Die Herde setzt zur Flucht an

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Schwellenländer wie Argentinien, Brasilien, Türkei und Indonesien geraten in Währungsturbulenzen. Die Investoren flüchten, so lauten die Nachrichten seit ein paar Tagen und Wochen. Nur warum flüchten die Investoren, die doch eigentlich als Spekulanten bezeichnet werden müssten? Ist es nicht die Aufgabe der Schwellenländer, künftig die Exportüberschüsse Deutschlands zu finanzieren? Dafür benötigen die aber Geld und zwar das der Investoren Spekulanten. Die wiederum flüchten aber nicht aus rationalen Gründen, wie uns jene Börsenheinis weißmachen wollen, die auch behaupten, dass die Aktie gerade wieder als Altersvorsorge tauge. Sie flüchten eigentlich nur, weil es die Herde tut. In Panik sozusagen.

Es ist schon erstaunlich, wie sich das Blatt in der öffentlichen Diskussion mal wieder gewendet hat. Plötzlich haben die Wirtschaftsredaktionen die Problematik anhaltender Leistungsbilanzdefizite entdeckt. Heiner Flassbeck weist am Beispiel der FAZ darauf hin. 

In der Türkei, schreibt Gerald Braunberger, riefen „das Leistungsbilanzdefizit und die Auslandsverschuldung Sorgen hervor.“ Na so etwas, Sorgen haben auf einmal Länder, die Leistungsbilanzdefizite und Auslandsverschuldung aufweisen. Wo doch gerade die FAZ in den vergangenen Wochen nicht müde wurde zu betonen, wie ungefährlich, ja geradezu gut die deutschen Leistungsbilanzüberschüsse für die ganze Welt sind. Wie können dann Defizite und Verschuldung schlecht sein, wenn Überschüsse und Forderungen doch durchweg gut sind? Sind die deutschen Überschüsse vielleicht gar nicht von dieser Welt? Sind es doch Mars und Venus, die die Defizite machen, die den deutschen Überschüssen gegenüberstehen?

An den Börsen wird erzählt, dass die Entscheidung der FED, die Geldschleusen langsam zu schließen, das Angstbarometer der Anleger wieder steigen lasse. Die Defizite der Schwellenländer würden nun sichtbar und das Risiko für die Anleger sei plötzlich zu hoch. Dabei waren die Leistungsbilanzdefizite schon vorher sichtbar, wurden aber absichtlich oder aus Unwissenheit übersehen, weil es die Anleger ja toll fanden, in die Schwellenländer und vor allem in die gut verzinste Währung zu investieren.

Hier zeigt sich wieder, wie absurd der Meinungsmainstream funktioniert. Das Interesse der Anleger gilt ja nicht irgendeiner wirtschaftlichen Entwicklung, sondern der Möglichkeit, mit billig geliehenem Kapital die höchst mögliche Rendite zu erzielen. Nicht Investition, sondern Spekulation ist die Triebfeder des Kapitalmarkts. Die Zinsunterschiede versprachen einen Profit unter der Bedingung der lockeren Geldpolitik (Carry-Trades). Diese neigt sich im Dollarraum nun allmählich dem Ende zu, so scheint es aber nur. Die Probleme der Schwellenländer sind daher nicht der Grund für eine Kapitalflucht der Spekulanten, sondern bloß ein Anlass, den man der zahlenden Öffentlichkeit als Brocken hinwirft.

Hinzu kommen bestimmte Automatismen, die an der Börse selten eine Erwähnung finden. Bei den dort berichtenden Journalisten herrscht der Glaube vor, dass selbst Anleger mal tief enttäuscht sein dürften und ihre seit Monaten vorhandene gute Stimmung “vorübergehend” verlieren können. Ich frage mich nur, wo genau das menschliche Gefühl der “tiefen Enttäuschung” in den Algorithmen der Superrechner versteckt sein soll, die blitzschnell über Kauf und Verkauf entscheiden.

Diese angenommene Emotionalität als Grundlage von Entscheidungen ist eine abwegige Vorstellung, die immer dann besonders deutlich wird, wenn “Unfälle” an den Marktplätzen dieser Welt passieren und die Börsenkurse plötzlich rasant zu fallen beginnen und der Handel sogar ausgesetzt werden muss. Mehr als 70 Prozent der amerikanischen und bis zu 50 Prozent der deutschen Aktiengeschäfte werden nicht von realen Anlegern oder Investoren getätigt, sondern von Computerprogrammen im Nanosekundenbereich. Das Ganze nennt sich Hochfrequenzhandel, auf den die Börsenheinis selbst schon einmal hingewiesen hatten.

Dieser Hochfrequenzhandel ist fehlerhaft und führt auch dazu, dass sich die Herde von Spekulanten davon natürlich beeinflussen lässt und ihre Geschäfte dem ausgelösten Druck entsprechend panisch anzupassen versucht. Das kann auch ein Gefühl erzeugen, nämlich nicht zu denen gehören zu wollen, die den Anschluss an die Herde verpassen. Der Hochfrequenzhandel bildet beschleunigt daher nur das ab, was auch im normalen Handel maßgeblich ist. Es sind keine Unternehmensdaten oder Nachrichten zur konjunkturellen Lage, die das Geschehen bestimmen, sondern ein simples Herdenverhalten basierend auf Gerüchten, Glauben und technischen Pannen.

Im Ergebnis wird einfach nur weitergezockt, ohne Rücksicht auf Schäden für die reale Volkswirtschaft, die am Ende nicht die Spekulanten zahlen. Das öffentliche Erkennen von Leistungsbilanzdefiziten als Problem passt da nur ins Bild, um die Zocker einerseits als rational denkende Anleger beschreiben zu können und die ahnungslosen Börsenheinis als seriöse Journalisten erscheinen zu lassen. Die bejubeln aber weiterhin den “fulminanten” Jahresauftakt der deutschen Industrie, die aber ihre Aufträge doch gerade aus jenen Ländern erhalten haben muss, die als neue Problemstaaten jetzt gebrandmarkt werden.

Statt von einem Aufschwung hier zu faseln, müsste die Journaille vor einem wirtschaftlichen Absturz warnen. Denn was sind die optimistischen Prognosen noch wert, wenn die deutsche Exportwirtschaft neben den Absatzmärkten der Eurozone nun auch noch die in Lateinamerika und Asien verlöre?

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Gabriels Energiewende lässt das Wesentliche außen vor

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Wie lautet  der große Plan des neuen Bundeswirtschaftsministers mit besonderen Zuständigkeiten in Sachen Erneuerbare Energien? Sigmar Gabriel will den Anstieg der Strompreise begrenzen und glaubt, dieses Ziel mit deutlichen Abstrichen bei der Förderung von Ökostrom erreichen zu können. EEG 2.0 nennt er sein Projekt, das wesentliche Fragen unbeantwortet lässt.

Der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) hat in seinem Sondergutachten mit dem Titel „Den Strommarkt der Zukunft gestalten“, das seit Montag den Abgeordneten des Bundestages als Drucksache 18/281 vorliegt, klare Zusammenhänge benannt. Die Experten warnen vor Fehldeutungen und raten zu einer Versachlichung der Kostendebatte. Sie schreiben in ihrem Bericht:

Die grundlegende Reformbedürftigkeit des EEG wird in der öffentlichen Diskussion oft damit begründet, dass das EEG hohe Stromkosten verursache, deren weiteres Anwachsen gestoppt werden müsse. Allerdings werden in dieser Diskussion verschiedene Argumentationsebenen vermengt. Erstens wird der Strompreisanstieg der letzten Jahre einseitig mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien erklärt. Zweitens konzentriert sich die Auseinandersetzung auf einen Indikator, der zur Ermittlung der tatsächlichen Förderkosten der erneuerbaren Energien ungeeignet ist. Drittens werden die resultierenden sozialen Probleme und die gesamtwirtschaftliche Bedeutung der Entwicklungen überzeichnet.

Der SRU warnt ausdrücklich vor solchen Fehldeutungen. Die Verdoppelung des Haushaltsstrompreises im Laufe der letzten Dekade war vor allem durch den Kostenanstieg der fossilen Energieträger getrieben. Zudem ist die EEG-Umlage als Indikator für die Kosten der erneuerbaren Energien untauglich. Die Umlage – als Differenz zwischen Einspeisevergütung und Marktpreis – steigt unter anderem, weil die großzügigen Befreiungen für eine Reihe von Industrieunternehmen auf alle anderen Stromkunden umgelegt werden.

Zu einer Steigerung führt paradoxerweise auch, dass der Börsenstrompreis wegen sinkender CO2-Preise und der wachsenden Einspeisung erneuerbarer Energien fällt. Beide Effekte stellen aber keine Förderkosten für die erneuerbaren Energien dar. Fehlerhafte Indikatoren können zu fehlerhaften Reformen führen, die den Ausbau der erneuerbaren Energien bremsen und damit das Gesamtziel der Energiewende gefährden würden.

In welchem Umfang Herr Gabriel und die Bundesregierung die großzügigen Befreiungen für Industrieunternehmen nun zurücknehmen wollen, bleibt auch nach dem Treffen der Schlossgeister in Meseberg weiterhin unklar. Was ist mit den niedrigen Preisen an der Strombörse, die seltsamerweise zu einem Anstieg der Verbraucherpreise führen? Auch dazu findet sich keine Position des SPD-Vorsitzenden und Superministers, der gleichzeitig auf Vokabeln wie “Marktnähe” zurückgreift.

Eine Strompreisaufsicht könnte helfen, den Markt so zu regulieren, das er der Allgemeinheit dient und nicht dem Stromkartell. Gabriels Kanzlerkandidat hatte so etwas kurz vor der Wahl noch gefordert. Doch das ist längst vergessen. Wem Gabriel gehorcht und dient, dürfte inzwischen klar sein. Klaus Stuttmann hat es im Bild festgehalten.

Quelle: Stuttmann Karikaturen

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Verzerrte Wahrnehmung des verzerrten Wettbewerbs

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In ihrer Regierungserklärung sagte Merkel: „Ich sage ganz schlicht und ergreifend: Solange es europäische Länder gibt, in denen der Industriestrom billiger ist als in Deutschland, sehe ich nicht ein, warum wir zur Wettbewerbsverzerrung beitragen. Das werden wir ganz genau so vertreten.“

Diese Botschaft schaffte es in die Nachrichten. Merkel wirft sich schützend vor die deutsche Wirtschaft. Das ist verständlich. Schließlich geht es um die heilige Kuh Wettbewerbsfähigkeit und damit um unsere Arbeitsplätze. Es könne doch nicht im Sinne Europas sein, wenn dessen Musterschüler Jobs abbauen und an Zugkraft, von der angeblich alle profitieren, verlieren würde.

“Deshalb müssen wir, wenn es uns um Arbeitsplätze, um das Wohl der Bürgerinnen und Bürger in Europa geht, den Blick über Europa hinaus lenken. […] Hier geht es um Unternehmen, und wenn es um Unternehmen geht, geht es um Arbeitsplätze. Deshalb werden wir natürlich eng mit der Kommission zusammenarbeiten, aber wir werden auch deutlich machen, dass Europa nicht dadurch stärker wird, dass auch in Deutschland Arbeitsplätze gefährdet werden. Mit diesem Angang werden wir unsere Position dort sehr deutlich darlegen.”

Wie gesagt, die Haltung der Kanzlerin ist verständlich und dennoch im höchsten Maße unvernünftig, weil sie einmal mehr die Logik des internationalen Handels unterschlägt. In Deutschland dürfen keine Arbeitsplätze in Gefahr geraten. Doch warum die Arbeitsplätze in den anderen Staaten der Eurozone in Gefahr geraten sind, darüber klärt die Kanzlerin nicht auf. Sie und die weitgehend unkritische Öffentlichkeit begnügen sich mit der Feststellung, dass diese Staaten lange Zeit über ihren Verhältnissen gelebt und an Wettbewerbsfähigkeit verloren haben. Dass es auf der anderen Seite dann zwangsläufig jemanden geben muss, der unter seinen Verhältnissen gelebt und an Wettbewerbsfähigkeit hinzugewonnen hat, sehen sie nicht.

Der eigentliche Exportschlager der deutschen Wirtschaft sind nicht die Waren und Dienstleistungen, um deren Qualität ein chauvinistischer Hype veranstaltet wird, sondern die Arbeitslosigkeit. Denn die Jobs, die bei uns aufgrund des zunehmenden Exportüberschusses entstanden sind und den relativen Wettbewerbsvorteil begründen, fehlen in den Staaten, die für die entsprechende Nachfrage nach deutschen Gütern sorgen und sich dabei immer weiter verschulden müssen. Das war auch der Kern der amerikanischen Kritik an den anhaltend hohen Leistungsbilanzüberschüssen Deutschlands, die nun nicht mehr die zur Austerität verdonnerten Eurostaaten zu spüren bekommen, sondern Länder wie die USA, Russland und die Türkei.

Die inländische Nachfrage bleibt hinter der inländischen Produktion zurück. Das kümmert die Kanzlerin aber nicht weiter. Schließlich ist sie der Auffassung, dass Überschüsse etwas Gutes sind und sich alle anderen nur kräftig nach dem Vorbild Deutschlands anstrengen und ihre Haushalte in Ordnung bringen müssten, um genauso erfolgreich exportieren zu können wie wir. Das dauerhafte Exportüberschüsse auf der einen Seite auch dauerhafte Importüberschüsse auf der anderen Seite bedeuten, ignorieren die Kanzlerin, ihre Regierung, die deutsche Wirtschaft und große Teile der Öffentlichkeit. Den Defizitsündern stehen Exportsünder gegenüber.

Was hat das nun mit Wettbewerbsverzerrung zu tun, die von der EU-Kommission unterstellt und von Angela Merkel bestritten wird? Über die Sonderregelungen zur Ökostromumlage werden deutsche Unternehmen, die sich bereits durch die langsame Lohnstückkostenentwicklung der letzten Dekade einen relativen Wettbewerbsvorteil in der Eurozone auf Kosten der anderen haben erschleichen können,  noch einmal begünstigt. Wenn Angela Merkel und ihre Einflüsterer aus der Wirtschaft also die noch günstigeren Industriestromtarife in den Südländern als Begründung für die Rabatte hierzulande anführen, müssten sie auch über die auseinanderklaffende Lohnstückkostenentwicklung reden, die zu den Verwerfungen in der Leistungsbilanz geführt haben und eine sehr viel größere Wettbewerbsverzerrung widerspiegeln.

Das Gejammer über den teuren Strom in Deutschland ist unglaubwürdig. Ökostrom ist nämlich nicht teuer, sondern billiger als der herkömmlich produzierte Strom, worunter die Energiekonzerne an der Leipziger Strombörse arg zu leiden haben. Nun ist es aber so, dass der Preisvorteil, der mit Ökostrom am Markt erzielt wird nicht an die Verbraucher weitergegeben wird, die Kosten der per Gesetz festgelegten Ökostromumlage hingegen schon. Statt Brüssel aufs Korn zu nehmen, sollte Merkel die Bosse des Energieoligopols einbestellen und deren Gebahren unter Aufsicht stellen. Eine Strompreisaufsicht wäre dabei der richtigere Weg, als der, immer mehr Verbraucher die steigenden Stromrechnungen ihrer Arbeitgeber bezahlen zu lassen.

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Börse nimm dich in Acht

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Wer hat heute Börse vor Acht gesehen? Einfach zu schön, da die Entscheidung er US-Notenbank FED nicht mehr vor der Sendezeit fiel. So wagten die Börsenprofis bei der ARD mal wieder einen Schuss ins Blaue (nicht, dass die auch was anderes könnten) und interpretierten den Anstieg des DAX als Vorfreude der Anleger darauf, dass die FED ihr Anleihenaufkaufprogramm nicht drosseln und das billige Geld weiterhin sprudeln würde.

Und was soll ich sagen, es kam natürlich anders. Die FED kündigte an, ihre monatlichen Anleihekäufe zu reduzieren und die Nullzinspolitik solange beizubehalten, bis die Arbeitslosenquote unter eine bestimmte Schwelle fällt. Laut ARD Börsenstudio machte nun der Dow Jones einen Freudensprung. Offenbar haben die Anleger dort ganz fest mit dem Schritt gerechnet, obwohl die Journalisten jetzt vom Ausstieg aus der lockeren Geldpolitik schreiben.

Gestern faselte Markus Gürne in der Börse vor Acht: Alles ist rosig. Das Stimmungsbarometer steigt, die Auftragsbücher sind voll, doch an der Börse tut sich nix. Es sei halt alles erwartet worden. Was hätte er wohl gesagt, wenn die Kurse gestiegen wären: „In freudiger Erwartung“ und wenn die Kurse gefallen wären: „In trauriger Erwartung“. Statt der Börse vor Acht sollte die ARD lieber die andere Werbung mit den Jingles senden. Da kommt inhaltlich mehr rüber.

Andererseits könnte man Börse vor Acht auch als Satire Magazin sehen. Dann würde ich den Machern aber empfehlen, die Sendung wegen der zu authentisch wirkenden Seriosität der Darsteller einzustellen. Damit ließe sich die Ersparnis beim Rundfunkbeitrag sicherlich noch deutlich erhöhen.

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Nachtrag zum Beitrag: Die Woche der faulen Kompromisse beginnt

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Prof. Dr. Günter Buchholz (GB), Ökonom und emeritierter Professor für Allgemeine BWL und Consulting an der FH Hannover schreibt:

Sehr geehrter Herr Tautenhahn,

ich bin sehr oft, sogar meistens Ihrer Auffassung, aber im Hinblick auf Ihre Anmerkungen zur Frauenquote bin ich es aus m. E. sehr guten Gründen nicht. Und ich kenne die Debatte bis zum letzten, sogar bis zum allerletzten Argument, das kann ich Ihnen versichern. Ich möchte Sie anlässlich der derzeit aktualisierten Frauenquotendebatte auf die Frankfurter Erklärung zur Gleichstellungspolitik hinweisen:

http://www.frankfurter-erklärung.de/

in der SZ ist heute ebenfalls darüber berichtet worden:

http://jetzt.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/581146/Die-Qual-der-Quote  (hierzu: meine Anmerkung am Schluss)

Weitere Begründungen einer Kritik der Frauenquotenpolitik finden Sie unter:

http://www.streitbar.eu/qsq.html

http://cuncti.net/haltbar/306-alles-luege-feministisches-rent-seeking-durch-frauenquoten 

http://sciencefiles.org/category/genderismus/

Zur tieferen, u. a. auch juristischen Begründung sei verwiesen auf: Harald Schulze / Torsten Steiger / Alexander Ulfig: Qualifikation statt Quote Norderstedt 2012

Zitat aus der SZ:

“Die CSU-Europaabgeordnete Angelika Niebler sieht das anders. Dass es zu wenige Frauen in Spitzenjobs gebe, in Firmen wie an Unis, ‚ist nicht eine Frage der Qualifikation, sondern der etablierten Strukturen‘; darum begrüßt sie den Vorschlag zur Frauenquote, auch wenn sie findet, dass die EU sich damit Kompetenzen der Mitgliedstaaten aneignet. Und sie warnt davor, das Professorinnen-Programm überzubewerten. Eine Initialzündung sei einfach nötig, um weibliche Talente in Führungspositionen zu bringen. Die Gefahr, dass dadurch das Niveau sinkt, sieht sie nicht: ‚Eine Professorin muss sich ja ständig neu beweisen.’“

GB: Frau Niebler behauptet also ohne Begründung und ohne Nachweis, sogar ohne Plausibilisierung, dass bisher – zumindest in der Tendenz – n i c h t nach Qualifikation eingestellt und berufen worden sei. Also alle Berufungskommissionen aller Hochschulen hätten Frauen diskriminiert (sogenannte „etablierte Strukturen“). Und alle Unternehmensleitungen hätten gleichqualifizierte Frauen aus Führungspositionen ausgeschlossen.

Ist es realistisch anzunehmen, dass die Unternehmen nicht wüssten, was gut für sie ist? Und dass die Hochschulen nicht in der Lage wären, die jeweils qualifizierteste Person auszuwählen? – Und weshalb soll eine “Initialzündung” notwendig sein? Keinerlei Begründung. Immer dieselben Vorurteile. Und “eine Professorin müsse sich ständig neu beweisen?” Stimmt das? Ich bezweifle es ernsthaft. In der Gender Studies jedenfalls gilt das gewiss nicht, weil das ein völlig geschlossener Kreis ist.

Mit freundlichen Grüßen Prof. Dr. Günter Buchholz

Sehr geehrter Herr Buchholz,

vielen Dank für Ihre Mail und Ihre Kritik. Offensichtlich habe ich mich in meinem heutigen Kommentar missverständlich ausgedrückt. Mir ging es nicht um die Frauenquote, sondern um die faulen Kompromisse, zu denen die SPD nach dem Parteitag bereit ist. Also um den Prozess. Die Frauenquote nimmt im Wahlprogramm der SPD nur einen kurzen Absatz ein. 40 Prozent Frauen in Aufsichtsräten und Vorständen war das Ziel in börsennotierten Unternehmen. Herausgekommen ist verbindlich 30 Prozent in Aufsichtsräten und verbindlich 0 Prozent in Vorständen mit dem Zusatz freiwillig. Dazu die Jubelmeldung.

Viel größeren Raum nimmt die richtige Forderung nach gleicher Bezahlung für gleiche und gleichwertige Arbeit ein. Dazu hört man von Frau Schwesig aber nichts. Trotzdem verkündet sie den großen Wurf dort, wo es überhaupt nicht um die Interessen der SPD-Wähler geht. Welchen Wert solch ein Kompromiss aber hat, wird von den Medien und auch von mir, da haben Sie recht, nicht hinreichend aufgeklärt.

Eine Frauenquote in Führungspositionen ist meiner Ansicht nach von geringerer Bedeutung. Die Masse der Frauen leidet eben nicht unter einer fehlenden Quote für Aufsichtsräte und Vorstände, sondern unter einer Lohnbenachteiligung, wie es die SPD richtig in ihrem Wahlprogramm schreibt.

Im übrigen ist der Eliteninzest bei der Besetzung von Aufsichtsräten und Vorständen das größere Problem. Da sitzen immer dieselben Nasen und ihre Abkömmlinge, oftmals auch gelernte Politiker. Die Frage einer Frauenquote hat mit Frauenpolitik jedenfalls nichts zu tun.

Mit freundlichem Gruß

André Tautenhahn

Viel größeren Raum nimmt die richtige Forderung nach gleicher Bezahlung für gleiche und gleichwertige Arbeit ein.

GB: Niemand, wirklich niemand hat etwas gegen gleiche Bezahlung, w e n n Vergleichbarkeit tatsächlich gegeben ist und nicht bloß behauptet wird!

Aber es wimmelt in der Presse von Falschmeldungen, z. B. den angeblichen 23%.

Siehe: feministische Mythen auf Manndat.


Eine Frauenquote in Führungspositionen ist meiner Ansicht nach von geringerer Bedeutung. Die Masse der Frauen leidet eben nicht unter einer fehlenden Quote für Aufsichtsräte und Vorstände, sondern unter einer Lohnbenachteiligung, wie es die SPD richtig in ihrem Wahlprogramm schreibt.

GB: das stimmt, das ist eine Sache für ambitionierte Mittelschichtfrauen, die sich einen Karrriere-Turbo wünschen. Und bekommen. Wieso sich Linke dafür einsetzen, das ist mir völlig schleierhaft. Das ist eine rechte Politik (vgl. meine Beiträge auf cuncti und le-bohemien).


Im übrigen ist der Eliteninzest bei der Besetzung von Aufsichtsräten und Vorständen das größere Problem. Da sitzen immer dieselben Nasen und ihre Abkömmlinge, oftmals auch gelernte Politiker. Die Frage einer Frauenquote hat mit Frauenpolitik jedenfalls nichts zu tun.

GB: Millionen lohnabhängiger Frauen haben g a n z andere Sorgen. Aber die SPD kümmert sich nicht um Lohnabhängige. D a s ist der Skandal.

Mit freundlichen Grüßen Prof. Dr. Günter Buchholz

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Jobabbau, weil Milliarde bei Milliardengewinn fehlt

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VoRWEg gehen heißt beim Energiekonzern RWE vor allem übliche Strategien konsequent anzuwenden und bei Gewinneinbrüchen Stellen zu streichen sowie Gehälter zu beschneiden. Worum geht es: Der Konzern erwartet “nur” noch einen Gewinn von 7,6 bis 8,1 Milliarden Euro vor Steuern, rund eine Milliarde weniger als 2012. Bis September hat das Unternehmen “gerade so” 6,71 Milliarden Euro Betriebsgewinn erwirtschaftet und damit das Vorjahresniveau noch einmal halten können, erwartet wurden 6,8 Milliarden. 

Aus Sicht der Manager und vor allem der Anteilseigner ist das offenbar eine Katastrophe, auf die mit dem üblichen in der Summe radikalen Personalabbau reagiert werden müsse. Wohlgemerkt, nicht die Kosten sind zu hoch, sondern die Gewinne und Gewinnerwartungen zu niedrig. RWE streicht seit Jahren Stellen und liegt damit an der Spitze in der oligopolistisch organisierten Energiebranche. Diese leide vor allem unter dem stark gesunkenen Börsenstrompreis. Das ist allerdings komisch, da die niedrigen Strompreise an der Börse überhaupt nicht an die Kunden weitergebeben werden.

Die Wiedereinführung einer staatlichen Preisaufsicht, die es bis 2007 einmal gab, hatte es vor der Wahl als Versprechen gegeben. In den Koalitionsverhandlungen ist davon allerdings keine Rede mehr. Das Fehlen einer solchen Instanz hat die Strompreise für Verbraucher in sechs Jahren um fast 40 Prozent steigen lassen. Die Folge: Milliardengewinne auf Seiten der Energieversorger, die nun herumjammern, dass von den vielen erwarteten Milliarden eine fehlen wird. Fakt ist, dass die Konzerne seit Jahren den Strompreis und damit ihre Einnahmen beinahe nach Belieben regulieren dürfen.

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GEZ-Gebühren für peinliche Börsen-Heinis

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Markus Gürne ist einer der “Börsenexperten” der ARD, die täglich kurz vor acht zu Wirtschaftsthemen eine kompetent wirkende Einschätzung aus Frankfurt abgeben dürfen. Wie sehr diese mit GEZ-Gebühren vollgepumpten Schlaumeier mit ihrem flotten Analysten-Gewäsch daneben liegen, konnte man wieder in dieser Woche erleben. Ich habe das mal frei zusammengeschnitten und hoffe auf die Kritikfähigkeit der ARD.

Am Dienstag meinte Gürne am Ende seines Dreiminüters, dass die Aktionäre im neu beginnenden Quartal von einer Aufbruchstimmung gepackt worden seien. Der Dax nehme langsam aber sicher Kurs auf die 8000er Marke, die zu überspringen bis Freitag klappen könne, wenn, ja wenn es keine neuen Hiobsbotschaften gibt, so Gürne.

Mal abgesehen von der Frage, welchen Informationswert es für den ARD Zuschauer hat, wenn der DAX eine bestimmte Marke überspringt, steckt doch auch schon im Aufbau der Ankündigung zu Wochenbeginn das große Nichts. Denn sollte der DAX, wie ja nun geschehen, nicht die sicher geglaubte Marke erreichen, hat der clevere Börsenanalyst neben seinem “leider nichts geworden-Satz” natürlich auch noch die Hiobsbotschaft parat. In dieser Woche waren es derer gleich drei. Korea-Krise, US-Arbeitsmarktdaten und die Vogelgrippe in China. Warum nun die Enttarnung von geheimen Geschäften in Steueroasen in der Aufzählung fehlt, mag wohl daran liegen, dass die heiligen Anleger nicht mit einem kriminellen Verhalten in Verbindung gebracht werden dürfen.

Am Ende kann es nach Auffassung des Experten Gürne in der nächsten Woche eigentlich nur besser werden. So hoffen es zumindest er und sein Team. Mal schauen, welches der sechs Gesichter dann unser Gebührengeld sinnlos Gassi führt. Wer übrigens mal auf der Seite der ARD Börsencombo vorbeischaut, findet den selbstbewussten Satz:

Nur in Ausnahmefällen und zu besonderen Anlässen und Ereignissen kann die Sendung ausfallen.

Na dann, frohes DAX-Raten noch.

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Rettung der aller letzten Gehirnzelle

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Heute Morgen ist Wolfgang Schäuble mit dem Satz zitiert worden, die Bundesregierung könne zufrieden mit dem sein, was auch immer da in der Nacht beschlossen wurde. (“Ich bin froh, dass wir jetzt das erreicht haben, was immer unsere Position war”, Quelle: SpOn) Kein Scherz. Die Meldung lief genauso in den Nachrichten auf NDR 2. Zuvor berichteten natürlich alle Medien total erleichtert vom völlig unerwarteten Ergebnis des Zypern-Gipfels in Belgien. Eine  Rettung in aller, aller, aller letzter Minute soll es gewesen sein. Wieder einmal hatten die “Euroretter” eine Nacht durchgemacht und… ja wie Schäuble offenbar gesagt hat, irgendwas beschlossen.

Euphorisierte Korrespondentinnen gaben im Radio sogar die aktuellen Zahlen von den asiatischen Börsen durch. Dort sei der Wert des Euro aufgrund der frohen Kunde aus Brüssel um einen Cent gestiegen und damit geradezu explodiert. Das ist immer noch kein Scherz, sondern tatsächlich so gesendet worden. Am Mittag wich die Euphorie allmählich dem Blick auf die Fakten. Der inzwischen wieder oder noch immer wache Schäuble antwortete bei einer Pressekonferenz auf die Frage, wie hoch denn nun die Beteiligung der Einleger sei, wie folgt: “Das muss erst noch berechnet werden.” Das ist immer noch kein Scherz, sondern tatsächlich so gesendet worden. 

Zwischendurch wurde noch bekannt, das die nationalen Parlamente dem sogenannten Zypern-Paket auch zustimmen müssen. Hier hat es Ultimatum-Schäuble aber plötzlich gar nicht mehr so eilig. Eine schnelle Zustimmung sei nicht nötig, wird er zitiert. Frau Merkel, die vor einer Woche die Zwangsabgabe auf alle Einlagen noch supi fand (“Ich finde, das ist richtig”), dann aber unbemerkt und ungestört abtauchen durfte, meldete sich wieder zu Wort und beschrieb das Wesen ihrer Rettungspolitik im berühmten einerseits, andererseits. Einerseits gebe es Auflagen und andererseits Solidarität. Das sei gerecht.

Das klingt nach einem fairen Deal. Immerhin haben die Deutschen Retter auch verhindert, dass die Zyprer im “Nervenkrieg” der letzten Woche vor lauter Verzweiflung ihren Rentenfonds plündern. Das übernimmt jetzt wie gewohnt die Troika mit ihrem sozialverträglichen Standardprogramm aus Ausgabenkürzungen und Privatisierungen. Freilich muss darüber noch in aller Ruhe verhandelt werden. Schließlich soll der zehn Milliarden “Hilfskredit”, der die Verschuldung des Landes mal eben auf 150 Prozent des BIP ansteigen lassen wird, bedient werden. Im Ergebnis dürfte aber das dabei herauskommen, was der Karikaturist Klaus Stuttmann auf einem Bild so wunderschön zum Ausdruck bringt.

Quelle: Stuttmann Karikaturen

Merkel, Schäuble und die Troika hoffen also erneut wider besseres Wissen mit einem zerstörerischen Maßnahmenbündel die eurorettungsbedingte Verschuldung Zyperns bis 2020 auf 100 Prozent drücken zu können. Der Plan hat allerdings weder in Irland noch in Portugal funktioniert, wie man unter anderem auf Querschuesse nachlesen kann.

“Der Fall Zypern zeigt, dass letztlich immer ein Grund gefunden wird, um das austeritätspolitische Konzept der Troika durchzusetzen, sobald Finanzhilfen des ESM und des IWF notwendig werden.”

Der verzückten Medienmeute sind diese Beispiele des Versagens bisher nicht aufgefallen. Den Journalisten fällt auch nicht auf, dass die EZB angesichts der Einigung, die im Detail noch immer nicht so ganz nachvollziehbar ist, wie Jens Berger auf den NDS aufgedröselt und herausgefunden hat, dennoch ganz rasch entschieden hat, wieder Geld nach Zypern zu schicken. “Es gebe keine Einwände gegen eine weitere Liquiditätsversorgung der Institute durch die zyprische Notenbank”, heißt es auf Tagesschau.de.

Das heißt wiederum, eine ernsthafte Pleitegefahr hat nie bestanden, da die Drohung der Zentralbank lediglich darin bestand, bei Verstreichen des Ultimatums einen Akt der Selbstverstümmelung vornehmen zu wollen. Demnach hätten die “Retter” auch irgendwas beschließen können, um die taktischen Bedenken bei der EZB zu zerstreuen.

Ich wundere mich nur, warum noch niemand auf die Idee gekommen ist, ein Endlager für die letzte Gehirnzelle in diesem Land zu suchen. Bevor der Verstand endgültig dahingerafft worden ist, sollte ein Rest an Wissen doch irgendwo sicher für die Nachwelt verwahrt werden.

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Die Zuspitzung der Krise ist bewusst gemacht

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Gerade hat die EZB ein Ultimatum an die zyprische Regierung formuliert. Bis kommenden Montag muss eine Lösung her, sonst droht die Schließung des Geldhahns. Prompt reagieren die Märkte mit einer Talfahrt. Als das zyprische Parlament den mit Überraschungen versehenen Rettungsplan der Eurogruppe am Dienstagabend klar und deutlich ablehnte, blieb es an den Börsen hingegen ruhig. Wie die Eurokrise funktioniert, wird besonders in dieser Woche sehr anschaulich vermittelt.

Richtig war das Nein des zyprischen Parlaments. Damit bestand nämlich zum ersten Mal die Chance, das absurde Vorgehen und das schlechte Blatt der „Euroretter“ auch für die Doofen an den deutschen Stammtischen sichtbar werden zu lassen. Leider wurde der kurze Moment des erhellenden Lichts durch das Gebrüll von bornierten Kommentatoren mit Reichweite schrill überdeckt. Dabei ist klar, kein Land der Eurozone kann pleitegehen. Die Konkursgefahr wird nur ständig herbeigeredet, um politisch Druck ausüben zu können.

Es ist doch seltsam, dass die EZB ihre Kreditlinien nun mit einem Ultimatum verknüpft. Das macht man nur, um inhaltlich leere Drohungen besser verkaufen zu können. Nach der Parlamentsentscheidung vom Dienstag haben alle mit einem Weltuntergang gerechnet. Er blieb freilich aus und die “Euroretter” auf ihrer geplatzten Dramaturgie sitzen. An den Märkten herrschte ebenfalls Ruhe. Erst das Ultimatum der EZB von heute sorgt wieder für die gewünschte Panik, die viele als Zuspitzung der Krise interpretieren. Würde die Zentralbank stattdessen an ihrem ursprünglichen Kurs festhalten, die Liquidität in der Eurozone in jedem Fall sicherzustellen, wäre weiterhin Ruhe im Karton. Dann hätten allerdings die „Euroretter“ mit ihren Drohungen und Hilfsprogrammen keine Chance, sondern würden sich mit ihrer Rhetorik in Slapstick-Nummern verheddern.

Da aber die EZB, wie von Schäuble gewollt, mitspielt, wird es am Verhandlungstisch mit Sicherheit eine Lösung geben, der auch das Parlament in Nikosia abschließend zustimmt. Dann gibt es wieder nur Gewinner, allen voran Angela Merkel und Wolfgang Schäuble, aber keine gelösten Probleme. Das wissen die Bürger Zyperns ganz genau, für die ein Deal mit Brüssel nichts anderes bedeutet, als Souveränität abzugeben und weitere Einschnitte in dann regelmäßigen Abständen hinnehmen zu müssen. Das lehrt sie das Beispiel Griechenland, von dem wir Deutschen ja schon wieder glauben, es sei gerettet, weil Mutti Merkel und Märchen-Onkel Claus vom heute-journal es so nett erzählen.

Dabei ist die Mittelmeerinsel Zypern durch das Versagen der „Euroretter“ in Schwierigkeiten geraten und nicht weil es wie andere auch, seinen Finanzplatz außerordentlich liebevoll gepflegt hat. Das dilletantische Vorgehen der Achse Berlin/Brüssel während der seit fast fünf Jahren andauernden Finanzkrise hat zum einen zu hohen Abschreibungen bei den zyprischen Banken geführt und zum anderen das gesamte Land seiner bisherigen Märkte in Südeuropa beraubt. Die Logik des Schuldenschnitts kombiniert mit einer gnadenlosen Austeritätspolitik ging und geht nicht auf, sondern führt nur zu einer ständigen und immer teurer werdenden Verlagerung der immer gleichen Probleme.

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Aus Forschern wurden Auftragsarbeiter

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Die Wahlforschung hat eine lange Geschichte und geht im Prinzip auf die Wette zurück, das Ergebnis einer Stimmabgabe möglichst präzise vorhersagen zu können. Dazu hat es in Amerika verschiedene Ansätze gegeben. Sie kennen George Gallup, der im Präsidentschaftswahlkampf 1936 mit repräsentativer Stichprobe und der Wahrscheinlichkeitsrechnung exakt den Sieg Roosevelts voraussagen konnte und damit die Grundlage für moderne Prognosen schuf.

Daneben ist auch der Ansatz von Paul Felix Lazarsfeld zu nennen, der die Entscheidung für einen Kandidaten oder eine Partei als Ergebnis eines komplexen Vermittlungsprozesses betrachtete, bei dem Meinungsführer, Massenmedien und die Sozialisation des Wählers eine Rolle spielen. Die Wahlforschung war und ist ein Feld der empirischen Sozialforschung, auf dem Soziologen sich im 20. Jahrhundert zunehmend professionalisieren konnten.

Doch was ist daraus geworden? Aus Forschern wurden Auftragsarbeiter, die nicht mehr im wenig ertragreichen Dienst der Wissenschaft stehen, sondern eine gut bezahlte Dienstleistung im Sinne der Auftraggeber anbieten. Selten treffen die Institute aber mit ihren Ergebnissen ins Schwarze. Das Ziel ist nicht mehr die präzise Vorhersage des Wahlausgangs, sondern die Beeinflussung des Zeitraums davor. Anhand der zahlreichen Umfragen verschiedener Institute, die sich zu einem inflationär auftretenden Phänomen entwickelt haben, wird die ganze Bandbreite der Verwirrung deutlich.

Die FDP, die im gleichen Erhebungszeitraum mal bei vier, dann bei zwei und nun bei fünf Prozent gesehen wird, ist da nur ein Beispiel. Jörg Schönenborn will sogar ein nicht ausgeschöpftes liberales Wählerpotenzial von 23 Prozent erkannt haben. Aktuell liegt die Linke in Niedersachsen nach Berechnungen der Info GmbH bei sechs Prozent, nachdem alle anderen Institute sie konstant bei drei sehen. Vor einer Woche sorgte Allensbach in Bayern für Aufregung, als die Chefin des ehrwürdigen Umfrageinstituts Renate Köcher der CSU in Wildbad Kreuth mitteilte, dass die Regionalpartei bei der Bundestagswahl nur mit 41 Prozent in Bayern rechnen könne. Das seien ja bis zu acht Punkte weniger als in den Umfragen zur Landtagswahl, hieß es entsetzt von CSU-Seite.

Das Ergebnis von der bisher geschätzten CSU-Ratgeberin könne also nicht stimmen, lautete eine empörte wie auch interessante Reaktion. Man erwartete sich eine deutlich bessere Umfrage vom Bayerischen Rundfunk, hieß es weiter. Die folgte dann auch am vergangenen Mittwoch. Infratest dimap sieht die CSU bei deutlich günstigeren 47 Prozent. Was soll der Adressat, also der Wähler, mit solchen Nachrichten im Börsenstil eigentlich noch anfangen? Wundert es einen da wirklich noch, dass immer mehr Menschen den Urnengang verweigern oder gar angeben, nicht zu wissen, wen sie überhaupt wählen sollen? Die professionalisierte Wahlforschung hat mit Wissenschaft immer weniger zu tun, dafür immer mehr mit dem lukrativen Geschäft des Marketings.

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