Ein Stresstest für die Bürger

Geschrieben von: am 17. Mai 2011 um 15:09

Der Stresstest der Reaktorsicherheitskommission liegt jetzt vor. Ob die deutschen Kernkraftwerke nun sicher sind oder nicht, ist, wie zu erwarten war, Ansichtssache. Während in dem Bericht darauf hingewiesen wird, dass alle Meiler zwar die gesetzlichen Sicherheitsstandards erfüllen, die von Schwarz-Gelb im Vorfeld der Laufzeitverlängerung entsprechend angepasst wurden, stellten die Prüfer darüber hinaus fest, dass keines der Kraftwerke jene Anforderungen durchgängig erfüllt, die das Expertengremium für wichtig erachtet. Gegen Flugzeugabstürze ist keine der überprüften Anlagen wirklich sicher.

Für Umweltminister Röttgen ist das aber kein Grund, entsprechende Schlüsse zu ziehen. Er muss den Bericht erst einmal eingehend prüfen und bewerten. Das finde ich immer wieder lustig. Politiker delegieren Prüfaufträge an externe Expertengruppen und Arbeitskreise, bekommen dann einen entsprechenden Bericht mit einem Ergebnis und fangen dann an, diesen selber zu prüfen. Aber vielleicht liegt es auch an den Berichten, die nicht wirklich Ergebnisse liefern, sondern ein sowohl als auch offenlassen.

Im Fazit des Berichts heißt es, die Bewertung der Kernkraftwerke bei den ausgesuchten Einwirkungen zeige, dass „abhängig von den betrachteten Themenfeldern über alle Anlagen kein durchgehendes Ergebnis in Abhängigkeit von Bauart, Alter der Anlage oder Generation nachzuweisen ist“.

Quelle: Süddeutsche

Es sei nur daran erinnert, dass die Union immer davon faselte, dass kein Atomkraftwerk am Netz sein und bleiben könne, dass nicht 100 prozentig den Sicherheitsstandards genüge. Wenn man nun dieses Ergebnis richtig interpretiert, ist eine klare Aussage gar nicht möglich. Demzufolge müssten alle Meiler vom Netz, weil die Sicherheit gar nicht wirklich feststellbar ist.

Umweltminister Röttgen aber bleibt gelassen.

„Das ist kein Argument zu sagen, wir müssen da Hals über Kopf von heute auf morgen raus“

Welches Argument nun aber dafür spricht, die Anlagen länger laufen zu lassen, ist bis heute nicht erbracht worden. Zwar behaupten Atomkraftbefürworter und die großen Stromkonzerne, dass sich Deutschland einen schnellen Ausstieg gar nicht leisten könne und die Versorgungssicherheit bedroht sei, einen Beweis für diese Behauptung gibt es aber nicht.

Besonders interessant wird es, wenn die wachsende Abhängigkeit von ausländischen Stromlieferanten als Begründung gegen einen Ausstieg herangezogen wird. Dann sei man ja über Nacht von tschechischen Kohle- und französischen Atomkraftwerken abhängig, heißt es. Was wäre bei diesem Szenario gewonnen, fragen plötzlich die umweltbewussten deutschen Energiebosse. Die Energiebilanz würde sich ja auf einen Schlag verschlechtern, wenn man dreckigen Kohlestrom aus Tschechien importieren würde und gar der Gipfel der Scheinheiligkeit wäre es, wenn Atomkraftgegner es gut fänden, Atomstrom aus Frankreich zu kaufen.

Das darf natürlich nicht sein, deshalb plant der deutsche Energieversorger RWE in Holland ganz nah an der Grenze zu Deutschland, ein neues Atomkraftwerk zu bauen, mit dem er die widerspenstigen Teutonen auch weiterhin mit teuren Strom versorgen kann. In Tschechien besteht kein Bedarf, dort unterhält E.ON die stinkenden Kohlekraftwerke.

Sie sehen schon, dass es überhaupt nicht um die Frage geht, ob wir bei einem Atomausstieg auf Stromimporte zweifelhafter Herkunft angewiesen sein könnten. Der Verbraucher ist in jedem Fall von privatwirtschaftlich organisierten Monopolstrukturen abhängig. Demnach kann die Forderung nicht nur lauten, Atomkraftwerke stillzulegen. Viel wichtiger wäre es, das bestehende Energieoligopol endlich zu zerschlagen und sich einzugestehen, dass die Privatisierung der Energieversorgung ein schlimmer Fehler war. Erst dann kann man sich auch wieder ernsthaft über so etwas wie Sicherheit unterhalten.

Wie lautet der Standardspruch bei der Atomenergiefrage? Ruhe bewahren und darauf achten, dass Umweltverträglichkeit, Versorgungssicherheit und bezahlbare Energie auch in Zukunft garantiert sind. Diesen Verdummungssatz haben sie exakt bei der Verlängerung der Laufzeiten im Herbst letzten Jahres gehört und sie hören ihn jetzt wieder, wenn es darum geht, einen Scheinausstieg zu organisieren. Er stammt von den Betreibern der Atomkraftwerke selber und bedeutet übersetzt, dass die Meiler solange laufen, wie sie Geld abwerfen oder aber eine andere Möglichkeit gefunden wird, Profite beim Verkauf von Strom zu erzielen.

In den Niederlanden sollen nun bis zu fünf Milliarden Euro für ein einziges Atomkraft verbaut werden, Entsorgungskosten für abgebrannte Brennelemente noch nicht eingerechnet. Das zahlen die von RWE sicherlich nicht selbst, sondern der Steuerzahler und die Verbraucher des angeblich so günstigen und sauberen Atomstroms.

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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Kommentare

  1. Arnold  Mai 18, 2011

    Wenn die RWE ein Atomkraftwerk in Holland baut oder wir Atomstrom aus Frankreich importieren, haben wir zumindest den Vorteil, dass die Entsorgung der Brennelemente und der Abbau des KKW nicht von unseren Steuergeldern bezahlt wird.
    Vielleicht kann uns das Ganze auch helfen unser Importdefizit abzubauen.