Guido Knopps wöchentliche Märchenstunde im ZDF

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Ganz Deutschland redet darüber, dass sich Menschen in Live-Shows, die etwas mit Unterhaltung zu tun haben sollen, am Samstag Abend den Hals brechen, aber kaum einer spricht über Guido Knopps merkwürdiges „Edutainment“ oder „Histotainment“, bei dem scheinbares Bildungsfernsehen mit halsbrecherischer Gewalt zur Unterhaltung deformiert wird. In Guido Knopps Sendung „Die Deutschen“ werden regelmäßig historische Gegenstände bis zur Unkenntlichkeit entstellt und dem Publikum vor die Augen geworfen.

So auch am Sonntag wieder, als es um Karl Marx ging. Im Ankündigungstext auf der Homepage hieß es schon:

Der Film zeigt die Figur, die Weltgeschichte schrieb, auch in seiner Herkunft, als Privatmann und Familienvater, wie ihn kaum jemand kennt.

Und so geriet auch die Weltgeschichte eher in den Hintergrund, weil sie der Dramaturgie des privaten Lebens Platz machen musste. Doch was bleibt beim Betrachter zurück? Karl Marx sei im Verbund mit Friedrich Engels mehr oder weniger ein Revoluzzer gewesen, dessen akribische Analysearbeit ihm finanziell nichts einbrachte. Erst nach seinem Tod hätten sich zahlreiche Regierungen auf ihn berufen, um ihren kommunistischen Machtanspruch zu legitimieren. Seine Familie hatte es nicht leicht. Dazu ein Kind mit einer anderen Frau. Das wollte Knopp vor allem erzählen.

So dermaßen verkürzt präsentiert Knopp jenen Theoretiker des langen 19. Jh., an dem sich ganze Heerscharen von Geisteswissenschaftlern, darunter Sozialwissenschaftler und Ökonomen, bis heute noch abarbeiten. Im Film wird lapidar von „Prophezeiungen“ gefaselt, die Marx angeblich formuliert haben soll. Das ist schon bemerkenswert, wenn man sich einmal klar macht, mit welcher Inbrunst heute Weissagungen von Wirtschaftsforschungsinstituten als seriöse „Prognosen“ verkauft werden. Und weil man lieber etwas über „Prophezeiungen“ erzählen will, auf die sich scheinbar wirre soziale Bewegungen des 19. und 20. Jh. stützten, vergisst man ganz schnell die wichtigste Prognose der Marxschen Theorie. Es ist eben nicht der Sozialismus und auch nicht der Kommunismus, den Marx vorausgesagt hat, sondern es war die Zusammenbruchskrise, die Marx und Engels sicher prognostizierten.

Ihre Theorie ist eine „Kritische“ und eben keine „Optimistische“. Selbst Guido Knopp zeigt in seinem Film das Hauptwerk „Das Kapital“. Und darunter ist deutlich zu lesen die Begleitüberschrift „Kritik der politischen Ökonomie“. Also allein aus diesem Titel könnte man schon schließen, dass es sich nicht um eine positivistische oder gar idealistische Theorie handeln kann.

Aber wie heißt es im Ankündigungstext der Sendung weiter:

Er ist einer der wirkungsvollsten Bestsellerautoren der Weltgeschichte, und doch haben die Wenigsten sein Werk vollständig gelesen.

Man muss auch nicht alles lesen, es genügt ja schon, gewisse Dinge zu verstehen. Wenn es im Film aber heißt, dass Marx ein trickreicher Zeitgenosse gewesen sei, der mit den Folgen seines Werks nichts zu tun haben wollte, weil er angab, er selber sei kein Marxist, dann haben die Autoren rein gar nichts von der Marxschen Theorie verstanden. Aber dieses Schicksal teilen sie eben auch mit den Marxisten.

Denn der Witz ist doch der, dass die von Marx kritisierte bürgerliche Ideologie von den Kapitalisten und den Marxisten gleichermaßen verinnerlicht wurde, um ihr jeweiliges politisches Programm zu rechtfertigen. Marx selber machte das gegenüber der in Gründung befindlichen Sozialdemokratie deutlich, als er am 5. Mai 1875 auf das ihm übersandte Gothaer Programm verärgert reagierte. An den damaligen Sprecher der SDAP (Sozialdemokratische Arbeiterpartei Deutschlands) Wilhelm Bracke schrieb er deutliche Worte:

„Nachstehende kritische Randglossen zu dem Koalitionsprogramm sind Sie wohl so gut, nach Durchlesung, zur Einsicht an Geib und Auer, Bebel und Liebknecht mitzuteilen. Ich bin überbeschäftigt und muß schon weit über das Arbeitsmaß hinausschießen, das mir ärztlich vorgeschrieben ist. Es war mir daher keineswegs ein „Genuß“, solch langen Wisch zu schreiben. Doch es war notwendig, damit später meinerseits zu tuende Schritte von den Parteifreunden, für welche diese Mitteilung bestimmt ist, nicht mißdeutet werden.

(nach anbehaltenem Koalitionskongreß werden Engels und ich nämlich eine kurze Erklärung veröffentlichen, des Inhalts, daß wir besagtem Prinzipienprogramm durchaus fernstehen und nichts damit zu tun haben.)

Es ist dies unerläßlich, da man im Ausland die von Parteifeinden sorgsam genährte Ansicht – die durchaus irrige Ansicht – hegt, daß wir die Bewegung der sog. Eisenacher Partei insgeheim von hier aus lenken. Noch in einer jüngst erschienenen russischen Schrift macht Bakunin mich z.B. für alle Programme etc. jener Partei verantwortlich ( , sondern sogar für jeden Schritt, den Liebknecht, vom Tag seiner Kooperation mit der Volkspartei (3) an, getan hat).

Abgesehn davon ist es meine Pflicht, ein nach meiner Überzeugung durchaus verwerfliches und die Partei demoralisierendes Programm auch nicht durch diplomatisches Stillschweigen anzuerkennen.“

Quelle: Karl Marx, Kritik des Gothaer Programms

Marx stahl sich also nicht einfach so aus seiner Theorie, sondern verteidigte sie noch zu Lebzeiten gegen die Falschdeutung der sozialdemokratischen Vulgärmarxisten. Bis heute hält sich seltsamerweise die Behauptung aus dem Gothaer Programm, dass die Quelle allen Reichtums die Arbeit sei. Dabei ist genau das bürgerliche Ideologie, die nicht Kern eines sozialistischen Programms sein könne, das den Anspruch erhebt, die Klassengesellschaft zu überwinden.

„Ein sozialistisches Programm darf aber solchen bürgerlichen Redensarten nicht erlauben, die Bedingungen zu verschweigen, die ihnen allein einen Sinn geben. Nur soweit der Mensch sich von vornherein als Eigentümer zur Natur, der ersten Quelle aller Arbeitsmittel und -gegenstände, verhält, sie als ihm gehörig behandelt, wird seine Arbeit Quelle von Gebrauchswerten, also auch von Reichtum. Die Bürger haben sehr gute Gründe, der Arbeit übernatürliche Schöpfungskraft anzudichten; denn grade aus der Naturbedingtheit der Arbeit folgt, daß der Mensch, der kein andres Eigentum besitzt als seine Arbeitskraft, in allen Gesellschafts- und Kulturzuständen der Sklave der andern Menschen sein muß, die sich zu Eigentümern der gegenständlichen Arbeitsbedingungen gemacht haben. Er kann nur mit ihrer Erlaubnis arbeiten, also nur mit ihrer Erlaubnis leben.“

Die gesellschaftlichen Verhältnisse sind also nicht natürlich, sondern erscheinen nur so. Marx nennt das Naturwüchsigkeit. Die Verhältnisse sind aber von den Menschen selbst so eingerichtet, doch sie nehmen den Schein für das Wesen der Sache.

Marx zentraler Begriff ist die Ware. Damit beginnt auch das Kapital. Das Wesen der politischen Ökonomie besteht in der formalen Gleichbehandlung der Warenbesitzer. Unter dem gesellschaftlichen Diktat des Gewaltverzichts muss daher das Individuum die gegenseitige Anerkennung der Warenbesitzer als Grundlage eines Vertrages akzeptieren, der bewusst die persönlichen Bedürfnisse befriedigt und unbewusst gesellschaftliche Prozesse am Leben erhält. Erst über die Freiheit der individuellen Bedürfnisse entwickelt sich ein Markt, an dem das Individuum selbst gar nicht interessiert ist. Nur durch die Verfolgung seiner egoistischen Interessen, realisiert sich die Vernunft der bürgerlichen Gesellschaft. Im Grunde erzeugt die Zirkulation der Waren einen Schein der Gewaltlosigkeit und Gleichheit, dabei verschleiert er Klassenverhältnisse und Transformationsprodukte.

Und die besondere Leistung der „Deutschen“ war nun, dass sich mit der gescheiterten bürgerlichen Revolution von 1848/49 in der zersplitterten deutschen Gesellschaft die einheitsbildende Ablehnung von Liberalismus und Zirkulation herausbildete. Man trennte die Mechanismen des Marktes ab und begriff die Kultur fortan als Qualität, die außerhalb des Erwerbs zu stehen schien. Somit befand sich auch die geistige Arbeit, Geldmittel und Bildung im Zentrum einer Ideologie, die als antisemitische Propaganda das Ressentiment des Außer-Ökonomischen freisetzte.

Im enttäuschten Lager der bürgerlichen Nationalbewegung bildete sich somit eine Ideologie des politischen Antisemitismus heraus. Aber das für Herrn Knopp nur am Rande.

Die Realität des Tauschaktes bleibt undurchschaut. Das Bedürfnis nach äußerer Gewalt, also die gewaltsame Aneignung von Waren, wird durch die Gesetzesherrschaft (Gewaltverzicht) tabuisiert. An die Stelle der eingebüßten Gewalt tritt die Kälte des bürgerlichen Subjektes. Das wurde ja gerade durch Prof. Wilhelm Heitmeyers Langzeitstudie über die Deutschen Zustände wieder neuentdeckt. Dabei hat schon die kritische Theorie von Horkheimer und Adorno, die sich in der Tradition von Marx verstand, diese Prognose formuliert.

In der kritischen Theorie von Marx steckt also viel mehr Wissen über die Gegenwart als in den Unterhaltungsfilmchen des Fernseh-Historikers Guido Knopp zum Ausdruck kommt. Aber das ist auch nicht die Absicht des Dr. Guido Knopp. Bei ihm kommt es eben auf Verpackung und Inszenierung an. Dann sollte man das aber auch ehrlicherweise als Fiktion bezeichnen und nicht als eine Pseudo-Wissenschaft, die etwas mit „Education“ oder „History“ zu tun hat.

Zum Abschluss Kabarettist Rainald Grebe & die Kapelle der Versöhnung über Guido Knopp:

Ich sitz vor der Geschichte, es ist irgendwie nicht meine.
Manchmal denke ich, ich hätte selber keine.
Bitte Guido, bitte bitte ich hätt‘ so gerne eine, eine von Knopp,
Dr. Guido Knopp.
Geschichte ist so geil, ich wär‘ so gern dabei gewesen.
Guido kennt sie alle, die guten und die Bösen.
Er sieht aus wie ein dunkler Frisör, doch er ist Historiker.
Ich will’s immer wieder anschauen und nichts mehr drüber lesen.

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