich zur Verständigung, ist schon sehr seltsam. Es werde extra so formuliert, dass wir nicht verstehen, was die Regierung will. Doch Dombrowski klärt einmal mehr sein Publikum auf.

Möglicherweise sei es ja Absicht, dass die Bundesregierung die Verschuldung im kommenden Jahr auf Rekordniveau steigen lassen will, und die irrsinnigen Steuersenkungen dienen nur als Mittel zum Zweck. Denn ab 2011 schreibt die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse ja vor, müsse das Haushaltsdefizit jährlich um ein Sechstel abgebaut werden. Ein Finanzmathematiker folgert daraus nun messerscharf:

„Je höher im vorausgehenden Jahr die Schulden sind, desto mehr Schulden kann ich in den Jahren danach machen.“

Dombrowski liefert die entsprechende Grafik aus der Süddeutschen Zeitung vom 17.11.2009 gleich mit. En passant: vom 17.11.2009! Tag der Sendung!, d.h. Georg Schramm hat seinen Auftritt quasi mit heißer Nadel gestrickt.

Zulässiges Haushaltsdefizit

An den Kurven können sie sehr schön sehen, wie im Finanzministerium gerechnet wird. Nocheinmal Dombrowski dazu:

„Solche rechenakrobatischen Kunststücke, die kannte man bisher ja nur von den Bonusartisten der Investmentbanken. Aber von deren Geist beseelt, führt jetzt eine gerade Linie hin zum Bilanzbetrug, zur kreativen Defizitmanipulation unserer marktwirtschaftlich bewussten und kompetenten bürgerlichen Regierung. Das ist der Geist von: Nach uns die Sinntflut. Aber nach uns kommt vielleicht keine Sinntflut. Wir sind vielleicht schon die Sinntflut.“

__________________________________________

Quelle zum Nachschauen in der Mediathek des ZDF unter:
http://www.zdf.de/ZDFmediathek/kanaluebersicht/aktuellste/508#/beitrag/video/899226/Neues-aus-der-Anstalt—Folge-29/

5

Nachtrag zum verregneten Domino-Day im Fernsehen

Geschrieben von:

Das Fernsehen und die Inszenierung des 9. November. Im Tagesspiegel finden sie dazu einen tollen Beitrag von Rüdiger Schaper.

„War es Marx, der gesagt hat, dass sich die Tragödie als Farce wiederholt? Und wenn das stimmen sollte, dann wäre die nächste Frage, als was sich ein friedlicher Umsturz wiederholt.

Nun, das ZDF weiß Antwort. Im Fernsehen kennt man sich mit Wiederholungen aus. Sie sind das Rückgrat der Programmstruktur. Marx konnte noch nichts ahnen von der Revolution im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit.

Im ZDF hat sich am Montagabend der Fall der Berliner Mauer als Außenwette wiederholt. Allerdings unter Sauwetterbedingungen. So viel Schirmdamen und -herren sah man nie. Angela Merkel machte ein Gesicht wie zwanzig Jahre Regenwetter. „Der Himmel weinte vor Freude“, titelte ein Boulevardblatt, das sich gern in den Feldherrenmantel der Geschichte hüllt. Wetten, dass die Grenze verschwindet? Man durfte noch einmal mitzittern. Den Part von Günter Schabowski, der damals in der Ursendung das Geschehen moderierte, übernahm Thomas Gottschalk, der letzte Quotenbringer. Auch die öffentlich-rechtlichen Sender leiden unter Zuschauerschwund, wie einst das SED-Regime.“

0

Ich will ja die Feierlaune nicht verderben, aber es gibt wichtigere Nachrichten

Geschrieben von:

Den ganzen Tag wird nun schon vom heiteren Tag des Mauerfalls berichtet, obwohl das Wetter wirklich beschissen ist. Die Volkskanzlerin stand in der Bornholmer Straße ziemlich im Regen. Das konnte man auf mindestens vier Kanälen gut erkennen. Ich habe zum „glücklichsten Tag der jüngeren deutschen Geschichte“ bereits gestern etwas geschrieben. Wenigstens der Bundeshorst erinnerte auch daran, dass der 9. November 1989 mit dem 9. November 1938 untrennbar verbunden ist. Den „Tag der Freude“ wollte er sich aber nicht ausreden lassen und behauptete, die deutsch-deutsche Teilung hätte vor allem deshalb überwunden werden können, „weil wir Deutsche die nötigen Lehren aus unserer Geschichte zwischen 1933 und 1945 gezogen haben.“

Darüber lässt sich streiten. Die Franzosen waren zunächst einmal nicht der Auffassung, als hätten die Deutschen ihre Lehren gezogen und wollten der Wiedervereinigung nicht zustimmen. Erst unter der Bedingung, die Stärke der Bundeswehr auf 370.000 Soldaten zu reduzieren, gab François Mitterrand in den Zwei-plus-Vier-Gesprächen sein Einverständnis. Und Großbritannien gab seine Zustimmung erst, nachdem klar war, dass Deutschland auch die Oder-Neiße-Linie als Ostgrenze anerkennen würde. In Kohls 10-Punkte-Programm war davon nämlich noch keine Rede.

Überhaupt findet am heutigen Tag und im Vorfeld viel Verklärung statt. Vor allem die Konservativen stilisieren einmal mehr ihre zufällige geschichtliche Anwesenheit zu einer heldenhaften Stunde empor, obwohl es gerade die Union und namentlich Franz-Josef Strauß war, die den wirtschaftlichen Niedergang der DDR durch großzügige finanzielle Hilfen verhinderten und das ideologisch immer bekämpfte System in seinem Bestehen somit wissentlich verlängerten. Aber sei es drum. Die Volkskanzlerin griff gleich zu großen Worten und forderte eine neue globale Weltordnung ein, unter der die Nationalstaaten nach und nach aufgehen sollten.

Das würde dem ostdeutschen Mädsche wohl prima in den Kram passen. Denn so müsste sie nicht mehr fürchten, der politischen Unfähigkeit doch noch überführt zu werden, sondern könnte unter dem Verweis auf das globale Ganze gemütlich ihrer Rolle als beliebte Überdeutsche nachgehen, die zwischen den internationalen Regierungspalästen hin und her jettet. Den wahrhaft Mächtigen in diesem Land wäre das sehr angenehm. Die Allianz AG müsste zum Beispiel nicht erklären, warum sie heute für das dritte Quartal einen Überschuss von 1,3 Mrd. Euro ausweist, obwohl wir in einer sehr tiefen Krise stecken.

Lesen sie mal den Eingangssatz des heutigen Berichts dazu im Handelsblatt:

Befreit von der Dresdner Bank zeigt die Allianz operativ Stärke. Im dritten Quartal übertraf Europas größter Versicherungskonzern mit einem Überschuss von 1,3 Mrd. Euro die Erwartungen der meisten Analysten.

Nun raten sie mal, wer die Allianz von der Dresdner Bank befreit hat? Richtig. Sie waren das mit ihrem Geld und Merkel hat für sie stellvertretend ihre Zustimmung erteilt.

Oder haben sie gelesen, dass die Bundesregierung Merkel I bereits im August darüber Bescheid wusste, dass General Motors Opel behalten will, aber heute so tut, als sei sie von der Entscheidung der Amerikaner überrascht worden (siehe The Economist)? Kennen sie auch die spezielle Rolle des feinen Herrn zu Guttenberg, der in seiner Funktion als Bundeswirtschaftsminister dafür sorgte, dass sich General Motors den Deal mit Magna noch einmal durch den Kopf gehen ließ (siehe Spiegel Online)? Und wussten sie, dass immer mehr Experten mit einem rassanten Anstieg der Arbeitslosigkeit rechnen (siehe Handelsblatt)?

Mich würde brennend interessieren, wie die neue Bundesregierung zu diesen aktuellen Fragestellungen Position bezieht. Als ich hörte, dass das neue Wachstumsbeschleunigungsgesetz, welches heute im Kabinett verabschiedet wurde, bereits als Konjunkturprogramm bezeichnet wird, habe ich mir vorgestellt, wie es wäre, wenn man das Bundeskabinett hinter einer Mauer einsperren würde. Verdient hätten es einige ja wohl.

0

Allgemeine Vergesslichkeit: Am 9. November fiel doch nicht nur die Mauer

Geschrieben von:

Vor gut zwanzig Jahren hatte der Dicke im Bundekanzleramt einen riesen Bammel davor, den 9. November als nationalen Feiertag und Tag der Deutschen Einheit auszurufen. Damals erinnerte man sich noch daran, dass der 9. November, ein wirklich deutscher 9/11 war. Heraus kam dann der 3. Oktober, mit dem keine Sau, außer vielleicht Dr. Wolfgang Opfer-Schäuble, etwas verbindet. Die Verlegenheitslösung 3. Oktober kam nur deshalb zu Stande, weil man sich davor fürchtete, am 9. November nicht nur der friedlichen Revolution feierlich gedenken zu können, sondern auch mit dem Hitler-Ludendorff-Putsch von 1923 und vor allem der Reichspogromnacht von 1938 an die tiefste Schattenseite der deutschen Geschichte miterinnern zu müssen. Die Wahl des 3. Oktobers war aus meiner Sicht ein Akt der Feigheit vor der wahren deutschen Geschichte.

Nun aber, 20 Jahre nach dem „Mauerfall“, scheint die problematische Debatte von damals längst verschwunden zu sein. Seit gut einer Woche hört man nur noch etwas über den 9. November als den Tag der friedlichen Revolution. So als ob die Geschichte erst 1989 begonnen hätte. Den ganzen Sonntag wird von den Vorbereitungen in Berlin zum morgigen Jahrestag berichtet. Dagegen gibt es kein einzigen Hinweis auf die Geschichte des 9. November 1938, als der Mord an den Juden zum läppischen Zeitvertreib einer ganzen Gesellschaft wurde. Dafür erleben wir morgen in Berlin einen heiteren Domino-Day, ganz nach dem Motto, aus unsere Geschichte können andere noch viel lernen.

Besonders widerlich tut sich da die christliche Kirche hervor, die für sich einen Teil der friedlichen Revolution in der DDR beansprucht. In der Wochenendausgabe der Leinezeitung, ein Beiblatt zur Neuen Presse Hannover sowie der Hannoverschen Allgemeinen, lese ich einen Beitrag vom Superintendenten des Kirchenkreises Neustadt-Wunstorf Michael Hagen. Sein Wort zum Sonntag ist mit der Überschrift „Richtige Zeit, um Mauern zu überwinden“ versehen. In dem Text ruft er die konfliktbeladene Welt dazu auf, sich an der gloreichen deutschen Geschichte des 9. November 1989 ein Beispiel zu nehmen.

„Der gewaltfreie Verlauf dieser friedlichen Revolution auf den Straßen und Plätzen der DDR hatte etwas mit der Friedensarbeit der Kirchen zu tun. Sie war eine Wegbereiterin der friedlichen Revolution der Kerzen und Gebete.

Vor dem Hintergrund des Mauerfalls vor 20 Jahren ruft die Ökumenische Friedensdekade in diesem Jahr dazu auf, den Blick auch auf die heute weltweit bestehenden Mauern zu richten. Mauern, deretwegen auch heute Menschen ausgegrenzt und isoliert werden. Da sind zum Beispiel die Mauern zwischen dem besetzten Westjordanland und Israel, zwischen den USA und Mexiko, zwischen Nord- und Südkorea, auf Zypern oder in der Westsahara. Aber auch die unsichtbaren Mauern, Mauern um die Festung Europa, zwischen Arm und Reich und in unseren Köpfen, richten viel Leid an. Doch sie müssen nicht bleiben. Das hat uns die Geschichte des deutschen Mauerfalls gelehrt.

Deutschland als Lehrmeister in Sachen Vorurteilsüberwindung und Integration. Dieses realitätsferne pathetische Gehabe muss man erst einmal verdauen und vielleicht noch einmal daran erinnern, dass erst kürzlich der neue deutsche Rassenbeauftragte Thilo Sarrazin (SPD) von der Bundesbank meinte, dass ein Großteil der arabischen und türkischen Einwanderer weder integrationswillig noch integrationsfähig sei und rund 51 Prozent der Deutschen dieser Aussage in einer emnid-Umfrage auch noch zustimmten.

Am morgigen 9. November täte uns allen eine Erinnerung an den Mechanismus der „pathischen Projektion“ gut, von dem wir wirklich aus gesellschaftlicher Erfahrung wissen, dass die Menschen nur ihr eigenes Spiegelbild wahrnehmen,

„anstatt das Menschliche gerade als das Verschiedene zurückzuspiegeln. Der Mord ist dann der Versuch, den Wahnsinn solcher falschen Wahrnehmung durch größeren Wahnsinn immer wieder in Vernunft zu verstellen: was nicht als Mensch gesehen wurde und doch Mensch ist, wird zum Ding gemacht, damit es durch keine Regung den manischen Blick mehr widerlegen kann.“ (Theodor W. Adorno, Menschen sehen dich an, in: Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben.)

Der Bielefelder Konfliktforscher Professor Wilhelm Heitmeyer hat in seiner Langzeitstudie über die Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit festgestellt, dass durch geschichtslose Kampagnen über Leitkultur, Nationalstolz und falsche identitätsstiftende Happenings, wie den morgigen Mauerfalltag zum Beispiel die Grundsteine gelegt werden für wieder anwachsende Fremdenfeindlichkeit in diesem Land. Das Ganze korreliert dann mit den Abstiegsängsten der Menschen, die ihren Hass und ihre Wut über ihre persönliche wirtschaftliche Situation auf jene Gruppen der Gesellschaft lenken, die außerhalb zu stehen scheinen. Statt die politisch Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen, sie aus ihren Ämtern zu jagen und sie anzuklagen, folgt die befriedigende Verlagerung von Schuld auf die an den Rand gedrängten Minderheiten, die sich nicht weiter wehren können.

Noch einmal Adorno:

„Es gehört zum Mechanismus der Herrschaft, die Erkenntnis des Leidens, das sie produziert, zu verbieten, und ein gerader Weg führt vom Evangelium der Lebensfreude zur Errichtung von Menschenschlachthäusern so weit hinten in Polen, daß jeder der eigenen Volksgenossen sich einreden kann, er höre die Schmerzensschreie nicht. Das ist das Schema der ungestörten Genußfähigkeit.“ (Aufforderung zum Tanz, in: Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben.)

Das freudige Gedenken an den Mauerfall soll nicht etwa verboten werden. Ganz im Gegenteil. Es sollte nur auch dazu führen, zu begreifen, welchen Zweck solche Feierlichkeiten aus der Sicht der Herrschenden erfüllen. Die selbsternannte „Kanzlerin aller Deutschen“ hat ja kein Interesse daran, eine Debatte der Aufarbeitung in Gang zu setzen, die sich mit der Geschichte einer Gesellschaft befasst, die nicht immer friedlich war. Ihr Interesse liegt ja vornehmlich darin, die Folgen der ökonomischen Krise so zu beherrschen, dass ihr Fehlverhalten und dass ihrer Regierungen ungesühnt bleibt. Die Story vom Mädsche aus dem Osten, welches zur Kanzlerin eines vereinigten Deutschlands aufstieg, dient dabei nur als hübscher Rahmen, der sich passgenau um die Chiffre des 9. November 1989 zu legen scheint und den Eindruck einer perfekten Symbiose zu vermitteln sucht, der die Menschen auch künftig vertrauen sollen.

Die weiter zunehmende Spaltung der Gesellschaft aber, die ökonomisch begründet ist, bleibt politisch im Verborgenen. Zur Kompensation der Verwerfungen bedienen sich die Mächtigen völkischer Symbole, die ganz gezielt die Ausgrenzung von Minderheiten in Kauf nehmen und gegen die sich dann der Zorn der ökonomisch vom Abstieg bedrohten entfalten kann. Ein Mechanismus eben, der nicht neu ist und an den man sich an einem 9. November doch erinnern sollte, um zu begreifen, dass es ein Unterschied gibt zwischen dem Gedenken der schuldig Gewordenen und ihrer Nachkommen sowie der Opfer und ihrer Nachkommen. An die Adresse des oben zitierten Superindendenten gerichtet, sollte man an dieser Stelle an den Aufruf des Arbeitskreises „Israel und Kirche” der Evangelischen Kirche Hessen Nassau aus dem Jahre 2005 erinnern, in dem ein offizieller kirchlicher Gedenktag am 9. November gefordert wurde.

Der 9. November ist durch keinen anderen Gedenktag zu ersetzen. Am 27. Januar, dem staatlichen Gedenktag, wird aller Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft gedacht.

Das Gedenken der schuldig Gewordenen und ihrer Nachkommen unterscheidet sich vom Gedenken der Opfer und ihrer Nachkommen. Es muss Gewissen treffendes Gedenken sein, sonst droht die Gefahr, der eigenen Geschichte auszuweichen, indem man sich unberechtigt auf die Seite der Opfer stellt.

0

Nachtrag: Le 14 juillet: Ein wirklicher Feiertag

Geschrieben von:

Der Nationalfeiertag der Franzosen wäre natürlich nix ohne die Marseillaise. Und die hat niemand so schön gesungen wie Mireille Mathieu „La demoiselle d’Avignon“…


Wenn sie vorhin vielleicht das „Perfekte Dinner“ auf Vox gesehen haben oder eine andere dieser wie Pilze aus dem Boden geschossenen Kochsendungen, die wir Deutschen ja so lieben, denken sie einmal an die Große Französische Revolution. Denn als im Gefängnis L’Abbaye das Septembermassaker im Jahre 1792 ausbrach und zahlreiche Köpfe unter der Regie des Jean Paul Marat rollten, musste auch dem letzten Spitzenkoch im Dienste ihrer Majestät klar werden, dass er künftig lieber ein eigenes Lokal aufmacht, um nicht in den Verdacht zu geraten, wider die Revolution zu handeln. :>>

So wurde nach 1789 und la Grande Terreur, dem viele adlige und klerikale Zeitgenossen zum Opfer fielen, ein Großteil der Köche einfach arbeitslos. Und so wie Versailles das Schloss der Schlösser war, das Europas Monarchen zu kopieren versuchten, so war auch die Küche europäische Spitze und trat nach der Zerschlagung des ancien régimes ihren Siegeszug als „Haute Cuisine“ bei den Bürgern einer neuen Welt an.

0

Le 14 juillet: Ein wirklicher Feiertag

Geschrieben von:

Vive la révolution, vive la République, vive la France!!!

Für uns Deutsche heißt das eigentlich übersetzt, dass wir verpflichtet sind, heute Abend eine Flasche Bordeaux zu öffnen, um etwas zu feiern, das wir nie haben erfahren dürfen. Von dem wir aber profitieren. Die geglückte Revolution. Neidvoll blicken wir immer dann auf unseren Nachbarn, wenn die (Staats-)Bürger („citoyen“) für ihre Rechte kämpfen und sich dabei auch gegen die (Besitz-)Bürger („bourgeois“) zur Wehr setzen. Diese revolutionäre Tradition kennen wir Deutschen nämlich nicht. Max Weber brachte diese Schwäche des deutschen Bürgertums mit dem Unterlassen, einem Hohenzollern je den Kopf abgeschlagen zu haben, auf den Punkt. Seitdem feierten wir nur Tage des Scheiterns wie den 17. Juni oder Tage der herrschenden Bürokratie wie den 3. Oktober. Einen Tag wie der 9. November, der Gutes und viel Schlechtes in der deutschen Geschichte repräsentiert, wurde aus Angst nie ernsthaft in Erwägung gezogen.

Was mit uns Deutschen aktuell los ist, arbeitet Volker Pispers in seinem Dauerprogramm „Bis neulich“ sehr schön heraus. Viele Themen konnten sie in diesem Jahr bei wdr2 schon hören. Viel Spaß…

1
Seite 2 von 2 12