Regierungs-PR verdeckt Versäumnisse

Geschrieben von: am 29. Apr 2020 um 13:29

Bund- und Landesregierungen loben sich für ihr Management in der Corona-Krise. Die Entscheidungen, die getroffen wurden, seien erfolgreich, da das Gesundheitssystem nicht, wie zu Beginn der Pandemie befürchtet, an die Grenzen der Leistungsfähigkeit gestoßen ist. Daher habe man alles richtig gemacht, auch wenn man der Bevölkerung sehr viele Einschränkungen hat zumuten müssen. Diese Einschätzung der Politik ist durchaus zutreffend. Sie verdeckt aber die Versäumnisse, die bereits vor der Corona-Krise bekannt waren und spätestens jetzt nicht nur angesprochen, sondern auch behoben werden müssen.

  1. Teilprivatisiertes Gesundheitssystem:
    Es gibt öffentliche Kliniken, aber auch Krankenhäuser, die zu Konzernen gehören. In beiden Fällen werden betriebswirtschaftliche Ergebnisse erwartet. Zum einen geht es um öffentliche Gelder aus den Haushalten der Länder und der Kommunen, die sparsam verwendet werden müssen, da Schwarze Nullen und Schuldenbremsen dies vorgeben. Öffentliche Leistungen, die die Verschuldung erhöhen, werden daher immer mit einer Belastung künftiger Generationen verbunden. Finanzminister, die gute Buchhalter sein wollen, suchen daher immer wieder nach Möglichkeiten, Ausgaben einzusparen, auch im Gesundheitsbereich.
    Private Kliniken sind wiederum an Dividenden für ihre Anteilseigner interessiert. Sie haben das Ziel, mit und durch das Gesundheitssystem Geld zu verdienen. Das geltende Fallpauschalensystem (DRG) lädt beispielsweise dazu ein, Operationen zu tätigen, die medizinisch vielleicht fragwürdig sind, dem Krankenhaus aber höhere Umsätze bescheren. Gerade jetzt in der Krise zeigt sich, wie absurd das System ist. So halten Krankenhäuser sinnigerweise Kapazitäten für den Ernstfall bereit und planen aufschiebbare Operationen später. Dadurch verlieren sie aber Umsätze, die der Gesundheitsminister wiederum durch Zusicherungen, die es nicht automatisch gibt, extra kompensieren muss. Wünschenswert wäre dagegen ein Modell, bei dem nicht Umsatz und Gewinn (worauf der Vorschlag, weitere Krankenhäuser zu schließen, zum Beispiel abzielte) im Mittelpunkt stünde, sondern die Gesundheit der Menschen. Es müsste also ein Zurück zu einer Daseinsvorsorge geben, die gerade nicht der betriebswirtschaftlichen Logik folgt.
  1. Pflegenotstand in den Kliniken:
    Bis zum Ausbruch der Pandemie ist beinahe jede Woche über den Fachkräftemangel in Kliniken und Pflegeeinrichtungen berichtet worden. Allein beim Pflegepersonal sind zehntausende Stellen unbesetzt. Die Bundesregierung und die Länder riefen daher eine konzertierte Aktion ins Leben, versuchten Ausbildungsbedingungen zu verbessern (die aber auf Druck der privaten Pflegeheimbetreiber wieder verwässert wurden) und schafften unter anderem Schulgeld ab, allerdings nicht für alle, da auch hier wieder die Schwarze Null maßgeblich war. Der Gesundheitsminister startete auch Anwerbeinitiativen im Ausland und ging sogar auf Fernreise nach Mexiko, auf der Suche nach weiterem Fachpersonal.
    Während der Krise zeigte sich dieser Mangel auch darin, dass die Behörden Studenten und Auszubildende anschrieben, sich freiwillig in den Krankenhäusern zum Dienst zu melden. Aktuell gibt es einen Streit darüber, wer für die Kosten einer versprochenen Prämie aufkommt, die an die Mitarbeiter in Pflegeberufen ausgezahlt werden soll. Da zeigen sich wieder die alten Verhaltensmuster. Ob daher der Mangel in den Pflegeberufen nach der Krise tatsächlich behoben werden kann, ist weiterhin fraglich. Warme Dankesworte und Applaus helfen jedenfalls nicht mehr weiter.
  1. Mangel bei der Schutzausrüstung:
    Der Kostendruck im Gesundheitswesen wird auch durch das Fehlen von Schutzausrüstung deutlich. Schaut man sich allein diesen Bereich an, waren Kliniken, Praxen und Pflegeeinrichtungen überhaupt nicht gut auf die Pandemie vorbereitet. Bis heute hält das Problem an, dabei hätte der Bundesgesundheitsminister rechtzeitig vor der Verbreitung des Virus in Deutschland umsteuern können, wenn er entsprechenden Hinweisen, die seinem Haus vorlagen, nachgegangen wäre. Warnungen vor Engpässen in der Versorgung hat es frühzeitig gegeben, doch zu diesem Zeitpunkt glaubte der Minister noch, das Virus sei harmlos. Heute wird dagegen im Rahmen einer großen PR-Aktion für Regierung und Verteidigungsministerin das größte Frachtflugzeug der Welt gechartert, um die Ankunft von Millionen Schutzmasken zu zelebrieren. In die Kameras wird dabei ohne Mundschutz gelächelt. Dies soll offenbar die Versäumnisse der Regierung vergessen machen.

Aufgabe der Medien wie auch der Opposition wäre es, sich durch diese Regierungs-PR nicht hinters Licht führen zu lassen und auf die Missstände hinzuweisen, die es vor der Krise gab und die es allem Anschein nach auch nach der Krise weiter geben wird. „Denn in einem System, in dem die Leistung dem Geld folgt, werden Leistungen in den Bereichen reduziert, die keinen Erlös bringen (z.B. Pflege), aber in den Bereichen ausgeweitet, in denen Gewinn zu machen ist.“ (Quelle: Ein Weckruf für die Krankenhauspolitik, in: der Freitag)


Bildnachweis: Screenshot, n-tv Liveübertragung vom 28.04.20

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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Kommentare

  1. Dieter  April 29, 2020

    Der Kostendruck führte zuerst zum Schließen von Laboren !
    Das heißt in vielen Städten, wie in der Großstadt Ingolstadt, gibt es keine Labore mehr, um Corona Tests auszuwerten.
    Via Transport werden die nach Regensburg oder München geschickt.
    Warum mein Test in einer Münchner Arztpraxis nach Augsburg geschickt wurde, entschließt sich mir aber nicht.
    Die Testergebnisse kommen durch den Transport erst nach 1 bis 3 Tagen. Es kann aber schon mal länger dauern.

    Mehr siehe auch
    „Gesundheitsversorgung: „Der Mensch wird zum Werkstück“
    https://www.nachdenkseiten.de/?p=46278

    und

    „Krankenhäuser in der Coronakrise
    Die Folgen der Fallpauschalen
    Je mehr Menschen am Coronavirus erkranken, desto größer wird der Druck in den Krankenhäusern. Auch eine Folge des Fallpauschalen-Systems, sagt Gerald Gaß von der Deutschen Krankenhausgesellschaft.
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    https://www.deutschlandfunkkultur.de/krankenhaeuser-in-der-coronakrise-die-folgen-der.1008.de.html?dram:article_id=473842

    daher

    sagt Marburger Bund die Klinikärzte wollen Fallpauschalen abschaffen !

    https://www.aerztezeitung.de/Politik/Klinikaerzte-wollen-DRG-abschaffen-403480.html