Afghanistan hat die Wahl, die Neue Presse scheinbar nicht…

Geschrieben von: am 21. Aug 2009 um 16:44

…denn heute folgt auf Seite eins ein weiterer Kommentar vom Experten für Krieg, Terrorismus und Angst, Horst Schmuda, in dem er den Einsatz der Bundeswehr zu rechtfertigen versucht. „Die Angst wählt mit“ nennt er seinen Text und beschreibt eigentlich zunächst einmal die trostlose Lage in dem Land…

„Tote, Verletzte, geheime Absprachen, Stimmenkauf, Geisterwähler – der zweite Urnengang am Hindukusch seit der Befreiung von der talibanischen Verbrecherbande übersteigt so ziemlich unseren doch reichlich naiven demokratischen Horizont. Es konnte ja gar nicht funktionieren: Unsere tollen westlichen Werte, mit denen wir die Afghanen beglücken wollten, die von unserem Demokratieverständnis inspirierte Verfassung – all das scheint wie eine politische Transplantation, die mit den Verhältnissen in einem Land, in dem Stämme und Clans das Sagen haben, einfach nicht zusammenwachsen will. Karsai, der Abzocker dieser Wahl, einst Hoffnungsträger des Westens, der im eigenen Land nicht mehr Macht hat als ein Oberbürgermeister von Kabul – die Kritik an ihm wird immer lauter. Weil die westliche Wertegemeinschaft demokratische Anstrengungen des Präsidenten vermisst, der stattdessen den Schulterschluss mit religiösen Ultras und kriminellen Warlords sucht.“

Doch all diese bitteren Erkenntnisse vermögen es nicht, bei Horst Schmuda einen sinnvollen Gedanken auszulösen. Im Gegenteil. In seiner typischen Manier witzelt er wie immer unkomisch herum und fragt sogar scherzend…

„Und für so was setzen unsere Soldaten ihr Leben aufs Spiel?“

…, um dann aus der Tatsache, dass überhaupt jemand zur Wahl gegangen ist und damit ein an sich korruptes System am Leben erhält, eine plumpe Rechtfertigung für den Bundeswehreinsatz zu stricken.

„Böse Frage, sollte man ganz schnell vergessen. Denn der Mut vieler Afghanen, die den mörderischen Drohungen der Taliban trotzend unter Lebensgefahr wählen gingen, verpflichtet uns, das Land nicht vorzeitig aufzugeben. Denn im Grunde genommen geht es doch nur um eins: dass Afghanistan nicht wieder in die Hände irrer Steinzeitislamisten fällt.“

Mit der Wortkreation „Steinzeitislamisten“ bedient Schmuda mal wieder ein ganz übles Ressentiment, dessen Zweck darin begründet liegt, die Öffentlichkeit auf das alte schwarz-weiß Spiel Gut gegen Böse einzuschwören. Übel ist das deshalb, weil Schmudas angebliche „Steinzeitislamisten“ gar nichts Rückständiges an sich haben, sondern äußerst modern in Erscheinung treten. Das ist ja auch kein Wunder, schließlich war es die westliche Welt, konkret die USA, die diese „Steinzeitislamisten“, und Osama bin Laden war einer von ihnen, in Saudi Arabien erst angeworben, ausgebildet und schließlich mit militärischem Gerät ausgestattet haben, damit sie gegen die damals bösen Sowjets in Afghanistan zu Felde ziehen.

Damals hätte Horst Schmuda in der Neuen Presse Hannover wahrscheinlich den gloreichen Kampf der Mudschahiddin verteidigt und von den „Steinzeitbolschewisten“ geschrieben, die nie und nimmer in Afghanistan die Kontrolle übernehmen dürften. Die Feinbilder sind also austauschbar. Der Unterschied besteht nun aber darin, dass Deutschland auf der Welt militärisch wieder mitmischen darf. Schmudas Scherzfrage also, ob unsere Soldaten für sowas ihr Leben aufs Spiel setzen sollten, ist Ausdruck einer doppelten Beschränktheit des Autors.

Erstens sollte man sich nämlich die Frage stellen, wie es sein kann, dass deutsche Soldaten überhaupt im Kampfanzug in derartige Einsätze geschickt werden, bevor man eine Begründung darüber liefert, weshalb sie dort bleiben und kämpfen sollen. Zweitens sollte man sich dann fragen, woher wir das Recht ableiten, die Afghanen mit unseren „tollen westlichen Werten beglücken zu müssen“. Da müssen sie sich unbedingt das Denken der NATO vor Augen halten. Nato-Soldaten dürften demnach auch aßerhalb des Bündnisgebietes eingesetzt werden, wenn der Nachschub unserer Ressourcen gefährdet ist.

Volker Pispers sagte dazu treffend:

„Wir schützen nicht mehr das, was uns gehört, sondern wir schützen jetzt auch das, was wir gerne hätten.“

Aber sehen sie selbst.

Und zur ersten Frage, warum Deutschland überhaupt wieder eine militärische Rolle übernehmen konnte, gebe ich ihnen einen Beitrag von mir aus den NachDenkSeiten vom 16. Juli 2007 zur Kenntnis:

1. Anmerkung von A.T.

Zu Steinmeiers Aussage:

“Joschka Fischer und die Grünen haben rasch gelernt, wie wir in der Kosovo-Krise 1999 erlebt haben. Davon sind die Linken meilenweit entfernt, vor allem wegen ihrer beinahe nationalistischen Verengung.”

Hier wirft Steinmeier den Linken eine nationalistische Verengung vor, ohne auch nur einen kritischen Gedanken an die zur Normalität gewordenen Einsätze der Bundeswehr im Ausland zu verschwenden. Ist dieses militärische Engagement nicht eher die Folge eines neuen Deutschlands, dass sich nach dem Epochenbruch 1989/90 auf ein neues nationalistisches Selbstbewusstsein stützt? Ein Deutschland, das nach der Auflösung der deutsch-deutschen Teilung, die direkte Folge von Auschwitz, zu einer lang ersehnten Normalität tendierte? War es nicht Gerhard Schröder, der mit der nationalsozialistischen Vergangenheit kein Wahrnehmungsproblem mehr hatte, der das Denkmal für die ermordeten Juden als Ort bezeichnete, „wo die Leute gern hingehen“? Anders als seine Vorgänger, konnte Schröder unbefangener reagieren und ein neues Selbstbewusstsein propagieren, das Deutschland in die Lage versetzen sollte, als souveräner Partner an den Verhandlungstischen der Weltmächte mitreden zu können.

Das stieß vor allem bei den Opfern des Nationalsozialismus auf Vorbehalte, die sich darin äußerten, Deutschland könne mit dem Ende der DDR, die NS-Geschichte als abgeschlossen betrachten. Es wurde sehr schnell klar, dass die Möglichkeit einer Verdrängung der einen deutschen Geschichte durch die andere in Betracht gezogen würde. In den nachfolgenden Deutungen der Ereignisse, gemeint sind die Ausbrüche rechter Gewalt im Osten unmittelbar nach dem Fall der Mauer und das offenbar viel schnellere Ausbreiten des Rechtsextremismus auf dem Gebiet der ehemaligen DDR, ließen oberflächlich betrachtet nur den einen Schluss von der Nähe des DDR-Systems zu dem des Nationalsozialismus zu. Die Totalitarismusthese erfuhr nunmehr eine Renaissance. Doch das merkwürdige an der Diskussion ist, dass vor 1989 die DDR als linker Totalitarismus bezeichnet wurde und nach der Einheit rückblickend nur noch von der Ähnlichkeit bzw. Gleichartigkeit zum Nazi-Regime gesprochen wurde. [1] Damit entzog man der DDR und vor allem ihren Bürgern den gesellschaftlichen Kern und allen anderen die Möglichkeit über eine gesellschaftliche Differenz überhaupt nachzudenken.

Der Vergleich zwischen alter Bundesrepublik und der DDR wurde gar zu einem Tabu erklärt, da einer solchen Betrachtung die Anerkennung des DDR-Staates und der Gesellschaft vorausgehen müsste. „Tatsächlich werden die Ostdeutschen nur unter einer Bedingung vom Westen anerkannt: Sie müssen das Vergleichen zwischen der DDR und der Bundesrepublik unterlassen.“ [2] Auf der anderen Seite stand dem Vergleich zwischen der DDR und dem Nationalsozialismus auf der Basis des Diktaturenvergleichs nichts im Wege. Die neue Berliner Republik konnte sich daher mit dem neuen Bewusstsein schmücken, über zwei Diktaturen bzw. totalitäre Systeme hinweggekommen zu sein. [3] In dieser Konzeption avanciert der ganze DDR-Staat in der Wahrnehmung zu einem verbrecherischen Fehltritt der Geschichte, der zum einen diejenigen, die in ihm lebten, verunsichert bzw. mit dem Vorwurf konfrontiert, Teil eines Unrechtsstaates gewesen zu sein und die westdeutsche Gesellschaft gleichzeitig entlastet, wenn es darum geht, Aufarbeitung leisten zu müssen. „Die Bundesrepublik braucht die DDR, um sich über sie vom Nationalsozialismus abzustoßen.“ [4]

Die nationalistische Verengung, wie sie Steinmeier den Linken vorwirft, ist dann wohl eher im eigenen Haus zu finden, basierend auf einer neuen deutschen Staatsraison, die unkritisch gegenüber der eigenen verhängnisvollen Geschichte ist. Das Bekenntnis zu Verbrechen und Schuld wird dabei in eine bloße Floskel transformiert, um diese im Fokus der innerdeutschen Auseinandersetzung für eine bloße Aufwertung der SED-Diktatur im Vergleich zu benutzen.

Anmerkungen:

[«1] Franziska Augstein: Deutschland. Nationalsozialismus und zweiter Weltkrieg – Berichte zur Gegenwart der Erinnerung, in: Volkhard Knigge und Norbert Frei (Hrsg.), Verbrechen erinnern – Die Auseinandersetzung mit Holocaust und Völkermord, München 2002, vgl., S.228

[«2] ebd.

[«3] ebd. vgl., S.229

[«4] ebd. S.230

0

Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
  Verwandte Beiträge