"Costa Concordia": Aufarbeitung folgt einem Drehbuch

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Die Havarie der “Costa Concordia” ist nach wie vor ein Dauerbrenner in den Medien. Allerdings wirkt die Berichterstattung zu dem Unglück mehr als seltsam. Ich habe den Eindruck, die Bewertung wichtiger Informationen verläuft streng nach einem Drehbuch, um möglichst viel von der Geschichte zu haben. Auf tagesschau.de lese ich heute die Überschrift,

“Ein Gruß vor Giglio – von der Reederei verlangt?”

Die Rolle der Reederei gerät nun ins Blickfeld, nachdem eine Woche lang über den Kapitän gespottet und geschimpft wurde, der zunächst eigenmächtig den Kurs änderte, um anderen zu imponieren, um dann, als das Schiff in Schieflage geriet, es als einer der ersten zu verlassen.

Zahlreiche Reporter standen vor Ort, berichteten über die Rettungsmaßnahmen und spekulierten über die Hintergründe. Aber keiner fragte bei den Bewohnern der Insel einmal nach, ob und wie oft ein Schiff bei ihnen vor der Haustür (was dann nach derzeitigem Stand ja nur unerlaubt stattgefunden haben kann) vorbeigeschippert ist. Offenbar galt es zunächst, die Einzigartigkeit des Vorfalls zu beleuchten.

Dabei schien bereits unmittelbar nach der Havarie klar zu sein, dass es nicht das erste Mal war, dass ein Dampfer vor der Küste Giglios mit einem riskanten Manöver zu Werbezwecken, wie es heute heißt, für Aufmerksamkeit sorgte. Ich würde sagen, das verbotswidrige Verhalten galt als völlig normal. Der Bürgermeister der Stadt Porto bedankte sich sogar für diese “Verneigungen” großer Kreuzer. In diesem Artikel eines belgischen Nachrichtenportals ist bereits am 15. Januar von “Gewohnheit” die Rede.

Blijkbaar was het een gewoonte om de bewoners van het eiland te komen groeten en de sirenes op te zetten.

Doch die hiesigen Medien wollten die zelebrierte Normalität gar nicht erst zur Kenntnis nehmen und fanden die Geschichte von einem Kapitän, der eigenmächtig handelte und schließlich das Weite suchte sehr verlockend. Erst jetzt rücken die Reederei und wirtschaftliche Interessen in den Fokus der Berichterstattung. So als ob der Verdacht sich urplötzlich durch eine Aussage des Kapitäns zu erhärten scheint.

Die Information, dass für das Schiffsunglück sehr wahrscheinlich eine übliche Methode im Kreuzfahrtgeschäft verantwortlich zeichnet, die, solange nichts passierte, auch nie jemanden störte, soll möglichst lang unter der Decke gehalten werden. Systemisches Versagen können die Medien, die wohlmöglich selbst an einer erfolgreichen Vermarktung von Urlaubsreisen auf Kreuzfahrtschiffen (diese Art des Reisens ist ja sehr in Mode gekommen) in Form von Anzeigen  mitverdienen, gerade nicht gebrauchen.

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Dank an Trithemius für den Link zum belgischen Nachrichtenportal.

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Der böse Kapitän

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Seit der Havarie der “Costa Concordia” wurde der Kapitän sehr schnell als Sündenbock für die Katastrophe ausgemacht. Naiv verbreiteten die Medien die Geschichte vom Einzelgänger, der Freunden auf der Insel Giglio mit der riskanten Vorbeifahrt bloß imponieren wollte. Die Reederei distanzierte sich umgehend von ihrem Mitarbeiter und machte ihn allein für das Unglück verantwortlich. Keiner interessierte sich für die Frage, ob es vielleicht ein wirtschaftliches Interesse des Unternehmens gegeben haben könnte, im hart umkämpften Kreuzfahrtgeschäft mit einem besonderem Highlight aufzuwarten.

Tagelang rätseln Journalisten und Experten um die Motive des Kapitäns, ein derartiges Risiko in Kauf zu nehmen. Nun, es war wirklich zu erwarten, wurde bekannt, dass der Kapitän Francesco Schettino bereits 2010 die gleiche spektakuläre Route zwischen Insel und Festland wählte und dies auch der Reederei bekannt sein musste.

Wie ARD-Korrespondent Carsten Kühntopp berichtet, veröffentlichte die Reederei auf ihrer Webseite einen begeisterten Erlebnisbericht von einer solchen Vorbeifahrt vom August 2010. Kapitän auch damals: Francesco Schettino.  

Quelle: Tagesschau

Die Überraschung dürfte wieder groß sein. Aber nicht, weil man feststellte, dass systemisches Marktversagen inzwischen zur Regel geworden ist, bei dem es immer auch Opfer zu beklagen gibt, sondern weil hier mal wieder Einzelne aus Profitinteressen ein unverantwortliches Risiko eingegangen sind. Zum bösen Kapitän kommt vielleicht noch der böse Reederei-Manager und das war’s.

Das System, welches Niedertracht erst produziert und riskantes, der Gier geschuldetes, Verhalten belohnt – solange es gutgeht – darf hingegen fortbestehen.

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