Das Gelaber von der "Geordneten Insolvenz"

Geschrieben von: am 09. Jun 2009 um 15:19

Es ist wirklich nicht mehr zum Aushalten, was sich die Neue Presse Hannover erlaubt. Jetzt betet Christian Lomoth sogar auf Seite 1 die Thesen des Bundeswirtschaftsministers zu Guttenberg nach, wonach eine „geordnete Insolvenz“ ganz viele Chancen böte.

„Die bedeutet ja nicht, wie die Schwarzseher gerne und ständig betonen, dass alle Läden gleich geschlossen werden. Ganz im Gegenteil: Tatsächlich hätte ein Insolvenzverwalter viel größere Möglichkeiten zur Sanierung des Konzerns als das Management, das mit den Altlasten kämpft.“

Toll. Nun entdecken wir die geordnete Insolvenz als Königsweg aus der Krise. Ist doch gar nicht so schlecht das Ganze. Denn…

„Eine geordnete Insolvenz bietet – vor allem langfristig – gute Chancen.“

Wie die aussehen, sagt Lomoth natürlich nicht. Zu Guttenberg übrigens auch nicht. Denn würde man sich ernsthaft mit dem Thema beschäftigen, müsste man ganz deutlich sagen, dass es in so einem Verfahren nur darum geht, die Forderungen der Gläubiger zu erfüllen. Deshalb müssen nach aktueller Gesetzeslage auch die Beschäftigten mit ihrem bereits verdienten Einkommen etwas beitragen. Maximal drei Monatsgehälter dürfen laut deutschem Recht zurückgefordert werden. Gerichtsvollzieher statt Rettungsschirm! Dazu gibt es bereits empirisches Material:

Siehe Report München vom 26.01.2009!

Das Gelaber über dieses neue schöne Wort von der „Geordneten Insolvenz“ ist echt zum Kotzen. Es soll der Eindruck vermittelt werden, als gäbe es ein wirksames Instrument zur Rettung von Unternehmen, welches den klssischen Weg direkter staatlicher Beteiligung ersetze. Das finden alle widerspruchslos toll. Schließlich würde dann kein Steuergeld sinnlos verbrannt, wie es heißt.

Man fragt sich nur wieder verdutzt, warum diese Sicht der Dinge, wie sie Christian Lomoth heute in der Neuen Presse Hannover für Unternehmen der Realwirtschaft zum Besten gibt, nicht auch auf die Finanzbranche Anwendung findet. Wo ist da der journalistische Einsatz für verpulvertes Steuergeld? Der Fall Hypo Real Estate beweist doch, dass das Insolvenzrecht für den Bankenbereich seit letztem Jahr quasi außer Kraft gesetzt wurde. Dort werden mit vollem Wissen um die tatsächlichen Zustände Milliarden und Milliarden hineingepumpt, ohne dass ein „von und zu“ oder einer dieser abhängigen Journalisten da je gefragt hätte, ob eine „geordnete Insolvenz“ nicht vielleicht „langfristig gesehen, bessere Chancen böte.“

Man kann nur noch mit dem Kopf schütteln, wenn man diesen manipulativen Müll lesen muss. Lomoth weist sogar darauf hin, dass der Lenkungsausschuss frei nach Schnauze über Staatshilfen entscheiden kann, ohne dass besonders erklären zu müssen. Warum macht Lomoth das nicht zum Thema und fragt nach, welche Leute dort sitzen und über die Vergabe von Steuergeldern entscheiden? Warum fragt er nicht nach der Geheimhalterei? Es ist für eine Demokratie schlicht ein Skandal, dass nicht einmal das Parlament erfährt, wofür Steuergelder verwendet werden.

Auf Seite 2 legt Christoph Slangen, vom Berliner PR-Büro Slangen+Herholz, nach. Er liefert einen Kommentar zum SPD Desaster. Darin behauptet er, dass eine Mehrheit der Deutschen die Opel-Rettung für umstritten hält.

„Sie verstehen nicht, dass ihr Einsatz für Arbeitsplätze nicht gewürdigt wird – und übersehen dabei geflissentlich, dass beispielsweise die Rettung von Opel auch in der Bevölkerung umstritten ist. Nüchtern ist festzustellen: Die Krise treibt der SPD nicht automatisch die Wähler zu.“

Daran können sie erkennen, wie die PR-Maschinerie funktioniert. Die ARD hatte am Wahlabend den Kanzlerkandidaten der SPD mit einer so offensichtlich manipulierten Umfrage zum Thema Opel-Rettung konfrontiert und schon bildet die öffentliche Meinungsmache das Ergebnis als verlässliche Fakten ab. Infratest dimap formulierte folgende tendenziöse Fragestellung, die gegen jede methodische Regel quantitativer Datenerhebung verstößt:

Haben sie das Gefühl, dass die SPD zu leichtfertig staatliche Gelder in die Hände von Unternehmen gibt?

Diese Fragestellung ist schlicht eine Auftragsarbeit, die ein gewünschtes Ergebnis liefern sollte. Es geht gar nicht mehr um das Überprüfen von wissenschaftlichen Hypothesen mittels Erhebung von Daten, sondern einzig und allein um die Schaffung von genehmen Fakten, die den Anschein von Wissenschaftlichkeit transportieren sollen, damit sie von der breiten Masse geglaubt werden. Nur dafür gibt es Aufträge und Geld. Und das ist auch das Problem der empirischen Sozialforschung. Sie hat sich in ihrer Not verkauft. Die Professionalisierung der Sozialwissenschaften auf dem Gebiet der Datenerhebung und Umfragen ist Ergebnis des politisch gewollten Nützlichkeitsdenkens.

Die wissenschaftliche Leistung soll sich an der Frage nach ihrem Nutzen, ihrer Verwertbarkeit bemessen. Dazu ein immer noch aktuelles Zitat von Ernst Bloch über das marxistische Theorie-Praxis-Verhältnis, das aus seinen berühmten Vorlesungen in den 1950er Jahren in Leipzig überliefert ist, als er DDR-Studenten die Geschichte der Philosophie näher brachte. In diesem Abschnitt beschreibt er genau den Zustand, der entsteht, wenn Wissenschaft dem bloßen Nützlichkeitskriterium herrschender Eliten unterliegt.

„Auf keinen Fall darf das marxistische Theorie-Praxis-Verhältnis verwechselt werden mit Pragmatismus. Dem ist etwas wahr, weil es nützlich ist. Der Marxismus aber sagt nicht, dass etwas wahr ist. Das ist der Schandpragmatismus der Nazis, die sagten, das sei wahr, was dem deutschen Volke, also dem deutschen Monopolkapital nütze. Der Marxismus sagt: Etwas ist nützlich, weil es wahr ist. Wenn etwas nicht wahr ist, ist es auch nicht nützlich; wenn es nicht wahr ist, ist es nicht konkret, und wenn es nicht wahr ist, ist es nicht wirklich. Man kann nicht gegen die Wirklichkeit handeln, da hat man keinen Erfolg. Also die Wirklichkeit selber ist das Kriterium der Praxis. Dies setzt aber einen Primat des Gedankens, der Theorie voraus, bevor das Bestätigungsprimat der Praxis überhaupt in Frage kommen kann.“

Ernst Bloch: Neuzeitliche Philosophie II: Deutscher Idealismus – Die Philosophie des 19. Jahrhunderts, in: Leipziger Vorlesungen zur Geschichte der Philosophie 1950-1956, Band 4, Frankfurt a.M. 1985 (stw-Verlag), S.447

Bei der Datenerhebung von infratest dimap ist es ganau umgekehrt. Das Bestätigungsprimat wird so gestaltet, dass es einer entsprechenden verzerrten Wirklichkeit entspricht. Das ist im Grunde brutale Gewalt gegen die Wirklichkeit und hat mit Wissenschaft nix mehr zu tun – eher mit Gleichschaltung und Schandpragmatismus.

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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