Blame Game zwischen den Gewalten

Geschrieben von: am 06. Mai 2021 um 8:43

Das Bundesverfassungsgericht hat Eilanträge gegen die Ausgangssperre abgelehnt. Die Begründung ist etwas peinlich, aber auch im Rahmen dessen, was man nach dem bisherigen Wirken in Sachen Corona erwarten konnte. Vermutlich spielen dann auch ganz andere Dinge eine Rolle, als die offensichtliche Verfassungswidrigkeit einer bundesweiten Regelung, die irgendwann in einem Hauptsacheverfahren noch festgestellt werden kann. Sehr wahrscheinlich drückt sich in dem Beschluss daher bloß eine Antwort an Legislative und Exekutive aus, die vielleicht mit einer richterlichen Ohrfeige gerechnet hatten. Was, wenn die Ausgangssperre nur ein Köder war?

Hunderte von Eilanträgen gegen Ausgangssperre und Bundesnotbremse sind in Karlsruhe eingegangen, darunter auch Verfassungsbeschwerden von Fraktionen des Bundestags. Es gibt dazu zahlreiche Stellungnahmen von Experten und Einschätzungen, wie die des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages. Dies alles zeigt, dass hier nicht nur eine hoch umstrittene Regelung in Kraft getreten ist, sondern es auch gute Gründe für die Annahme einer Verfassungswidrigkeit gibt. Die Bundesregierung dürfte sich darüber sehr wohl im Klaren sein. Wenn sie nun also gewollt hätte, vor dem Verfassungsgericht zu scheitern, hätte sie genau so ein Gesetz beschließen lassen. Nur warum?

Ganz einfach. Das Bundesverfassungsgericht sollte die Verantwortung für den Fall übernehmen, dass die Pandemie weiter außer Kontrolle gerät. Man hätte dann sagen können, dass der Spruch der Karlsruher Richter zu respektieren sei. So wie das bei der Entscheidung zum Klimaschutzgesetz auch gerade geschehen ist. Offen bliebe dann allerdings, ob die Maßnahmen, hier Ausgangssperre, nicht vielleicht doch gewirkt hätten. Die Regierung wäre fein raus und hätte von ihrer Hilflosigkeit etwas an die 3. Gewalt abgeben können. Diese Verantwortung wollte das Bundesverfassungsgericht aber nicht übernehmen, was sich auch in der klassischen wie lustlosen Folgenabwägung niederschlägt. Es könnte ja sein, dass Ausgangssperren doch wirken, liest sich aus dem Beschluss heraus.

Mit anderen Worten: Wenn der Gesetzgeber das so sieht, kann er das und soll auch selbst mit den Konsequenzen klarkommen. Und in der Tat wurde ja bereits ein paar Tage nach Inkrafttreten der Bundesnotbremse behauptet, sie würde bereits wirken. Dabei hatte man der Öffentlichkeit über Monate hinweg eingebläut, dass Maßnahmen immer einen zeitlichen Verzug mit sich brächten. Wer sich heute infiziert, ist nicht gleich morgen, sondern frühestens erst in drei Wochen tot und vorher natürlich noch im Krankenhaus. Zum Glück sind die jüngsten Horrorannahmen, die wie Gewissheiten vermarktet wurden, nicht eingetreten, weshalb die Maßnahmen jetzt unbedingt dafür verantwortlich gemacht werden müssen. Maßnahmen übrigens, die in den Augen derselben Vermarkter schon immer viel zu lasch und halbherzig waren. Das beschreibt übrigens auch das Gericht.

Da der Gesetzgeber die Wirkungen der mit der Ausgangsbeschränkung verbundenen Freiheitsbeeinträchtigungen zudem über Ausnahmetatbestände abgemildert hat und die Geltungsdauer der angegriffenen Regelung nach derzeitiger Rechtslage zeitlich relativ eng begrenzt ist, überwiegen die Nachteile für die Betroffenen ungeachtet der erheblichen Eingriffsintensität der Ausgangsbeschränkung nicht gegenüber den Nachteilen für einen wirksamen Infektionsschutz bei Aussetzen der Regelung…

Quelle: BverfG

Es spielt die Schwere des Grundrechtseingriffs herunter, obwohl das ein sehr tiefer Einschnitt in die Lebensverhältnisse und das Mittel, mit dem das geschehe, fachwissenschaftlich umstritten sei. Da waren die Verwaltungsgerichte in den Ländern schon viel weiter, übrigens auch inhaltlich. Der Gesetzgeber kann nun sagen, dass die Bundesnotbremse nicht nur wirkt, sondern auch den ersten Härtetest bestanden habe. In Wirklichkeit hat sich der Druck auf ihn aber weiter erhöht. Denn Fachwelt und Öffentlichkeit werden noch intensiver prüfen, ob die getroffenen Maßnahmen tatsächlich etwas bringen, wenn selbst das Bundesverfassungsgericht in seiner Begründung erklärt, dass der Gesetzgeber die Beschränkung ohnehin nur auf die regelmäßigen Ruhens- und Schlafenszeiten begrenzt habe.

Die Ausgangsbeschränkung fällt damit in einen Zeitraum, in dem nach den bisherigen Verhaltensmustern Aktivitäten außerhalb einer Wohnung oder Unterkunft keine ganz erhebliche quantitative Bedeutung haben. Sie betrifft den Zeitraum von 22 Uhr bis 5 Uhr und lässt körperliche Bewegung im öffentlichen Raum noch bis 24 Uhr zu. Der Gesetzgeber hat die Beschränkung auf die regelmäßigen Ruhens- und Schlafenszeiten begrenzt (vgl. BTDrucks 19/28444, S. 12).

Warum ist sie dann eigentlich erforderlich? Das Bundesverfassungsgericht stellt sich bei seiner Antwort jedenfalls etwas dumm und sagt nur, dass nicht eindeutig und unzweifelhaft auf der Hand liege, dass die Ausgangssperre zur Bekämpfung der Pandemie offensichtlich nicht geeignet, nicht erforderlich oder unangemessen wäre. Heißt: Der Gesetzgeber habe einen sehr weiten Ermessensspielraum (Einschätzungsprärogative). Oder anders ausgedrückt: Er möge die eingebrockte Suppe bitteschön selbst auslöffeln. Das passiert ja auch bereits. So wird eilig an einer Verordnung gestrickt, die Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen für die Geimpften und Genesenen noch diese Woche beseitigt. Das bedeutet wiederum einen enormen Kontrollmehraufwand für die Behörden vor Ort. Sie bekommen den Teller Suppe also überreicht, auch vom Bundesverfassungsgericht, das da meint:

So dürfte etwa die Kontrolle von Beschränkungen privater Kontakte unmittelbar im privaten Raum kaum weniger eingriffsintensiv sein als eine nächtliche Ausgangsbeschränkung.

Gut möglich, dass sich die Behörden in den Ländern bei der Umsetzung dann auch etwas dumm stellen und zu der Einschätzung gelangen, dass nicht eindeutig und unzweifelhaft auf der Hand liege, ob jemand gegen die Ausgangssperre tatsächlich verstoße, nur weil er sich draußen aufhalte. Immerhin sinken die im Gesetz als maßgeblich erachteten Inzidenzwerte weiter unter die Schwelle von 100, so dass sich die Ausgangssperre für alle vermutlich noch in diesem Monat ganz von selbst erledigen wird. Spätestens zum 30. Juni ist ohnehin damit Schluss. Spätestens dann wird den Richtern am Bundesverfassungsgericht auch aufgefallen sein, dass das Grundgesetz keine Paragrafen, sondern Artikel hat. Das nur als Erklärung zum Titelbild über diesem Beitrag und der Feststellung, dass die Begründung des Gerichts auch etwas peinlich ist.


Bildnachweis: Screenshot BverfG, 05.05.2021

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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Kommentare

  1. Brigitte Breidenbach  Mai 7, 2021

    Ein richtig perfides Spiel, dass die Bundesverfassungsrichter mit der Ablehnung der Eilanträge treiben: Sie zerreiben uns BürgerInnen zwischen sich und der Bundesregierung.
    Das Urteil ist zwar nicht zur Gänze positiv für die Bundesregierung, aber die Begründungen sind nicht nur (wohlmeinend) peinlich zu bezeichnen, sondern für uns WählerInnen nicht mehr nachvollziehbar, irritierend und ein weiterer Schlag gegen die offenkundige Verfassungswidrigkeit und unser Rechts- und Gerechtigkeitsempfinden:
    Behörden und Politik spielen übles Ping-Pong mit uns…
    Da tröstet mich auch nicht, dass „irgendwann“ ein Hauptsacheverfahren durchgeführt wird (evtl. ergänze ich…) – das dann eh zu spät kommt, was in der Zwischenzeit ein weiterer Sieg für die Merkel-Diktatur ist und sie festigt…