Grundrechte dulden keinen Aufschub

Geschrieben von: am 05. Nov 2019 um 11:00

Die Sanktionen, die der Gesetzgeber für den Fall von Pflichtverletzungen bei der Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt vorsieht, sind teilweise verfassungswidrig. Das Bundesverfassungsgericht gibt der Bundesregierung damit eine Hausaufgabe auf, setzt aber auch selbst eine Übergangsregelung in Kraft, um die Lage der Betroffenen sofort zu verbessern. Nur ändert das nichts daran, dass die verfassungswidrigen Regelungen, trotz aller Hinweise und Urteile von Landessozialgerichten, die es gegeben hat, bereits seit 2005 existieren. Es wird also schon seit 14 Jahren ganz bewusst gegen Artikel 1 und Artikel 20 des Grundgesetzes verstoßen.

Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom Dienstag zu der Sanktionspraxis im Sozialgesetzbuch II eine eigene Übergangsregelung in Kraft gesetzt und damit darauf verzichtet, dem Gesetzgeber eine Frist vorzugeben, innerhalb der er ein verfassungskonformes Gesetz beschließen muss. Das zeigt, wie wichtig es dem Gericht ist, dass elementare Grundrechte wie die Menschenwürde sowie das unabänderliche Sozialstaatsprinzip gewahrt bleiben müssen. Beides duldet keinen Aufschub. So gesehen ist das auch ein klares Urteil gegen diese und vorherige Bundesregierungen, die einen verfassungswidrigen Zustand immer wieder tolerierten und zum Teil ganz abenteuerlich verteidigten.

Unter normalen Umständen wäre das ein Grund für einen Rücktritt oder für Sanktionen gegen den Gesetzgeber. Aber im Unterschied zu den Bedürftigen, die auf staatliche Leistungen angewiesen sind, gelten für die Parlamentarier, die auch auf staatliche Leistungen angewiesen sind, andere Regeln. Sie dürfen weiter regieren und das nächste verfassungswidrige Gesetz beschließen, weil sie wissen, dass ein Urteil mitunter erst Jahrzehnte später gefällt werden wird und zwar auch noch von Richtern wie Stephan Harbarth, die vorher in politischer Verantwortung stehend, das in Teilen verfassungswidrige Gesetz erst mit ermöglichten.


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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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Kommentare

  1. AmiGoHome  November 5, 2019

    Bananenstaat

  2. Dieter  November 5, 2019

    Irgendwo muss ja gespart werden, wenn so viel Geld verschwendet wird !

    https://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/steuerhinterziehung-kostet-die-eu-staaten-825-milliarden-euro-pro-jahr-studie-a-1249844.html

    „Steuerhinterziehung kostet die EU-Staaten 825 Milliarden Euro pro Jahr
    Der EU-Haushalt – mal fünf

    Dennoch ist der Schaden für den Fiskus weiterhin enorm. Mit 825 Milliarden Euro liegt er weit über der Summe, die der öffentlichen Hand etwa durch legale Steuervermeidung durch internationale Konzerne entgeht – sie liegt laut Murphy bei 50 bis 190 Milliarden Euro pro Jahr. 825 Milliarden Euro entsprechen ungefähr dem Fünffachen des jährlichen EU-Haushalts oder 1650 Euro pro EU-Bürger. Würde man den Betrag in 500-Euro-Noten stapeln, wäre der Turm am Ende rund 300 Kilometer hoch und 1800 Tonnen schwer.

    Die mit Abstand größte Steuerlücke klafft in Italien: Hier gehen dem Fiskus jährlich rund 190 Milliarden Euro durch die Lappen. Auf Platz zwei steht Deutschland mit 125 Milliarden, gefolgt von Frankreich mit 117 Milliarden.“

    Hurra, Deutschland ist Steuerhinterziehungs – Vize Europameister

  3. Frank  November 5, 2019

    Die Hartz IV Sätze waren schon bei Entstehung nach unten Manipuliert. Nun ist dieses runtermanipulierte Hartz IV lt BVerfGe sogar 30% mehr als zur Existenzsicherung nötig ist. Das wird eine weitere Abwärtsspirale in Gang setzen. Nicht nur bei Hartz IV, sondern auch bei allen anderen existenzsichernden Leistungen wie Asyl, Rente, Bafög, …
    Denn hartz IV minus 30 ist ja genug.

    • Dieter  November 6, 2019

      Aber eine Aufwärtsspirale bei der Abwanderung von Spezialisten !

      https://news.kununu.com/fachkraeftemangel-ist-ein-kassenschlager-martin-gaedt/

      „Mehr als vier Millionen Deutsche arbeiten im Ausland. Damit sind wir Vize-Europameister direkt hinter Polen. Von allen Deutschen haben 15,1 Prozent einen akademischen Abschluss, von allen im Ausland arbeitenden Deutschen hingegen 84 Prozent. Wer geht, ist gut gebildet und flexibler. Weltweit tobt der sogenannte „war for talents“ um Software-Entwickler, Ärzte und Hoteliers. Warum gehen vier Millionen Fachkräfte weg? Meistens wegen befristeter Verträge oder schlechterer Bezahlung in Deutschland. Fachkräftemangel? Oder mangelhafte Verträge?“

      Auf der anderen Seite, die Top qualifizierten Ausländer machen ein Bogen um Deutschland.

      https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/themen/aktuelle-meldungen/2019/mai/deutschland-ist-fuer-auslaendische-fachkraefte-nur-maessig-attraktiv/

      „Nur im Mittelfeld internationaler Attraktivität bewegt sich Deutschland mit einem zwölften Platz für ausgebildete Fachkräfte, die mindestens einen Masterabschluss haben. Australien, Schweden, die Schweiz, Neuseeland, Kanada und Irland sind hingegen besonders interessant.“

  4. cource  November 6, 2019

    menschen in die obdachlosigkeit/sozialverträgliches frühableben zu drängen entlastet die sozial-/rentenkassen

  5. Matti Illoinen  November 6, 2019

    Auf der anderen Seite hat eine Minderheit in diesem Land ein Barvermögen von über 5000 Milliarden Euro, ohne Immobilien. Und dieses Vermögen ist seit der Finanzkrise noch gewachsen. Auf der anderen Seite dürfen moderne Sklaverei weiter prakteziert werden. Denn wenn ich unter Androhung von Sanktionen, jeden, Job der nicht einmal den Armutsmindestlohn beinhaltet, ist das Ausbeutung per Gesetz. Und die sog. Arbeitgeber haben weiterhin freie Hand. Das ist politisch gewollt, und wird mit AfD noch schlimmer werden.

  6. Dieter  November 6, 2019

    Zur Erinnerung
    https://de.wikipedia.org/wiki/Artikel_20_des_Grundgesetzes_f%C3%BCr_die_Bundesrepublik_Deutschland

    Artikel 20 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland

    (1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

    (2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

    (3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

    (4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.“

    Wenn über mehr als ein Jahrzehnt gegen die Macht, die vom Volke aus gehen soll, bewußt verstoßen wird, dann ist Deutschland kein Land, in dem die Politik dem Volk gewidment ist ( dem Volk gewidmet = Demokratie ).