Aus Forschern wurden Auftragsarbeiter

Geschrieben von: am 12. Jan 2013 um 12:17

Die Wahlforschung hat eine lange Geschichte und geht im Prinzip auf die Wette zurück, das Ergebnis einer Stimmabgabe möglichst präzise vorhersagen zu können. Dazu hat es in Amerika verschiedene Ansätze gegeben. Sie kennen George Gallup, der im Präsidentschaftswahlkampf 1936 mit repräsentativer Stichprobe und der Wahrscheinlichkeitsrechnung exakt den Sieg Roosevelts voraussagen konnte und damit die Grundlage für moderne Prognosen schuf.

Daneben ist auch der Ansatz von Paul Felix Lazarsfeld zu nennen, der die Entscheidung für einen Kandidaten oder eine Partei als Ergebnis eines komplexen Vermittlungsprozesses betrachtete, bei dem Meinungsführer, Massenmedien und die Sozialisation des Wählers eine Rolle spielen. Die Wahlforschung war und ist ein Feld der empirischen Sozialforschung, auf dem Soziologen sich im 20. Jahrhundert zunehmend professionalisieren konnten.

Doch was ist daraus geworden? Aus Forschern wurden Auftragsarbeiter, die nicht mehr im wenig ertragreichen Dienst der Wissenschaft stehen, sondern eine gut bezahlte Dienstleistung im Sinne der Auftraggeber anbieten. Selten treffen die Institute aber mit ihren Ergebnissen ins Schwarze. Das Ziel ist nicht mehr die präzise Vorhersage des Wahlausgangs, sondern die Beeinflussung des Zeitraums davor. Anhand der zahlreichen Umfragen verschiedener Institute, die sich zu einem inflationär auftretenden Phänomen entwickelt haben, wird die ganze Bandbreite der Verwirrung deutlich.

Die FDP, die im gleichen Erhebungszeitraum mal bei vier, dann bei zwei und nun bei fünf Prozent gesehen wird, ist da nur ein Beispiel. Jörg Schönenborn will sogar ein nicht ausgeschöpftes liberales Wählerpotenzial von 23 Prozent erkannt haben. Aktuell liegt die Linke in Niedersachsen nach Berechnungen der Info GmbH bei sechs Prozent, nachdem alle anderen Institute sie konstant bei drei sehen. Vor einer Woche sorgte Allensbach in Bayern für Aufregung, als die Chefin des ehrwürdigen Umfrageinstituts Renate Köcher der CSU in Wildbad Kreuth mitteilte, dass die Regionalpartei bei der Bundestagswahl nur mit 41 Prozent in Bayern rechnen könne. Das seien ja bis zu acht Punkte weniger als in den Umfragen zur Landtagswahl, hieß es entsetzt von CSU-Seite.

Das Ergebnis von der bisher geschätzten CSU-Ratgeberin könne also nicht stimmen, lautete eine empörte wie auch interessante Reaktion. Man erwartete sich eine deutlich bessere Umfrage vom Bayerischen Rundfunk, hieß es weiter. Die folgte dann auch am vergangenen Mittwoch. Infratest dimap sieht die CSU bei deutlich günstigeren 47 Prozent. Was soll der Adressat, also der Wähler, mit solchen Nachrichten im Börsenstil eigentlich noch anfangen? Wundert es einen da wirklich noch, dass immer mehr Menschen den Urnengang verweigern oder gar angeben, nicht zu wissen, wen sie überhaupt wählen sollen? Die professionalisierte Wahlforschung hat mit Wissenschaft immer weniger zu tun, dafür immer mehr mit dem lukrativen Geschäft des Marketings.

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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Kommentare

  1. Georg Frigger  Januar 12, 2013

    Zitat aus Methoden der Empirischen Zozialforschung, Reiner Schnell, Paul B. Hill, Elke Esser, 9. Auflage, 2011, S. 1:“Obwohl der Nachweis, dass mit dieser Art von Wahlprognosen wissenschaftlich nicht haltbare Ergebnisse erzielt werden, leicht geführt werden kann, beeinträchtigt dies deren Popularität bei Politikern und Journalisten nicht.“
    http://www.wahlprognosen-info.de:
    „Wahlprognosen sind keine Orientierungshilfe, sondern bewußte Täuschung. Ergebnisse von Umfragen werden von Demoskopen abgeändert, weil sie diesen nicht trauen. Ihre Zahlen sind in Wirklichkeit Tipps, die als Umfrageresultate getarnt sind!“ „Meinungsforscher reagieren auf diese Kritik allergisch. Mit einer Klage auf 500000 Mark Buße oder zwei Jahre Gefängnis sollte Statistik-Prof. Ulmer mundtot gemacht werden. Doch die Klägerin – die Prozentzahlen-Schmiede des ZDF-Politbarometers – blitzte 1997 vor dem LG und OLG Hamburg ab.“

  2. der-olli  Januar 12, 2013

    Die arme FDP muss vielleicht sogar draufzahlen!

    „Sollten tatsächlich nur -0,5 Prozent für die FDP stimmen, wäre die FDP damit auch die erste Partei, die nicht nur keine Wahlkampfkostenerstattung bekommt, sondern sogar noch draufzahlen muss.“
    http://www.der-postillon.com/2013/01/statistische-fehlertoleranz-von-25-fdp.html

    Wem sollen dann bitte so Leute wie der Baron Finck http://www.spiegelfechter.com/wordpress/1739/der-alte-mann-und-die-fdp noch Ähm…Ehrenwörter abringen, oder so.