"Costa Concordia": Aufarbeitung folgt einem Drehbuch

Geschrieben von: am 22. Jan 2012 um 20:28

Die Havarie der “Costa Concordia” ist nach wie vor ein Dauerbrenner in den Medien. Allerdings wirkt die Berichterstattung zu dem Unglück mehr als seltsam. Ich habe den Eindruck, die Bewertung wichtiger Informationen verläuft streng nach einem Drehbuch, um möglichst viel von der Geschichte zu haben. Auf tagesschau.de lese ich heute die Überschrift,

“Ein Gruß vor Giglio – von der Reederei verlangt?”

Die Rolle der Reederei gerät nun ins Blickfeld, nachdem eine Woche lang über den Kapitän gespottet und geschimpft wurde, der zunächst eigenmächtig den Kurs änderte, um anderen zu imponieren, um dann, als das Schiff in Schieflage geriet, es als einer der ersten zu verlassen.

Zahlreiche Reporter standen vor Ort, berichteten über die Rettungsmaßnahmen und spekulierten über die Hintergründe. Aber keiner fragte bei den Bewohnern der Insel einmal nach, ob und wie oft ein Schiff bei ihnen vor der Haustür (was dann nach derzeitigem Stand ja nur unerlaubt stattgefunden haben kann) vorbeigeschippert ist. Offenbar galt es zunächst, die Einzigartigkeit des Vorfalls zu beleuchten.

Dabei schien bereits unmittelbar nach der Havarie klar zu sein, dass es nicht das erste Mal war, dass ein Dampfer vor der Küste Giglios mit einem riskanten Manöver zu Werbezwecken, wie es heute heißt, für Aufmerksamkeit sorgte. Ich würde sagen, das verbotswidrige Verhalten galt als völlig normal. Der Bürgermeister der Stadt Porto bedankte sich sogar für diese “Verneigungen” großer Kreuzer. In diesem Artikel eines belgischen Nachrichtenportals ist bereits am 15. Januar von “Gewohnheit” die Rede.

Blijkbaar was het een gewoonte om de bewoners van het eiland te komen groeten en de sirenes op te zetten.

Doch die hiesigen Medien wollten die zelebrierte Normalität gar nicht erst zur Kenntnis nehmen und fanden die Geschichte von einem Kapitän, der eigenmächtig handelte und schließlich das Weite suchte sehr verlockend. Erst jetzt rücken die Reederei und wirtschaftliche Interessen in den Fokus der Berichterstattung. So als ob der Verdacht sich urplötzlich durch eine Aussage des Kapitäns zu erhärten scheint.

Die Information, dass für das Schiffsunglück sehr wahrscheinlich eine übliche Methode im Kreuzfahrtgeschäft verantwortlich zeichnet, die, solange nichts passierte, auch nie jemanden störte, soll möglichst lang unter der Decke gehalten werden. Systemisches Versagen können die Medien, die wohlmöglich selbst an einer erfolgreichen Vermarktung von Urlaubsreisen auf Kreuzfahrtschiffen (diese Art des Reisens ist ja sehr in Mode gekommen) in Form von Anzeigen  mitverdienen, gerade nicht gebrauchen.

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Dank an Trithemius für den Link zum belgischen Nachrichtenportal.

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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Kommentare

  1. Ormuz  Januar 23, 2012

    Da kann man nur hoffen, daß andere Kapitäne klarer bei Verstand sind und nicht für irgendwelchen Budenzauber das Leben der Menschen an Bord riskieren, egal was die Reederei für werbewirksam hält.