In die Irre geführt

Geschrieben von: am 21. Mai 2019 um 8:13

Der Gag des Morgens:
Sozialdemokraten warnen vor einer Blockadepolitik der EU-Staats- und Regierungschefs nach der Europawahl und kündigen selbst eine Blockade für den Fall an, dass es zu einem Kuhhandel komme und keiner der Spitzenkandidaten zum EU-Kommissionschef ernannt werden sollte.

„Wir werden jeden Kandidaten durchfallen lassen, der sich nicht als Spitzenkandidat zur Wahl gestellt hat. Notfalls sind wir entschlossen, einen institutionellen Machtkampf mit dem Europäischen Rat auszutragen. Das sind wir unseren Wählerinnen und Wählern schuldig, die auf eine transparente EU setzen. […] Wer das Spitzenkandidatenprinzip nicht ernst nimmt, begeht Betrug an den Wählerinnen und Wählern.“

SPD-Europapolitiker Jens Geier

Die Bemerkung des Europapolitikers sind aus mehrerlei Hinsicht albern. Zum einen ist es nicht gerade schlau, eine mögliche Blockadehaltung zu kritisieren, um dann selbst mit einer Blockade zu drohen. Weiterhin ist das Spitzenkadidatenprinzip eine sehr widersprüchliche Sache, da in den EU-Staaten unterschiedliche Wahlsysteme gelten und jedes Land eigene Parteien und Kandidaten benennt. Der Wähler kann also gar nicht den Kandidaten unterstützen, der als solcher europaweit ausgerufen worden ist.

Besonders deutlich wird das beim deutschen Spitzenkandidaten der Union, Manfred Weber. Er geht für die CSU ins Rennen. Ihn können daher nur die Bayern wählen, sonst niemand. In ganz Europa ist Weber zudem weitgehend unbekannt. Die deutschen Sozialdemokraten werben wiederum nicht mit dem Holländer Frans Timmermans, der ihrer Meinung nach die Kommission künftig anführen soll, sondern mit Katarina Barley und Udo Bullmann.

So viel zum Thema Betrug am Wähler. Er wird mit den Spitzenkandidaten der Parteien in die Irre geführt. Wer das nicht will und eine transparente EU sowie einen institutionellen Machtkampf verhindern möchte, der muss die EU-Verträge ändern. Sie schreiben nun einmal vor, dass die Staats- und Regierungschefs (Europäischer Rat) entscheiden, wer die Spitzenämter der EU bekommt und auch vorschlagen, wer Chef der Kommission werden soll. Dabei sollte das Ergebnis der Europawahl berücksichtigt werden. Klar geht anders.

Wer sich nun hingegen wider besseres Wissen über die Kuhhandel-Gespräche nach der Wahl beklagt, agiert unglaubwürdig und führt seinerseits die Wähler bewusst in die Irre.

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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